Die Welt als Bild ≥ Arbeiten zur Kirchengeschichte Begründetvon Karl Holl† und Hans Lietzmann† herausgegebenvon Christian Albrecht und Christoph Markschies Band 107 Walter de Gruyter · Berlin · NewYork Die Welt als Bild Interdisziplinäre Beiträge zur Visualität von Weltbildern Herausgegeben von Christoph Markschies und Johannes Zachhuber Walter de Gruyter · Berlin · NewYork EinePublikationder InterdisziplinärenArbeitsgruppeDieWeltalsBild GedrucktmitUnterstützungderSenatsverwaltungfürBildung,WissenschaftundForschung desLandesBerlinunddesMinisteriumsfürWissenschaft,ForschungundKultur desLandesBrandenburg. (cid:2)(cid:2) GedrucktaufsäurefreiemPapier, dasdieUS-ANSI-NormüberHaltbarkeiterfüllt. ISSN 1861-5996 ISBN 978-3-11-020029-4 BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschen Nationalbibliografie;detailliertebibliografischeDatensindimInternet überhttp://dnb.d-nb.deabrufbar. (cid:2)Copyright2008byWalterdeGruyterGmbH&Co.KG,D-10785Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro- verfilmungenunddieEinspeicherungundVerarbeitunginelektronischenSystemen. PrintedinGermany Umschlaggestaltung:ChristopherSchneider,Berlin Inhalt JohannesZachhuber/ChristophMarkschies:Einleitung . . . 7 FriedhelmHartenstein:WeltbildundBilderverbot. KosmologischeImplikationendesbiblischenMonotheismus . 15 Henrik Pfeiffer: Gottesbild und Kosmologie – Ein Korreferat zu FriedhelmHartenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 ChristophMarkschies:WeltbildkonflikteinderchristlichenAntike 51 CharlotteKöckert:RäumlicheVorstellungenimWeltbilddes OrigenesundihrVerhältniszum zeitgenössischenastronomischenWeltbild . . . . . . . . . . . . 69 KarinMetzler:KonstanzvonWeltbildernam BeispielderAstrologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 RichardSchröder:WardiecopernicanischeReformderAstronomie einWeltbildwandel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 SteffenSiegel:KosmosundKopf. DieSichtbarkeitdesWeltbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 DominikPerler:DasWeltbildalskonstruierteOrdnung. KommentarzuSteffenSiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 MichaelWeichenhan:GeometrischesModellderWeltvs. dieWeltalsBild–JohannesKeplerundRobertFludd . . . . . 151 JohannesZachhuber:Weltbild,Weltanschauung,Religion. EinParadigmaintellektuellerDiskurseim19.Jahrhundert . . 171 JörnHenrich:Bild-undWeltbildaspektederanalytischen MechanikundHimmelsmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 ErwinSedlmayr:DieastronomischenFensterderAnschauung . 211 EberhardKnobloch:DasWeltbildindenWissenschaften– GeschichteeinerKonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Einleitung JohannesZachhuber/ChristophMarkschies DieindiesemBandvereintenTextegebeninüberarbeiteterFormVorträ- gewieder,dieaufeinerinterdisziplinärenTagungderBerlin-Branden- burgischen Akademie der Wissenschaften im Februar 2004 gehalten wurden. Der Grundgedanke der Tagung und somit des vorliegenden BandeslässtsichalsSchnittpunktmehrererFragestellungenbeschreiben, derdurchdenTitel–DieWeltalsBild–ausgedrücktwird. 1.»Weltbilder«sindeinseitlangemetablierterGegenstandhistorisch- kulturwissenschaftlicherForschung.BekanntsindUntersuchungenzum WeltbildorientalischerKulturen,zumWeltbilddesAltenTestaments(in diesemBandrepräsentiertdurchdieTextevonfriedhelmhartenstein und henrik pfeiffer) oder zum »Weltbild des mittelalterlichen Men- 1 schen« .Aberauchdas»ElizabethanWorldPicture«istalsHintergrund 2 von Shakespeares Dichtung rekonstruiert worden . Nicht zuletzt hat man im wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhang vom ptolemäi- schen und kopernikanischen »Weltbild« gesprochen (was freilich, wie derBeitragvonrichardschröderzeigt,eigeneProblemeaufwirft). »Weltbilder«indiesemSinnhabeneinezweifacheBedeutung.Zum einenwerdensieverstandenalsfundamentaleModellierungenvonWirk- lichkeit,diefürkonkreteGedanken,ÄußerungenundHandlungenvon MenscheneinerbestimmtenEpocheodereinerbestimmtenKulturkon- stitutiven Charakter haben. Sie stellen in