Die ungleiche Gleichheit Geschlecht und Gesellschaft Herausgegeben von lIse Lenz Michiko Mae Sigrid Metz-Gockel Ursula Muller Marlene Stein-Hilbers Band 14 Mechtild Oechsle Birgit Geissler (Hrsg.) Die ungleiche Gleichheit Junge Frauen und der Wandel im GeschlechterverhaItnis Leske + Budrich, Opladen 1998 Gedruckt auf siiurefreiem und altersbestiindigem Papier. ISBN 978-3-8100-2156-4 ISBN 978-3-322-95081-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-95081-9 © 1998 Leske + Budrich. Opladen Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtIich geschUtzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzuliissig und stratbar. Das gilt insbesondere fUr Vervielfaltigungen. Dbersetzungen. Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt Mechtild OechslelBirgit Geissler Die ungleiche Gleichheit. Zur widerspriichlichen Modemisierung weiblicher Lebensfiihrung ..... ... ....... .... ... ..... .... ............... ... ... ... .......... 9 I. Widerspriichliche Lernprozesse in Kindheit und Adoleszenz Carol Hagemann-White Identitat - Beruf - Geschlecht...... ... ...... ..... .... .... ..... ... ....... ... ... ....... ... 27 Karin Flaake Weibliche Adoleszenz - Neue M6glichkeiten, alte Fallen? Widerspriiche und Ambivalenzen in der Lebenssituation und den Orientierungen junger Frauen ............................................................ 43 Doris Lemmermohle Geschlechter(un)gleichheiten und Schule.......................................... 67 Marlies Hempel Lebensentwiirfe von Madchen und Jungen in Ostdeutschland .......... 87 II. Berufsarbeit und Familie: Dilemma oder gelungene Konstruktion? Birgit Geissler Hierarchie und Differenz. Die (Un-)Vereinbarkeit von Farnilie und Beruf und die soziale Konstruktion der Geschlechterhierarchie im Beruf ..... ...... ..... ..... ..... ..... ....... ..... ... ... ... ... 109 Angelika TOike Beruflich erfolgreich durch Ehe und Familie? Der Zusarnmenhang von Lebensform und Berufskarriere ............................................ ".... 131 6 Irene Dolling Transformation und Biographien: "Selbstverstiindlichkeiten" im biographischen Konzeptjunger ostdeutscher Frauen ........................ 151 m. ,Weibliche' uod ,minnliche' Leitbilder uod Strategieo der Lebensfiihruog Angelika DiezingerlMaria S. Rerrich Die Modemisierung der Fiirsorglichkeit in der alltllglichen Lebensfiihrungjunger Frauen: Neuerfindung des Altbekannten?...... 165 Mechtild Oechsle Ungeloste Widerspriiche: Leitbilder fiir die Lebensfiihrung von Frauen ............................................................................................... 185 Carmen Leccardi Biographische Zeitperspektive und Lebensplanung junger Frauen................................................................................................ 201 Norbert F. Schneidermarald Rost Von Wandel keine Spur - warum ist Erziehungsurlaub weiblich?... 217 Michael Meuser Gefahrdete Sicherheiten und pragmatische Arrangements. Lebenszusammenhange und Orientierungsmuster junger Manner..... 237 IV. Perspektiveo Sigrid Metz-Gockel Mikropolitik in den Geschlechterbeziehungen: Selbstvertrauen, Anerkennung und Entwertung ................ ................ ........................... 259 Hinweise zu den Autor/innen............ ........ .......... ...... ........ ................. 281 Danksagung Die Beitrage dieses Bandes gehen mehrheitlich aufVortrage zuruck, die bei der Tagung ,,Junge Frauen heute -Zur widerspriichlichen Modernisierung der weib lichen LebensfUhrung" gehalten worden sind, die wir vom 23. bis 25. Januar 1997 im Zentrum ffir interdisziplinare Forschung (ZiF) an der Universitat Biele feld durchgefUhrt haben. Ais Veranstalterinnen danken wir allen Referentinnen und allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung fUr die interessanten Beitrage und ffir die anregen de und lebhafte Diskussion, von der auch dieser Band profitiert hat. Unser Dank gilt auch dem Zentrum ffir interdisziplinare Forschung der Universitat Bielefeld, das die DurchfUhrung der Tagung durch seine finanzielle Forderung und durch die Bereitstellung eines angenehmen und anregenden Tagungsortes ermoglicht hat. Dem Graduiertenkolleg ,Geschlechterverhaltnis und sozialer Wandel' der Universitaten Dortmund, Bochum und Bielefeld danken wir fUr Beteiligung und organisatorische Unterstiitzung. Fur die kompetente organisatorische Betreuung bedanken wir uns insbesondere bei Frau Valentin vom ZiF. Danken m6chten wir auch Silke Arndt, Anke Meyer und Christina Haaf fur die