VERSTKNDLICHE WISSENSCHAFT NEUNUNDSIEBZIGSTER BAND BERLIN· GOTTINGEN· HEIDELBERG SPRING ER-VERLAG DIE ZKHNE IHR URSPRUNG, IHRE GESCHICHTE UND IHRE AUFGABE VON BERNHARD PEYER 1.-6. TAUSEND MIT 102 ABBILDUNGEN BERLIN' GbTTINGEN· HEIDELBERG SPRING ER-VERLAG Herausgeber der naturwissenschaftlichen Abtcilung: Prof. Dr. Katl v. Frisch, Munchen ISBN-13:978-3-540-03068-3 e-ISBN-13:978-3-642-80548-6 001: 10.1007/978-3-642-80548-6 Allc Rechte. insbesondere das der Vbersctzung in fremde Sprachen, vorbehalten Oboe ausdriickliche Genchmigung des Verlages ist es auch nicht gcstattet. dieses Buch oder Tei1e daraus auf photomechanischem Wege (photokopie. Mikrokopie) oder auf andere Art zu ver- vielfliltigen © by Springer-Verlag OHG. Berlin . Gottingen . Heidelberg 1963 Softcover reprint of the hardcover 1s t edition 1963 Library of Congress Catalog Card Number 62-20470 Die Wicdergabe von Gebrauchsnamen. Handclanamen, Waten bczeichnungen usw. in dicsem Werk berechtigt auch oboe besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme. dall solche Namen im Sinn der Watenzcichen- und Matkenschutz-Gesetz gebung ala frei zu betrachten wiiren und daher von jedermann benutzt werden durften Vorwort Bei der Auswahl des Stoffes fiir das vorliegende Bandchen ver mied ich prinzipiell alle den Bereich der Zahnheilkunde beriih renden Fragen - so interessant sie auch sein mochten - als auBerhalb meines Gebietes liegend. Nicht nur bei Wirbeltieren, sondern auch bei vielen wirbellosen Formen ist der Mund mit sinnreichen Einrichtungen zur Er leichterung der Nahrungsaufnahme ausgestattet. Man denke da bei z. B. an die fiinf kalkigen Zahne, welche die Mundoffnung vieler Seeigel umstellen; ferner an die Mundbewaffnung der Blut egel und an die kauenden, stechenden, leckenden oder saugenden Mundwerkzeuge von Insekten. Die Maningfaltigkeit all dieser Einrichtungen notigte zu einer Beschrankung auf die Wirbeltiere, weil es kaum moglich gewesen ware, das Gesamtgebiet in einem Bandchen dieser Serie ausreichend darzustellen. Innerhalb der Wirbeltiere muBte ich mich sodann fragen, ob es wirklich notwendig sei, neben den heutigen Formen auch langst ausgestorbene Tiergruppen in die Schilderung einzube ziehen. Solche fossile Formen sind namlich fiir eine gemeinver standliche Darstellung in doppelter Hinsicht unbequem; denn es handelt sich dabei meist um dem Leser fremde Tierformen, fiir die es nicht einmal gute deutsehe Namen gibt. Diese Schwierig keiten muBten aber deswegen in Kauf genommen werden, weil sich nur durch die Fossilfunde zeigen laBt, daB und wie die heute vorliegenden GebiBverhiiltnisse erst in langer stammesgeschicht licher Entwicklung aus urspriinglicheren Zustanden hervorge gangen sind. Immerhin hieS es im Heraufbeschworen der erd geschichtlichen Vergangenheit MaS halten und sich auf wenige Beispiele beschranken. Einige nicht zu umgehende fremdsprach Hehe Bezeichnungen ausgestorbener Tiergruppen suchte ich dem Leser einfach dadurch einigermaBen verstandlich zu machen, daB ich auf die nachsten, jetzt lebenden verwandten Formen hinwies. V Zwei einander entgegengesetzte Theorien iiber den Bau der Saugetierzahne, deren Diskussion wiihrend Jahrzehnten eine ge waltige Literatur hervorrief, wurden nur kurz erwiihnt. Auch fiir einschliigige Fragen aus dem Gebiet der mikroskopischen Anato mie und der Embryologie muBten knappe Hinweise geniigen, well eine ausreichende Dokumentierung zuviel Raum erfordert hiitte. Dagegen glaubte ich, einige mehr argerllche als interessante Faile, in denen gleichlautende odontologische Bezeichnungen in verschiedenem Sinne gebraucht werden, besonders namhaft machen zu