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Die Syphilis des Zentralnervensystems: Ihre Ursachen und Behandlung PDF

302 Pages·1922·17.656 MB·German
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DIE SYPHILIS DES ZENTRALNERVENSYSTEMS IHRE URSACHEN UND BEHANDLUNG VON PROFESSOR DR. WILHELIU GENNERICH KIEL ZWEITE DURCHGESEHENE UND ERGANZTE AUFLAGE MIT 7 ABBILDUNGEN BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1922 ISBN-13: 978-3-642-89743-6 e-ISBN-13: 978-3-642-91600-7 DOl: 10.1007/978-3-642-91600-7 Alle Rechte, insbesondere das der Obersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Vorwort zur ersten Anflage. Die vorliegende Arbeit bezweckt auf Grund von zwolfjahrigen Dauer beobachtungen in erster Linie eine IGarstellung des Entwicklungsganges der meningealen Syphilis und damit die Ausfiillung jener Liicke, welche bisher zwischen der vorwiegend kutanen Syphilis der frischen Luesstadien und der Spatsyphilis des ZNS vorhanden war. Nach einer kurzen Wiederholung der bereits 1915 bekannt gegebenen Ursachen der Metalues werden diejenigen Wege der spezifischen Therapie angegeben, welche den geschilderten biologischen Beobachtungen entsprechen. Letztere erweisen, daD bei der modernen Lues behandlung das Schicksal des Syphilitikers mehr als je in der Hand des be handelnden Arztes ruht; dieser ist imstande, die Entstehung und Entwick lung der meningealen Syphilis zu provozieren und auf der anderen Seite bei sachgemaBer Erkenntnis der latenten Entwicklungsgange eine vollige und dauerhafte Ausheilung der vorklinischen meningealen Veranderungen herbei zufiihren und damit die Spatsyphilis am ZNS auszuschalten. Das Buch soil auDerdem ein sicherer FUhrer sein in der so schwierigen Behandlung der ver schiedenartigen klinischen Ausfalle. In dieser Richtung kann seine Aufgabe darin bestehen, die bereits vorhandenen Hand- und Lehrbiicher iiber Syphilis und Nervensystem zu erganzen. Kiel, im September 1920. Wilhelm Gennerich. V orwort zur zweiten Auflage. Die neue Auflage hat entsprechend dem Fortschritt der Erfahrungen eine .Reihe von Erganzungen notwendig gemacht. Unsere friiheren Ausfiihrungen iiber die ursachliche Bedeutung der :Allergieschwache des Organismus fiir die Metalues haben durch neuerliche Feststellungen 1) meines jiingst verstorbenen friiheren Schiilers Gartner eine weitere Stiitze erhalten. Es ist allerdings auffallend, daD Gartner in seiner in Frage stehenden Paralysearbeit seinen ehemaligen Lehrer als Anhanger der Syphilis nervosa anfiihrt und als Quellenort gerade jene Arbeit nennt, in der ich 1915 zum ersten Male iiber die Allergie schwache des Organismus und iiber den Fortbestand des Sekundarismus in der pialen Abwehrreaktion als Ursachen der Liquordiffusion und damit der Metalues berichtet habe 2). Von meine:r Seite ist das Virus nerveux stets be- l) Gartner, Zeitscbr. f. Hyg. u. Infektionskrankh. Bd. 92, H. 3, 1921. 8) Gennerich, Praxis der Salvarsanbehandlung S. 90 unten. .. Denn. ZeitBcbr. H. 12, S. 727, 729-736. 1915. .. Zeitscbr. f. d. ges. Neurol. Bd. 30, H. 4/5, S. 546/47. 1916. Die Syphilis des ZNS. 1. Aufl. Berlin: Julius Springer. 