Die Wirtschaftselite im gesellschaftlichen Abseits Christian Galonska Die Wirtschaftselite im gesellschaftlichen Abseits Von der Klasse an sich zur Klasse für sich? Christian Galonska Berlin, Deutschland Dissertation Technische Universität Darmstadt, 2011 ISBN 978-3-531-19770-8 ISBN 978-3-531-19771-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-531-19771-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2012 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 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Kapital oder Macht?.......................................................77 3 Forschungsstand: Eliten in der Wirtschaft, für die Gesellschaft?..........81 3.1 Ansätze der deutschen Elitenforschung...................................................81 3.1.1 Elitenidentifikation: Wer gehört dazu, wer nicht?.................................................82 3.1.2 Elitenselektion: Wie kommt man rein und bleibt drin?..........................................86 3.1.3 Elitenintegration: Was trennt, was hält zusammen?..............................................90 3.2 Erkenntnisse und Annahmen über die deutsche Wirtschaftselite............95 3.2.1 Kaiserreich (1871-1918): Die Zweckehe von Aristokratie und Bourgeoisie.........96 3.2.2 Weimarer Republik (1918-1933): Die Wirtschaftselite erfindet sich selbst...........99 3.2.3 Drittes Reich (1933-1945): Die Unternehmensführer unter dem Führer............104 3.2.4 Frühe Bundesrepublik (1945-1966): Die gezwungenen Demokraten..................108 3.2.5 Späte Bundesrepublik (1966-1990): Der Generationswechsel............................114 3.2.6 Wiedervereinigtes Deutschland (ab 1990): Die globalen Spieler........................121 3.3 Die deutsche Wirtschaftselite – international ein Sonderfall?...............132 4 Selbstsichten: Die Wirtschaftselite im Interview (1968-1995)...............141 4.1 Positionsauswahl in den Mannheimer und Potsdamer Elitenstudien.....142 4.2 Modifizierte Stichproben für die Sekundäranalyse der Elitenstudien...148 4.3 Sozialer Hintergrund und Elitenstatus...................................................153 4.3.1 Demografie: Ältere Herren unter sich.................................................................154 4.3.2 Konfession: Ende der protestantischen Ethik?....................................................159 4.3.3 Soziale Herkunft: Nicht nur „vorübergehend“ geschlossen................................164 4.4 Karrierewege in die Eliten.....................................................................171 4.4.1 Bildungsniveau: Meritokratische oder aristokratische Elitenauslese?................171 4.4.2 Studienfach und Berufseinstieg: Die frühzeitige Richtungsentscheidung............181 4.5 Gelegenheitsstrukturen der Kommunikation unter Eliten.....................188 4.5.1 Sektormobilität: Mit eingeschränktem Erfahrungsschatz....................................189 4.5.2 Berufliche Kontakte: Fern der Außenwelt...........................................................192 4.5.3 Zivile Mitgliedschaften: In exklusiven Kreisen....................................................198 4.5.4 Politische Zugehörigkeiten: Nur scheinbar neutral.............................................204 4.6 Ideologische Orientierungen im Eliten-Bevölkerungsvergleich............210 4.6.1 Politische Richtung: Beharrlich rechts der Mitte................................................211 4.6.2 Exkurs: Individuelle und kollektive Effekte des sozialen Hintergrunds...............221 4.6.3 Werthaltungen: Autoritär und materialistisch.....................................................230 4.7 Von Öffnung keine Spur........................................................................241 5 Fremdsichten: Die Wirtschaftselite im Pressespiegel (1965-2002)........247 5.1 Die Inhaltsanalyse von Textdokumenten...............................................249 5.2 Medienauswertungen zum