K. Harbarth/T. Riedrich/W. Schirotzek Differentialrechnung für Funktionen mit mehreren Variablen Differentialrechnung für Funktionen mit mehreren Variablen Von Doz. Dr. Klaus Harbarth Prof. Dr. Thomas Riedrich Prof. Dr. Winfried Schirotzek 8., neu bearbeitete Auflage B.G. Teubner Verlagsgesellschaft Stuttgart . Leipzig 1993 Das Lehrwerk wurde 1972 begrundet und wird herausgegeben van: Praf. Dr. Otfried Beyer, Praf. Dr. Harst Erfurth, Praf. Dr. Christian GraBmann, Praf. Dr. Harst Kadner, Praf. Dr. Karl Manteuffel, Praf. Dr. Manfred Schneider, Praf. Dr. Gunter Zeidler Verantwartlicher Herausgeber dieses Bandes: Praf. Dr. Karl Manteuffel Autaren: Daz. Dr. Klaus Harbartht Praf. Dr. Thamas Riedrich Praf. Dr. Winfried Schiratzek Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Harbarth, Klaus: Differentialrechnung fOr Funktionen mit mehreren Variablen / von Klaus Harbath ; Thomas Riedrich ; Winfried Schirotzek. [Verantw. Hrsg.: Karl Manteuffel]. - 8., neubearb. Aufl. - Stuttgart ; Leipzig: Teubner, 1993 (Mathematik fur Ingenieure und Naturwissenschaftler) ISBN 978-3-8154-2041-6 ISBN 978-3-322-93434-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-93434-5 NE: Riedrich, Thomas; Schirotzek, Winfried: Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulăssig und strafbar. Das gilt besonders fOr Vervielfăltigungen, Obersetzungen, Mikroverfil mungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © B. G. Teubner Verlagsgesellschaft Leipzig 1993 Gesamtherstellung: Druckerei zu Altenburg GmbH, Altenburg Umschlaggestaltung: E. Kretschmer, Leipzig Vorwort Das vorliegende Buch, als Lehrbuch neben einem Mathematik-Grundkurs für Ingenieurstudenten gedacht und angelegt, nimmt in der Reihe "Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaitier" eine zentrale Stellung ein. Einerseits wird beim Leser die Kenntnis der Differentialrechnung für Funktionen von einer reel len Variablen vorausgesetzt, und andererseits werden wichtige, im Studienablauf an späterer Stelle liegende Gebiete wie die gewöhnlichen und die partiellen Dif ferentialgleichungen, die Integralrechnung für Funktionen mehrerer Variabler, die Tensoranalysis und alle Gebiete der Optimierung unmittelbar vorbereitet. Durch seinen Charakter als Grundlagenwerk ist es auch für Studenten des Lehr amts an Realschulen und Gymnasien besonders geeignet. Der vorliegende Text ist aus den früheren Auflagen durch eine wesentliche Neubearbeitung hervorgegangen. Dabei wurde die Vertiefung der mathemati schen Allgemeinbildung als wichtiges Anliegen beibehalten, zugleich aber noch stärker auf ingenieurwissenschaitliche Anwendungen orientiert. Unter anderem wird eingegangen auf singuläre Punkte von Nivea.ulinien, das Newton-Verfahren zur numerischen Lösung nichtlinearer Gleichungssysteme sowie auf orthogonale krummlinige Koordinaten und ihre Anwendung auf strömungsmechanische Pro bleme. Die Verfasser danken Frau M. Ga.ede herzlich für die mit großer Sorgfalt vor genommene Übertragung des Manuskripts in eine reproduktionsreife Druckvor lage. Dem Verlag sei für die gute Zusammenarbeit aufrichtig gedankt. Dresden, im Juli 1993 T. Riedrich W. Schirotzek Inhalt 1 Elemente der Theorie der Punktmengen ....................... 9 1.1 Der Euklidische Raum IRn ••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 9 1.2 Mengen in IRn •••••••••••••• ,................................. 14 1.3 Konvergenz in IRn ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 21 2 Funktionen mehrerer unabhängiger Variabler................... 24 2.1 Der Begriff der reellen Funktion mehrerer unabhängiger Variabler...................................................... 