Hrs. Jürgen Mackert Die Theorie sozialer Schließung Tradition, Analysen, Perspektiven JOrgen Mackert (Hrsg.) Die Theorie sozialer SchlieBung JUrgen Mackert (Hrsg.) Die Theorie sozialer SchlieBung Tradition, Analysen, Perspektiven Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH - Ill V$ VULAG FOR SOZIALWISSENSCHAFTEH 1. Auflage Juni 2004 Aile Rechte vorbehalten © Springer Fachmedien Wiesbaden 2004 Ursprünglich erschienin bei VS Verlag fur Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH Wiesbaden in 2004 Das werk einschlieBiich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne zustimmung des verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fUr vervielfaltigungen. Obersetzungen. Mikroverfilmungen und die Einspei cherung und verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen. Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden dl.irften. Umschlaggestaltung: Kl.inkellopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier ISBN 978-3-8100-3970-5 ISBN 978-3-663-07912-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-07912-5 Inhalt Vorwort .................................................................................................... 7 Jiirgen Mackert Die Theorie sozialer SchlieBung. Das analytische Potenzial einer Theorie mittlerer Reichweite ................. 9 I. Der schlieflungstheoretische Ansatz Frank Parkin Strategien sozialer SchlieBung und Klassenbildung ................................ 27 Frank Parkin Duale SchlieBung ..................................................................................... 45 Randall Collins SchlieBungsprozesse und die Konflikttheorie der Professionen 67 Raymond Murphy Die Struktur sozialer SchlieBung: Zur Kritik und Weiterentwicklung der Theorien von Weber, Collins and Parkin ........................................... 87 Raymond Murphy Die Rationalisierung von Exklusion und Monopolisierung ..................... 111 6 Inhalt II. Schlieflungstheoretische Analysen und Perspektiven Sighard Neckel Politische Ethnizitat. Das Beispiel der Vereinigten Staaten 133 Lore J.D. Wacquant Fortgeschrittene Marginalitat. Anmerkungen zu Wesen und Bedeutung eines neuen Phanomens .......... 155 June Edmunds, Bryan S. Turner Generationen und soziale Schliel3ung. Die britische Nachkriegsgeneration ......................................................... 177 Heinz Steinert Schliel3ung und Ausschliel3ung. Eine Typologie der Schliel3ungen und ihrer Folgen ................................ 193 Sylvia M. Wilz Fiir und wider einen weiten Begriffvon Schliel3ung. Oberlegungen zur Theorie sozialer Schliel3ung am Beispiel von Geschlechterungleichheiten ........ ....................... .. ........... .. .. 213 Phillip Brown Gibt es eine Globalisierung positionalen Wettbewerbs? ......................... 233 Jurgen Mackert Staatsbi.irgerschaft. Die sozialen Mechanismen interner SchlieBung ....... 257 Autoren und Autorinnen .......................................................................... 273 Vorwort Die Theorie sozialer SchlieBung hat in der deutschen Soziologie bisher keine systematische Beriicksichtigung erfahren. Allerdings stoBt in dem MaBe, in dem im Zuge tief greifender Umbriiche in modernen Gesellschaften alte und neue Kontliktlinien immer deutlicher werden, die neo-weberianische Schlie Bungstheorie auf wachsendes Interesse, denn im Zentrum schlieBungstheore tischer Analysen stehen soziale Auseinandersetzungen urn die Inklusion von Individuen in jegliche Art sozialer Systeme und die Exklusion von ihnen. Der