Gerhard I. Timm Die wissenschaftliche Beratung der Umweltpolitik Gerhard I. Timm Die wissenschaftliche Beratung der Umweltpolitik Der Rat von Sachversmndigen fiir Umweltfragen f[)fl nn DeutscherUniversitatsVerlag ~ GABLER ·VIEWEG ·WESTDEUTSCHER VERLAG CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Timm, Gerhard 1.1 Die wissenschaftliche Beratung der Umweltpolitik : der Rat von Sachverstandigen fUr Umweltfragen / Gerhard I. Timm. -Wiesbaden: Dt. Univ.-Ver!', 1989 Zug!.: Koln, Univ., Diss., 1987 Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann. © Deutscher Universitats-Verlag GmbH, Wiesbaden 1989 Das Werk einschlief3lich aller seiner Teile ist urheberrechtlich ge schUtzt. Jede Verwertung auf3erhalb der engen Grenzen des Ur heberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzul.9ssi9 und strafbar. Das gilt insbesondere fUr Vervielfaltigungen, Uber setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verar beitung in elektronischen Systemen. ISBN-13 :978-3-8244-4008-5 e-ISBN -13 :978-3-322-83 70 1-1 DOl: 10.1007/978-3-322-83701-1 "1m Menschen hat die Natur sich selbst gestort und nur in seiner morallschen Begabung elnen unsicheren Ausgleich filr die erschiltterte Sicherheit der Selbstregullerung offengelassen." Hans Jonas "Denn diese eine allgemeine Regel trim immer zu: Ein Filrst der nicht von sich aus klug 1st, kann niemals gut bera ten werden ... " Niccolo Machiavelli VOR..-ORT Den Hintergrund filr die hier vorgelegte Arbeit bildet meine ernste Sorge ilber den Zustand und das zukilnftige Umgehen mit unserer Um und Mitwelt. Es ist die Sorge und manchmal ohnmiichtige Wut, die mich angesichts eines sinnlosen Zerstorungsprozesses der Natur und ihrer GeschOpfe ilberkommt; und es ist die Sorge, ob wir als Individuen und als Gesellschaft in der Lage sein werden, diesem Zerstorungsprozej3 und dem damit verbundenen vielflUtigen Leiden Einhalt zu gebieten. Dies bedeutet nicht mehr aber auch nicht weniger, als Konsequenzen aus der Verantwortung zu ziehen, die uns als Verursachern und Betroffenen zufAllt. So sehr ich von der Bedeutung des individuellen Beitrages eines jeden Einzelnen zur Bewiiltigung der "okologischen Krise" iiberzeugt bin, eben weil es im Kern urn einen Bewuj3tseins- und Handlungswandel geht, so eindeutig ist auch eine herausgehobene Verantwortung des Staates zu erkennen. Denn die vornehmste Aufgabe, der zu politischer Filhrung legitimierten Instanzen, besteht darin, allgemeine gegen partikulare Interessen durchzusetzen und es ist wohl kaum ein bedeutenderes Allgemeininteresse denkbar als das am Erhalt der natilrlichen Grund lagen des Lebens. Soweit man ilberhaupt davon sprechen kann, daj3 Wissenschaftler in besonderem Maj3e ilber Einsichten in Zusammenhll.nge verfiigen, die mehr - VI - sind als nur die Kumulation empirisch vorliiufig gesicherter Hy pothesen. fiiUt auch Ihnen eine besondere Verantwortung zu. Beide Oberlegungen zusammengenommen fiihren zu der Frage nach dem Beitrag den Wissenschaftler als Ratgeber der politischen Fiihrung - aber nicht nur ihr - leisten und leisten k<innten. Was sie leisten k<innten und sollten und was sie tatsiichlich leisten: diesen beiden Fragen geht die Arbeit nacho Den Untersuchungsgegenstand fiir die Analyse des Ist-Zustandes blldet dabei der Rat von Sachverstiindigen fiir Umweltfragen. der die Bundes regierung in umweltpolitischer Hinsicht beraten soIl. Die Untersuchung erstreckt sich auf den Zeitraum seit der Griindung des Umweltrates 1971 bis zum Beginn des Jahres 1987. Das Gelingen der Arbeit hing ganz wesentlich von den giinstigen Be dingungen abo an deren Zustandekommen viele freundliche Menschen einen Antell