miissen, um dem Leser MiBverstandnisse zu ersparen. Auf die Angabe von Zahnformeln, die ja gemeinhin als In begriff von etwas Langweiligem gelten, konnte nicht vo11ig ver zichtet werden; denn ein allgemeiner Dberblick iiber die Zahn verhaltnisse der Wirbeltiere zeigt, wie konstante Zahlen erst bei den hoheren VierfuBern scharfer hervortreten, um dann bei den Saugetieren fUr die einzelnen Zahnkategorien iiberragende Be deutung zu gewinnen. Zurich, den %5. Jull 1962 Bernhard Peyer Inhaltsverzeichnis I. Einfuhrung II. Die Ziihne der Wirbeltiere 2 1. Friihgeschichte. . . . 2 2. Von den Schleimhautziihnchen, den GebiBziihnen und den Haut- ziihnchen der Haie und Rochen . 6 3. Vom GebiB der Knochenfische . 19 4. Von den Ziihnen der Amphibien 2.7 5. Von den Ziihnen der Reptilien . 32. 6. Von der einstigen Bezahnung der Vogel. 43 7. Von den Ziihnen def Siiugetiere . . 45 tiber den Feinbau der Ziihne. . . . 56 III. Zusammenfassende SchluBbetrachtung . 93 Sachverzeichnis .. Quellenverzeichnis der Abbildungen 101 I. Einfrlhrung Beim Ausdruck Zahn denkt man in erster Linie an jene harten weiBen Gebilde in der Mundh6hle des Menschen, die dem Kinde wiihrend ihres Durchbruches Schmerzen bereiten, auch den Er wachsenen gelegentlich zur Verzweiflung bringen k6nnen, ihm aber doch in der Regel wiihrend langer Jahre wertvolle Dienste leisten und erst im Alter meist verloren gehen. Die entsprechenden Teile der Mundbewaffnung von Tieren nennen wir ebenfalls Ziihne. Der Ausdruck Zahn wird aber zur Bezeichnung einer gewissen Form auch in ubertragenem Sinne gebraucht. Man spricht z. B. von den Ziihnen eines Zahnrades oder eines Siigeblattes, vom Zahnfortsatz des zweiten menschlichen Halswirbels und von ge zahnelten Blattern bei Pflanzen. Sogar Bergumrisse wie diejenigen der "Dent Blanche" und der zackigen "Denti della Vecchia" wur den mit Zahnen verglichen. Wir haben uns jedoch hier nur mit Ziihnen im ursprunglichen Sinne zu befassen, unter diesen nur mit Ziihnen von Wirbeltieren und innerhalb dieser nur mit einer be stimmten Gruppe, niimlich mit solchen Zahnen, die zur Haupt sache aus Zahnbein (sog. Dentin, s. S. 61) bestehen und die des halb von dem Anatomen W. VON W ALDEYER als Dentinziihne bezeichnet worden sind. Es gibt niimlich auch Zahnchen, die aus einer hornartigen Substanz aufgebaut sind (s. S. 5 und 28), sowie reine Knochenzacken, welche die Funktion von Ziihnen ausiiben (s. S. 5). - Kurze Angaben iiber die verschiedenen Zahnhart substanzen s. S. 60--61. Die in der Zahnkunde iiblichen beschreibenden Fachausdriicke wurden fur die Ziihne des Menschen und in zweiter Linie fur die Ziihne der Siiugetiere geschaffen. Der Geltungsbereich einiger dieser Bezeichnungen ist deshalb auf die Siiugetiere beschriinkt. So ist z. B. eine Unterscheidung von Wurzel, Hals und Krone, wie sie fur menschliche Zahne gerechtfertigt ist, schon bei Reptil- I Peyer, Zahne zahnen nicht mehr moglich. Leider wird der Ausdruck Zahn wurzel immer noch flir Bildungen verwendet, die von den Wur zeln der Saugetierzahne fundamental verschieden sind. Wir werden im Folgenden den Ausdruck Zahnwurzel nur in sol chen Fallen gebrauchen, in denen die sog. Pulpa hoWe basal zu einem Wurzelkanal verengt ist (s. Abb. 1). Weitere Unterschiede der Zahne sog. niederer Wirbeltiere von den Zah nen der Saugetiere kom men in ungezwungener Folge damit zur Sprache, daB unsere Darstellung entsprechend dem Gang der Entwicklung von Abb. 1. Vertikalschnitte eines menschlichen stammesgeschichtlich aI Schneidezahnes und eines jungen Reptil teren zu jtingeren Zu zahnes, dessen Basis noch nicht fertig aus- gebildet ist standen fortschreitet. II. Die