FORSCHUNGSBERICHTE DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN Nr. 1773 Herausgegeben im Auftrage des Ministerpräsidenten Dr. Franz Meyers vom Landesamt für Forschung, Düsseldorf Dr. med. 0110 WÎinsche Arztliche Forschungsstelle für Caissonarbeiten im Institut für Flugmedizin der Deutschen Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt e. V, Bad Godesberg Die Wirkung der Arbeiten unter erhöhtem Luftdruck auf den Menschen WESTDEUTSCHER VERLAG· KÖLN UND OPLADEN 1966 Nicht für den Verkauf bestimmt Verlags-Nr.011773 © 1966 by Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen ISBN 978-3-663-03910-5 ISBN 978-3-663-05099-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-05099-5 lnhalt A. Allgemeiner Teil ............................................... 7 1. Ausgangssituation für die Untersuchungen über die Wirkung der Arbeiten unter erhöhtem Luftdruck auf den Menschen . . . . . . . . . . . 7 Il. Versuchstechnische V oraussetzungen für: ...................... 9 1. Vers uche im Laboratorium ................................ 9 2. Untersuchungen auf Druckluftbaustellen .................... 10 B. Spezieller Teil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11 1. Ergebnisse von Tierversuchen in Druckkesseln ................. 11 Il. Ergebnisse von Untersuchungen am Menschen in der Überdruck- kammer ................................................... 13 1. Grundlagenversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 13 a) Elektrokardiographische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . .. 13 b) Bestimmung der Kreislaufzeiten ......................... 14 c) Nierenfunktionsprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 d) Fermentbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 15 2. Vers uche mit praktischer Zielsetzung ....................... 16 a) Erprobung von Dekompressionszeiten ................... 16 b) Anwendung von Sauerstoffatmung ...................... 17 lIl. Ergebnisse von Untersuchungen auf Druckluftbaustellen . . . . . . . .. 19 1. Baustelle »Herrenbrücke Lübeck-Riehm« ................... 19 a) Klimatologische Messungen ............................ 20 b) Anamnestische Erhebungen an Caissonarbeitern ........... 21 c) Blutuntersuchungen ................................... 22 d) Bestimmung der Gerinnungsfaktoren des Blutes ........... 23 e) Urinuntersuchungen ................................... 23 f) Bestimmung der Vitalkapazität und des AtemstoBes . . . . . . .. 24 g) Audiometrische Untersuchungen ........................ 24 2. Baustelle »FuBgängertunnel Rendsburg« .................... 24 a) Einstellungs- und Nachuntersuchungen .................. 25 b) Ausschleusung der Arbeitsschichten mit Sauerstoff . . . . . . . .. 25 c) MeBtechnische Untersuchungen ......................... 28 5 C. SchluBbetrachtungen ............................................ 29 D. Literaturverzeichnis ............................................. 31 E. Abbildungsanhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 33 6 A. Allgemeiner Teil I. Ausgangssituation für die Untersuchungen über die Wirkung der Arbeiten unter erhöhtem Luftdruck auf den Menschen Urn die im Rahmen des gestellten Forschungsthemas durchgeführten medizinisch wissenschaftlichen Untersuchungen am Menschen und Tier hinsichtlich Art und Umfang beurteilen zu können, muG die Ausgangssituation bekannt sein: Die langjährige flugmedizinische Tätigkeit auf dem Gebiete des Druckfalls im Unterdruckbereich und die dabei gewonnenen neuen Erkenntnisse lieGen es geboten erscheinen, das physiologische Verh alten des Organismus im Überdruck sowie die Ursachen für die Entstehung der Caissonkrankheiten intensiver zu er forschen und die auf Druckluftbaustellen während der letzten Ja hrzehnte ge sammelten empirischen Beobachtungen und Erfahrungen zentral auszuwerten. Hierfür kamen 1. experimentelle Erprobungen in der Überdruckkammer und 2. medizinische Untersuchungen auf Caissonbaustellen mit