Die Theorie des Anstieges Peter Schneider Vorlesung in Mu¨nster im WS 2006/07 Zusammenfassung So wie Eigenwerte das wesentliche Instrument zur Untersuchung linearer Abbildungen sind, sind es die sogenannten Anstiege fu¨r die Theorie der semilinearen Abbildungen. Der erste Teil der Vorlesung beginnt mit dem Begriff der semili- nearen Abbildung und seinen elementaren Eigenschaften. Anschlies- sendgibt es eine Einfu¨hrung in die Theorie der diskreten Bewertungs- ringe. Dabei wird auch ausfu¨hrlich die Konstruktion der Ringe von Wittvektoren sowie das Konzept der Cohen-Unterringe bei imperfek- temRestklassenk¨orpererkl¨art.ImletztenAbschnittwirddieklassische StrukturtheorievonsemilinearenAbbildungenu¨bervollst¨andigdiskret bewerteten K¨orpern mit perfektem Restklassenk¨orper entwickelt. Der zweite Teil der Vorlesung beginnt mit einer eingehenden Un- tersuchungderRingekonvergenterLaurentreihenu¨bervollst¨andigdis- kretbewertetenK¨orpern.DanachwirdderRobba-Ringeingefu¨hrt,und seine ringtheoretischen Eigenschaften werden hergeleitet. Der Robba- Ring hat sich als von grunds¨atzlicher Bedeutung in der modernen p- adischen Zahlentheorie herausgestellt. Schließlich wird teilweise ohne Beweiseu¨berdieStruktursemilinearerAbbildungenu¨berdemRobba- Ring nach Kedlaya berichtet. Inhaltsverzeichnis I Vorbereitungen und klassische Beispiele 1 1 Semilineare Abbildungen 1 2 Der einfachste Fall 4 3 Diskrete Bewertungsringe 7 4 Erweiterungen diskreter Bewertungsringe 12 5 Wittvektoren 19 6 Eindeutigkeit von W(k) 33 7 Cohen-Unterringe 36 8 Das Theorem von Dieudonn´e-Manin 40 II Semilineare Algebra u¨ber dem Robba-Ring 55 9 Laurentreihen 55 10 Der Robba-Ring 75 11 HN-Anstiege 81 12 Spezielle Endomorphismen 90 Teil I Vorbereitungen und klassische Beispiele 1 Semilineare Abbildungen Erinnerung: Sei K ein K¨orper, V ein K-Vektorraum, d := dim V < ∞ K und f :V −→ V ein linearer Automorphismus. Aufgabe der linearen Algebra: Finde eine Basis von V, bzgl. welcher die Matrix A von f m¨oglichst einfache Gestalt hat. f Fu¨r eine Umformulierung betrachten wir den Isomorphismus von Grup- pen ∼= Aut (V)−−→ GL (K) K d f 7−→ A , f welcher aber von der Basiswahl abh¨angt. Bei Wahl einer anderen Basis mit Basiswechselmatrix B geht A u¨ber in B−1A B. Also ist die Konjugations- f f klasse von A in GL (K) unabh¨angig von der Basiswahl. f d Umformulierte Aufgabe: Bestimme die Konjugationsklassen in GL (K) d durch Angabe m¨oglichst einfacher Repr¨asentanten. Nach dem Satz von der Jordanschen Normalform besitzt diese Aufgabe (zumindestu¨beralgebraischabgeschlossenemK)eineganzexpliziteL¨osung. GegebenseieinK¨orperK zusammenmiteinemK¨orperhomomorphismus σ :K −→ K . Beachte: σ ist notwendigerweise injektiv. Aber wir verlangen nicht, daß σ surjektiv, also ein Automorphismus ist. Sei V ein K-Vektorraum. Definition 1.1. Eine Abbildung f : V −→ V heißt semilinear (genauer σ-linear), falls gilt: (i) f(v +v ) = f(v )+f(v ) f¨ur alle v ,v ∈V 1 2 1 2 1 2 (ii) f(av)= σ(a)f(v) f¨ur alle a ∈ K und v ∈ V. Sei d := dim V < ∞, und sei v ,...,v eine fixierte Basis von V. Wie K 1 d bei linearen Abbildungen bilden wir die Matrix A = (a ) ∈ M (K) zur f ij d semilinearen Abbildung f :V −→ V durch f(v ) = a v +...