Denken und Handeln der Wirtschaftselite..252 5.2.1 Selektion: „Frankfurter Allgemeine“ und „Süddeutsche Zeitung“.....................254 5.2.2 Klassifikation: Artikel, Sprecher und Themen seziert..........................................257 5.2.3 Kodierung: Zwischen quantitativem und qualitativem Paradigma......................258 5.2.4 Analyse: Schlüsse aus dem Zählen von Textmerkmalen......................................259 5.3 Stimmen der Wirtschaft in der Öffentlichkeit.......................................262 5.3.1 Organisationen: Die Verbände führen das Wort.................................................263 5.3.2 Personen: Lobbyisten als Gesicht der Wirtschaft................................................269 5.4 Medial offenbarte Sichtweisen auf Politik und Gesellschaft.................273 5.4.1 Agenda-Setting: Arbeit, Umwelt und der ungeliebte Staat..................................274 5.4.2 Ideologie-Transfer: Ökonomismus als Gesellschaftsmodell................................281 5.5 Mehr und weniger verbreitete Handlungsweisen der Wirtschaft...........288 5.5.1 Mediale Debatten: Ein Anschein fehlender Verantwortung................................289 5.5.2 Reale Taten: Täuscht der selektive Blick der Medien?........................................299 5.6 Der „Image-Gau“...................................................................................307 6 Ansichten: Die Wirtschaftselite in Illustrationen (1960-2010)..............311 6.1 Der Mann – und die Frau an seiner Seite..............................................314 6.2 Der exklusive Mann – mit distinktivem Habitus...................................322 6.3 Der eindimensionale Mann – mit institutionalisierten Scheuklappen...331 6.4 Der entfremdete Mann – isoliert in ökonomistischen Parallelwelten....338 6.5 Der dekadente Mann – hospitalisiert in Luftschlössern.........................344 6.6 Pfade ins gesellschaftliche Abseits........................................................357 1 Die Wirtschaftselite: Von der Klasse an sich zur Klasse für sich? Sie wachsen in Familien auf, in denen die Eltern das Essen nicht eigenhändig zubereiten und ihre Kleidung nicht selber waschen. Das Haus wird täglich von der Putzfrau gereinigt und das Grundstück vom Gärtner gepflegt. Sie gehen nicht in den Kindergarten, sondern das Au Pair-Mädchen umsorgt sie im trauten Heim. Zum Reitunterricht werden sie gefahren und der Klavierlehrer kommt ins Haus. Zur Nacht wird ihnen vorgelesen. Sie brauchen keinen Fernseher, denn sie haben ein volles Programm. Sie besuchen Privatschulen und bei kleinen Problemen helfen Lehrer mit akademischen Titeln. Mit dem Direktor bespricht Mutter die Gymnasialempfehlung beim Lunch. Die Professoren an der Uni ha- ben dem Kleinen schon beim Empfang zu Vaters Fünfzigsten auf die Schulter geklopft. Die Doktorarbeit „summa cum laude“ ist Formsache, die standes- gemäße Hochzeit kein Wunder; zu anderen Ständen pflegt man Distanz. Aber der Erfolg kommt nicht von selbst. Gänzlich unter eigenen Fähigkeiten und Ansprüchen liegt der erste Job als stellvertretender Abteilungsleiter der Firma, die Mutter vom Großvater geerbt hat und die der Gatte nun leitet. Wie gut, dass der Bruder vom Schwiegervater auch oft auf Pirsch geht und mit der Kontrolle des Wildbestands selbst in seiner knappen Freizeit noch einen Dienst an der Allgemeinheit leistet. Und auch ohne zu wissen, in welche Richtung die in dessen Werk fabrizierten Schrauben eigentlich winden – die Basis für eine funk- tionierende Kommunikation unter Führungskräften ist gelegt. So manches Mal trifft man dabei den Herrn Staatssekretär. Der sitzt bei der Theaterpremiere gerne direkt neben dem Schwesterherz in der ersten Reihe. Stets mit einem freundlichen Lächeln leiht er ihr das Opernglas zu besseren Sicht. Die Familie spendet übrigens nicht nur für dessen Partei, sondern regel- mäßig für den Erhalt des historischen