Zahne der Wirbeltiere I. Die Friihgeschichte "Aller Anfang ist schwer." Dies gilt auch ftir den vorliegenden Versuch ciner Obersicht tiber die Entwicklung der GebiBverhiilt nisse der Wirbeltiere von den niedersten bis zu den hochstorgani sierten Formen. Ober die Anfange des Stammes der Wirbeltiere wissen wir namlich durch direkte Beobachtung auch heute noch auBerordentlich wenig; denn Fossilfunde, die dartiber ausreichen den AufschluB geben konnten, liegen bisher nicht vor, und es besteht kaum Aussicht auf eineAnderung dieses unbefriedigenden Zustandes. Die Wirbeltiere galten deshalb noch in der ersten Hiilfte des 19. Jahrhunderts als ein von allen wirbellosen Tieren durch 2 eine uniiberbriickbare Kluft getrennter Tierstamm. In der Folge konnten indessen verwandtschaftliche Beziehungen zu den sog. Manteltieren aufgedeckt werden. Zu dies en gehoren die am Mee resgrunde festsitzenden Seescheiden und die frei im Meere flottie renden Sal pen, beides Formen, die nicht selten koloniebildend auftreten und die auBerlich auch nicht die entfernteste Ahnlichkeit A Abb. 2. Birkenia, ein fisehahnliehes, aber weniger hoeh organisiertes Wirbel tier aus dem fruhen Erdaltertum. Rekonstruktion des Kopfes in seitlicher An sieht. Naeh A. HEINTZ (1958). A Augenhohle, K 1-8 Kiemenoffnungen. Die vorn gelegene Mundoffnung in seitlieher Ansieht nicht hervortretend mit Wirbeltieren erkennen lassen. Die Manteltiere besitzen nam lich, wenn auch zum Teil nur in den Jugendstadien, wie die Wir beltiere, als elastisches inneres Stiitzskelett, die sog. Riickensaite oder Chorda dorsalis. Sie wurden deshalb mit den Wirbeltieren zur umfassenden Gruppe der Chordatiere vereinigt. Ais niedrigst organisiertes jetzt lebendes Wirbeltier wird das beriihmte Lanzett fischchen Amphioxus (Branchiostoma) bezeichnet, trotzdem es nur erst eine Riickensaite aber noch keine Wirbel besitzt. In der weiteren Entwicklung bildete sich zum Schutz der Sinnesorgane im Kopfgebiet cin Schadel aus. Solche Formen sind nun etwa yom Ende der zweitaltesten Peri ode des Erdaltertums durch 1* 3 einigermaBen gut erhaltene Fossilfunde nachgewiesen. Es waren dies kleine Tiere von fischartigem Habitus. Sie ernahrten sich, soweit bekannt, offenbar von kleinsten im Wasser schwebenden (planktonischen) Organismen, die mit dem Atemwasser in den Mund-Rachenraum gelangten und dort irgendwie zuriickgehalten wurden. Dafiir sprechen die zahlreichen engen Kiemenoffnungen (s. Abb. 2) und das Fehlen einer Bezahnung. In manchen Fallen konnte nachgewiesen werden, daB bei diesen Tieren alle Kiemenbogen mehr oder weniger gleichartig gebaut Abb. 3. Schadel des Haifisches Mustelus in scitlicher Ansicht. Hinter dem die GebiBzahne tragenden Kieferbogen liegt der Zungenbeinbogen, dahinter runf Kiemenbogen. Nach C. GEGENBAUR (1898). K Kieferbogen, Z Zungenbcin- bogen, Br Kiemenbogen waren. Der Obergang zu dem bei den Fischen und den hoheren Wirbeltieren vorliegenden Zustand erfolgte nun in der Weise, daB einer der Kiemenbogen groBere Selbstandigkeit erlangte, aus schlieBlich der Nahrungsaufnahme diente und damit zum Kiefer bogen wurde (s. Abb. 3). Auch dem Neunauge Petromyzon und dem Schleimfisch Myxine fehlt, wie ihren fossilen Verwandten aus dem Erdalter tum, ein typischer Kieferbogen. Sie ernahren sich jedoch nicht wie jene von kleinen Planktonorganismen, sondern sind dank dem Besitz von Hornzahnen (s. Abb.4) zu furchtbaren Raubern geworden, welche in neuerer Zeit sogar den Fischbestand der groBen Seen Nordamerikas gefahrden. Die erdgeschichtlich friihesten, mit einem Kieferbogen versehe nen Wirbeltiere, die sog. Placodermen, sind fischartige Tiere von 4