umsichtige Vor- und Nachbereitung und die Unter stutzung wahrend der Tagung und fur die muhsame Arbeit des Lay-out. Bremen und Bielefeld, im Juli 1998 Birgit Geissler Mechtild Oechsle Mechtild OechsleIBirgit Geissler Die ungleiche Gleichheit. Zur widersprtichlichen Modemisierung weiblicher Lebensftihrung I. Mit gro8er Selbstverstandlichkeit beanspruchen Madchen und junge Frauen heute Gleichheit mit ihren Brtidern, Freunden und Kollegen. Die Grenzen der Freiheit, die wirtschaftlichen, sozialen und 6kologischen Risiken der nachin dustriellen Gesellschaft scheinen die junge Generation als ganze zu treffen, nicht das eine Geschlecht mehr als das andere. Ein Blick auf die Lebensrealitlit junger Erwachsener zeigt: in der Lebensphase vor der Familiengrtindung sind im Geschlechterverhaltnis eher Gemeinsarnkeiten als Unterschiede festzustellen. Dennoch treffen verdeckte oder offene Benachteiligungen im Bildungswesen und im Arbeitsmarkt und Ungleichheiten in der Partnerbeziehung auch die junge Frauengeneration. Die ,Selbstverstandlichkeit' der Gleichheit hat Grenzen, - dies zeigen die Beitrage in diesem Band fiir die verschiedensten Lebensbereiche. Mit we1chen Aussagen tiber das Geschlechterverhliltnis kommen wir den Erfahrungen junger Frauen am Ende der 90er Jahre am nachsten? We1che gemeinsamen theoretischen Konzepte sind flir Frauen in West- und in Ost deutschland zu entwickeln? Werden die Lebenslage und die Orientierungen von Frauen und Mannern immer ,gleicher', oder ist die Gleichheit - deren Legiti mitat niemand mehr Offentlich in Frage zu stellen wagt - doch im Kern eine ,ungleiche', wie unser Titel suggeriert? Wir haben bewu8t dieses Paradoxon formuliert, urn das Nebeneinander von Gleichheits- und Ungleichheitserfah rungen, die Gegenlaufigkeit von zunehmender Gleichheit und (wieder) ver festigter Ungleichheit zu thematisieren. Mit Gleichheit und Ungleichheit im Geschlechterverhiiltnis ist eine funda mentale Richtungsentscheidung der gesellschaftlichen Entwicklung thematisiert: wie Frauen und Manner in Zukunft leben werden, we1che Gestalt die Familie und welche Strukturen die Arbeitsteilung haben wird, wie die Geschlechter hierarchie zu tiberwinden ist. Dabei geht es zugleich urn den MaBstab der Gleichheit, urn die Bestimmung von Mannlichkeit und Weiblichkeit, urn den gesellschaftlichen ,Ort' der Geschlechter, urn die Grenzen des Offentlichen und Privaten. Diese Fragen werden auf der einen Seite mit der Strategie der radikalen Gleichheit beantwortet; diese Strategie will die volle Teilhabe der Frauen an 10 Die ungleiche Gleichheit Erwerbsarbeit und Einkommen. Auf der anderen Seite werden der Arbeitsbegriff und die Lebensfonnen kritisiert, die dieser Gleichheitsstrategie letztlich zugrun deliegen. Der Kritik geht es urn einen Wandel im Geschlechterverhiiltnis, der beide Geschlechter einbezieht und der zu einem erweiterten Arbeitsbegriff fiihrt, der auch die unbezahlte Arbeit - vor allem die Sorge fUr andere - enthiilt. Die Debatte dariiber ist heute aktueller denn je; die Fragen werden nicht nur wissenschaftlich und politisch diskutiert, sondern (fast) aIle Frauen stellen sie sich individuell in der Zeit, in der sie die Entscheidungen tiber Ausbildung und Beruf, tiber die Partnerbindung und Familiengriindung treffen. Denn in diesen biographischenEntscheidungen ebenso wie im aIIUiglichen Leben werden die scheinbar abstrakten Fragen subjektiv iiuBerst relevant. Fiir aIle Frauen ist die Frage wichtig: wie kann Gleichheit im gesellschaftlichen Geschlechterverhiiltnis, im Beruf, in der Partnerbeziehung aussehen, wenn doch zugleich die "Verortung in der Zweigeschlechtlichkeit" (Hagemann-White in diesem Band) gelingen solI, es urn Weiblichkeit, Mutterschaft und urn das Verhaltnis zu Kindem geht. Das gilt fUr Ost und West, auch wenn in der DDR bzw. den neuen Bundesliindern sich das Geschlechterverhaltnis in anderer Weise aIs in Westdeutschland ent wickelt hat; Anspruche an Gleichheit im Erwerbsleben und an Partnerschaft lichkeit sind dort starker ausgepriigt und konnen von den jungen ostdeutschen Frauen eher als von den westdeutschen auch als ,Erbe der Mtitter' verstanden werden. Junge Frauen (in Westdeutschland) gehen in ihrem biographischen Handeln nicht nur davon aus, als selbstandige Wesen akzeptiert zu sein; sie gehen auch davon aus, im Rahmen ihres sozialen Kontextes Handlungsfreiheit zu haben, also nicht mehr an tiberkommene Geschlechtsrollen gebunden zu sein. Diese Freiheit scheint ihnen durch den gesellschaftlichen ProzeB der