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Die Wirklichkeit Des Unverständlichen: Professor Dr. Med. Hemmo Müller-Suur Zum 60. Geburtstag Gewidmet PDF

283 Pages·1974·7.605 MB·German
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DIE WIRKLICHKEIT DES UNVERSTANDLICHEN HEMMO MULLER-SUUR DIE WIRKLICHKEIT DES UNVERSTANDLICHEN PROFESSOR DR. MED. HEMMO MULLER-SUUR ZUM 60. GEBURTSTAG GEWIDMET Herausgegeben von JAN M. BROEKMAN und GUNTER HOFER MARTINUS NIJHOFF I DEN HAAG I 1974 © I974 by Martinus Nijhoff, The Hague, Netherlands All rights reserved, including the right to translate or to reproduce this book or parts thereof in any form ISBN-13:978-90-247-1607-4 e-ISBN-13:978-94-010-2041-1 001: 10.1°°7/978-94-010-2°41-1 INHALT Einjiihrung VII FRITZ HARTMANN, Das Unverstiindliche des Verstehens in der Physiatrie I WOLFGANG BLANKENBURG, Ein Beitrag zum Normproblem 12 HARALD FELDMAX:\!, Zur Bedeutung des Einzelfalles in der psy- chologischen Medizin 25 HARALD DELIUS, Zum Wahrheitscharakter egologischer Aussagen 38 PETER GORSEN, Kants Transzendentalismus und Metaphysik im Kontext der ursprunglichen Apperzeption 78 HERMANN WEIN, Ende der Philosophie? Philosophische Anthro- pologie und kein Ende 88 JAN M. BROEKMAN, ,Du sei wie du'. Uber dasd ialogische in der Asthetik II4 WERNER LOEWENTHAL, Uberlegungen zu Pablo Picassos ,Suite Vollard' 128 HELMUT TACKE, Zur Interpretation der Klage in den alttesta- mentlichen Psalmen 140 DIETRICH ROSSLER, Abschied von der Tugend? Erwagungen zur Krise der Moral 156 GUNTER HOFEI{, Kultur als Faktum 16q BIN KIMURA, Uber die wahnhafte Herkunftsablehnung und de- ren kulturanthropologische Bedeutung 184 W. TH. WINKLER, Verstehen ,psychopathologischer Kunst' 216 VI IN HALT ALFRED BADER, Die Beziehung zur Umwelt in den Bildnereien Schizophrener 228 WOLFGANG KLAGES, Uber Storungen des Raumgefiihls bei Schi- zophrenen. Gedanken zur einer ,Paraordnung' 24I PETER HARTWICH, Die Psychopathologie der Anorexia nervosa in Federzeichnungen einer Kranken I48 HEMMO MULLER-SUUR, Gottingen, Schriftenverzeichnis 273 EINFUHRUNG Das vorliegencle Buch - cine (;abe cler Freuncle Hemmo Miiller-Suurs und entstanden in der Auseinandersetzung mit seinem Denken - solI, ohne spezielle klinische Kenntnisse vorauszusetzen, einen Eindruck von den weitreichendcn interfakultativen Beziehungen der Psycho pathologie vermitteln. So verweisen die ersten Beitrage auf die Bedeutung und auf Verste hensprobleme des Einzelfalls in der somatologischen und in der psy chologischen Medizin. Die hier aufscheinenden logisch-analytischen Gesichtspunkte fiihren im folgenden ins Gebiet aktueller philosophischer Probleme, wie der Wahrheitsfrage bei egologischen Aussagen, der Frage nach der Legitimitat metaphysischer Orientierung, der Wendung zur Anthropologie angesichts des Dilemmas der reinen Erkenntnis, der phanomenologisch-anthropologischen Fragen nach clem menschlichen MaB. Weiter werden Interpretationsaspekte beziiglich lyrischer und bild nerischer Kunst, das Krankheitsproblem in den alttestamentlichen Klagepsalmen und die Frage der Kritik der Moral unter philosophisch asthetischem, kunstwissenschaftlichem und theologischem Aspekt be handelt. Die Erorterung cler Struktur von Kultur unter vorwiegend ethnolo gischem Gesichtspunkt fiihrt mit einer derartigen Untersuchung aus Japan in den Bereich klinischer Fragcstellungen hinein. Einige Beitrage iiber Interpretationsmiiglichkeiten an kiinstlerischen Produktionen von psychisch Kranken beriihren eines jener Arbeits gebiete, mit dencn sich Mi lller-Suur seit J ahren intensiv beschaftigt hat. FRITZ HARTMANN DAS UNVERSTANDLICHE DES