ungleichheits-, kontlikt- und machttheoretische Ansatz richtet dabei das Au genmerk auf die in SchlieBungskiimpfen wirksamen sozialen Mechanismen und riickt so die Frage nach der politischen, okonomischen, sozialen und kulturellen Partizipation von lndividuen, das heiBt die Frage sozialer Integra tion in den Mittelpunkt. Der vorliegende Band dokumentiert erstmals Entwicklung und Stand der Theorie sozialer SchlieBung. Dabei erflillt er einen doppelten Zweck: Zum ei nen zeichnen die in Teil I versammelten Aufsiitze von Frank Parkin, Randall Collins und Raymond Murphy die Ausarbeitung des Weber'schen Ansatzes hin zur Theorie sozialer SchlieBung nach. Zum anderen versammelt Teil II aktuelle schlieBungstheoretische Analysen sowie Aufsiitze, die die Theorie sozialer SchlieBung weiterentwickeln und so deren tatsiichliches Analysepotenzial deutlich werden lassen. Dies gilt fur SchlieBungsprozesse innerhalb moderner Gesellschaften wie auch tiber nationalstaatliche Grenzen hinweg. Mein Dank gilt zuniichst den Autoren und Autorinnen, die durch ihre Kooperationsbereitschaft einen groBen Beitrag zur Entstehung des Bandes geleistet haben. Fiir Kommentare und kritische Anmerkungen zu einzelnen Texten und den Obersetzungen danke ich Cornelia Dorries, Beate Fietze, Sa bine Wagenblass, Michael Maschke, Hans-Peter Miiller, Jochen Steinbicker und Uwe Vormbusch. Ferner, und zusiitzlich flir die Unterstiitzung bei der redaktionellen Arbeit, Uta Kiihn, Eva Volpe!, II-Tschung Lim und Christian Schmidt-Wellenburg. Die in den Band aufgenommenen, an anderer Stelle be reits verOffentlichten Aufsiitze wurden redaktionell bearbeitet. Berlin, im Februar 2004 Jiirgen Mackert Jurgen Mackert Die Theorie sozialer SchlieBung. Das analytische Potenzial einer Theorie mittlerer Reichweite 1. Zum aktuellen Interesse an einer fast vergessenen Theorie Kaum ein theoretischer Ansatz dtirfte es in der Soziologie so schwer gehabt haben, Anerkennung zu finden, wie die Theorie sozialer SchlieBung. Max Weber hatte das Konzept ,offener" und ,geschlossener" Beziehungen - die Grundlage der Theorie sozialer SchlieBung - zwar an prominenter Stelle in den Grundbegriffen von ,Wirtschaft und Gesellschaft" ([ 1922] 1985) einge flihrt, es aber nicht we iter theoretisch ausgearbeitet. 1 Es mag an diesem Miss verhaltnis liegen, dass die Idee sozialer SchlieBung tiber Jahrzehnte in Ver gessenheit geriet, und so war nach fast einem halben Jahrhundert Neuwirths ( 1969) Analyse der Gemeinschaft in einem amerikanischen Ghetto die erste empirische Untersuchung, die sich auf den SchlieBungsansatz bezog.2 Doch erst mit den Arbeiten von Frank Parkin ( 1972; 1974; 1979)3, Randall Collins (1971; 1975; 1987)4 und Raymond Murphy (1984; 1986; 1988)5 wurde We bers Konzept zu einem theoretischen Ansatz erweitert (siehe deren Beitrage in Teil I dieses Bandes). Dieser Schritt erfolgte im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit der marxistischen Klassenanalyse der 1970er Jahre. Parkin war der Oberzeugung, dass eine Analyse der Schichtungsordnung moderner Gesellschaften erforderlich sei, die die unbefriedigende Verengung der Klassenanalyse auf die lnterklassenbeziehung zwischen Kapital und Ar beit sowohl durch lntraklassenbeziehungen als auch durch die Analyse jener Schichtungen erganzt, ,die in Zusammenhang mit der Zugehorigkeit zu rassi schen, ethnischen, religiosen und sprachlichen Gruppen (communities) ste hen" (Parkin 1983, 122). Ein erweiterter schlieBungstheoretischer Ansatz schien ihm dazu das geeignete Mittel zu sein. Weber diskutiert spater in Wirtschatt und Gesellschaft ( 1985, 20 Iff.; 420; 433) die SchlieBung von Wirtschaftsbeziehungen und Rechtsgenossenkreisen. 