G. Rörig ∙ A. Binz Die tierischen Rohstoffe und ihre Veredlung Die Rohstoffe des Wirtschaftsgebietes zwischen Nordsee und Persischem Golf Herausgegeben von Prof. Dr. F\. Binz I. Die tierischen Rohstoffe und ihre Veredlung Von G. Rörig f\. Binz und Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1916 F\lle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-663-19877-2 ISBN 978-3-663-20217-2 ( eBook) DOI 10.1007/978-3-663-20217-2 Copyright, 1916, by Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig, Germany 1916. Softcoverreprint of the bardeover 1st edition 1916 Vorwort Europa bezog bis zu der Zeit um 1500 seine Rohstoffe teils aus eigenem Boden, teils aus V Orderasien vermittelst der von Phöniziern, Griechen, Römern, Byzantinern, Italienern und Kreuz fahrern eröffneten Handelswege. Eine Änderung erfolgte durch die Entdeckung Amerikas, des Seeweges nach Ostindien und den dadurch hervorgerufenen Zwischenhandel der Portugiesen, Holländer und Engländer. Der alte Warenzug von Osten nach Westen verlor allmählich an Bedeutung, und dafür ergoß sich ein Strom von Gütern aus der Neuen Welt und aus anderen über seeischen Ländern nach Europa, der immer mehr anschwoll. Auf dem Wege über den Atlantischen Ozean kamen im Jahre 1913 nach Deutschland rund 59 vom Hundert der gesamten Einfuhr. Durch den Krieg ist dieser Import zum Stillstand gekommen, dagegen hat sich das alte Wirtschaftsgebiet wieder zusammen geschlossen, wie es vor 1500 und zum Teil noch lange nachher bestand, und man fragt sich, inwieweit seine Neubelebung unsere Abhängigkeit von überseeischer Zufuhr vermindern wird. Zwar kann man dabei nicht die Vergangenheit zum Vergleich heran ziehen und aus der Menge dessen, was in früheren Jahrhunderten aus dem Orient eingeführt oder in Europa gefördert wurde, einen Rückschluß auf den Wert einer. derartigen Versorgung in unserer Zeit ziehen, denn der Masse nach war jener Bedarf im Vergleich mit dem heutigen gering. Auf der anderen Seite aber ist zu bedenken, daß Bergbau und Landwirtschaft in erschöpfender Weise auf dem Balkan und in der Türkei noch nicht betrieben worden sind, so daß sich nicht absehen läßt, was die Erde dort noch hergeben kann. Ja sogar auf dem scheinbar so durch gearbeiteten Boden Deutschlands, Österreichs und Ungarns hat die durch den Krieg geschaffene Notwendigkeit ausgiebigster Bewirtschaftung Möglichkeiten eröffnet, an die man früher kaum gedacht hat. Dazu kommt noch, daß die verbündeten mittel europäischen Mächte wertvolle feindliche Landteile erobert haben, IV Vorwort. die, falls sie bei Friedensschluß unserem Einflußgebiet ange gliedert bleiben, unsere Vorräte wesentlich vermehren werden. Die Hoffnung ist also nicht unbegründet, es werde sich die über den Ozean kommende Zufuhr trotz ihrer Größe in bemerk barer Weise verringern lassen, wenn nur das, was wir an Roh stoffen brauchen, in dem Wirtschaftsgebiet zwischen Nordsee und Persischem Golf bereits vorhanden ist oder nach Klima und Boden beschaffenheit erzeugt werden kann. Darüber eine naturwissen schaftliche und, soweit als möglich, auch statistische Bestandauf nahme zu geben, ist die Aufgabe dieses Buches. Es handelt also in erster Linie von der Versorgung des genannten Wirtschafts gebietes mit Rohstoffen aus denjenigen Naturschätzen, die dem Gebiete selber entnommen werden können. Zum Vergleich sind Hinweise darauf hinzugefügt, was in Friedenszeiten aus anderen Ländern zu kommen pflegte. In drei kleinen Bänden, deren erster jetzt vorliegt, werden die tierischen, die pflanzlichen und die mineralischen Rohstoffe behandelt. In jedem Bande weist ein Schlußkapitel auf die technischen Verwendungen der Roh stoffe hin. Es soll das eine Orientierung für diejenigen sein, welche die Beziehungen zwischen Rohstoffen und Industrie suchen. Das Buch wendet sich an unsere leitenden Männer, an Politiker, Verwaltungsbeamte, Bankleute, Kaufleute, Landwirte, Volkswirtschaftler, Chemiker, Ingenieure, kurz an alle diejenigen, denen die wirtschaftliche Zukunft der Zentralmächte und ihrer Verbündeten am Herzen liegt. Das Zusammenarbeiten der Verfasser fällt in die Zeit nach den entscheidenden Ereignissen auf dem belgischen, dem russischen und dem serbischen Kriegsschauplatz. Die in dieser Periode besetzten Gebiete sind darum in die Betrachtung mit einbegriffen. Um das statistische Material einheitlich zu gestalten, war es not wendig, auf das Jahr 1912 zurückzugehen, da spätere Zahlen nicht für alle Länder vorhanden sind. Die den Balkan betreffenden Zahlen mußten darum auf die damaligen politischen Abgren zungen bezogen werden. Berlin, im Februar 1916. A. Binz. Inhaltsverzeichnis. A. Die tierischen Rohstoffe. Seite Einleitung . . . . . 