VERSTEHENS IN DER PHYSIATRIE Lieber Herr Muller-Suur! Arztlich bekamen wir das erste Mal in fruhen Gottinger N achkriegs jahren miteinander zu tun, als ein mir zugeteilter arztlicher Mitarbeiter verhaltensauffallig wurde und wir uns uber jene Reste verstandlicher Wirklichkeit und ihre Brucken zu jener anderen Wirklichkeit er und gelebten Wahns in der Schizophrenie unterhielten. Da war alles so anders wie bei den Kranken, die die Lehrer der Psychiatrie uns Student en ,vorgefUhrt' hatten - und von denen wir heute wissen, daB sie durch ihre Arzte und deren Vorstellungen vom Wahn immer wahn hafter gepragt, in ihrer Selbstdarstellung profilierter und didaktisch einpragsamer geworden waren. Seitdem hat mich der Gedanke nicht losgelassen, der Arzt sei aus Grunden der Therapie - und sei es auch nur, urn die Katastrophe zu mildern und hinauszuschieben - gehalten, das Verstandliche im Unverstandlichen des Wahns zu suchen, im wort lichen Sinne festzustellen und fur sich und den Kranken zum Halte punkt sichernden Helfens zu machen. Urn die gleiche Zeit suchte ein Medizinstudent meines Arbeitskreises, den wir, seine Freunde, nur als einen unbekummerten lebens- und tatenfrohen intelligenten und eigenstandigen Jungling erlebt hatten, den Freitod; der Tod war ihm als die einzige Moglichkeit erschienen, das Tor in eine Wirklichkeit zu durchschreiten, von der wir keine Ahnung hatten, uber die mit ihm zu sprechen er uns nicht die Moglich keit gegeben hatte. Moglichkeiten und Grenzen fUr den Arzt, mit dem Unverstand lichen umzugehen, wurden so zu einer pragenden Erfahrung. 1957 haben Sie und ich uns mit unserem gemeinsamen Freund, dem Philosophen Hermann Wein, aufgemacht zu einem Seminar uber philosophische und arztliche Anthropologie. Uns erschien es notwendig, mit Studenten der Philosophie, Soziologie, Medizin und Theologie den 2 FRITZ HARTMANN Versuch zu machen, philosophische Einsichten uber die Natur des Menschen, Erkenntnisse uber sein Verhalten und dessen biologische Grundlagen mit medizinischen Erfahrungen des Homo patiens, beson ders aus dem psychosomatischen Alltag, zu verlgeichen. Hermann Wein behauptet, ich habe den Begriff arztlicher Anthropologie in dies em Seminar benutzt, urn damit mehr auszudrucken, als das Attri but medizinisch begreiflich machen kann: In einer arztlichen Anthro pologie ist der Arzt als Mensch einbezogen in das Wirkungsfeld und Spannungsgefuge zwischen zwei Menschen. Er ist nicht reiner Beo bachter, sondern Erleidender und Gestalter ihm angetragenen Leidens. Sein Erkennen und Helfen hangen davon ab und auch, ob er als Arzt im Laufe seines Lebens besser, d. h. fur viele Menschen angemessener gerechter wurden die ionischen Vorsokratiker sagen - wird, mensch liches Leid zu verstehen und im Falle groBen Glucks hindurchzusehen auf das, was wir Krankheit nennen, d. h. das primar yom Leiden Verstellte, das Schiefe, Verbaute, das Aneinandervorbeisehen - und -reden, das MiBverstehen, Zurechtstellenmussen. Oder der Arzt und der Kranke stellen sich einander zurecht, verschranken sich fUr Augen blicke. Wenn namlich Verstehen den Augenblick des sich erkennenden Stehenbleibens in einem im ubrigen Miteinanderumgehens, sich Ent fernens und wieder Annaherns ist, dann gilt dies nur fur kurze Zeit, nicht fur den ganzen Weg. Was beide, Arzt und Kranker, sich zu uber nehmen, zu tragen, zu lasen gegenseitig aufburden und abnehmen, das bleibt immer ein Wagnis nicht nur zwischen zwei Menschen, zwei Rollentragern, sondern auch von Szene zu Szene. Heute drehe ich den von Ihnen angedachten Gedankengang - hell hOrig und empfindsam geworden durch das biographisch Angedeutete