möglichst groGen statistischen Erhebungen an Tiefbauarbeitern in Betracht. Als Voraussetzungen für den praktischen ärztlichen Einsatz im Baustellenbetrieb muG ten folgende Erfordernisse erfüllt sein: a) Unmittelbare Fühlungnahme und enge Zusammenarbeit des Ärzteteams mit den Ingenieuren und Technikern der Druckluftunternehmen. Dazu ist hervorzuheben, daG die in technischer und gesundheits-hygienischer Hinsicht konservativ eingestellten Tiefbauunternehmen psychologisch für medizinische Aufgabenstellungen und ärztliche MaGnahmen gewonnen werden muGten. Der Anteil derjenigen Baufirmen, die sich ad hoc aufgeschlossen zeigten, war zu Beginn der medizinischen Untersuchungsaktionen verhältnis mäf3ig gering. Es war folglich eine Frage des persönlichen Kontaktes und der Übereinkunft, die mehr oder weniger angetroffenen Befürchtungen, durch die ärztlichen Vorhaben direkt oder indirekt}) überwacht« zu werden, auszumerzen. Urn so anerkennenswerter war das Entgegenkommen einiger Bauleitungen, die für die Notwendigkeit der medizinischen Untersuchungen im Interesse ihrer Arbeiter und der Forschungsförderung Verständnis zeigten. b) Urn die anstehenden Fragen der Überdruckwirkung auf den Menschen und des exogen und endogen abhängigen Auftretens von Caissonerkrankungen untersuchen zu können, muGten sich geeignete Eaus/ellen mit nennenswerten Arbeitsdrücken, gröGeren Schichtzahlen und technischen Besonderheiten 7 finden lassen. Diese V oraussetzung richtet sich bekanntlich nach der relativen Zufälligkeit in Angriff genommener bzw. geplanter Bauvorhaben. Verzöge rungen der Ausschreibungen oder ungünstige jahreszeitliche Witterungsein flüsse erschweren oft den ärztlichen Einsatz. Die Ausgangssituation für die medizinisch-wissenschaftliche Atlfgabenstelltlng im Sinne des Forschungsauftrages läGt sich kurz kennzeichnen: Mit teils beachtenswerter, sorgfältiger Beobachtungsgabe haben bereits frühere Autoren [1] das Verhalten des menschlichen Organismus im Überdruck und die klinischen Erscheinungen der Druckluftkrankheiten beschrieben. Man hat früh zeitig mit experimentellen Nachprüfungen, namentlich am Tier, begonnen und grundlegende Erfahrungen gesammelt. Je doch reichten die Verfahren für die Messung und Registrierung physiologischer Werte verständlicherweise nicht aus, um gesicherte Aussagen machen zu können. Es fehlte auch an systematischen Untersuchungen gröGerer Versuchskollektivs, und die Feststellungen erschöpften sich zumeist in Folgerungen aus dem klinischen Bild der Caissonkrankheiten. Während der folgenden Jahre wurden nur wenige Arbeiten über die biologischen Wirkungen des erhöhten Luftdrucks veröffentlicht [2], die aber nur spär1iche ex perimentell begründete Angaben enthalten. Wenn man von den erarbeiteten Grundlagen der flugmedizinischen Unterdruck forschung und den Versuchsergebnissen der während der Kriegsjahre stärker in den Vordergrund tretenden Taucherwissenschaft absieht, die spezielle Anwen dungsbereiche haben, so war der Nachholbedarf einer systematischen Überdruck forschung auGerordentlich groG. lm Rahmen des vorliegenden Forschungsvor habens standen deshalb Probleme der Grtlndlagenforschung mit an erster Stelle. Das Bestreben ging dahin, die physiologischen und pathologischen V orgänge im Menschen und Tier während und nach dem Aufenthalt unter erhöhtem Luftdruck mit neuzeitlichen Methoden zu erfassen, urn aus dies er Kenntnis heraus Fragen der Verhütung und Behandlung von Druckfallerkrankungen im Laboratoriumsver such unter reproduzierbaren Bedingungen zu untersuchen und im praktischen Baustelleneinsatz zu verfolgen. Um diese, im Thema des Auftrages global zusammengefaGte Forschungsaufgabe auf möglichst breiter Basis angehen zu können, war es neben der erwähnten ständigen Kontaktaufnahme zu den Druckluftingenieuren und Technikern nötig, die wissenschaftlichen Untersuchungen durch das eingehende Studium der neu zeitlichen Drtlckfall-Literattlr zu untermauern. Es kamen dafür in- und auslän