+a v . j 1j 1 dj d 1 Lemma 1.2. Die Abbildung Menge aller semilinearen ∼= −−→ M (K) d Abbildungen f : V −→ V f 7−→ A f ist bijektiv. Beweis. Wie in der linearen Algebra, z. B.: Fu¨r v = c v +...+c v ist 1 1 d d d d d d d f(v) = σ(c )f(v ) = σ(c ) a v = a σ(c ) v . j j j ij i ij j i Xj=1 Xj=1 Xi=1 Xi=1(cid:16)Xj=1 (cid:17) Zusatz 1.3. 1) Obige Rechnung zeigt: c σ(c ) 1 1 . . v ←→ .. =⇒ f(v)←→ Af .. . c σ(c ) d d 2) DieMengedersemilinearenAbbildungenbildetin¨ublicherWeiseeinen K-Vektorraum, und obige Abbildung ist ein Isomorphismus von K- Vektorr¨aumen. Warnung: 1) f und g sind σ-linear =⇒g◦f ist σ2-linear (nicht σ-linear). 2) Ist σ nicht surjektiv, so ist das Bild einer semilinearen Abbildung i. A. kein Untervektorraum. Fu¨r A =(a ) ∈ M (K) setze σ(A) := (σ(a )) ∈ M (K). ij d ij d Es gilt: – σ(A+B) = σ(A)+σ(B), – σ(AB)= σ(A)σ(B), – σ(E )= E . d d Insbesondere ist σ :GL (K) −→ GL (K) d d A7−→ σ(A) ein Monomorphismus von Gruppen (ein Automorphismus, falls σ bijektiv ist). 2 Sei v′,...v′ eine weitere Basis von V, bzgl. welcher f die Matrix A′ = (a′ ) 1 d f ij habe. Die Basiswechselmatrix B = (b ) ist gegeben durch kl d v′ = b v . l kl k k=1 X Lemma 1.4. A′ = B−1Aσ(B) . f Beweis. Einerseits ist d d d d d f(v′) = a′ v′ = a′ b v = b a′ v j ij i ij ki k ki ij k Xi=1 Xi=1 Xk=1 Xk=1(cid:16)Xi=1 (cid:17) und andererseits d d f(v′) =f b v = σ(b )f(v ) j lj l lj l (cid:16)Xl=1 (cid:17) Xl=1 d d d d = σ(b ) a v = a σ(b ) v . lj kl k kl lj k Xl=1 (cid:16)Xk=1 (cid:17) Xk=1(cid:16)Xl=1 (cid:17) Der Vergleich ergibt BA′ = A σ(B) . f f Offensichtliche analoge Aufgabe: Bringe A durch geeignete Basiswahl auf f m¨oglichst einfache Gestalt. U¨bungsaufgabe 1.5. Auf GL (K) wird durch d A′ ∼ A, falls A′ = B−1Aσ(B) f¨ur ein B ∈ GL (K) d eine A¨quivalenzrelation definiert. Man sagt, A′ ist σ-konjugiert zu A. Die zugeh¨origen A¨quivalenzklassen heißen σ-Konjugationsklassen. Lemma 1.6. i. A ist invertierbar ⇐⇒ im(f) erzeugt V als K-Vektor- f raum =⇒ f ist injektiv; ii. ist σ bijektiv, so gilt: A invertierbar ⇐⇒ f surjektiv ⇐⇒ f bijektiv f ⇐⇒ f injektiv. 3 Beweis. i. Es gilt: A hat Rang d ⇐⇒ f(v ),...,f(v ) ist wieder eine Basis von V f 1 d ⇐⇒ < im(f)> = V . Istf(v ),...,f(v )eineBasisvonV,sogiltaußerdemfu¨rv = c v +...+c v 1 d 1 1 d d mit f(v) = 0, daß σ(c )f(v )+...+σ(c )f(v ) =0 und somit σ(c ) = 0, also c = 0 . 1 1 d d i i Folglich ist f injektiv. ii. In diesem Falle ist im(f) ein Untervektorraum. Wegen i. bleibt des- wegen nur zu zeigen, daß gilt: f injektiv =⇒ f(v ),...,f(v ) sind K-linear unabh¨angig. 1 d Sei also c f(v )+...+c f(v ) = 0. Wegen der Surjektivit¨at von σ k¨onnen 1 1 d d wir schreiben c = σ(b ). Dann gilt f(b v +...