24 2.2 Der Begriff der Vektorfunktion mehrerer unabhängiger Variabler 29 2.3 Krummlinige Koordinaten in IR2 ••••••••••••••••••••••••••••••• 32 2.4 Krummlinige Koordinaten in IR3 ..•....•••.••••••••••..•••..••• 36 2.5 Grenzwerte von Funktionen mehrerer unabhängiger Variabler .. 39 2.6 Stetigkeit von Funktionen mehrerer unabhängiger Variabler .... 45 2.7 Eigenschaften stetiger Funktionen ............................. 46 2.8 Parameterdarstellung von Kurven und Flächen................. 48 3 Ableitungen ................................................... 53 3.1 Partielle Ableitungen ......................................... . 53 3.1.1 Partielle Ableitungen erster Ordnung ......................... . 53 3.1.2 Partielle Ableitungen höherer Ordnung ....................... . 57 3.2 Totale Differenzierbarkeit reeller Funktionen .................. . 59 3.2.1 Der Begriff der totalen Differenzierbarkeit ..................... . 59 3.2.2 Ableitung und Gradient ...................................... . 63 3.2.3 Der Mittelwertsatz für Funktionen mehrerer Variabler ......... . 68 3.3 Anwendungen des totalen Differentials in der Fehlerrechnung .. . 69 3.4 Differentiale höherer Ordnung ................................ . 75 3.5 Totale Differenzierbarkeit von Vektorfunktionen ............... . 77 3.6 Die verallgemeinerte Kettenregel .............................. . 81 3.7 Implizite Funktionen, implizite Differentiation ................. . 87 3.7.1 Implizit definierte Funktionen einer Variablen ................. . 87 3.7.2 Implizite Differentiation implizit definierter Funktionen einer Variablen .................................................... . 90 3.7.3 Implizite Funktionen von mehreren Variablen ................. . 95 3.7.4 Die Differentiation implizit definierter Funktionen mehrerer Variabler ..................................................... . 97 3.7.5 Isolierte einfach-singuläre Punkte ............................. . 99 3.8 Die Funktionaldeterminante eines Funktionensystems ......... . 101 8 Inhalt 3.8.1 Definition der Funktionaldeterminante. Satz von der lokalen Umkehrbarkeit ............................................. 101 3.8.2 Der Multiplikationssatz für Funktionaldeterminanten ........ 105 3.8.3 Die Transformation von Differentialausdrücken bei der Transformation der unabhängigen Variablen ................ 107 3.8.3.1 Transformation auf ebene Polarkoordinaten ................. 107 3.8.3.2 Transformation auf Zylinderkoordinaten .................... 110 3.8.3.3 Transformation auf Kugelkoordinaten ....................... 111 4 Der Satz von Taylor und Extremwertaufgaben ............. . 113 4.1 Die Taylorformel für Funktionen zweier Variabler .......... . 113 4.2 Extremwertaufgaben ...................................... . 120 4.2.1 Notwendige Bedingungen für Extremwerte ................. . 121 4.2.2 Hinreichende Bedingungen für Extremwerte ................ . 123 4.2.3 Extremwertaufgaben mit Nebenbedingungen ............... . 128 4.2.4 Hinreichende Bedingungen für das Vorliegen relativer Extrem- werte für Extremwertaufgaben mit Nebenbedingungen ..... . 135 4.2.5 Beispiele für Extremwertaufgaben .......................... . 139 4.2.5.1 Standortproblem, Steiner-Weber-Problem .................. . 139 4.2.5.2 Kritische Punkte des elektrischen Feldes ................... . 142 4.2.5.3 Ein geometrisches Beispiel ................................. . 143 4.3 Die Methode der kleinsten Quadrate ....................... . 144 4.4 Das Newton-Verfahren zur Lösung nicht linearer Gleichungs- systeme ................................................... . 152 5 Skalare Felder und Vektorfelder ............................ . 