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Die verstimmte Demokratie: Moderne Volksherrschaft zwischen Aufbruch und Frustration PDF

312 Pages·2012·2.218 MB·German
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Die verstimmte Demokratie Stephan Braun • Alexander Geisler (Hrsg.) Die verstimmte Demokratie Moderne Volksherrschaft zwischen Aufbruch und Frustration Herausgeber Stephan Braun Alexander Geisler Stuttgart, Deutschland Berlin, Deutschland ISBN 978-3-531-18410-4 ISBN 978-3-531-19035-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-531-19035-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht aus- drücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: KünkelLopka GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-vs.de Inhalt Stephan Braun und Alexander Geisler Die verstimmte Demokratie – Perspektiven auf gestern, heute und morgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Teil I Wege und Irrwege der Demokratie – Ideen, Institutionen und das politische Personal zwischen Anspruch und Wirklichkeit Lagebilder und Zukunftsaussichten moderner Demokratie Karl-Rudolf Korte Nein-Sagen – Die Demokratie bewegt sich ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Oliver Nachtwey Postsouveränität und Postdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Bettina Westle Souveräne Teilhabe unter Unsicherheit und Halbwissen: Politisches Wissen und politische Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Anna Klein, Wilhelm Heitmeyer und Andreas Zick Demokratie als Kitt einer gespaltenen Gesellschaft ? . . . . . . . . . . . . . . 69 Die deutsche Parteiendemokratie in der Kritik Elmar Wiesendahl Unpopulär aus Tradition Parteienverachtung in Deutschland und die Folgen . . . . . . . . . . . . . . 79 Andrea Nahles Die demokratische Entkopplung zwischen Politik und Bürger Wir brauchen eine neue demokratische Kultur in Wirtschaft, Gesellschaft und Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6 Inhalt Thomas Leif Im Tal der Ahnungslosen – Politikberater als Kompetenzsimulatoren im Schatten der politischen Misstrauensgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . 103 Alexander Gallus Die Schönwetterdemokratie im Umfragetief: Weniger Demoskopie wagen ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Andreas Dörner Inszenierung in der Politik: nur Show oder ein konstitutives Moment des Politischen ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Alexander Häusler Selektive Inanspruchnahme des Demokratischen: Rechtspopulistische Politik der Feindbilder im Namen der Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . 131 Fritz Plasser Amerika, Du hast es besser ? Über Furcht und Freude an amerikanischen Verhältnissen . . . . . . . . . . . 141 Politiker – inkompetent, ungeliebt und abgehoben? Werner J. Patzelt Abgeordnete und ihr Beruf Von wahren Vorurteilen und falschen Vorverurteilungen . . . . . . . . . . . 153 Miro Jennerjahn Politik als Lebenswelt und Karriere: Warum wir die Politiker haben, die wir haben . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Gerd Langguth Lebensferne Wichtigtuer ? Karriereprofile der neuen Politikergeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Oskar Negt Plädoyer für mehr Gesellschaftsutopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Inhalt 7 Teil II Experimente auf dem Weg zu einer anderen Demokratie Direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung – jenseits von Stuttgart 21 Theo Schiller Direkte Demokratie – die mühsame Öffnung zum Volksentscheid . . . . . . . 199 Frank Decker Möglichkeiten und Grenzen der direkten Demokratie – das Beispiel Stuttgart 21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Arno Luik Essay: Zukunftsmodell Schlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Rainer Nübel Mitreden, streiten. Und zuhören ? Die Volksversammlung in Stuttgart: Beobachtungen und Anmerkungen zu einer neuen alten demokratischen Einrichtung . . . . . 229 Wolfgang Gessenharter Chancen und Grenzen von Bürgerbeteiligungen – Theorie und Praxis Probleme heutiger politischer Kultur und Bürgerbeteiligung . . . . . . . . . 237 Ein neuer Dialog zwischen Bürger und Politik Hans J. Kleinsteuber (†) und Kathrin Voss abgeordnetenwatch.de – Bürger fragen, Politiker antworten . . . . . . . . . 249 Günter Metzges Politik im Netz der Jedermann-Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Nicolle Pfaff Demokratie lernen ? Jugend zwischen Politikverdrossenheit und Protest . . . 269 Anne Seifert und Franziska Nagy Demokratie-Lernen an der Schule Service-Learning – Lernen durch Engagement als demokratiepädagogische Unterrichtsmethode . . . . . . . . . . . . . . 287 8 Inhalt Gisela Erler E-Partizipation: Bürgerbeteiligung für Baden-Württemberg – Wie wir die Politik öffnen können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Christine Arbogast und Vinzenz Huzel „Man kann die Politik richtig fühlen“ – Erfahrungen mit dem Planspiel Kommunalpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung in Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . 