Willard Van Orman Quine, geb. 1908, ist Professor für Philosophie an der Harvard University. Publikationen u. a.: A System of Logistic (1934), Mathematical Logic (1940), Elementary Logic (1941), O Sentido Da Nova Logica (1944), Methods of Logic (1930), From a Logical Point of View (1953), Word and Object (1960), Set Theory and Its Logic (1963), The Ways of Paradox (1966), Selected Logic Papers (1966), Onto- logical Relativity (1969), Philosophy of Logic (1970), Web of Belief (mit J. S. Ullian, 1970). In deutscher Übersetzung liegen vor: Grundzüge der Logik, Mengen lehre und ihre Logik, Ontologische Realität und andere Schriften, Philosophie der Logik. Quine formuliert in diesem Buch seine »psychogenetischen Spekula tionen« darüber, wie der Mensch - das Individuum und die Art - die natürliche Sprache gelernt haben könnte, in der er dann auch be ginnt, wissenschaftliche Theorien zu formulieren. Der erste Teil bringt eine knappe Theorie der Wahrnehmung und des Lernens, in der »mentalistische Abwege« vermieden werden. Im zweiten Teil wird diese Theorie auf das Lernen der Elemente der Sprache durch das Kind angewandt; Zentralbegriffe sind Beobach tungssatz, Lernen durch Hinweis, Zustimmung und Ablehnung. Von hier aus wird auch die Frage der analytischen Aussagen beleuchtet. Im dritten Teil erfolgt der Übergang zur kognitiven Sprache, der Rede von Gegenständen, der Sprache wissenschaftlicher Theorien. Einen wichtigen Platz nimmt die logische Qualifikation ein (der Ge brauch von »alle« und »mindestens ein«), insbesondere auch die ab strakter Gegenstände (zum Beispiel Eigenschaften, Mengen, Mengen von Mengen, Zahlen): das Universalienproblem wird in der für die sen Teil des Buches kennzeichnenden faszinierenden Doppelperspek tive zwischen Umgangssprache und Logik aufgerollt. Quine nennt seinen Ansatz deskriptiv-kausalanalytisch und nicht normativ oder rechtfertigend. Willard Van Orman Quine Die Wurzeln der Referenz Übersetzt von Hermann Vetter Suhrkamp Verlag Titel der Originalausgabe: The Roots of Reference © 1974 by Open Court Publishing Co., La Salle, Illinois Erste Auflage 1976 © der deutschen Ausgabe: Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1976 Alle Rechte Vorbehalten Satz und Druck: Allgäuer Zeitungsverlag GmbH, Kempten/Allgäu Printed in Germany Inhalt Vorwort 9 Einleitung 11 I. Wahrnehmen und Lernen 13 § i Rezeption und Wahrnehmung 15 § 2 Ursachen 19 § 3 Dispositionen 23 § 4 Einige Fragen und Antworten im Zusammenhang mit Dispositionen 28 § 5 Ähnlichkeit 33 § 6 Störungen von innen 3 8 § 7 Spuren und Auffälligkeit 43 § 8 Lust 47 II. Das Eindringen in die Sprache 55 § 9 Mentalismus und Sprache 57 § 10 Beobachtungssätze 61 § 11 Lernen durch Hinweis 67 § 12 Zustimmung 71 § 13 Werte 76 § 14 Stoffe und Körper 80 § 15 Die Individuation der Körper 84 § 16 Beobachtbare Zusammensetzungen 89 § 17 Prädikation und kategorischer Satz 94 § 18 Hans im Glück 100 § 19 Farbe und Form 103 § 20 Wahrheitsfunktionen 109 §21 Analytizität 113 III. Das Referieren auf Gegenstände 117 §22 Einengung des Themas 119 § 23 Generelles und Singuläres 123 §24 Relativsätze 129 § 25 Einsetzung und »derart, daß« 132 § 26 Quantoren und Variablen 138 § 27 Qualifikation über abstrakte Gegenstände 143 § 28 Mengenlehre 149 §29 Saure Trauben 156 § 30 Identität und Zahl 161 § 31 Höhere Typen 167 § 32 Zusammenfassung der Psychogenese 170 § 33 Vergangenheit und Zukunft 176 §34 Ontologische Kultur 181 §35 Ontologische Sparsamkeit 186 §36 Relativer Empirismus 189 Literaturverzeichnis 195 Meiner Tochter Norma Vorwort Verhältnismäßig wenig geheimnisvoll ist die Art, wie wir ler nen, Beobachtungssätze zu äußern und auf Aufforderung ihnen zuzustimmen oder sie abzulehnen. Doch das Sprechen über Ge genstände - abstrakte, physikalische, ja selbst Sinnesgegen stände - wird weder so rasch erlernt, noch ist es so leicht erklär bar. Um einigermaßen genau über Gegenstände zu sprechen, muß das Kind einen beachtlichen Apparat sprachlicher Parti keln beherrschen - »derselbe«, »ein anderer«, »das«, »es«, die Mehrzahlendung und andere -, die es auf der Ebene der Beob achtungssätze nicht gibt. In Word and Object (S. 93) sagte ich: »Man kann annehmen, daß das Lernen dieser verschiedenen Partikeln aus dem Zusammenhang gleichzeitig vor sich geht, derart, daß sie allmählich aufeinander abgestimmt werden und sich ein systematischer Sprachgebrauch entwickelt, der dem der Gesellschaft entspricht. Das Kind klettert einen geistigen Ka min hinauf, wobei es sich auf jeder Seite Halt verschafft, indem es sich gegen die anderen abstützt.