157 5.1 Allgemeine Betrachtungen zum Feldbegriff ................. . 157 5.2 Die Differentialoperatoren der Vektoranalysis .............. . 163 5.2.1 Richtungsableitung und Gradient .......................... . 163 5.2.2 Divergenz ................................................. . 166 5.2.3 Rotation .................................................. . 167 5.2.4 Der Vektordifferentialoperator 'V. Rechenregeln für die Operatoren grad; div; rot ............. . 169 5.2.5 Differentialoperatoren zweiter Ordnung .................... . 173 5.2.6 Differentialoperatoren der Vektoranalysis in orthogonalen (krummlinigen ) Koordinaten ............................... . 177 Lösungen der Aufgaben .................................... 186 Literatur ................................................... 194 Sachregister. . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1 Elemente der Theorie der Punktmengen 1.1 Der Euklidische Raum lRn In [PFS] wurden Funktionen von einer unabhängigen reellen Variablen unter sucht. Im vorliegenden Band wollen wir Funktionen von mehreren unabhängi gen reellen Variablen studieren. Beispiel 1.1 Für das Volumen V eines zylindrischen Behälters mit dem Grundkreisradius r und der Höhe h gilt V = 1lT2 h. Das Volumen V hängt also sowohl von h als auch von r ab und zwar in unterschiedlicher Weise: Man erhält = = = = z. B. für h 5 und r 2 ein anderes Volumen als für h 2 und r 5. Diesen Unterschied kann man dadurch erfassen, daß für die Variablen eine Reihenfolge festgelegt wird. Man bezeichnet z. B. h als erste und r als zweite Variable; man faßt also hund r zu einem geordneten Paar zusammen, das man in der Form [ ; ] oder (h, r) schreibt. Jedem geordneten Paar [ ; ], wobei hund r positive Zahlen sind, ist dann der Funktionswert V = 1lT2 h eindeutig zugeordnet. Das Beispiel zeigt, daß die Argumente einer Funktion von zwei unabhängigen reellen Variablen geordnete Paare von reellen Zahlen sind. Mit geordneten Paaren und allgemeiner mit geordneten n-Tupeln von reellen Zahlen wollen wir uns in diesem einleitenden Kapitel befassen. Wie üblich bezeichne IR oder IRI die Menge aller reellen Zahlen. Ein aus den reellen Zahlen Xl und X2 gebildetes geordnetes Paar schreiben wir in der Form oder also als (2,1)-Matrix (zweidimensionaler Spaltenvektor) oder als (1,2)-Matrix (zweidimensionaler Zeilenvektor); vgl. [MSV]. Die Menge aller (2,1)-Matrizen :~ [ ] , wobei Xl E IR I und X2 E IR 1 ist, bezeichnen wir mit IR 2• Für beliebige Elemente von IR2 verwenden wir halbfette lateinische Buchstaben: a, b, x, y :~ usw. Somit bedeutet x E IR2, daß x = [ ] ist, wobei Xl und X2 reelle Zahlen sind. In strikter Matrixschreibweise können wir setzen; dabei steht T für das Transponieren einer Matrix. Aus typographischen 10 1 Elemente der Theorie der Punkt mengen Gründen werden wir allerdings statt x = [ ::] auch x = (Xl, X2) schreiben. Der Umstand, daß es bei einem geordneten Paar auf die Reihenfolge der Ele mente ankommt, spiegelt sich in der Definition der Gleichheit wider: Es sei x = (XbX2) und y = (YI'Y2). Man setzt = = = x y genau dann, wenn Xl YI und X2 Y2. (1.1) Das ist die Gleichheitsdefinition für Matrizen. Somit gilt z. B. (5,2) =I- (2,5) (vgl. Beispiel 1.1), aber auch (5,2) =I- (5,1). Bemerkung 1.1 Man kann die Elemente von rn? geometrisch interpretieren. Dazu sei in einer Ebene E ein kartesisches Koordinatensystem (0, i,j) gegeben. Hierbei ist 0 ein Punkt (Ursprung, Nullpunkt), und i und j sind aufeinander senkrecht stehende (geometrische) Vektoren in E mit der Länge Eins. Jedem x = (XI,X2) E rn? ist dann der (geometrische) Vektor r = Xli + x~ und der Punkt P(XbX2) in E zugeordnet (s. Bild 1.1). E ,l X2 Plx xZ} I j I I I Bild 1.1 x, 0 I Umgekehrt gibt es zu jedem Vektor r bzw. jedem Punkt P in E genau ein x = (XI,X2) Ern?, so daß Xl und X2 die Koordinaten von r bzw. P bezüglich des gegebenen Koordinatensystems sind. Zwischen den Elementen von rn? und den Vektoren bzw. Punkten einer Ebene E kann man also eine umkehrbar ein deutige Zuordnung herstellen, sobald in E ein Koordinatensystem vorgegeben ist. In diesem Sinne nennt man die Elemente von rn? auch Punkte und veran schaulicht sie als geometrische Punkte einer Ebene, wobei häufig das zugrunde liegende Koordinatensystem nicht bezeichnet wird (vgl. Bild 1.2). Der Leser sollte sich aber stets darüber im klaren sein, daß die Beschriftung eines Punktes einer Ebene etwa mit x, wobei x E rn? gilt, nur eine Kurzbezeichnung für den oben erläuterten Zusammenhang ist. 1.1 Der Euklidische Raum IRn 11 Als spezielle Elemente führen wir in IR2 den Nullvektor 0 und die Grundvektoren et, e2 ein durch 0= (0,0), el = (1,0), e2 = (0,1). Man definiert in IR2 eine Addition und eine Multiplikation mit reellen Zahlen: Für x = (Xl, X2) E IR2, Y = (YI, Y2) E IR2 und a E IRI setzt man (1.2) Diese Operationen genügen den für reelle Zahlen bekannten Rechenregeln, z. B. x+y = y+x und a(x+y) = ax+ay. Somit ist IR2 ein linearer Raum (mit 0 als Nullelement); s. [SSZ]. Gemäß (1.2) ist jedes x = (Xl, X2) E IR2 darstellbar in der Form Die Zahlen Xl und X2 heißen daher auch erste bzw. zweite Koordinate von x (bezüglich der Grundvektoren el, e2)' Weiter definiert man in IR2 ein Skalarprodukt durch x· Y = XIYI + X2Y2 = X T y. (1.3) In (1.3) wurde sogleich davon Gebrauch gemacht, daß das Skalarprodukt x· y auch als Matrizenprodukt xT y ("Zeilenvektor mal Spaltenvektor") darstellbar ist. Man beachte, daß das Matrizenprodukt ohne Operationszeichen geschrieben wird. Gilt x . y = 0, so sagt man, x und y sind zueinander orthogonal oder stehen aufeinander senkrecht. = = Beispiel 1.2 Es sei x (4, -2) und y (3,6). Wir können schreiben x = 4el -2e2 oder x = 2(2, -1). Es gilt x+y = (4+3, -2+6) = (7,4). Weiter = ist x· Y 4·3 + (-2) ·6 = 0, x und y sind also zueinander orthogonal. Dem Leser sei empfohlen, die eingeführten Begriffe entsprechend Bemerkung 1.1 anhand von Vektoren einer Ebene zu veranschaulichen; s. auch Band [MSV]. Über die Veranschaulichung der Elemente von IR2 als Punkte einer Ebene ge langt man zu der folgenden Definition (s. Bild 1.2): Ist x = (XI, X2) E IR2 und y = (YI, Y2) E IR2, so heißt = d(x,y) J(XI - YI)2 + (X2 - Y2)2 (Euklidischer) Abstand von x und y. Für beliebige x, y, z E IR2 gilt die Drei ecksungleichung (s. Bild 1.3) d(x, z) ~ d(x, y) + d(y, z). (1.4) 12 1 Elemente der Theorie der Punktmengen /=[~] Y2 - - - - - - - - - I I x2 - I Bild 1.2 Bild 1.3 Man kann den Abstand auch mit Hilfe des Skalarproduktes darstellen: d(x,y) = J(x - y). (x - y). Schließlich definieren wir durch Jxi x~ lxi = d(x,o) = + den Betrag von x. Hierfür gilt die Dreiecksungleichung in der Form Ix+yl:::; lxi + lyl· (1.5) Eine weitere wichtige Relation ist die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung Ix·yl:::; Ixl·lyl, (1.6) ausführlich geschrieben JXi x~· Jy~ y~. IXIYl + x2Y21 :::; + + Beispiel 1.3 Für die Punkte x = (4, -2) und y = (3,6) hat man d(x,y) = J(4-3)2+(-2-6)2 = V65, lxi = J42+(-2)2 = V20 und = V45. lyl Alles bisher über geordnete Paare von reellen Zahlen Gesagte kann unmittelbar auf geordnete Tripel, geordnete Quadrupel und allgemein auf geordnete n-Tupel (n = 1,2, ... ) übertragen werden. Ein geordnetes n-Tupel kann als (n, 1)-Matrix oder als (1, n)-Matrix geschrieben werden. Die Menge aller (n, l)-Matrizen x~ [~:l ~[x"x" x~(x"x" ... ,x.[T bzw. ... ,x.)