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Die Zahl, die mir das Leben rettete: Leben im Schatten der Schoa PDF

2016·1.4 MB·German
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Die Zahl, die mir das Leben rettete Zur Erinnerung an meine Eltern Golda und Abraham Landsberg, seligen Angedenkens, ermordet in Auschwitz-Birkenau. Zur Erinnerung an meinen Bruder Jakob Landsberg, seligen Angedenkens, ermordet offenbar in Cosel. SARA HOLZER Die Zahl, die mir das Leben rettete LEBEN IM SCHATTEN DER SCHOA Aus dem Hebräischen von Helene Seidler. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. © Sara Holzer, geb. Landsberg Aus dem Hebräischen von Helene Seidler Herstellung: BoD – Books on Demand, Norderstedt Umschlaggestaltung und Satz: Creativ GmbH, Kiel ISBN x-xxx-xxxxx-x Inhalt Vorwort 6 Kindheitsjahre 11 Vertreibung aus Deutschland 25 Am Vorabend der Schoa in Bedzin 34 Deutschland fällt in Polen ein 50 Destination Auschwitz-Birkenau 68 Bergen-Belsen 119 Die Qualen der Befreiung 125 Unterwegs nach Erez Israel 140 Leben in Erez Israel 148 Anhang 172 Brief „Warum kommst du nicht mit uns?“ 185 7 Vorwort Ich heiße Sara Holzer (geb. Landsberg). Sara ist der Name, den ich seit meiner Geburt mit Stolz trage. Meine Eltern, Golda Landsberg (geb. Berg) und Abraham Landsberg, seli- gen Angedenkens, haben mir diesen Namen gegeben. Beide wurden am 9.8.1943 in Auschwitz-Birkenau ermordet. Als Tochter meiner Eltern, als Mutter meiner Kinder, als Groß- mutter meiner Enkel und als Urgroßmutter meiner Uren- kelkinder trage ich diesen Namen mit Stolz. Niemals habe ich mich mit meiner Mutter über diesen Namen unterhalten. Warum meine Eltern ausgerechnet diesen Namen für mich auswählten, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass es der Name einer unserer Erzmütter ist. Die Frau unseres Erzvaters Ab- raham hieß Sara. Eine Mutter zu sein, ist niemals einfach. Doch während der Schoa eine Mutter zu sein, das war noch sieben Mal schwerer. Die Aufgaben, die eine Mutter in jener Zeit zu be- wältigen hatte, waren unglaublich hart. Sie war die zentrale Figur, die Achse, um die sich alles drehte. Sie gehörte nicht nur sich selbst. Von ihr wurde erwartet, dass sie die Familie zusammenhielt, sich um die Kinder kümmerte und das Haus betreute. Sie verzichtete und gab alles ihren Kindern. Ich war in jener Zeit keine Mutter, ich war ein junges Mäd- chen, und meine Mutter Golda war die Person, die ich am meisten bewunderte. Nicht selten blicke ich zurück und ver- suche zu ergründen, was meine Mutter mir vermittelt hat. Die Antwortet lautet ganz einfach: alles. Wenn ich vor ei- nem Problem stehe, schießt mir meistens die Frage durch den Kopf: Was hätte Mutter in diesem Fall getan? Wie hätte sie dieses Problem bewältigt? Danach richtete ich mein Ver- halten aus. Im Geist ist meine Mutter immer bei mir. Ich bin 8 stolz auf die guten Eigenschaften, die sie mir vererbt hat. Oft sage ich mir: Wenn Mutter noch am Leben wäre, hätte sie bestimmt ähnlich gehandelt. Mutter achtete streng auf den Zusammenhalt der Familie. Sie besaß eine besondere, ihr eigene Lebensklugheit, mit der sie alle Hindernisse überwand. Nichts war für sie unmöglich – bis zu jenem bitteren Moment auf der Rampe in Birkenau, als Mengeles Zeigefinger ihr bedeutete: nach rechts! Ein Zei- chen, das ihr Schicksal besiegelte. Ein Zeichen, das in mei- nem Körper, meinem Blut, meiner Seele bis heute schreit. Die Mutter, die meine Geschwister und mich, die unsere Familie behütete, stand in diesem entscheidenden Moment ohne Retter oder Beschützer da. Es war niemand zugegen, der sie aus den Klauen Mengeles hätte befreien können. Ich war bereit, alles für sie zu tun, doch was würde ein hungri- ges, geschwächtes Mädchen, das sich vor der Personifikation des blutrünstigen Nazimonsters aufbaute, schon ausrichten? Wen hätte ein einzelnes Mädchen damals retten können? Mutter beging einen Fehler, einen einzigen: Sie drückte ihre kleine, auf der Rampe allein zurückgebliebene Nichte Sala, die Tochter ihrer Schwester Gananda, an sich. Meine Mutter war eine wunderbare Frau, die uneigennützig und im Stillen gab. Nächstenliebe und Sorge für die Menschen in ihrer Umgebung waren ihr das Wichtigste. Hätte sie in je- nem Augenblick ihre hilflose Nichte den weiß behandschuh- ten Händen Mengeles überlassen können? Von weitem, von