« Eine derart knappe und metaphorische Behandlung der Sache ließ mich verständlicher weise unbefriedigt, und so dachte ich weiter darüber nach; das Ergebnis ist die vorliegende Arbeit. Ich begann sie Anfang 1970, als ich die Einladung erhielt, Ende des darauffolgenden Jahres die Paul-Carus-Vorlesungen zu hal ten. Im Sommer 1971 hatten meine Gedanken die Form eines etwas über hundert Seiten starken Rohentwurfs angenommen, den ich in einem Kurs des Summer Institute of Philosophy at Irvine vorlegte. Die lebhafte kritische Reaktion, besonders von Gilbert Harman, Donald Davidson, Oswaldo Chateaubriand, David Kaplan, Richmond Thomason, Edwin A. Martin, Jr., und Stephen Stich, war mir äußerst wertvoll und gab den An stoß zu erheblichen Umarbeitungen. Was ich diesen Leuten verdanke, wird teilweise an entsprechenden Stellen des Buches erwähnt. Das umgearbeitete Manuskript kondensierte ich zu den drei Carus-Vorlesungen, die mündlich auf der Sitzung der 9 American Philosophical Association in New York im Dezem ber 1971 vorgetragen wurden. Seitdem habe ich das Büchlein weiter umgearbeitet und erweitert. Teile einer Zwischenfassung legte ich im April 1972 in Valencia in einem Vortrag mit dem Titel »Reflexiones sobre el aprendi zaje del languaje« vor, der kurz danach in Teorema erschien. Den Häger ström-Vorlesungen, die ich nächsten Monat in Upp sala halten werde, wird das fertige Buch zugrunde liegen. Zu verschiedenen Fassungen des Manuskripts erhielt ich Be merkungen von Dagfinn Follesdal, Richard Herrnstein, Ro bert Harris und besonders Burton Dreben. Die Arbeit wurde von der National Science Foundation (Grant GS 2615) unter stützt. Boston, im Dezember 1972 W. V. Quine Einleitung zur ersten Carus-Vorlesung Professor Quines von Professor Nelson Goodman Professor Quines bekanntestes philosophisches Buch hat den Titel Word and Object. Aus dem Titel seiner diesjährigen Ca rus-Vorlesung entnehme ich, daß er eine wichtige Beziehung zwischen Wörtern und Gegenständen erörtern wird - oder bes ser, zwischen Wörtern und anderen Gegenständen, von denen einige keine Wörter sind - oder noch besser, zwischen Gegen ständen, von denen einige Worte sind, und Gegenständen, von denen einige keine Wörter sind. Ich bin sicher, daß in jedem Falle der genaue Grad der Dunkel heit der Referenz vollständig durchsichtig gemacht werden wird, obwohl ja die Wurzeln der Referenz ein noch vertrack teres Problem sein müssen als die Referenz selbst, die, wie wir alle wissen, schon vertrackt genug ist. Bei seinen vielen Auseinandersetzungen mit dem Problem der Referenz hat Professor Quine stets an bewährten Grundsätzen festgehalten wie: »Referiere nicht auf etwas, was es nicht gibt«; »Bilde dir nicht ein, wenn du einfach redest, sagtest du schon irgend etwas über irgend etwas«; doch andererseits: »Wenn du wirklich etwas über etwas sagst, dann bilde dir nicht ein, du könntest dich um die Folgen herumdrücken, indem du sagst, du redetest doch bloß.« Ich habe keine Ahnung, was die Wurzeln der Referenz sind, doch mir scheint, wenn etwas Potenzen hat, wie es bei der Referenz zweifellos der Fall ist, dann hat es auch Wurzeln. Doch hier mache ich mich wahrscheinlich, in der Sprache von Methods of Logic zu reden, einer schwungvollen Unterschie bung, vielleicht sogar eines Tiefschlags schuldig. Auf Quines beachtliche Produktivität brauche ich Sie nicht erst hinzuweisen. In diesem Zeitalter der Kontrolle ist sie einfach unanständig. Er schreibt öfter ein wichtiges neues Buch, als ein ii