Dieter Gutknecht Die Wiederkehr des Vergangenen Studien zur Geschichte der Aufführungspraxis Alter Musik II: Entwicklung ab dem Zweiten Weltkrieg Veröffentlicht unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 Dieter Gutknecht Die Wiederkehr des Vergangenen Studien zur Geschichte der Aufführungspraxis Alter Musik II: Entwicklung ab dem Zweiten Weltkrieg mit einem Nachwort von Reinhard Goebel 978-3-95983-051-5 (Paperback) 978-3-95983-050-8 (Hardcover) © 2015 Schott Music GmbH & Co. KG www.schott-campus.com Veröffentlicht unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 © Schott Music GmbH & Co. KG Inhalt Vorwort 9 Prolog: Die Nachkriegssituation 13 1 Immer noch – Alte Musik und Jugendmusikbewegung 15 1.1 Geschichtliche Voraussetzungen und Neubeginn 15 ! Lehrgänge 22 ! Instrumentenbau und -praxis 29 ! Verlage 38 ! Alte Musik innerhalb der Jugendmusikbewegung 46 1.2 Die Musikbewegung und Adorno 62 2 Aufführungspraxis Alter Musik außerhalb der Jugendmusikbewegung 73 2.1 Musikhochschulen 78 2.2 Alte Musik im Rundfunk 82 2.3 Alte Musik auf Schallplatten 99 3 Musikwissenschaft und Aufführungspraxis 117 3.1 Frühe musikwissenschaftliche Arbeiten 117 3.2 Instrumentenkundliche Forschungen 128 3.3 Veröffentlichungen zu Beginn der 1950er-Jahre 150 3.4 Zwischenstand 184 3.5 Urtext und Faksimilia 185 4 Alte Musik in der Praxis: Fortwirken der Vorkriegssituation 193 4.1 Hans Eberhard Hoesch und die Kabeler Kammermusik 193 4.2 Kammermusikkreis Scheck-Wenzinger 196 4.3 Konzertgruppen der Schola Cantorum Basiliensis 201 4.4 Rekonstruierte Aufführungen Alter Musik auf Festivals und Musikfesten 208 4.5 Historische Instrumente in modernen Kompositionen 228 5 Ausbildungsstätten und Kurse für Alte Musik (1945–1970) 233 5.1 Schola Cantorum Basiliensis 233 5.2 Musikhochschulen 239 5.3 Kurse 256 5 6 Ensemblegründungen 265 6.1 Cappella Coloniensis des (N)WDR 265 ! Rekonstruktion der Barocktrompete 297 ! Erste Aufführungen und Konzerte 306 ! Öffentliche Resonanz 312 6.2 Collegium musicum des WDR und Collegium aureum 319 6.3 Nikolaus Harnoncourt und der Concentus Musicus Wien 322 ! Exkurs: Knaben Solo- und Chorstimmen 352 ! J. S. Bach – Johannes-Passion, Schallplattenproduktion 1965 355 ! Claudio Monteverdis Opern 372 ! Harnoncourt als Dirigent moderner Orchester 387 6.4 Ensembles für die Musik des Mittelalters 389 ! Musica Antiqua – Capella Musica Antiqua – Clemencic Consort 389 ! Ensemble Sequentia 395 6.5 Leonhardt-Consort 402 6.6 L’ensemble Alarius de Bruxelles 410 6.7 La Petite Bande 419 6.8 Jean-Claude Malgoire – La Grande Écurie et la Chambre du Roi 427 6.9 Reinhard Goebel – Musica Antiqua Köln 432 7 Nachfolge und Konsolidierungsphase 467 7.1 Englische Ensembles 471 7.2 David Munrow – Early Music Consort of London 479 7.3 Christopher Hogwood – Academy of Ancient Music 481 7.4 Trevor Pinnock – The English Concert 482 7.5 John Eliot Gardiner – Monteverdi Choir and Orchestra 483 7.6 Andrew Parrott – Taverner Choir and Consort 487 8 Alte Musik europaweit 495 8.1 Marc Minkowski – Les Musiciens du Louvre 495 8.2 Christophe Rousset – Les Talens Lyriques Emmanuelle Haïm – Le Concert d’Astrée 498 8.3 Jordi Savall – Ensemble Hespèrion XX 499 8.4 Alte Musik in den ehemaligen Ostblockstaaten 505 ! Capella Savaria 505 ! Capella Fidicinia 511 6 ! Cappella Sagittariana Dresden 514 ! Institut für Aufführungspraxis Kloster Michaelstein 517 ! Akademie für Alte Musik Berlin 528 ! Lautten Compagney Berlin 533 ! Alte Musik in der ehemaligen DDR: Zusammenfassung 534 9 Tendenzen der Alte-Musik-Szene 539 9.1 Deutschland – Frankreich – Italien: Überblick 539 9.2 Virtuosen 549 9.3 Festivals für Alte Musik 554 9.4 Spezialzeitschriften für Alte Musik 563 9.5 Rekonstruktionsbewegung und Musikwissenschaft 570 Nachwort 599 Literaturverzeichnis 605 Personenregister 651 7 8 Vorwort Mit dem vorliegenden Band der Studien zur Geschichte der Aufführungspraxis Alter Musik ist meine Betrachtung der Geschichte der Alte-Musik-Rekonstruktions- bewegung zum vorläufigen Abschluss gebracht, wobei das »vorläufig« in viel- facher Hinsicht zu verstehen sein mag. Zunächst: Ein solcher Prozess ist (zum Glück!) nicht an seinem Ende angelangt, kann er nach eingehender Diagnose wohl auch nicht, weil er sich anscheinend bester »Gesundheit« erfreut, schlägt man nur einschlägige Programmzeitschriften auf. Zudem wird eine so hetero- gene Entwicklung nie durch das Auge nur eines Betrachters dargestellt, höchs- tens in einer Sehweise umrissen werden können. Endlich will sich die Studie als Bestandteil all der Arbeiten verstehen, die sich gleichfalls des Themas an- nahmen, wobei vor allem an Haskells, wie ich meine, erste Gesamtdarstellung The Early Music Revival aus dem Jahr 1988 zu denken ist. Ging es im ersten Band vornehmlich darum, die Quellen der Annäherung an die Alte Musik von den ersten Bemühungen an offenzulegen sowie die unter- schiedlichsten Motivationen der Beschäftigung mit ihr im Verlaufe von annä- hernd 150 Jahren zu deuten, geht es im zweiten Band nun um den Versuch, die Frage zu klären, wie es die Rekonstruktionsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg möglich gemacht hat, die Alte Musik als wesentlichen Bestandteil im allgemeinen Musikleben zu verankern – und damit ein kulturgeschichtlich nie dagewesenes Unterfangen ins Bewusstsein der Hörer gebracht zu haben. Ins- gesamt betrachtet ist es tatsächlich so, dass es in der Musikgeschichte nie zu- vor eine vergleichbare Bewegung gegeben hat, die Ähnliches vollbracht hätte. Natürlich bedurfte es eines langen Zeitraums von fast 200 Jahren, bis sich in Musikerkreisen, in dem Bereich der interessierten und engagierten Hörer, bei Konzertveranstaltern, Plattenproduzenten und Rundfunkverantwortlichen, ja, selbst unter beteiligten Protagonisten im wissenschaftlichen wie praxisnahen Umfeld die Einsicht durchsetzen konnte, es könne sich offenbar nicht nur um ein nostalgisches oder gar exotisches Unternehmen handeln. Aus einem kaum zu begründenden Überlegenheitsanspruch der gängigen Praxis gegenüber der Alten Musik hätte man jenen Rekonstruktionsversuchen leicht mit Ablehnung bis Verspottung weiterhin begegnen können. Dass die Entwicklung der Alte- Musik-Bewegung es schaffen würde, als die bessere, wenn nicht gar alleinige Vorgehensweise zur Interpretation der Musik der Vergangenheit anerkannt zu werden, war eine Erkenntnis, die den meisten unwirklich erschien. So handelt der zweite Band auch von der Erfolgsgeschichte der Alte-Musik- Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg, die durch das Wirken von August Wenzinger als Gambist und Leiter der Konzertgruppe der Schola Cantorum Basiliensis und der Cappella