dische Veröffentlichungen in Betracht, die von Dokumentationsstellen beschafft und in einer umfassenden Literaturkartei erfaGt wurden. Damit ist eine Sammlung von Originalen, Referaten und Übersetzungen entstanden, die über den vor liegen den Forschungsauftrag hinaus eine wichtige Grundlage für alle künftigen Arbeiten auf dem Gebiete der Überdruckforschung darstellt. Ergänzt wurde die Literatursammlung durch ein umfangreiches Bildarchiv von photographischen Aufnahmen auf Druckluftbaustellen, welches in dieser Form bis her noch nicht bestand. Die Auswahl der Bilder erfolgte namentlich unter Gesichtspunkten, die 8 den Zusammenhang ärztlicher Aufgaben mit technischen Einrichtungen zeigen (siehe E. Abbildungen). Eine weitere Voraussetzung für die Durchführung der Forschungsaufgabe lag in einem organisierten Gedankenaustausch mit Wissenschaftlern, staatlichen Be hördenstellen, Gewerbeärzten und Aufsichtsstellen des Tiefbaugewerbes usw., urn die eigenen ärztlichen MaGnahmen zur Verhütung und Behandlung von Caissonkrankheiten mit den modernen Anschauungen der Medizin und Technik zu koordinieren. Dieses Bestreben wurde auf zwei » Druckfall-Tagungen« der »Arztl. Forschungsstelle für Caissonarbeiten« am 16./17. November 1962 und 23./24. Oktober 1964 in Bad Godesberg verwirklicht [3, 4]. Aus den Diskussionen der ca. 100 Tagungsteilnehmer ergaben sich wertvolle Anregungen und Richt linien für die experimentellen Arbeiten und Untersuchungen im Laboratorium und praktischen Baustellenbetrieb. Als wichtige Ausgangsbasis für den medizinischen Einsatz auf Druckluftbau stellen ist ferner noch die Anlage eines Befundarchivs zu nennen, in welchem die ärztlichen Berichte der Einstellungs- und Nachuntersuchungen von Druckluft arbeitern mit fachärztlichen und röntgenologischen Befunden auf neu einge führten Formularen gesammelt wurden. In dies es Zentralarchiv werden für statistische Auswertungen laufend auch Gesundheitsbefunde von Druckluft arbeitern eingeordnet, die im Rahmen des vorliegenden Forschungsauftrages nicht unmittelbar erfaGt wurden und bis her auf anderen Baustellen tätig waren. Mit dieser Einrichtung folgten wir dem V orbild mehrerer ausländischer Staaten. SchlieGlich machten sich noch Besichtigungen von mehreren Druckluftbaustellen der Bundesländer erforderlich, urn den eingesetzten Arzten und dem Hilfspersonal die technischen Verhältnisse des Caissonbetriebes und den Aufenthalt des arbei tenden Menschen unter erhöhtem Luftdruck unmittelbar vor Augen zu führen und Erfahrungen zu erweitern. Ir. Versuchstechnische V oraussetzungen für: 1. Versuche im Laboratorium Wesentlicher Bestandteil der technischen Einrichtungen für die Durchführung der Forschungsaufgabe war die Erstellung der Dräger-Dekompressionskammer, die in Zusammenarbeit mit der Herstellerf1rma als Forschungskammer kon struktiv entwickelt wurde. Infolge Lieferschwierigkeiten der Zubringerf1rmen für den Einbau technischer Spezialvorrichtungen konnte die Drägerkammer er st im April 1962 im DVL-Institut für Flugmedizin, Bad Godesberg, in Betrieb ge nommen werden. Die Druckkammeranlage (Abb. 3-6) wurde in der Folgezeit durch verschiedene technische Zusatzeinrichtungen, wie z. B. Druckschreiber und FeinmeGmano meter, Zusatzbeleuchtungseinrichtung, Reduzier- und Absperrventile, diverse AnschluG-und Verbindungsarmaturen, Schalldämpferanlage im Kammerinneren, 9 Absorptionsanlage, Kompressor für Rückgewinnung von Helium usw., ergänzt, wodurch gegenüber dem Anschaffungspreis eine Wertsteigerung in Höhe von ca. 15000 DM erzielt worden ist. Diese Kosten übernahm wegen der Verwendung der Dekompressionskammer für anderweitige Versuche die Deutsche Versuchs anstalt für Luft- und Raumfahrt e. V. Die mit Mitteln des vorliegenden Forschungsauftrages erstellte kombinierte Über und Unterdruckkammer ist auf einen maximalen Betriebsdruck von 25 atü (= 250 m Wassertiefe) ausgelegt und stellt somit die z. Z. leistungsfähigste und höchstbemessene Druckkammeranlage