2 Siehe ftir eine aktuelle schlieBungstheoretische Analyse Achermann und Gass (2003). 3 Siehe zu Parkins Ansatz Rex (1992); Roth (1980); MacKenzie (1980); Wrong (1981); Barbalet ( 1982); Kreckel ( 1983; 1992) sowie die Diskussion zwischen Giddens (1980) und Parkin ( 1980). 4 Collins hat den Schlie13ungsansatz zwar nicht konzeptionell erweitert, mit seinen Ar beiten zu berutlicher Schliel3ung jedoch entscheidend zum Verstandnis von Schlie Bungsprozessen in modernen Gesellschaften beigetragen. 5 Vgl. zu Murphys Ansatz Cuneo ( 1989); Swartz ( 1990). 10 Jurgen Mackert Der ( wissenschafts-)historische Kontext, in dem der schlieBungstheoreti sche Ansatz erweitert wurde, macht zugleich die Widerstiinde deutlich, auf die die Theorie sozialer SchlieBung stieB, denn damals wie heute musste sie sich gegen ,grand theories" bzw. gegen die von ihnen abgeleiteten theoreti schen Ansiitze durchsetzen: wiihrend sie zuniichst zwischen der marxistischen Klassentheorie6 und der funktionalistischen Schichtungstheorie7 zerrieben zu werden drohte ( vgl. Murphy 1988, 14 ), beansprucht heute - zuma1 in der deutschen Soziologie- die Luhmann'sche Systemtheorie8 Definitionsgewalt tiber jene Begriffe, die beide Theorien als zentral erachten (vgl. Stichweh 1997). Die Theorie sozialer SchlieBung zeigt sich jedoch beeindruckend wi derstiindig: weder hat sie das Schicksal der Bedeutungslosigkeit ereilt, wie es sowohl der funktionalistischen Schichtungstheorie wie auch der marxisti schen Klassentheorie widerfahren ist, noch beugt sie sich der Dominanz der Theorie funktionaler Differenzierung - als neo-weberianischer handlungs theoretischer Ansatz bietet sie vielmehr eine klare Alternative zur System theorie. Sicher, die Weiterentwicklung des Weber'schen Ansatzes, die mit den in Teil I abgedruckten Beitriigen dokumentiert wird, blieb zuniichst an den skiz zierten ( wissenschafts-)historischen Kontext gebunden und rich tete deshalb das Interesse vor allem auf SchlieBungsprozesse in der Okonomie. Es ist des halb kein Zufall, dass die wenigen schlieBungstheoretischen Arbeiten in den spiiten 1980er Jahren auf die okonomische Sphiire begrenzt blieben. So etwa auf den Arbeitsmarkt (Windolf und Hohn 1984 ), das Verhiiltnis von Klasse und Geschlecht (Cyba und Balog 1989; Balog und Cyba 1990) sowie ge schlechtsspezifische SchlieBung am Arbeitsplatz (Cyba 1985). Und noch heute, in der breiten Debatte urn Exklusion, gilt die Theorie sozialer Schlie Bung als ein Ansatz, der ausschlieBlich der Analyse einer Maximierung oko nomischer Chancen durch soziale Akteure dient und deshalb auf die Mono polisierung okonomischer Gtiter beschriinkt bleibt (Silver 1994; zu einer Dis kussion des Verhiiltnisses von ,social exclusion" und ,SchlieBung" siehe Steinert i.d.B.).9 Genau diese Beschriinkung hat tiber lange Zeit verhindert, dass das tat siichliche Analysepotenzial der Theorie sozialer SchlieBung zur Kenntnis ge nommen wurde. Nur dann, so meine These, wenn sie sowohl von der Be grenzung auf die Maximierung okonomischer Chancen befreit als auch aus ihrem (wissenschafts-)historischen Entstehungskontext herausgel6st wird, zeigt sich, dass die Theorie sozialer SchlieBung keineswegs auf die Analyse okonomischer Auseinandersetzungen beschriinkt bleiben muss. Sie ist viel mehr eine Theorie mittlerer Reichweite10, und als solche hat sie zwei zentrale 6 Vgl. Carchedi (1977); Poulantzas (1978); Wright (1979). 