hatten. SteHvertretend fiir sie m<ichte ich in erster Linie meinen beiden akademlschen Lehrern Peter Graf Kielmansegg und Ulrich Matz danken. ohne deren Unterstiitzung und Rat die Arbeit so nicht hiitte geschrieben werden k<innen. Fiir Ihr Entgegenkommen und ihre bereitwilligen Auskiinfte danke ich auch allen Mitgliedern des Rates von Sachverstiindigen fiir Umweltfra gen und besonders seinem Vorsitzenden Wolfgang Haber. Dank gebiihrt ebenfaHs den Mitarbeitern der GeschiiftssteHe des Sach verstiindigenrates und hier vor aHem seinem langjlihrigen Geschlifts fiihrer. Jiirgen Lottmann. und dessen Nachfolger Giinter Halbritter. Fiir moralische Unterstiitzung. Anregungen. Hinweise. konstruktive Kri tik und auch ganz praktische Hilfen bin ich in besonderem Maj3e Thomas Bujak. Heribert Dicke. Tine Gebhardt. Regine Timm. Gabi Scheunemann. Sabine Schubert. Christian SchUtte. Tine Stein und Petra Wolters verpflichtet. Ohne sie wliren das Arbeiten anstrengender und die Resultate diirftiger gewesen. Es versteht sich von selbst. daj3 aHe verbliebenen Mangel der Arbeit ausschUej3lich von mir zu verantworten sind. K<iln. im Herbst 1988 Gerhard I. Timm INHALT Vorwort v Einleltung 4 THEORETISCHER BEZUGSRAHMEN 1. Funktlonen und Funktionsprobleme wissenschaftlicher Politikberatung ...................................... ........ 8 2. Wlssenschaftliche Beratung der Umweltpolitik: Aufgaben und Rahmenbedlngungen.............................................. 16 2.1 Das Umweltproblem ............................................................. 16 2.2 Das Policy-Netz: Makroakteure der Umweltpolitik ............ 22 2.3 Die Aufgaben...................................................................... 44 2.3.1 Problemdefinition ........................ .................... .......... 61 2.3.2 Status-Quo-Analyse ........................ ,...... .................. 66 2.3.2.1 Problemanalyse ........................................... 66 2.3.2.2 Strukturanalyse .......................................... 58 2.3.3 Entwicklung von Alternativen und Empfehlungen.. 69 3. Erfolgsbedingungen wissenschaftlicher Politikberatung ............... 68 3.1 Zur Organisation der Beratung .......................................... 82 3.1.1 Zusammensetzung und Berufung ........ .............. ......... 83 3.1.2 Rechte und Pflichten ............................................... 90 3.1.3 Kooperation und Offentlichkeit.... ........ ...... .............. 93 3.2 Zur Mel3barkeit von Erfoig.... .......... .......... ........ .......... ....... 97 4. Fragen an den Sachverstindlgenrat ............................................ 101 - 2 - n TATIGKEIT UND ROLLE DES SRU 1. Zur Anlage der Untersuchung....................................................... 103 2. Kurzer AbrlP der Geschlchte des Rates........................................ 105 2.1 Entstehungsgeschichte und rechtllche Grundlagen .............. 105 2.1.1 Die Empfehlungen der Picht-Kommission ................... 109 2.1.2 Rechtllche Grundlagen ................................................ 113 Exkurs: Der "Councll on Environmental Quallty" .................................. 124 2.2 Phasen der Umweltpolltik und Sachverstllndigenrat ............. 127 2.2.1 Die Phase von 1970-1974 .......................................... 129 2.2.2 Die Phase von 1975-1980 .......................................... 140 2.2.3 Die Phase ab 1980 ..................................................... 154 2.3 Zusammenfassung .................................................................. 170 3. Zusammensetzung. Organisation und Arbeitsweise ......................... 174 3. 