diesem Sinn gewissermaßen ein Koordinatensystem dar, in das sich jene Gedanken, Äußerungen undHandlungeneintragenlassenunddasihnenSinnundBedeutung verleiht.DieRekonstruktionvonWeltbildernindiesemSinnwirddem- nachunternommen,umdieWeltwahrnehmungunddamitdieLebens- undHandlungsorientierungvonMenschenbesserzuverstehen.Dieses hermeneutischeInteresseanderwissenschaftlichenBeschäftigungmit WeltbildernwirdprogrammatischundcharakteristischinderDefinition vonGurjewitschzumAusdruckgebracht: UmdasLeben,VerhaltenunddieKulturderMenschendesMittelalterszu verstehen,mußmanoffensichtlichbemühtsein,dieihneneigenenVorstel- lungen und Werte zu rekonstruieren. Man muß [...] das Verfahren ihrer Weltsichtaufdecken.[...]Wirmeinen,daßdiegrundlegenden,universalen Kategorien der Kultur aufgedeckt werden müssen, ohne die sie unmög- lich und von denen sie in all ihren Werken durchdrungen ist. [...] Diese 1 A.Gurjewitsch,DasWeltbilddesmittelalterlichenMenschen,Dresden1978(Moskau 1972). 2 E.M.W.Tillyard,TheElizabethanWorldPicture,London1943. 8 JohannesZachhuber/ChristophMarkschies UniversalbegriffesindinjederKulturmiteinanderverbundenundbilden eine Art ›Weltmodell‹ – jenes ›Netz von Koordinaten‹, mittels dessen die MenschendieWirklichkeiterfassenunddasWeltbildaufbauen,welchesin 3 ihremBewußtseinexistiert. DanebenmeintWeltbildfreilichauchdieGesamtheitallerwesentli- chen Ideen und Anschauungen von der Welt, die den Charakter einer bestimmtenEpocheodereinerKulturausmachen.SprichtmanvonWelt- bild in diesem Sinn, steht die Annahme im Hintergrund, dass diese Ideen,AnschauungenundWerteeinenbestimmtenZusammenhang,ein SystembildenundnichtnureinAggregatvondisparatenEinzelfakten darstellen.DerGrundfürdieseEinheitliegtnatürlichinderAnnahme jenesHintergrundmodellsvon»Kulturkategorien«(Gurjewitsch),sodass diebeidenBedeutungenAspektederselbenKonzeptionsind. DieseZurückführungvonAnschauungenundKonzepten,vonMy- thenundDichtungen,vonpolitischenundreligiösenIdeenaufeindiesen zuGrundeliegendesunddurchsiezumAusdruckgebrachtes»Weltbild« setztdieErfahrungunhintergehbarerkulturellerPluralitätvoraus.Esist deshalbsicherkeinZufall,dasssichderBegriffdesWeltbildsindiesem, heutegeläufigenSinnwieauchdasInteresseandiversenWeltbildern– dennzwangsläufiggehtesdabeiimmerumeineMehrzahl–zeitgleich mitdemAufkommendesHistorismusentwickelte.DerWeltbilddiskurs ist so, wie in dem Beitrag von johannes zachhuber detailliert ausge- führt wird, von Beginn an ein Ausdruck der Einsicht in die radikale AndersartigkeitfremderodervergangenerKulturen,dieebennichtnurin ihrerkonkretenAusprägungvonSpracheundReligion,vonpolitischen undgesellschaftlichenInstitutionenundKonventionen,sonderninihrer grundlegenden Wirklichkeitswahrnehmung von der eigenen Gegenwart unterschiedensind. NebenihrerfundamentalenundfundierendenRollefürdieWeltwahr- nehmungkommtdenindiesemSinnrekonstruiertenWeltbildernzugleich eineebensogrundsätzlicheOrientierungsfunktionzu.Siebeeinflussenund bestimmen also nicht nur die Erkenntnis, sondern auch das Handeln vonMenschen,siestrukturierenderenVerhaltensweisen,aberauchWert- vorstellungen,SittenundInstitutionen.DieserklärtdieSchärfe,mitder Auseinandersetzungen um Weltbilder geführt werden. Die Härte und UnerbittlichkeitsolcherKontroversenergibtsichdaraus,dasseshierum die Grundlagen von Identität geht, über die man, im wörtlichen Sinn, nichtdiskutierenkann,weildieseGrundlagenkeinerrationalenVermitt- lungmehrzugänglichsind.ÄhnlichverhältessichmitderBedeutung impliziterWeltbildannahmenfürnatur-undgeisteswissenschaftlicheFor- schung(dazuausführlichderBeitragvoneberhardknobloch);dievon 3 A.Gurjewitsch,Weltbild(wieAnm.1),22f. 9 Einleitung ThomasKuhneinflussreichalsParadigmenbezeichnetenwissenschaftli- chenGrundorientierungensindWeltbildernimhierbeschriebenenSinn analog – auch deshalb werden sie, wie man bei Kuhn nachlesen kann, nichteigentlichdurchbessereArgumenteüberwunden,sonderndurch 4 wissenschaftsexterneFaktorendurchgesetzt . 