7 Siehe dazu Davis und Moore ( 1945); Parsons ( 1953 ); Blau und Duncan ( 1967). 8 Luhmann ( 1994); Stichweh ( 1997); zur Kritik siehe Kronauer (2002); Steinert (2003 ). 9 V gl. allgemein hierzu Bader und Benschop ( 1989). I 0 Mit dieser These wird keineswegs behauptet, dass sie von allen Autoren und Autorin nen dieses Bandes geteilt wird. Zu sehr unterschiedlichen lnterpretationen des We- Die Theorie sozialer SchliejJung 11 Starken: zum einen ist sie allgemein genug, urn auf sehr unterschiedliche Ty pen sozialer Schliel3ung in Gesellschaften angewandt werden zu konnen; zum anderen richtet sie das Augenmerk auf die Dynamik sozialer Entwicklungen. lm Mittelpunkt steht damit die Erklarung jener Prozesse, in denen soziale Akteure den Yersuch unternehmen, Ressourcen, Privilegien, Macht oder Pre stige zu monopolisieren und andere Akteure davon auszuschliel3en, und sie begreift Inklusion und Exklusion als Folge des strategischen Handelns so zialer Akteure. Das heil3t, in Schlie13ungskampfen geht es urn strukturelle Festlegungen einer gesellschaftlichen Ordnung, die sich in und durch das Handeln der Akteure vollziehen ( vgl. Eder 1998, 451 ). Die schliel3ungstheoretische Analyse bettet diese Prozesse gleichsam in einen weiteren theoretischen Kontext ein: so wird die Diskussion urn soziale Ausschlie13ung an den ungleichheitstheoretischen Diskurs riickgebunden, in dem bestimmt wird, wie die Inklusion in soziale Systeme und die Exklusion von ihnen die Lebenschancen betroffener Gruppen bestimmen; die handlungs theoretische Tradition der Theorie sozialer Schliel3ung riickt ferner soziale Akteure in den Mittelpunkt, die mit sehr unterschiedlichen Ressourcen aus gestattet sind. Der machttheoretische Fokus der Schliel3ungstheorie richtet damit den Blick auf die zwischen den sozialen Akteuren herrschenden asymmetrischen Machtbeziehungen, die in SchlieJ3ungskampfen von zentra ler Bedeutung sind; damit wird zugleich deutlich, dass der schlieJ3ungstheo retische Ansatz eine generell konflikttheoretische Perspektive einnimmt, in der lnklusion und Exklusion als Resultat der sozialen Auseinandersetzungen strategisch handelnder (kollektiver) Akteure begriffen werden, die urn die Partizipation an jenen Gil tern kampfen, die Gruppen, Organisationen oder ln stitutionen zu vergeben haben. Warum wird der Theorie sozialer SchlieJ3ung gerade in den vergangenen Jahren wieder mehr Aufmerksamkeit zuteil, warum leitet sie jiingst Analysen in verschiedenen Bereichen des sozialen Lebens an? Zwei Griinde sind ent scheidend: zum einen befdrdern aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen so ziale Konflikte, die als Schlie13ungskampfe begriffen werden konnen; zum anderen hat die Theorie sozialer SchlieJ3ung, wenn sie als Theorie mittlerer Reichweite begriffen wird, enormes Erklarungspotenzial, das ein Verstandnis der sozialen Mechanismen erOffnet, die in Schliel3ungskampfen wirksam werden. Urn dies zu begriinden, gehe ich im Folgenden in drei Schritten vor: zu nachst zeichne ich aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen nach, die Schlie Bungskampfe befdrdern; zweitens skizziere ich vor dem Hintergrund der ak tuellen Diskussion urn Erklarungen in den Sozialwissenschaften den Cha rakter von Theorien mittlerer Reichweite und verdeutliche ihren erklarenden Anspruch; im Anschluss daran stelle ich drittens die Grundziige der Theorie sozialer Schlie13ung vor, begriinde, wie sie als Theorie mittlerer Reichweite ber'schen Ansatzes wie der Theorie sozialer Schlief3ung siehe insbesondere Steinert und Wilz (beide i.d.B.).
Description: