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Diese Welt wird völlig anders sein: Denkmuster der Rationalisierung PDF

258 Pages·1995·16.588 MB·German
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Soziologische Studien Band 17 Diese Welt wird völlig anders sein Denkmuster der Rationalisierung Brigitte Aulenbacher Tilla Siegel (Hg.) Centaurus Verlag & Media UG 1995 Umschlagabbildung: Nach einer Radierung von Wahrmut Mayer Die Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme Diese Welt wird völlig anders sein: Denkmuster der Rationalisierung / Brigitte Aulenbacher; Tilla Siegel (Hg.).- Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.-Ges., 1995 (Soziologische Studien ; Bd. 17) ISBN 978-3-89085-986-6 ISBN 978-3-86226-386-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-86226-386-8 NE: Aulenbacher, Brigitte [Hrsg.]; GT ISSN 0937 -664X Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Überset zung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes dmfin irgendeiner Fonn (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. © CENTAURUS-Verlagsgesellschaft mit beschränkter Haftung, Pfaffenweiler 1995 Satz: Ingrid Goertz Inhalt Brigitte Aulenbacher, Tilla Siegel Perspektiven der Rationalisierungsforschung. EineEinleitung 7 Teilt: Gesellschaftliche Visionen Sylvie Schweitzer Saint Simonismus, Produktion und Rationalisierung Ein französisches Programm für eine neue Gesellschaft? 19 Yvonne Hirdman "Gesellschaftliche Planung unter rationaler Kontrolle": Social Engineering in Schweden in den dreißiger und vierziger Jahren 31 Paul Mattick Jr. Kunst im Zeitalter der Rationalisierung. Le Corbusier Konstruktivismus und die Taylorisierung der Kunst 55 Ursula Müller Wissenschaftskritik und Methodologie im feministischen Diskurs 61 Peter Noller, Klaus Ronneberger Die Rationalisierung des Raumes in der postmodernen Stadt. Urbanisierungsstrategien in Frankfurt Teil2: Selektion-Geheimprogramm der Rationalisierung Regina Becker-Schmidt Homo-Morphismus. Autopoietische Systeme und gesellschaftliche Rationalisierung 99 Brigitte Aulenbacher Das vecborgene Geschlecht der Rationalisierung Zur Bedeutung von Rationalisierungsleitbildern für die industrielle und technische Entwicklung 121 Magdalene Deters Verttauen und Rationalität: Berufliche Chancen für Frauen? Dimensionen sozialec Rationalisierung in modernen Unternehmen 139 Gisela Dö" Neue Haushaltstechnik -alte Arbeitsteilung? Die Rationalisierung der Haushaltsproduktion 157 Teil3: Industrielle Rationalisierung im Umbruch Tilla Siegel Schlank und flexibel in die Zukunft. Überlegungen zum Verhälmis von industrieller Rationalisierungu nd gesellschaftlichem Umbruch 175 Rudi SchmidJ Rationalisierung und soziale Differenzierung in ostdeutschen Industriebetrieben 197 Monika GoldmaM Industrielle Rationalisierung als Geschlechterpolitik. Neue Perspektiven für Frauen durch Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung im Betrieb 209 Daniel Bieber Der diskrete Charme des technologischen Detenninismus. Zur Bedeutung von Technikmärkten für die industrielle Rationalisierung 231 Boy Lüthje Deregulierung und Technologieentwicklung in der Telekommunikation. lmplikationen für die Rationalisierungsforschung 24 9 Autorinnen 267 Brigitte Aulenbacher I Tilla Siegel Perspektivender Rationalisierungsforschung Eine Einleitung "Diese Welt wird völlig anders und sehr viel besser sein", wenn nämlich Lean Production oder die "schlanke Produktion" die alte Massenproduktion und die noch verbliebene handwerkliche Produktion in allen Bereichen industrieller Betätigung ersetzt hat, "um das weltweite Standardproduktionssystem des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu werden" (Wo macku.a. 1991, 292). Dies ist dieBotschaftder Studie des Massachusetts Institutes of Technology, Die zweite Revolution in der Autoindustrie, mit der der Begriff "schlanke Produktion" für die neuen Rationalisierungsmuster