1 I. Deutschland . 3 1. Pferdezucht s. - 2. Rindviehzucht 10. - J. Molkereiwesen 20. - 4. Der Handel mit Fellen und Häuten 23. - s. Ziegenzucht 24. - 6. Schafzucht 29. - 7. Schweinezucht 36. - 8. Geflügelzucht 39. - 9· Bienenzucht 43· - 10. Wildstand 46. - 11. Fischerei so. II. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . 52 1. Pferdezucht 54. - 2. Rindviehzucht 58. - J. Ziegenzucht 63. - s. 4. Schafzucht 63. - Schweinezucht 66. - 6. Geflügelzucht 70. - 7. Bienenzucht 71.- 8. Seidenraupenzucht 73.- 9. Wildstand 74.- 10. Fischerei 76. III. Ungarn. . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1. Pferdezucht 78. - 2. Rindviehzucht 81.- 3. Molkereiwesen 84.- 4. Rohhäute 86. - s. Ziegenzucht 87. - 6. Schafzucht 87. - 7. Schweine zucht 91.- 8. Geflügelzucht 93·-9. Bienenzucht 95.- 10. Seiden raupenzucht 96. - 11. Wildstand 97. - 12. Fischerei 98. IV. B-elgien . . . . . . . . . . . . . · . . . . · . · . . . . . . 99 1. Pferdezucht 100. - 2. Rindviehzucht 104.-3. Molkereiwesen 108. - 4- Ziegenzucht 109.- s. Schafzucht 111. - 6. Schweinezucht 112.- 7. Kaninchenzucht 114.-8. Geflügelzucht 115.-9. Bienenzucht 117.- 10. Wildstand 119. - 11. Fischerei 120. V. Rußland. Die an Deutschland und Österreich-Ungarn angrenzenden russischen Gouvernements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Pferdezucht 122. - 2. Rindviehzucht 124. - 3. Schaf- und Ziegen zucht 127. - 4. Schweinezucht 129. - s. Geflügelzucht 131. VI. Serbien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . 132 1. Pferdezucht 133.- 2. Rindviehzucht 134. - 3. Schaf- und Ziegen zucht 135. - 4· Schweinezucht 137. - s. Geflügelzucht 139. - 6. Bienenzucht 140.-7. Seidenraupenzucht 141.-8. Wildstand 142.- 9. Fischerei 142. VII. Bulgarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Pferdezucht 144.-2. Rindviehzucht 146.- 3· Ziegenzucht ISO.- s. 4. Schafzucht 151. - Schweinezucht 153.-6. Geflügelzucht 154. - 7. Bienenzucht 156.-8. Seidenraupenzucht 156.- 9. Wildstand 157.- 10. Fischerei 157. . VI Inhaltsverzeichnis. Seite VIII. Die Türkei 158 A. Die Tierhaltung und .Erzeugung tierischer Rohstoffe in dem europäischen und kleinasiatischen Teile des türkischen Reiches . . . 161 1. Pferdezucht 161. - z. Rindviehzucht 165.-3· Kamelhaltung 171. - 4. Ziegenzucht 173. - 5. Schafzucht 176. - 6. Schweinezucht 18o. - 7. Geflügelzucht 181. - 8. Bienenzucht 184. - 9· Seidenraupen zucht 185. - 10. Wildstand 189. - 11. Fischerei 190. B. Die Tierhaltung und Erzeugung tierischer Rohstoffe in den südwest- lichen asiatischen Gebieten des türkischen Reiches 195 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 B. Die Veredlung der tierischen Rohstoffe. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . zos Die Bedeutung der tierischen Rohstoffe für die Industrie • . . . zos I. Die Verarbeitung tierischer Stoffe zu Nähr- und Heilzwecken . 207 Dauerwaren. - Milch, Butter, Käse, Kondensmilch, Milchpulver. - Margarine. - Fleischextrakt. - Eiweiflpräparate. - Fleischpeptone. - Adrenalin, Pepsin, Jodothyrin, Heilsera. II. Verarbeitung tierischer Abfallstoffe . . . . . . . . . . . . . . . ZlZ Blutalbumin, Blutpulver. - Därme, Hörner (Galalith), Rofl- und Kuhhaar. Klauen, KlauenöL Knochen, Knochenfett, Knochenkohle. Leim, Gelatine, Hausenblase.-Fleischvernichtungs-u. -Verwertungs anstalten: Tierkörpermehl, Dungpulver, Leimgallerte, Torfleim dünger.