Pluralisierung von Lebensfonnen und der kulturellen Liberalisierung verbiirgt. Dieser ProzeB steht seinerseits in Wechselbeziehung mit dem Handeln von Frauen (und Miinnem) in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik, insbesondere mit der sozialen und okonomischen Verselbstiindigung der Frauen. Anders noch aIs ihre Mtitter haben junge Frauen der 90er Jahre mehrere biographische Optionen (das gilt wiederum fUr Ost wie West); die individuellen Lebensentwiirfe und kulturellen Leitbilder reflektieren die Erosion nonnativer Vorgaben und subjektiver "Selbst verstandlichkeiten" (Dolling in diesem Band) tiber Lebensweise und Lebenslauf. Eine Ehe wird heute tiberwiegend erst im Zusammenhang mit der Familien griindung geplant; der Kinderwunsch und die Unterbrechung der Berufsilitigkeit, sobaId Kinder zu versorgen sind, sind zum Gegenstand individueller Entschei dung geworden. In ihrer Mehrheit gehen junge Frauen weiterhin davon aus, daB sie Kinder haben werden; damit ist jedoch weniger als Wher tiber die Arbeits teilung und Lebensfiihrung in der Familie entschieden. Es ist fUr Frauen moglich und notwendig geworden, ftir verschiedene Lebensbereiche jeweils eigene bio graphische Ziele zu entwerfen und sich mit alternativen Optionen auseinan derzusetzen. Zugleich gehen mit der Zunahme von Handlungsspielraumen neue M. OechslelB. Geissler 11 Risiken der sozialen Ausgrenzung und Verannung und der subjektiven Desorien tierung einher. Die Auflosung biographischer Vorgaben und Lebenslauf-Modelle macht eine aktive Gestaltung von Gegenwart und Zukunft notwendig. In der empiri schen Studie, die wir im Sonderforschungsbereich 186' an der Universitat Bremen durchgefiihrt haben, verwenden wir dafiir den Begriff der Lebenspla nung. "In der modernen Gesellschaft wird yom Individuum verlangt, das eigene Leben als Lebenslauf, das heiBt in der diachronen Zeitperspektive, zu organi sieren, Statuspassagen zu bewaltigen und das Verhaltnis von Berufund Privat leben zu bestirnmen. Mit Lebenplanung benennen wir die ,Tatigkeit' jedes und jeder Einzelnen, diese Anforderung zu reflektieren und in Auseinandersetzung mit den auBeren Bedingungen, mit Geschlechterstereotypen, Rollen und Leitbil dern, Altersnormen, Familienmodellen etc. handlungsleitende Orientierungen auszubilden. So wird ein Lebenslauf - entweder entlang eines 'gegebenen', institutionalisierten Lebenslauf-Modells oder in der Konstruktion eines neuen - antizipiert und im biographischen Handeln gestaltet. Dies kann selbstver standlich nicht heiBen, einen einmal gefaBten ,Lebensplan' schematisch zu ver folgen - und moglicherweise zu verfehlen, sondern Lebensplanung ist als ein ProzeB zu verstehen, der durch innere und auBere Veranderungen, durch Lern prozesse, durch den Zeitablauf selbst getragen und modifiziert wird." (Geiss ler/Oechsle 1996: 13) Der weibliche Lebenszusarnmenhang ist in Westdeutschland in den letzten lahren in vielen sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen empirisch untersucht und mit neuen theoretischen Ansatzen interpretiert worden. Hier ist zu denken an Studien zur Verlangerung der Adoleszenz, zur Bildungs- und Erwerbsbeteiligung junger Frauen, zur Koedukation und zum Technikver standnis, zum spezifischen Verhaltnis gegentiber Politik und Offentlichkeit, zu neuen Leitbildern, die Ausbildung und Berufsleben von Frauen sowie das Familienleben betreffen, zu sUbjektiven Lebensentwiirfen und neuen Mustern des Lebenslaufes. Auch zu Lebenslagen und Lebensfiihrung von Frauen in den neuen Bundeslandern gibt es inzwischen eine Reihe von Publikationen. Eine Langsschnitt-Studie des Deutschen lugendinstituts hat die Lebenszusarnmen hange von Frauen in Ost-und Westdeutschland vergleichend untersucht'. Mit welchen theoretischen Konzepten sind die Ausdifferenzierung der Lebenslage und Lebensfiihrung von Frauen sowie die weitergehenden gesell schaftlichen Folgen der Veranderung im Geschlechterverhaltnis zu fassen? Wir Der SFB "Statuspassagen und Risikolagen im Lebensverlauf " ist 1988 eingerichtet worden; das Projekt zur ,,Lebensplanung junger Frauen" wurde zwischen 1989 und 1993 durchgefiihrt. 2 Wiihrend der Tagung wurden Ergebnisse dieses Projekts vorgetragen; wegen der Oberlastung der Projektmitarbeiterinnen in der Abschlu6phase des Projektes konnte leider keine Druckfassung des Vortrags erstellt werden. Eine zusamrnenfassende Publikation der Ergebnisse (8. Keddi u.a.: Lebensthemen junger Frauen) erscheint 1999.
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