propagiert wurde. Anders wird, so das Credo der MIT -Studie, nicht nur die Welt der Industrie. Denn mit der Güterproduktion werde auch über Lebensqualität und -verhältnisse von Menschen entschieden. Die "schlanke Produktion" sei der zeitgemäße Weg zur weltweiten Neuformierung von Arbeits-undLebensbeziehungen. Und in der Tat wird inzwischen auch die Reorganisation und Rationalisierung anderer gesellschaftlicher Bereiche, beispielsweise der Stadt, des Staates, wie überhaupt des öffentlichen Dien stes mit dem Attribut "schlank" versehen. Ob diese schlanke Welt sehr viel besser wird, steht noch dahin. Vorerst ist schlank zum unverfanglichen zukunftsweisenden Sy nonym für eine knallharte Leistungspolitik geworden-vergessen scheint die Kritik, die vor Jahren an der Leistungsgesellschaft und ihrem destruktiven Potential geübt wurde. Leistung zählt wieder, so als ließe sie sich umstandslos und objektiv bestimmen. Wer den Arbeitsplatz verliert oder gar nicht erst einen bekommt, gilt automatisch als leistungsschwach, hat den Anschluß verpaßt und gehört eben nicht zur Elite der neuen schlanken Welt. Mit dem glatten Wörtchen schlank werden Personalabbau wie die allgemeine Sparpolitik legitimiert und die Schuld an der hohen Arbeitslosigkeit den Arbeitslosen in die Schuhe geschoben. Aber, so heißt es, die Krise, die Arbeitslosigkeit, die Notwendigkeit zu sparen, haben wir dem alten Schlendrian und der Unvernunft der alten Rationalisierungsmuster zu verdanken. Wenn die Welt erst einmal nach dem Prinzip "schlank" reoganisiert und rationalisiert ist, dann wird sie sehr viel besser sein. Dieses Argument ist so neu nicht. Es gehört zur Rationalisierung wie das Amen zum Gebet Nachjeder größeren ökono mischen und politischen Krise wurde versprochen, daß nun im Gegensatz zu vorher 7 richtig rationalisiert werde, mithin nun der Weg in die bessere Zukunft vorgezeichnet sei. Und bereits Frederick W. Taylor, der Namensgeber des alten Rationalisierungs musters, hatte sich in seinem Buch Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsfüh rung lang und breit über die universellen Vorteile der Prinzipien seines Systems ausgelassen und ,,seine tiefe und ehrliche Überzeugung" betont, "daß diese Prinzipien in der ganzen zivilisierten Welt früher oder später in praktische Anwendung kommen werden. Je früher, desto besser für die Menschheit." (Taylor 1977/1913, 30) So wie unsere Welt heute vom Schlankheitsfieber geschüttelt wird, grassierte im Amerika zu TaylorsZeiten dasEfftzienzfieber, wie Samuel Haber schreibt: ,.A secular great awakening, an outpouring of ideas and emotions in which a gospel of efficiency was preached without embarrassment to business, workers, doctors, housewives, and teachers, and yes, preachedeven to preachers." (Haber 1964, IXf.) Das Rationalisierungs fieber hatte, in national jeweils anderen Begriffen und Diskursen, auch andere Länder erfaßt Lenin beispielsweise trat für die sozialistische Rationalisierung ein. Der franzö sische Industrielle Citröen verknüpfte die "Organisation Scientifique du Travail" mit dem Saint-Simonismuszur Vision einerneuen Gesellschaft In der Weimarer Republik sahen Bewegungen, Institutionen undPolitikerinnen aller Couleur in der Rationalisie rung nicht nurder industriellen Produktion, sondern beispielsweise auch der Politik, der Volksgesundheit, der Familie, der Hausarbeit, der Sexualität ... den Weg ins Heil. Wenig später entwarfen in Schweden prominente Sozialdemokratinnen eine Art Generalplan für eine schöne neue-rationalisierte-Welt. Gemeinsam ist allen diesen, hier nur stellvertretend für weitere Länder genannten Fällen, daßsie den Anfang einer IängerfristigenEntwicklung zur Epochedes ,,Fordismus", wie sie heute heißt, signalisieren. Gemeinsam ist ihnen auch, daß Rationalisierung ein Schlüsselbegriff gesellschaftlicher Entwicklung war, auf den sich mehr als nur die Hoffnungen auf ökonomische Prosperität