1921. S. 31. IV Vorwort zur zweiten Auflage. kampft, ferner seit 1912 stets in Wort und Schrift zum Ausdruck gebracht worden, da8 zur Im.m.unkorperbildung in erster Linie ein ungestOrter langerer Kontakt zwischen syphilitischer Allgemeindurchseuchung und' OrganzelIen gebOrt, bzw. da8 die spezifische Behandlung die Umstimmung des Organismus verhindert und damit zur Metalues fiihrt. Wahrend sich uns diese Erfahrungen bei der eingehenden klinischen Durcharbeitung und Nachbeobachtung eines recht gr08en Krankenmateriales aufdrangen muBten, hat Gartner den sta tistischen Weg eingeschlagen, ob aus sich heraus, oder unter dem Einflusse seiner P/ajahrigen Tatigkeit auf meiner Abteilung, auf die er als ,Neuling kam, mu8 heute dahingestellt bleiben. Jedenfalls verdient seine dem Paralyseproblem gewidmete und mit groBem Schwung verfaBte Studie durch ihre auBerordentlich vielaeitigen und beweiskraftigen statistischen' Erhebungen die weitgehendste Beachtung. Wenn Gartner dazu ausersehen war, dem Anergieproblem bei der Entstehung der Metalues einebreitere und wohlgesicherte Grundlage zu geben, so hat er diese Aufgabe glanzend gelOst. Weitere Erganzungen des Buches haben stattgefunden infolge Verbesserung der endolumbalen Technik und infolge Aufnahme del' Fieberbehandlung. Die erzielten therapeutischen Fortschritte betreffen sowohl eine weitere Ver besserung del' Behandlungserfolge, wie auch eine gesicherte Vermeidung von StOrungen. Vor alIem wird es mit der neuerlichen Technik, welche die Heran bringung relativ hoher endolumbaler Dosierungen an die zerebrale Pia unter Umgehung spinaler Irritationen gestattet, moglich sein, in kurzer Zeit aIle frischen FaIle von meningealer Syphilis zur volligen Ausheilung zu bringen. Dadurch werden die Gefahren einer ungeniigenden und zu schwachlichen spezifischen Behandlung, welche sich nach dem Stande derheutigen Er cahrungen ala ein machtiger Eingriff in die Allergieau8erung des Organismus b.el'ausgestelIt hat, in sachgemaBer Weise paralysiert. Nach dem Stande llIlBerer heutigen Kenntnis von dem Entstehungsmechanism\ls der Metalues wird fas Schicksal der spezifischen Therapie' davon abhangen, ob in den frischen Luesstadien die sich heute ergebenden Moglichkeiten voll ausgenutzt werden, 1m das im Korper allgemein ausgebreitete syphiIitische Virus in allen Lokali lationen des Organismus gleichmaBig zu erfassen und zu vernichten. Um die endolumbale Therapie vollig gefahrlos und sicher erfolgreich an ;venden zu konnen, hat sich eine kurze praktische Einfiihrung in unsere Technik md in die haufig auBerordentlich komplizierte Dosierungsfrage als unbedingt lOtwendig erwiesen. Ohne die Grundlage unserer fast zehnjahrigen Erfahrungen n der endolumbalen Behandlung aller nur moglichen luetischen und meta uetischen Krankheitsvorgange am ZNS wird der Anfanger gar nicht selten :rheblichen Schwierigkeiten oder MiBerfolgen gegeniiberstehen, die sich bei :inwandfreier Technik und Schulung vermeiden lassen. Verschiedene Besucher neiner Klinik haben mich ersucht hierauf hinzuweisen, weil sie in anderen Giniken eine vollig veranderte Methode als endolumbale Behandlung kennen ;elernt hatten. Kiel, 1. Oktober 1922. Wilhelm Gennerich. Inhaltsverzeichnis. Selte Einleitung • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. EntwicklungsUlsachen der meningealen Syphilis . 3 Die biologischen Grundlagen des Luesverlaufes 5 Vorgang der syphilitischen Ruckfallbildung . . 