und wie mir scheint fUr die N achkriegsgeneration von Arzten nicht Untypische - einmal urn und wende ihn auf das angeblich Verstand liche der karperlichen Krankheit in der nicht-psychiatrischen Heil kunde. Geht man taglich mit dieser karperlichen Krankheit urn, so wird man blind oder wachsam, verdrangt oder bemerkt die Tatsache, daB das Leid des Kranken keinen Unterschied des Leibes und der Person kennt. Verstehen laBt sich dann nicht mehr auf Begreifen und Erklaren einengen. Es stellt hOhere Anspruche und birgt die Gefahr grundlicheren Versagens. Dieser Gedankengang nahert sich gewissen Sequenzen und Denkfiguren gegenwartigen N achdenkens in der Psy chiatrie, wie nicht zuletzt Sie es angestoBen haben. Die gelehrte Medizin unserer Tage betrachtet das - oft widerwillig eingestandene, in der Regel verdrangte - Unverstandliche als das nur D ,\ S U:\ V E H S TAN l! LI C 1l E DES V E H. S T E II E :\ S J ,noch nicht Vcrstandliche', das noch nicht Verstandene. Als Griinde werden angefuhrt: Fehlcn VOll Methoden und Ungenauigkeit vorhande ner diagnostischer Technikcn, Mangel an geeigneten lVlodellen und Idecn, die Tatsachcn zu einem gcordneten Ganzen zu verbinden. Diese Ideologie geht von del' Wiederholbarkcit der Erfahrung gleichartiger oder doch ahnlicher Faile aus und reduziert die Viclgestaltigkeit der Krankheitscrscheinungen uncl die Abgriindigkeiten individucllen Krankscins auf mdhoclische Schiinheitsfehler. 1m Unvcrstiincllichen entzieht sich namlich l'in Bereich des N atlirlichen clem :.vIachbarcn, Steuerbaren. Denn nur <las vom Verstand Gestellte ist clem Willen, dcm vcranclernclen Handcln zuganglich. So ist clas Unverstinclliche ein lastiges Argernis fiir all jcne Ante, die ihre Praxis auf die Ideologic zu grunden suchen, die BACON und DESCARTES hir sog. N atunvissen schaften entworfen haben. Dabei ubersehen fast alle, daB es sich 11m eine Ideologic handelt und daB sic von den Autoren primiir entworfcn wurde, um Iatumer in der Erkenntnis zu vermeiden, Vorurteile und Voreingenommenheiten, llie BACON Idola und DESCARTES die ver wirrendcn Teufclchen nannte. Mit diesen, eine arztlichc Anthropologie mit konstituierendcn, Vorgegebenheiten, hat sich die Medizin nil' be schaftigt. Sie hat das Problem griindlich verdrangt. Ihr apologctischer Eifer, mit dem sie die naturwissenschaftliche Ideologie, iibrigens scharfer als die meisten \vir klichen N aturwissenschaft Ier, vcrtcidigt, wenn jemand in Frage stellt, daB die }Iedizin aIs N aturwisscnschaft zu definieren sei, spricht fUr clas schlechte Gewissen. Das Argernis auf ein nur quantitativ noch nicht Verstandenes zu verkleinern und die Moglichkeit eines qualitativ Anderesseins zu bestreiten, ist ein problem verdrangender Kunstgriff. Er folgt aus jener Ideologic des Forbchrit tes, die N aturcrkenntnis unci N aturbeherrschung in eins setzt unci keinen Unterschied zwischen Natur unci }1ensch anerkennt, wenig stens so lange ~ atur im Sinne DECARTES verstanden wircl. Die Anerkennung, daB Erkenntnisse und Verstehen, Sympathien und Interessen, Leiden undMitleiden, Freude und Mitfreude in zwischen menschlichen Beziehungen auch fur Menschen im vorwissenschaft lichen Raum, ~ bei den J ungen und den ganz und gar U ngebildeten ~ lVIenschsein und Mitmenschsein ermoglichen, d. h. daB die Idola und die kleinen Teufelchrn nicht nur die Gefahren VOIl lVIiBverstanclnissen heraufbeschworen, sondcrn auch Werkzcuge des Verstandnisses sein konnen, daB das alles auch zur N atur ell'S Menschen gerechnet werden konnte, diesc Anerkennung wird vermutlich noch lange auf sich wartm lassen.

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