1 Die Mitglleder des SRU ......................................................... 174 3.2 GeschAftsstelle und Mitarbeiter ............................................ 182 3.3 Arbeitsweise ....................................................................... 187 Exkurs: Arbeitet der Rat interdiszipllnir? ........................................... 204 4. Selbst- und Politikverstindnis ...................................................... 208 4.1 Selbstverstindnis: Beratungsaufgaben .................................. 210 4.2 Politikverstindnis und Beratungskonzeption ........................ 214 4.2.1 Inkrementallsmus vs. Planung: HandlungsspielrAume der Politlk ................................ 214 4.2.2 Marktwirtschaft. wirtschaftliche LeistungsfAhigkeit und gesellschaftliche Stabllitit .... 221 4.2.3 Umweltbewu~tsein. Biirgerbetelligung und Stabllitiit .. 230 4.2.4 '''Ratlonale Umweltpollt1k": Das Konzept des Rates ..... 235 4.3 Problembewu~tsein: Ratspositionen im Vergleich .................. 245 4.4 Die Empfehlungen ................................................................. 263 4.5 Zusammenfassung .................................................................. 270 - 3 - 5. Resonanz der Ratstitigkeit ........................................................ ". 274 5.1 Selbsteinschlitzung ............................................................... 275 5.2 Stellungnahmen von Adressaten ......................................... 280 5.3 SRU und Bundestag ............................................................. 294 5.4 Befolgung konkreter Empfehlungen ..................................... 304 5.4.1 Forschungsempfehlungen ........................................... 306 5.5 Fallstudie; Stellungnahme zum Entwurf eines Chemikaliengesetzes .................................... 308 5.6 Zusammenfassung ................................................................ 319 III SCHLUBBETRACHTUNG .............................................................. 321 Li tera turverzeichnis .............................................................. 334 Verzeichnis der Abbildungen .............................................................. 350 Abkilrzungsverzeichnis .............................................................. 352 Anhang I; Erla~ ilber die Einrichtung eines Rates von Sachverstlindigen filr Umweltfragen bei dem Bundesminister des Innern .............................................................. 355 Anhang II; Die Mitglieder des Rates von Sachverstlindigen filr Umweltfragen 1972-1986 .............................................................. 356 Anhang III: Die Gutachten und Stellungnahmen des Rates von Sachverstandigen filr Umweltfragen ............................................... 359 Anhang IV: Die Fragen aus dem Fragebogen filr die wissenschaftlichen Interviews mit den Mitgliedern des Rates von Sachverstandigen filr Umweltfragen .............................. 362 - 4 - EINLEITUNG "Wenn sich die gegenwi1rtigen Entwicklungstrends Cortsetzen. wird die Welt im Jahre 2000 noch Uberbevolkerter. verschmutzter. okologisch noch weniger stabil und CUr Storungen anfi1lliger sein als die Welt. in der wir heute leben ... Trotz eines grol3eren materiellen Outputs werden die Menschen auf der Welt in vieler Hinsicht i1rmer sein. als sie es heute sind." (Global 2000: 25) Es ist zu beCUrchten. dal3 selbst diese Prognose noch eine Verharmlo sung darstellt und wir tatsichlich mit dem schllmmsten. niimllch einer systematischen Untergrabung der (Ober-) Lebensbedingungen von Lebe wesen. zu rechnen haben. In jedem Fall. und dem stlmmen selbst die grol3ten Optlmisten zu. ist zur Bewiiltigung der okologischen Krise