+b v ) = 0 unddamit wegen i i 1 1 d d der Injektivit¨at von f, daß alle b = 0, also auch alle c = 0. i i Definition 1.7. Die semilineare Abbildung f : V −→ V heißt etal, falls V = < im(f)> gilt. Fu¨r etale f ist also obige Aufgabe gleichbedeutend mit der Bestimmung der σ-Konjugationsklassen in GL (K). d 2 Der einfachste Fall Sei p eine fixierte Primzahl, q > 1 eine fixierte Potenz von p und K ein K¨orperderCharakteristikp,welcher denendlichenK¨orperFq enth¨alt.Dann ist σ : K −→ K a 7−→ aq ein K¨orperhomomorphismus - der Frobenius. Es gilt: - Kσ=id := {a ∈ K :σ(a) = a}= Fq (da a Nullstelle von Xq −X ist); - K algebraisch abgeschlossen =⇒ σ ist bijektiv. 4 Sei V ein K-Vektorraum der Dimension d < ∞ und f : V −→ V eine etale semilineare Abbildung. Setze V := {v ∈ V : f(v)= v} . 1 Offensichtlich ist V1 ein Fq-Vektorraum. Satz 2.1. Ist K separabel abgeschlossen (d. h. K besitzt keine echten sepa- rablen algebraischen Erweiterungen), so gilt: i. dim V = dim V; Fq 1 K ii. die K-lineare Abbildung ∼= K ⊗ V −−→ V Fq 1 a⊗v 7−→ av ist bijektiv. Beweis. Natu¨rlich k¨onnen wir V 6= {0} annehmen. 1. Schritt: Wir zeigen V 6= {0}. Sei0 6= v ∈ V beliebiggew¨ahlt undset- 1 0 ze v := fi(v ). Weiter sei m ≥ 1 minimal, so daß v ,...,v linear abh¨angig i 0 0 m sind (u¨ber K). Also gibt es bis auf skalare Vielfache genau eine Relation a v +...+a v = 0 mit a ∈K und a 6= 0 . 0 0 m m i m Beachte, daß auch a 6= 0; denn mit v ,...,v sind nach Lemma 1.3.i. 0 0 m−1 auch v = f(v ),...,v = f(v ) linear unabh¨angig. 1 0 m m−1 Wir betrachten nun ein beliebiges v := c v +...+c v . Dann ist 0 0 m−1 m−1 q q q q f(v) = c f(v )+...+c f(v )= c v +...+c v , 0 0 m−1 m−1 0 1 m−1 m also m q v−f(v) = (c −c )v mit c := c := 0 . i i−1 i −1 m i=0 X Somit gilt q f(v) = v ⇐⇒ c −c = a y fu¨r ein y ∈ K . i i−1 i 5 Das Polynom aqmYqm +aqm−1Yqm−1 +...+a Y hat die Ableitung a 6= 0 0 1 m m undistsomitseparabel.DaK separabelabgeschlossenist,findenwirfolglich eine Nullstelle y 6= 0 in K. Bilde nun den Vektor v mit c := a y, 0 0 c := cq +a y = aqyq +a y, 1 0 1 0 1 . . . c := aqm−1yqm−1 +...+a y . m−1 0 m−1 Wegen a 6= 0 ist auch c 6= 0 und damit v 6= 0. Per Konstruktion ist v ∈V . 0 0 1 2. Schritt: Wir zeigen dim V ≤ dim V. Es gelte die gegenteilige Fq 1 K Ungleichung dim V > dim V. Sei r ≥ 2 minimal, so daß Vektoren Fq 1 K u1,...,ur ∈ V1 existieren, welche linear unabh¨angig u¨ber Fq, aber linear abh¨angig u¨ber K sind. Sei etwa b u +...+b u = 0 und b ∈ K× . 1 1 r r 1 Wir k¨onnen b = 1 annehmen. Dann ist 1 0= f(0) = u +bqu +...+bqu 1 2 2 r r und Subtraktion ergibt (b −bq)u +...+(b −bq)u = 0 . 2 2 2 r r r q Wegen der Minimalit¨at von r muß bi = bi gelten, was bi ∈ Fq bedeutet und einen Widerspruch darstellt. 3. Schritt: Wir zeigen schließlich per Induktion nach d = dim V, daß K V1 eine Fq-Basis v1,...,vd besitzt, welche auch K-Basis von V ist. Fu¨r den Induktionsanfang sei d = 1. Wie im 1. Schritt gezeigt, existiert ein 0 6= v1 ∈ V1. Wegen dem 2. Schritt ist dieses v1 eine Fq-Basis von V1. Fu¨r den Induktionsschluß sei d > 1. Wieder finden wir nach dem 1. Schritt ein 0 6= v ∈ V . Dann ist 1 1 f˜: V/Kv −→ V/Kv 1 1 u+Kv 7−→ f(u)+Kv 1 1 eine wohldefinierte etale semilineare Abbildung.Die Induktionsannahmefu¨r das Paar (V/Kv ,f˜) liefert Vektoren v′,...,v′ ∈ V, so daß gilt: 1 2 d - v ,v′,...,v′ ist K-Basis von V, 1 2 d 6