2.Solchehistorisch-hermeneutischenUntersuchungenüberdiverse WeltbildersindoftillustriertwordendurchbildlicheDarstellungen,die dann als das »Weltbild« der jeweiligen Kultur bezeichnet wurden. In einigenFällenistdasoffensichtlichirreführend,dortnämlich,wosolche IllustrationennachträglicheVisualisierungenvonausschließlichtextlich tradiertenDarstellungenodergarAusdruckspätererVorurteilevondem sind,wasdasWeltbildeinerfrüherenEpocheausgemachthabensoll– wieindembekanntestenFalldesvonCamilleFlammarion(1842–1925) imJahr1888zumerstenMalpubliziertenHolzschnitts,dervermeintlich das»mittelalterlicheWeltbild«darstelltundsichbisheutezumselben ZweckgroßerBeliebtheiterfreut(Abb.1)5. Abb.1:CamilleFlammarionsVersiondes»mittelalterlichenWeltbilds«(in:ders., L’Atmosphère.MétéorologiePopulaire,Paris1888,163) DanebengibtesjedochausdiversenKulturenundZeitentatsächlich bildlicheDarstellungen,diesichprimafacieals»Weltbilder«bezeichnen lassen, sofern auf ihnen offenbar der Versuch unternommen wird, ein GesamtmenschlicherErfahrungen,einBildvonderWeltzuvisualisieren. DieExistenzsolcher»Weltbilder«wirfteineReihenichttrivialerFragen 4 KuhnselbstgebrauchtindiesemZusammenhangdenBegriffdes»Weltbilds«(engl. worldview):Th.Kuhn,DieStrukturwissenschaftlicherRevolutionen,Frankfurt/M. 1967,bes.Kap.x. 5 Vgl. zum historischen Hintergrund: B. Weber, Ubi caelum terrae se coniungit. Ein altertümlicherAufrißdesWeltgebäudesvonCamilleFlammarion,Gutenberg-Jahrbuch 1973,381–408. 10 JohannesZachhuber/ChristophMarkschies auf.SinddiesebildartigenDarstellungenundModellederWeltimAlten Orient,inAntike,MittelalterundFrüherNeuzeitAusdruckdessen,was wir»Weltbild«nennen?Undwenndassoist:Hatmaneshiermiteiner plausibelabgrenzbarenKategorievonBildernzutun–ebenWelt-Bildern –undwas,wenndassoist,wärederenBesonderheitalsBilder?Anders gesagt:WiebeschaffenmusseinBildsein,umalsWeltbildzugelten(eine Frage, die in diesem Band besonders deutlich im Beitrag von steffen siegelzurSprachekommt)? DieseFragenbetreffensolcheWeltbilderinihrerEigenschaftalsBil- der.Gleichzeitigstellt sichjedochebensodie Frage,obBildlichkeitein wesentlicherAspektvonWeltbildernist.DannwäredieTatsache,dass WeltbilderdurchBilderillustriertwerden,nichteinezufälligeBeigabe, die einen rein ästhetischen oder didaktischen Zweck erfüllt, sondern einAusdruckderTatsache,dassWeltbilderetwassind,dastatsächlich undnotwendigerWeisegesehenwird,auchwenngenauzuerklärenist, inwelchemSinnsolcheBilderdie»Welt«darstellen.DieTatsache,dass seitdem19.JahrhundertvonWeltbild/Weltanschauungmiteinervisuel- lenMetaphergesprochenwordenist,deutetjedenfallsdaraufhin,dass das dabei Gemeinte mit Bildern grundsätzliche und charakteristische Gemeinsamkeiten hat: die unmittelbare, suggestive Evidenz, die star- ke,ganzheitlicheWirkungaufdenMenschen,aberauchdiescheinbare oderwirklicheWiderständigkeitgegenüberrationalerAuseinanderset- zung,diedenimmerlatentenVerdachtvonIdeologieundManipulation 6 gegenüberWeltbildernerklärt . Das würde dafür sprechen, dass in einem Weltbild Modellierung, BildlichkeitundVisualisierungkeinesekundärenAktesind,dieetwas wesentlich Abstraktes veranschaulichen sollen, wie dies beispielswei- se im philosophischen Unterricht zu didaktischen Zwecken geschieht. »Weltbild« wäre insofern mehr als eine Metapher für eine Reihe von Überzeugungen darüber, wie genau die Welt als Ganze beschaffen ist. Vielmehr gehörte die bildliche Dimension von Weltbildern zum Kern dessen,waseinWeltbildausmacht.DieverschiedenenFormenvondar- gestelltenWeltbildernseitderAntikebisindieunmittelbareGegenwart wären dann in der Tat ein Ausdruck dieses Sachverhaltes, auch wenn sienatürlichalssolchenichtmitdenhistorisch-hermeneutischerhobenen »Weltbildern«gleichgesetztwerdenkönnen. Dafür spricht ebenfalls, dass auch nach dem Übergang von einer NewtonschenzueinerEinsteinschenKosmologiegrundlegendeSachver- halteüberdieWeltdurchVisualisierungverdeutlichtwerden(wiedas indemBeitragvonerwinsedlmayrfürdieAstrophysikgezeigtwird) – bei allen Unterschieden, die zwischen diesem »Weltbild« und seiner 6 Vgl.W.J.T.Mitchell,Iconology.Image,Text,Ideology,Chicago1986.