6 Die Wirkung der einschrankenden Faktoren auf die Allgemeindurchseuchung 6 Die Einwirkung der einschrankenden Faktoren auf die meningeale Infektion 7 Bedeutung der spezifischen AllgemeinbehandIung fiir die Provokation der meningealen Infektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 7 Bedeutung der Abwehrvorgange fur das Schicksal der meningealen Infektion 15 Die Beziehungen zwischen den Krankheitserregern und der Abwehrreaktion 17 Die vier Verlaufsformen der Syphilis. . . . . . . . . . . . . . . . .. 22 1. Falle mit spatsekundii.rer Syphilis der Raut . . . . . . . . • . •• 23 ,2. Falle mit sekundarer Syphilis an den inneren Organen (ZNS) und Aorta 26 3. Falle mit Tertiarismus der Raut 30 4. FaIle mit tertiarer Syphilis der Meningen 33 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . 34 II. Lokalisationsfragen • . . • . . . . . . . . 35 III. Die pathologisch-anatomischen Veriinderungen 42 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 42 EinfluJl der Abwehrreaktion auf die Entwicklung des meningealen Prozesses 42 Ein£luJl der Provokation auf die Entwicklung des meningealen Prozesses 43 Die syphilitischen Veranderungen am ZNS . 44 Formen der syphilitischen Meningitis . . . . . . . . . . . . 44 Die metasyphilitischen Bildungen. . . . . . . . . . . . 46 Der Liquordruck als Ursache der Liquordiffusion . . . . .... 47 Die pathologische Anatomie und die Liquordiffusion bei der Paralyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 48 Das histologische Bild der Paralyse ....... . . . . . . . . .. 48 Die ursachliche Bedeutung der Liquordiffusion . . . . . . . . . . •• 48 Die pathologische Anatomie und die Liquordiffusion bei der Tabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . •• 51 Die anatomischen und hydromechanischen Ursachen der Tabes 52 Die Liquordiffusion bei der Tabes 52 Ursachen der tabischen Lokalisation . . . . . . . . . . . 53 Die Metalues ist eine Meningitis serosa . . . . . . . . . . . . 55 Auch bei der Myelitis oft Degeneration infolge Liquordiffusion 58 IV. Klinischer Ten . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Die wichtigeren Krankheitsbilder '. . . . 59 a) Die Friihmeningitis . . . . . . . . . . . 59 b) Die Meningitis basalis luetica. . . . . . . 60 Die Raufigkeit der meningealen Syphilis 61 Riickbildungsmoglichkeiten fiir die meningeale Friihsyphilis 62 Kasuistik der Neurorezidive 64 Klinik der Neurorezidive. . . . . . . . . . . . . . . . 66 VI Inhaltsverzeichnis. SeltA! Neurorezidive an einzelnen Hirnnerven . . . . . . . . . . .. 67 Nervus acusticus 67. - Nervus facialis 67. - Nervus abducens 68. Epileptiforme Neurorezidive ... . . . . . . . . . . . . .. 69 !ltere Stadien basaler Meningitis . . . . . . . . . . . . . .• 70 Nervus oculomotorius 71. - Nervus abducens 73. - Nervus trochlearis 73. - Nervus opticus 73. - Nervus trigeminus 74. - Nervus acusticus 74. - Nervus vagus 75. Sonstige Symptome der Hirnbasiserkrankung 75 Die Aligemeinsymptome bei basilirer Meningitis 75 c) Die Ausfille bei der Konvexititsmeningitis . . . 76 d) Die syphilitischen Erkrankungen der HirngefiBe . 77 e) Die Myelitis ................. . 