309 Nachwort und Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Autoren und Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Die verstimmte Demokratie – Perspektiven auf gestern, heute und morgen Stephan Braun und Alexander Geisler „Und jetzt scheiß ich auf eure Demokratie, ich glaub so ungerecht wie heut- zutage war sie noch nie. Ich scheiß auf Diäten mit Jojo-Effekt, ihr wollt auf’s Volk scheißen und denkt ihr werdet sauber geleckt, wem’s schmeckt. Ich hab kein Bock auf eure ungerechten Steuern, genauso gut könnt ich mein Geld im Backofen verfeuern.“ Xavier Naidoo: Abgrund, Telegramm für X, 2005. Kurz vor Weihnachten 2011 wurde der Mannheimer Musiker Xavier Naidoo, bekannt als Solokünstler und Mitglied der Popgruppe „Söhne Mannheims“, in seiner Heimatstadt mit der Hans-Lenz-Medaille geehrt, vergeben von der öffentlich eher unauffälligen Bun- desvereinigung Deutscher Orchesterverbände (BDO). Das Medienecho war zumindest regional beachtlich, selbst wenn der Geehrte zugeben musste, erst durch die Verleihung erfahren zu haben, dass es überhaupt einen solchen Verband gibt.1 Ihren Namen verdankt die Auszeichnung dem dritten Präsidenten der BDO, der als liberaler Spitzenpolitiker unter anderem Bundesminister für wissenschaftliche For- schung im Kabinett des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer war. Die Laudatio übernahm der FDP-Bundestagsabgeordnete Ernst Burgbacher, seit 2009 parlamenta- rischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie und seines Zeichens Präsident des BDO. „Es steht fest, dass sein musikalisches Schaffen unzählige junge Menschen verschie- denster Herkunft darin bestärkt hat, Musik als Ausdrucksform zu nutzen“2, würdigte Burgbacher die Verdienste Naidoos. Offen ist, ob er dabei an Zeilen wie diese dachte, die Naidoo noch wenige Jahre zuvor in Musik gefasst hatte: „Mit der Fernbedienung in der Hand, sehn wir euren Untergang, das Leichentuch ist aufge- spannt, das ganze Land blickt ganz gebannt auf die Damen und Herren in schwarz und ich sage euch das war’s und jetzt brauchen wir ihn auch nicht mehr den MdB aus Glas.“3 Diese Anekdote veranschaulicht eine ganze Reihe von Aspekten, denen sich der vor- liegende Sammelband widmet. Einerseits illustriert sie die enge wechselseitige Ver- flechtung von Politik, Verbandswesen, Kulturszene und Bürgergesellschaft, der sich selbst diejenigen kaum entziehen können, die sich als scharfe Kritiker der so genann- ten „politischen Klasse“ zu profilieren suchen. Zweitens erlaubt sie einen Einblick in S. Braun, A. Geisler (Hrsg.), Die verstimmte Demokratie, DOI 10.1007/978-3-531-19035-8_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012 10 Stephan Braun und Alexander Geisler die Aufmerksamkeitsmechanismen einer Öffentlichkeit, die primär über Massenmedien hergestellt wird, und zeigt, wie sich auf dieser Klaviatur spielen lässt, um journalistische Aufmerksamkeit auf politisches und gesellschaftliches Engagement zu lenken. Und drit- tens lenkt sie den Blick auf die – zumindest vormals – vehement postulierte Distanz eines gesellschaftl ichen Vorbilds gegenüber der Demokratie beziehungsweise der Art und Weise, wie sie in Deutschland funktioniert. 1 Ein Blick zurück: Die Demokratiekrise als Dauerzustand ? Diagnosen die andeuten, dass in der deutschen Gesellschaft einiges im Argen liegt, wenn es um die Demokratie und ihre Repräsentanten geht, sind keineswegs neu. Im Gegen- teil: „Die Klage über politische Parteien und Eliten, die Warnung vor der Entfremdung der Bürger von den demokratischen Institutionen gehört in modernen Konsumenten- demokratien seit langem zum festen Bestand des öffentlichen politischen Diskurses.“4 Das gilt sogar für die Demokratie im Allgemeinen, deren Historie sich durchaus als „Geschichte ihrer Krisen“5 lesen lässt. Im Rückblick genießt sie erst seit dem vergangenen Jahrhundert jenes überwiegend positive Image, das ihr in den westlichen Industrielän- dern gegenwärtig attestiert wird: „Der großen Mehrheit der Philosophen, Staatswissenschaftler und Politiker galt die Demo- kratie lange als eine schlechte Staatsform, als wankelmütige „Pöbelherrschaft“, bestenfalls als eine Ordnung, die nur im Rahmen kleiner Gemeinwesen zu verwirklichen sei und – wenn überhaupt – nur akzeptabel wurde, wenn sie mit Elementen anderer Staatsformen, insbe- sondere der Monarchie, Aristokratie oder Oligarchie vermischt und hierdurch gemäßigt wurde.“6 Dieses eher skeptische Bild wurde erst im Zuge der Durchsetzung des Verfassungsstaa- tes und der Entstehung moderner Massendemokratien in ein optimistischeres Licht ge- rückt, sodass von einer weitgehenden Anerkennung demokratischer Herrschaftsformen nicht vor dem 20. Jahrhundert die Rede sein kann.7 Gerade in Deutschland kann die die Demokratie keineswegs auf eine lange Zeit unangefochtener Vorherrschaft zurück- blicken, wie auch der Historiker Paul Nolte betont: „Im vergangenen Jahrzehnt ist eine neue Debatte über die Demokratie entbrannt, die grund- sätzliche Fragen an die Zukunftsfähigkeit demokratischer Regierungsformen aufgeworfen hat, ihrer Institutionen wie der Parteien und Parlamente ebenso wie des tieferen Fundaments von demokratischer Gesellschaft und Kultur. In Deutschland war die Demokratie lange Zeit nicht selbstverständlich: Die Weimarer Republik ist gescheitert, auch an einem Mangel an demokratischer Gesinnung, die nach 1945 in der jungen Bundesrepublik erst gelernt wer- den musste, zumal von den Eliten und den bürgerlichen Schichten. Die DDR versuchte bis

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