der Bundesrepublik dar. Sie besteht aus einer V orschleuse und Hauptkammer und ist in ihrer Grundausrüstung mit einer Stufenheizung, Gegensprechanlage, doppelten Liegebank (6 Sitzplätze) und son stigem technischen Zubehör versehen. Der gesamte geometrische Kammerinhalt beträgt ca. 9 m3. - lm Unterdruckbereich kann eine simulierte Höhe von 25000 m (= 18 mm Hg) erreicht werden. - Als Zusatzgerät gehört zu der Überdruck kammer ei ne Taucher-(Teleskop-)Kammer (Abb. 7). Die im lnstitut für Flugmedizin (Abt. Dr. WÜNSCHE) vorhandenen Druckkessel unterschiedlicher Betriebsdrücke für tierexperimentelle Überdruckversuche (Abb. 1 und 2) stellten eine wichtige Ergänzung der grof3en Personen kammer dar und wurden ohne lnanspruchnahme von Forschungsmitteln in die vorliegende Aufgabenstellung einbezogen. 2. Untersuchungen au! Druckluftbaustellen Neben der Anschaffung zahlreicher ärztlicher Geräte und lnstrumentarien für Ein stellungs-und Nachuntersuchungen von Druckluftarbeitern auf Baustellen waren Mef3- und Registriereinrichtungen für Milieuuntersuchungen (Luftfeuchte, Tem peratur, Duckverlauf, Lärm usw.) innerhalb der Caissons und der äuf3eren Um gebung notwendig. Die allgemeinen versuchstechnischen V oraussetzungen auf Druckluftbaustellen waren durch auf3ergewöhnliche Arbeitsbedingungen mit gröf3ten lmprovisationen gekennzeichnet, die zudem einen hohen persönlichen Einsatz des ärztlichen Arbcitsteams erforderten. Dieser entscheidende Gesichtspunkt rechtfertigt auch finanzielle Sonderaufwendungen, die allein auf Grund eigener Erfahrungen im Unterschied zu geordneten Laboratoriumsverhältnissen verständlich werden. 10 B. Spezieller Teil 1. Ergebnisse von Tierversuchen Urn spezielle Probleme der biologischen Wirkung des erhöhten Luftdruckes auf den menschlichen Organismus experimentell bearbeiten zu können, muBten orientierende Tierversuche einhergehen. lm Vordergrund stand u. a. die Frage nach der Verträglichkeit des Aufenthaltes im Überdruck über längere Zeit bei An wendung unterschiedlicher Gasgemische. Es wurden deshalb Versuche mit Albino Ratten angestellt, die bis zu 100 Stunden Drücken von 4 und 12 atü ausgesetzt waren. Die technischen Einrichtungen sind in Abb. 1 und 2 dargestellt. Versuche unter einem Druck von 4 atü: Bei diesen Versuchen zeigte sich, daB Ratten einen Druck von 4 atü 24 Stunden ohne wesentliche Beeinträchtigung aushalten können, unabhängig davon, ob man Druckluft [1] oder ein Gasgemisch mit reduziertem Sauerstoffpartialdruck [2] ver wendet. Die Verlängerung der Isopressionszeit [3] von 24 auf 48 Stunden veränderte das Bild völlig. Von insgesamt 60 Tieren, die in 4 Gruppen aufgeteilt wurden, über lebten nur 24 den Versuch. Alle anderen starben entweder schon vor AbschluS des Versuchs oder kamen bald darauf ad exiturn. Die überwiegende Anzahl der toten Ratten hatte als auffälligsten makroskopischen Sektionsbefund ein Pleuratranssudat. AuSerdem waren die Darmschlingen meist stark gebläht und das Herz relativ groS. Die Lungen waren teils gebläht und teil weise atelektatisch. Blutungen in den Lungen fanden sich bei allen Tieren. Die überlebenden Tiere machten alle einen deutlich geschädigten Eindruck. Sie saSen ruhig mit gesträubtem Fell da und atmeten nur oberBächlich. Versuche unter einem Druck von 12 atü: In V orversuchen hatten wir festgestellt, daS nur einzelne Ratten unter Druckluft einen Druck von 12 atü 9-12 Stunden überstanden. Wie sich histologisch nach weisen lieS, starben sie in allen Fällen an einer Sauerstoffvergiftung. (Der Sauer stoffpartialdruck bei 12 atü beträgt 2,6 ata.) Urn eine Sauerstoffvergiftung zu ver meiden, arbeiteten wir bei den folgenden Versuchen immer mit einem Gasgemisch von 5% Sauerstoff und 95% Stickstoff. Obwohl wir die Isopressionszeit von 24 bis auf 100 Stunden verlängerten, über lebten alle Tiere die Versuche. Durch Direktbeobachtung der Tiere während der Versuche war es nur unvollkommen möglich, den jeweiligen Zustand der Ratten 11