Schauspielhauses. Und sogar schon seit Urgroßvaters Zeiten ist es Tradition, dem städtischen Armenhaus unter selbige zu greifen. Was der Urenkel weniger gern sieht, denn wie sein eigenes Beispiel zeige, sei schließlich jeder seines eigenen Glückes Schmied. Auch die Gattin, die es neben den vielen repräsentativen Aufgaben an der Seite ihres Mannes noch schafft, ihre Kleider selbst zu entwerfen, meint, dass es schließlich an einem selbst läge, ob man sich einen Lebensstandard wie den ihren leisten könne; sie wäre sogar bereit, dafür putzen zu gehen. C. Galonska, Die Wirtschaftselite im gesellschaftlichen Abseits, DOI 10.1007/978-3-531-19771-5_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2012 10 1 Die Wirtschaftselite: Von der Klasse an sich zur Klasse für sich? Wie in Familie und Bekanntenkreis ist man indes auf dem Verbandstag ei- nig, dass Beschäftigungsprobleme vor allem von nachlassender Arbeitsmoral zeugten. Die Sozialleistungen seien einfach viel zu hoch. Auch die noch Arbeit haben, wollten immer weniger tun. Von einer 35-Stunden-Woche könne man doch selbst nur träumen. Noch am Samstag habe man bis in die späten Nacht- stunden aufreibende Verhandlungen mit den weißrussischen Geschäftspartnern geführt. Und die Rechnung über Rehbraten, Burgunder und Geselligkeit ließe sich nicht einmal mehr von der Steuer absetzen. Leistung wird bestraft. Wer eine solche Politik unterstützt, der dürfe sich nicht wundern, wenn die Wirtschaft irgendwann dahin geht, wo die selbstlosen Anstrengungen eines Unternehmers noch anerkannt werden und sich die Arbeitnehmer für ihren Lebensunterhalt ebenso aufzuopfern wissen wie man selbst. Dieses Bild zeichnete der Autor zu Beginn der Arbeit. Ob seine Vorurteile am Ende bestehen blieben? Zunächst einmal gibt es – vielleicht etwas überspitzt, aber ungefähr – die Vorstellungswelt nicht weniger über eine gesellschaftliche Gruppe wieder, die sich in der öffentlichen Wahrnehmung von „Schöpfern des Wohlstands“ zunehmend zu „eitlen“, „raffgierigen“ und „vaterlandslosen Gesel- len“ „ohne Bodenhaftung“ gewandelt hat.1 Und es mehren sich die noch weniger schmeichelhaften Einschätzungen. Spätestens seit Anfang der 90er Jahre ist in Deutschland eine verstärkte Kritik an der so genannten „Wirtschaftselite“ zu beobachten, die mittlerweile gar Züge einer Generalabrechnung trägt. Gemeint sind damit in erster Linie die Topmanager der großen börsennotierten Konzerne, teilweise aber auch besonders forsche Vertreter von Arbeitgeber- und Wirt- schaftsverbänden. Gerügt werden unternehmerische Fehlentscheidungen, die Massenentlassungen der Beschäftigten zur Folge haben, restriktive Lohnpolitik gegenüber den Arbeitnehmern bei gleichzeitig maßlos anmutenden Gehalts- exzessen in den Vorstandsetagen, Erpressungsversuche von Betriebsräten und Gewerkschaften mit der Drohung, Produktionsstätten ins Ausland zu verlagern, immer neue und höhere Forderungen an die Politik, parallel jedoch eine messbar nachlassende Steuermoral, zunehmend kurzfristiger an Quartalsbericht und Bör- senkurs orientierte Managementstrategien unter Vernachlässigung von Nachhal- tigkeitsaspekten und ethischen Prinzipien. Angefangen bei den inzwischen zum 1 Die Handlungsmotive „Raffgier und Eitelkeit“ wurden der Wirtschaftselite vom ehemaligen Wirt- schaftsminister Otto Graf Lambsdorff (FDP) in einem Gastkommentar für die „Die Welt“ (08.08.2005) unterstellt. Die Kritik der „vaterlandslosen Gesellen“ geht auf einen Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (22.05.2001) unter Berufung auf eine Allensbachstudie zurück und wurde später u.a. vom damaligen SPD-Generalsekretär Klaus-Uwe Bennetter und dem DGB Vorsitzenden Michael Sommer in verschiedenen Zusammenhängen wiederholt. Einen „Verlust an Bodenhaftung“ warf Bundesrichter Klaus Tolksdorf den angeklagten Managern in der mündlichen Urteilsbegründung zur Revisionsverhandlung im Fall Mannesmann vor dem BGH (21.12.2005) vor.