Coloniensis, Nikolaus Harnoncourt mit seinem Concentus Musicus Wien, Gustav Leonhardt als Cembalist und Leiter seines Leonhardt-Consorts, den Kuijkens und La Petite Bande und durch die Leis- 9 tungen von Reinhard Goebel, dem Violin-Virtuosen mit der Musica Antiqua Köln die prägendsten Impulse erhielt und Anreiz für zahllose Ensemblegrün- dungen rund um den Globus mit sich brachte. Ist die Entwicklung dieser Praxis durch die zahlreichen Klangdokumente, die florierenden Festivals und die Fachzeitschriften einigermaßen bekannt sowie präsent, so erschien meiner Ansicht nach der Blick auf die Rolle der Musik- wissenschaft besonders notwendig, da das Fachgebiet der Aufführungspraxis – wenn nicht randständig – dann doch problematisch war und wohl noch ist. Da sich in der Wissenschaft in den letzten Jahren durch grundlegende Arbei- ten jene Ansicht durchgesetzt hat, dass die Bemühungen der Bewegung zu der Interpretation eines Musikwerks beitragen können, ja, im Grunde wesentlich für diese sind, scheint sich eine Perspektive darzubieten, die nicht nur in ame- rikanischer Fachliteratur auf das größte Interesse stößt. Wenn der kanadische (Barock-)Oboist sowie Musikwissenschaftler Bruce Haynes hingegen in seiner letzten Publikation bereits vor fast zehn Jahren meinte feststellen zu können, die Rekonstruktionsbewegung sei am Ende angekommen (The End of Early Music: A Period Performer’s History of Music for the Twenty-First Century, Oxford 2007), so scheint mir die These vielleicht in dem Sinn zu verstehen sein, wie es Harnoncourt schon früh und Goebel später bekräftigend auffassten: Es geht überhaupt nicht mehr um ein »historically informed«-Musizieren im Verständ- nis der frühen Entwicklung, sondern nur um das, was Richard Taruskin Ende der 1980er-Jahre festgestellt hatte: Die Essenz einer »authentic performance«, so hatte er gemeint, kann nämlich nur darin liegen, dass sie eine »modern per- formance« ist, was nichts anderes bedeutet, als dass eine Aufführung in der Konvention der Entstehungszeit in der gleichen Art verstanden werden muss wie sämtliche heute gebotenen Interpretationen von Musik. Denn »am Ende« ist diese Bewegung beileibe nicht. Man braucht nur in Ausbildungspläne deut- scher sowie ausländischer Musikhochschulen oder vergleichbarer Institutionen zu schauen: Keine Ausbildungsstätte kann es sich heute erlauben, keine Abtei- lung für Alte Musik zu unterhalten oder nicht wenigstens einige Fächer ihres Bereichs anzubieten; man blicke auf die Programmankündigungen der Opern- häuser und Konzertveranstalter, ebenso auf privat organisierte Konzerte; die barocke Oper rückt immer mehr ins Blickfeld; Konzertreihen haben die Alte Musik als Attraktion erkannt. Sicherlich, nicht überall hat sich das gewandelte Verständnis bislang erfolgreich durchsetzen können, aber Praxis und Wissen- schaft arbeiten daran, diese Interpretationsvariante in der breiten Musikwelt noch bewusster werden zu lassen. Meine Studien entstanden nach Haynes düsterer Prognose und wurden im Ma- nuskript Ende 2012 beendet. Dieser lapidare Satz verweist nicht nur auf die Tätigkeit eines Autors – ohne die Unterstützung von Bibliotheken, Fachleuten und Privatpersonen in vielfältiger Form hätte der Band nicht vollendet werden können. Allen sei zutiefst gedankt. 10
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