78 Ursachen der Myelitis 78. - Lokalisation der Myelitis 82. - Die Pseudotabes 85. - Lokalisationsursachen der Myelitis 85. - Die Abwehrreaktion und die Liquordiffusion bei der degeue. rativen Myelitis 86. f) Die Tabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 87 Initialsymptome 88. - Die tabischen Symptome 88. - Tabische Sehnervenerkrankung 89. - Motilitit 90. - Trophische Sto rungen 91. - Zusammenfassung 92. g) DIe Paralyse ur,d Taboparalyse. .. ....... 92 Prodromalstadium 94. - Klinische Symptome 94. 2. Die Liquordiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Herkunft und Bedeutung des Liquors . . . . . . . . 96 Liquormenge und Meningismus 99. - Liquordruck 100. - Ver firbungen. Beimengungen 100. - Zellzihlung 101. - EiweiB proben 101. - Nonnesche Phase I-Reaktion 100. - Gesamt eiweiBbestimmung Mch NiBI 102. - Pandy-Reaktion 102. - Normomastixreaktion Mch Kafka 103. - Die WaBBermann Reaktion im Liquor mittul!\ Auswertung nach Hauptmann 103. b) Die Bewertung des Liquorbefund.,s . . . . . . . . . . . . . . . 105 Lymphozytose 105 .. - Die Albumine 107. - Die Globuline 107. - Die Normomastixreaktion 107. - Die WR im Liquor 109. - Die Serumreaktion 111. - Salvarsanprovokation der SR 114. - tJbersicht uber das Verhalten der vier Reaktionen 115. V. Die Theraple der Syphilis des ZNS . . . . . . 116 1. Die allgemeine Behandlung. . . . . . . . . . . . 116 a) Hg-Behandlung . . • . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Die intravenose Salvarsanbehandlung . . . . . . . 117 c) Die Wirkung der spezifischen Allgemeinbehandlung . .• 118 Beispiele fur die Wirkung der Salvarsan.Allgemeinbehandlung in den frischel'en Stadien der meningealen ProzeBBe 123. - Die Allgemeinbehandlung bei den ilteren Stadien der J!).eningealen Syphilis 124. 2. Die endolumbale Salvarsanbehandlung. . . 131 Die Entwicklung der endolumbalen Behandlung . 131 Die Technik der endolumbalen Behandlung. . . 133 Desinfektion des Instrumentariums und Zubereitung der Sal varsanlosung 133. - Vorbereitung des Patienten 133: - Aut fuhrung der Behandlung 134. - Transport und Lageruag des Patienten 135. - Die Salvarsandosierung 136. - Die Begleit erscheinungen der endolumbalen Behandlung 137. - Die Fieber- . behandlung der meningealen Syphilis 140. Die Anwendung der endolumb'alen Behandlung in Kombination mit Allgemeinbehandlung und Fieberbehandlung . . . . . . . . . . 145 1. Die Behandlung der latenten meningealen Prozesse (histologische Meningorezidive Mch Ravaut) . . . . . . ..' . . . •. 145 Inhalt8verzeichnis. VII Sette Indikation 145. - Tennin fiir die notwendigen diagnoatischen Lumbalpunktionen 148. - Eintritt der Liquorveranderungen 149. - Nachkontrolle in Fallen mit iiberstandener meningealer Syphilis 150. Die Behandlung der Friihformen . . . . . . . 151 Die alteren Meningorezidive des Latenzstadiums 155 Die intravenose Salvarsanbehandlung fiihrt nur zum Schein erfolg 156. - Endolumbale Behandlung bei leichten meningea1en Veranderungen 156. - Endolumbale Behandlung bei mittleren meningea1en Veranderungen 158. - Endolumba.le Behandlung schwerer meningealer Veranderungen 159. - Sehr hartnickige latente meningeale Prozesse 160. - Spinale Irritationen mit nachfolgender Funktionsstorung 163. - Zusammenfassung 166. 2. Die Behandlung der klinischen Erkrankungen des ZNS 167 a) Die Behandlung der Neurorezidive . . . . . . . . 167 Neurorezidive mit Mfektion einzelner Hirnnerven 168 Die Behandlung der epileptiformen Neurorezidive 171 b) Die Behandlung der Syphilis cerebrospinalis . . . . 