richteten. Über Jahrzehnte und dramatische politische Umbrüche hinweg verbanden sich die Vorstellungen von Fortschritt, von rationalen gesellschaftlichen Beziehungen und von rationalem Handeln mit dem Rationalisierungsgedanken. Die ihm inhärente formale Rationalität galt als Vernunft schlechthin. Arbeits-und Lebenszusammenhänge, gesellschaftliche wie private Bezie hungen und Arrangements, öffentliche Institutionen wie die Politik überhaupt sollten, orientiert am Rationalisierungsgedanken, reorganisiert und -strukturiert werden. ( vgl. Reeseu.a.1993) Zwar hatte der Rationalisierungsgedanke alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens erfaßt, dies bedeutete aber nicht, daß sich die Menschen immerdanach verhalten hätten. Sowohl im Betrieb als auch im ,,Privaten" hätten soziale Beziehungen ohne weitere Orientierungendes Handelns, diedas \204rationale" Handeln ergänzten und ihm zugleich widersprachen, keinen Bestand gehabt. Überhaupt prägte der Rationalisierungs gedanke selbst in der Epochedes ,,Fordismus" nur in Kombination und Konkurrenz mit anderen Orientierungen des Handeins die gesellschaftliche Entwicklung. So diente Rationalisierung häufig genug im doppelten, also auch im psychologischen Sinne des 8 Wortes den Menschen als Legitimation ihres Handeln. Aber, ihr Handeln änderte sich im öffentlichen wie im privaten Bereich, unddamitänderten sich diese Bereiche selber und ihre Abgrenzungen zueinander. Uns mag es heute seltsam vorkommen, mitwelcher Emphase in den erstenJahrzehn tendesFordismus Begriffe wie Emanzipation, Gerechtigkeit, Glück und sogar Ästhetik mit der Rationalisierung verbunden wurden. Es scheint, als seien wir in widersprüch licher Weise klüger geworden. In dem Maße, wie der Rationalisierungsgedanke als Leitlinie für das, was richtig und falsch ist, verinnerlicht wurde, muß( te) er nicht mehr unablässig beschworen werden. Andererseits ist Rationalisierung nicht nur in der Industrie, sondern in der Gesellschaft überhaupt ein ständiger Lernprozeß, in dem hin und wieder ihre Überzeugungskraft erschüttert wurde. Das Denken inEffizienzkenntkeinezeitlichen undräumlichen Grenzen. Es fahndet nach Vergeudung, um sie zu eliminieren, und in jedem Aufwand, auch dem zuvor rationalisierten, kann wieder Vergeudung gefunden werden. Die Rationalisierungs (groß)väter sahen die Ursachen für Vergeudung vor allem dort, wo noch nicht = rationalisiert worden war.lhre Söhne und Enkel entdecken "muda" ( Vergeudung) auch in dem, was Rationalisierung selber geschaffen hat. Waren Frederick W. Taylors und Henry Fords Methoden die strikte horizontale und vertikale Arbeitsteilung, die Arbeits zergliederung, die Standardisierung von Produktion, Arbeitsprozessen und -mitteln und war das nie erreichte Ziel, die Produktion vom Wollen und Können der Menschen unabhängig zu machen, so rückt heute, in der "schlanken Produktion", der Mensch in den Mittelpunkt, zwar im Rahmen nach wie vor standardisierter Abläufe undeingebun den in die Null-Puffer-undNull-Fehler-Maxime, aber als erwünschtes Kreativitäts-und Flexibilitätpotential auf der Grundlage internalisierten Rationalisierungsdenkensund beseelt vom Glauben an die automobile Weltgesellschaft Just-in-time- stattjust-in mind-Produktion (Wood 1989), Nutzung statt Verschwendung menschlichen Produktivitätspotentials-die zeitgemäßeVariantedes alten Rationalisierungsdenkens. Früherwie heute werden abernichtnur die Formen, sondern ein Stück weitauch die Denkmusterder alten Rationalisierung hinterfragt. So mußten die rationalisierten bzw. sich selber und ihre Lebenszusammenhänge rationalisierenden Menschen immer wieder die Erfahrung machen, daß der Weg zum Glück so einfach nicht ist. Schien er zu Beginn der Epoche in der Kontrolle über alles, beispielsweise auch über die Gefühle oder die "Sexualtechnik" zu liegen, gilt heute: sei "spontan", sei "erotisch". Das Beispiel der Manager, die sich in Esotherikzirkeln