ein immenser HandlungsbedarC entstanden. der zudem noch in historisch kurzer Zeit umgesetzt werden mul3. da jeder verlorene Tag die Krise verschiirft. Es liegt in der Logik der Bedrohungslage. dal3 der Losung von Umweltproblemen absolute Priori tit eingeriumt werden mul3. da ihre Bewi1ltigung die Voraussetzung fiir die Losung aller anderen ge sellschaftlichen Probleme ist. Abgesehen von Lebewesen selbst. steht damit alles zur Disposition. es sei denn eine "ErrungenschaCt" - sei es ein System. ein Wert. eine Struktur. eine Technologie. eine InteraktlonsCorm etc. - erweist sich im Hinblick auf die Losung von Umweltproblemen als niitzllch. sinnvoll oder im Vergleich zu anderen iiberlegen. Praktisch und vor allem in kurzfristiger Perspektlve ist es jedoch eine Grunderfahrung moderner Gesellschaften. dal3 zwar immer mehr Sach verhalte kontingent sind. andererseits die institution ellen und struk turellen Pri1missen. Uber die jene Kontingenz liuft. aus dem Horizont politlscher. ja selbst gedanklicher Disposition herausrUcken (vgl. OFFE 1986: 153). Der Wissenschaft fiillt hier die Aufgabe zu. dieses nicht zuzulassen. sondern im Gegenteil. auf eine radikale Herausforderung entsprechend an die Wurzeln gehend zu antworten. Indem sie dem herrschenden Druck. praktlsche Tabus der Unveriinderbarkeit in theo retische zu verwandeln. widersteht. beweist sie Ihre Integritiit. 1m Sinne der Unabhiingigkeit der wlssenschaftlichen Sachanalyse gewinnt damit auch die Forderung nach "Wertfreiheit" einen neuen. geradezu revolutloniiren Gehalt (vgl. BECK 1986: 283f). - 5 - 1m Zusammenhang mit der okologischen Krise ist Wissenschaft aber nicht nur als ein Losungsinstrument, sondern auch als Mitverursacher ins Gerede gekommen. Und zwar nicht nur als Ausgangspunkt zerstore rischer Technologien, sondern grundsatzlicher: Ihr im wesentlichen re duktionistischer Charakter, verbunden mit einem Monopolanspruch auf Wahrheit, hat zu einem Realitlitsverlust gefilhrt, der mitschuldig ist an den Problemen, mit denen wir jetzt und auf absehbare Zeit konfrontiert sind (Vgl. SPAEMANN 1986: 30f). Daraus folgt, dal3 bei der Suche nach wissenschaftlichen Losungen diese Beschrlinktheit der wissenschaftli chen Rationalitlit immer kritisch mitzureflektieren ist. Diese Bemerkungen umreil3en den normativen Ausgangspunkt dieser Arbeit. Deren Anspruch, gemessen an dies en Oberlegungen, ist jedoch eher ge ring. Den Beitrag, den sie zur Politischen Okologie und zur Theorie der wissenschaftlichen Politlkberatung leistet, kann nur marginal sein. Dal3 insgesamt, aber auch und gerade im Zusammenhang mit Umwelt problemen die Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik zu einer entscheidenden Variable filr Problemlosungen gewarden ist, dilrfte un strittig sein. Wissenschaft diffundiert dabei auf verschiedenen Wegen in das politische System. Einer davon ist die institutionalisierte Form wissenschaftlicher Polltikberatung. Der wichtigste Trager einer unab hangigen wissenschaftlichen Beratung der Umweltpolitik in der Bun desrepublik Deutschland ist der Rat von Sachverstlindigen filr Umwelt fragen, seine Tlitigkeit steht daher im Mittelpunkt. Den konkreten Anlal3 filr diese Untersuchung bildete die Feststellung des wissenschaftlichen Direktors beim Umweltbundesamt Lutz Wicke, dal3 die Politikberatung eine Schwachstelle der Umweltpoltik und eine der Ursachen filr deren Effizienzdefizite sei (vgl. WICKE 1983: 158ff). Darilberhinaus flillt auf, dal3 trotz der anerkannten grundslitzlichen Bedeutung von Wissenschaft und Forschung filr die Politik wenig kon krete Analysen der Arbeit einzelner Beratungsgremien vorliegen (vgl. LOMPE et al. 1981: 20f).