- Fettverwertung: Kernseife, Schmierseife, Stearin, Kerzen, Glyzerin, Nitroglyzerin. - Wachs, Walrat. lll. Die tierischen Rohstoffe in den Bekleidungs-und verwandten Industrien z 16 Ledererzeugung. - Pelzwaren. - Hutfabrikation. - Spinn- und W ebindustrie. W ollschweifl, W ollwäscherei, Lanolin. Merino- und Kreuzzuchtwolle. Gerberwolle. Sterblingswolle. Streichgarn. Kamm garn. Kunstwolle. - Seide. Schappe- oder Florettseide. Bourette seide. Tussah. Künstliche Seide. - Angorawolle. F\. Die tierischen Rohstoffe Von G. Rörig Prof. Dr. Geh. Regierungsrat Einleitung. Die Voraussetzung für die Erzeugung oder Gewinnung tie rischer Rohstoffe ist das Vorhandensein von Tieren; das Mittel dazu bildet die Tierzucht und der Tierfang. Dieser dient der Gewinnung der nicht in unserem unmittelbaren Besitze befind lichen Tiere oder ihrer Erzeugnisse durch Ausübung der Jagd· oder Fischerei, jene bezweckt, durch Zucht und Pflege der Haustiere Rohstoffe zu erzeugen. Da in allen Kulturländern die Erzeugung tierischer Rohstoffe weitaus das Übergewicht über die Gewinnung besitzt, ist der Tierzucht zur Erreichung des gedachten Zweckes die wichtigste Aufgabe zugefallen. Die Tierzucht bildet einen Zweig der Landwirtschaft und ist um so inniger mit dem anderen Zweige, dem Pflanzenbau, verbunden, je intensiver der Betrieb geführt wird, d. h. je mehr man auf die Wechselbeziehungen zwischen Kulturpflanze und Haustier Rücksicht nimmt. In diesem Falle ist ständig ein Teil der Kulturfläche, wozu auch das gepflegte Wiesenland gehört, durch Anbau von Futterpflanzen für die Haustiere in Anspruch genommen, die davon während des ganzen oder wenigstens während des größten Teiles des Jahres ernährt werden und dafür wieder in ihrem Dünger für die Zufuhr der dem Boden entnommenen Nährstoffe sorgen. Bei diesem Wechselverhältnis, bei dem auch die Anwendung künstlicher Dünge- und Futter mittel am rentabelsten ist, steht die Tierhaltung in höchster Blüte, denn man vermag nicht nur jeder Art die für den Zweck am besten geeignete Nahrung zu geben, sondern auch die Zucht der ständig unter den Augen des Betriebsleiters stehenden Tiere in die richtigen Bahnen zu lenken. Hier findet eine dem Wachsen des Wohlstandes entsprechende, allmählich vor sich gehende Vermehrung des Bestandes statt, und in der ruhigen Ent wicklung liegt die Gewähr für die Sicherheit zukünftiger Erträge. Rohstoffe I. 1 2 Einleitung. Je mehr das Acker- und Wiesenland im Verhältnis zu dem -nicht besonders kultivierten - natürlichen Weideland zurück tritt, um so ungleichmäßiger gestaltet sich bei der zunehmenden Schwierigkeit, Futtervorräte zu sammeln, die Versorgung des Viehstandes in der rauben Jahreszeit, und um so extensiver wird die Viehhaltung, bei der die Hochwertigkeit des Materiales mehr und mehr schwindet und anspruchslose Arten und Rassen in den Vordergrund treten. Am extremsten werden die V er hältnisse dort, wo Viehzucht ganz ohne Zusammenhang mit Ackerbau getrieben wird. Hier steht nur spärliches Winterfutter, oft nur die kümmerlichen Strohabfälle der den Weideflächen benachbarten oder eingelagerten Feldoasen, zur Verfügung, das gerade ausreicht, um das Vieh vor dem Verhungern zu schützen, hier ist daher die Heimat des anspruchslosen, aber ausdauernden und widerstandsfähigen Viehes, hier aber auch der Ort, wo Sommerdürre und Seuchen die größten Massenverheerungen an richten können und wo sich die größten Schwankungen in den Bestandsziffern ergeben. Innerhalb des großen \Virtschaftsgebietes, dessen Rohstoff erzeugung in den folgenden Abschnitten behandelt werden soll, begegnen wir allen diesen großen, eben kurz angedeuteten Unter schieden in der Viehhaltung, wie sie teils durch Boden und Klima vorgeschrieben, teils durch die Entwicklung der Land wirtschaft bedingt sind. Um die Leistungen der einzelnen Länder und ihre Produktionsmöglichkeiten richtig beurteilen zu können, schien es deshalb nötig, wenigstens andeutungsweise ein Bild des gegenwärtigen Standes der Viehhaltung und Vieh zucht zu geben. Es wird sich dabei zeigen, daß die stärkste Erzeugung tierischer Rohstoffe mit intensivem Anbau landwirt schaftlicher Kulturpflanzen zusammenfällt, und daß ein Land, welches tierische Rohstoffe in großer Menge ausführt, nicht reicher daran sein muß, als das Land, welches sie aufnimmt. Länder mit durchweg gleichen Verhältnissen werden sich aber schwerer in der Befriedigung ihrer Bedürfnisse ergänzen, als verschieden ausgestattete, und deshalb scheint der neue Wirt schaftsverhand, dessen Grundelemente so weit voneinander ab weichen, unter einem besonders günstigen Sterne zu stehen.