dort, wo ich stand, sah ich, wie Mutters Augen die Rampe verzweifelt und vergeblich nach ihrer Schwester absuchten. Dann zog sie Sala an sich und nahm sie in die Arme. Ge- meinsam mit dem Kind wandte sie sich nach rechts, dorthin, wo es keinen Ausweg gab, wo die Schornsteine von Birkenau ihren Rauch ausstießen. Sicher beobachtet sie vom Himmel aus, wie es der Familie erging und ergeht. Hat gesehen, wie die Schoa ihren Mann 9 Abraham und ihren Sohn Jakob verschlang, hat die Qualen gespürt, denen mein Bruder Moritz und ich in den Kon- zentrations- und Todeslagern ausgesetzt waren. Sie wird sich gefreut haben, dass es ihr gelungen war, ihre älteste Tochter zu retten, indem sie ihr die Einwanderung nach Palästina ermöglichte. Und sie wird nicht ohne Stolz beobachtet ha- ben, dass ihre Erziehung und die Werte, die sie an mich, ihre Tochter Sara, weitergab, mir nicht selten halfen, Hindernis- se, die sich vor mir auftürmten, zu bewältigen. Ich habe die Schoa überlebt, bin nach Palästina eingewandert und habe durch die Gründung einer Familie die Nazis letztendlich be- siegt. Das ist für mich die beste Rache an den Deutschen, die mir meine bewunderte Mutter nahmen. Ich bin stolz auf meinen inzwischen leider verstorbenen Mann Markus, auf meine Töchter Nurith und Meira, auf meinen Sohn Yigal und auf die Lebenspartner, die sie ge- wählt haben. Ich bin stolz auf meine Enkelkinder Assaf und Gil, Moran, Oren, Tomer und Rotem, Idan, Janiv und Nadav. Besonderen Stolz empfinde ich darüber, dass ich mit Urenkeln gesegnet bin: Jehoschua (Joschi), Jakob (Jackie), die Kinder meines Enkels Assaf; Lior und Liad, die Kinder mei- nes Enkels Tomer; Schachar, die Tochter meines Enkels Gil. Das vorliegende Buch erzählt nicht nur meine persönliche Geschichte, es erzählt die Geschichte meiner Familie, einer Familie von vielen, deren Leben die Schoa zerstört hat. Ich gehörte einer glücklichen Familie an, bis die Deutschen uns aus dem Schlaf rissen und meine Welt über Nacht zu- sammenbrach. Die Schoa des jüdischen Volkes war auch die Schoa meiner Familie. Ich trage in mir eine unheilbare Wunde. Sara, so heiße ich. Der Name hat mich ein Leben lang be- gleitet. Die einzigen, die je versuchten, mir meinen Namen zu entreißen, waren die Deutschen. Damals, in Birkenau, als sie meine Eltern in die Gaskammern schickten und mich in 10 die „Sauna“, wo man mir die Haare abschnitt, mich auszog, duschte und meinen Körper desinfizierte, wollten sie dem hilflosen nackten Mädchen den Namen entreißen, den es achtzehn Jahre lang ehrfürchtig getragen hatte. Sie wollten mich zu einem Menschen ohne Identität machen, zu einer Nummer. An die Polin, die mir die Nummer auf den Arm tätowierte, erinnere ich mich sehr gut. „Ab heute heißt du nicht mehr Sara“, sagte sie, „du bist jetzt 52077.“ Doch ich bin trotz aller Qualen Sara geblieben. Ich habe die Hölle überlebt und mir meinen Namen zurückgeholt. Oft bin ich gefragt worden: „Sara, wie hast du die Schoa überstanden, die Hölle in Birkenau, den Schmerz über die Ermordung deiner Familie?“ Das ist keine einfache Frage, und auch die Antwort ist nicht einfach. Vielleicht hat mich mein unbändiger Lebenswille gerettet, vielleicht der Wunsch, den Deutschen zu zeigen, dass sie uns niemals würden besie- gen können. Vielleicht hat es auch mit der Nummer zu tun, die sie mir verpasst haben: 52077. Sie ist nicht nur der Haut an meinem linken Unterarm eintätowiert, sie steckt tief in meinem Körper, sie ist zu einem Teil meines Wesens gewor- den. Sie lässt sich nicht auslöschen, denn sie ist auch meiner Seele eingeritzt. Sie erinnert mich stets an das, was hinter mir liegt, und an das, wofür ich lebe. Zählt man die einzelnen Ziffern 5+2+0+7+7 zusammen, erhält man die Zahl ein- undzwanzig. In einem weithin bekannten Kartenspiel siegt der, der einundzwanzig Punkte erreicht. Meine Freundinnen im Lager glaubten, dass mein Leben aufgrund dieser Zahl gerettet werden würde. Heute, da ich meine Erinnerungen zu Papier bringe, emp- finde ich nicht nur, dass ich die Nazis besiegt habe, ich emp- finde die Immensität dieses Sieges. Für ihn war ich bereit, alles zu tun. Mehr als einmal habe ich mein Leben riskiert, damit der Augenblick käme, in dem ich aufschreiben könnte, was mir geschehen ist. Ich bezweifele nicht mehr, dass mir in 11

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