für ihre Rolle fit machen wollen und gleichzeitig nach etwas suchen, das jenseits der Rationalisierung liegt, illustriert den seltsam widersprüchlichen Umgang heute mit den Erfahrungen aus der langen Geschichte der Rationalisierung. Scheint einerseits das Problem darin zu liegen, daß man (sich) noch nicht genug rationalisiert hat, und die Lösung darin, alles, aber auch alles für eine rationalisierte Arbeits-und Lebensweise zu mobilisieren, so wirdandererseits das Glück geradedort gesucht, wohin Rationalisierung (vielleicht) noch nicht reicht, in der Liebe, 9 der Welt der Seele und der Geister. Eines wie das andere scheint rational und irrational zugleich. FunktioniertalsodasPrinzipder(Selbst-)RationalisierungmitHintertürchenteilwei se noch recht gut, breitet sich auf der anderen Seite zunehmend Unbehagen aus. Automobile Weltgesellschaft, sagen die einen, weltweiter Schrotthaufen, die anderen -und ob dieser mit Verfahren der "schlanken Produktion" recyclet werden kann, ist fraglich. Management by love, sagen die einen, management by stress, die anderen - und die Abstimmung wird in japanischen Automobilunternehmen mit den Füßen entschieden, denn wer nicht zwingend muß, verdingt sich da nicht hin. Mit dem alten Wachstums-, Prosperitäts-und Fortschrittsmodell der Rationalisierung werden ihre Denkmuster auch in dieser Hinsicht zunehmend kritisch gesehen. InwieweitRationa lisierung selbst zum fraglichen Prinzip wird oder ob nur ihre jeweiligen Konjunkturen schneller wechseln, sei hier dahingestellt-schließlich zeichnet sich heute, mitten in der lean-Konjunk:tur, bereits die post-lean-Ära ab. Aber auch in anderer Hinsicht ist das Unbehagen an der Rationalisierung ein widerspruchsvolles Sich-Arrangieren und Kritisieren. Denn vieles, was im alten Rationalisierungsmuster gedacht und im ersten Anlauf umgesetzt wurde, hat heute im wahrsten Sinne des Wortes Gestalt angenommen und tritt uns vergegenständlicht in Technologien oder sozio-technischen Infrastrukturen entgegen. Wenngleich keines wegs technischer Sachzwang, hinterläßt die alte Rationalisierung dennoch ihre Spuren für die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung nicht nur im Denken und Handeln von Menschen, sondern auch in den alltäglichen und weniger alltäglichen Technologien, deren wir uns zur Gestaltung der neuen Welt bedienen. Grundsätzlich gesellschaftlich hervorgebracht, können die eingeschlagenen sozio-technischen Entwicklungspfade ebenso grundsätzlich verlassen oder modifiziert, wenngleich nicht mehr revidiert werden. Auch wenn heute, wiedies von der Technikforschunggezeigt wurde, "Technik als sozialer Prozeß" und nicht als eigenlogische Entwicklung begriffen wird, darf die Schwerkraft der in ihr vergegenständlichten gesellschaftlichen Verhältnisse nicht unterschätzt werden. Die heutige Ungewißheitszone zwischen lean und post -leanb ietet dafür reichhaltiges Anschauungsmaterial. Geht es um die Etablierung von "lean production" als Ablösung der alten tayloristisch-fordistischen Produktion oderum die Etablierung alter und neuer Gruppenarbeitsformen europäischer Provenienz als Ablö sung von ,,lean production", dann werden Fabriken gleichsam auf der grünen Wiese neu konzipiert mit neuen Menschen, neuer Infrastruktur und neuen Technologien, da sich die neuen Arbeitsbeziehungen in den alten sozio-technischen Strukturen kaum etablieren lassen. Hier sind neue sozio-technische Entwicklungspfade der Ausweg, wobei diese, selbst wiederum Rationalisierungszielen verpflichtet, keineswegs grund legend mit bisherigen gesellschaftlichen Konzeptionen von Technologie brechen. Wie früher, wenngleich anders als früher, bietet das Thema Rationalisierung auch heute einen zentralen Zugang zur Analyse gesellschaftlicher Prozesse. Nur wird es so von der Rationalisierungsforschung nicht aufgegriffen. Die industrielle Rationalisie- 10

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