175 Umschriebene Formen der basalen Meningitis 176. - Laby rynthare SchwerhOrigkeit bei angeborener Syphilis 180. - Basale Meningitis mit psychischen Veranderungen 181. - Behandlung der Konvexitatsmeningitis 184. - Ungeniigende Behandlung kann den 'Obergang der Konvexitatsmeningitis in Paralyse nicht verhiiten 185. - Ungeniigender Erfolg der endo lumbalen Behandlung infolge zu geringer Dosierung und Liquor menge 190. c) Die Behandlung der zerebralen GefaBsyphilis ...... 197 d) Die Behandlung der spinalen bzw. zerebrospinalen I)yphilis 202 e) Die Behandlung der Myelitis . . . . . . . . . . . . . . 208 f) Die Behandlung der Tabes. . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Die Behandlung der inzipienten Tabes . . . . . . . . 226 Lum bale To. bes 226. - Inzipiente Faile von gastrischer Tabes 231. - Inzipiente tabische Optikusatrophie 233. 2. Die Behandlung der fortgeschrittenen Tabes. . . . . . . . 234 LumbaleTabes235. - GastrischeTabes240. - Zusammen fassung 255. 3. Die Behandlung der Taboparalyse . . . . . . . . . . . . 260 a) Behandlung der inzipienten Taboparalyse mit gastrischer Tabes.'. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 b) Die Behandlung der fortgeschrittenen tabischen Optikus- atrophie und Taboparalyse . . . . . . . . 270 g) Die endolumba.le Behandlung der Paralyse. . . . 275 Behandlung der Paralyse mit groBer Oberflache 280 Zusammenfassung ............. 281 Einleitung. Die sachgemiWe Bekiimpfung und Besandlung eines Leidens beruht einma} auf den pathologisch-anatomischen Feststeilungen iiber die von ihm hervor gerufenen Veranderungen und zum anderen auf den klinischen Erfahrungen tiber den Krankheitsverlauf. Die Forschungsergebnisse dieser beiden Richtungen fiigen sich sehr bald zu einem iibersichtlichen Bild zusammen, wenn der Krank heitsverlauf vollig iiberblickt und jederzeit der arztlichen Erkenntnis zugang lich gemacht werden kann. Bei dem chronischen Verlauf der Syphilis war es aber bisher ungemein achwierig, die Zusammenhange der frischen LueBBtadien mit der Spl:j.tsyphilis und zwar insbesondere mit den Spaterkrankungen des ZNS herzusteilen. Eine ausreichende Durchbeobachtung eines groBen Krankenmaterials war bei dem Charakter des Leidens sehr schwierig. Es kam noch hinzu, daB die diagnostischen Methoden viele Jahrzehnte zu erschopfenden Feststeilungen tiber den Stand des Leidens im Einzelfaile nicht ausreichten und erst im letzten Jahrzehnt eine tiefere Durchdringung des klinischen Problems ermoglichten. Wenn auch die Verbesserung des diagnostischen Riistzeugs imstande war die Wege fiir die weitere Erforschung zu ebnen, und die Vorbedingung fiir eine ersprieBliche Weiterarbeit war, so konnte die so eben erwahnte Liicke im Ent wicklungsgange der Syphilis doch nur dadurch einer hinreichenden Erkenntnis zuganglich gemacht werden, daB ein geniigend groBes Krankenmaterial fUr eine jahrzehntelange Dauerbeobachtung zdr Verfiigung stand. Trotz groBter Schwierigkeiten gelang es zwar hier ein Krankenmaterial VOn annahernd 8000 Failen eine groBe Reihe von Jahren, zum Teil bis zu 12 Jahren hin zusammenzuhalten und griindlich nachzuuntersuchen; aber diese Ergebnisse waren nach unseren jahrelangen Erfahrungen mit alleiniger Hg-Behandlung doch nicht ausreichend gewesen, wenn nicht das neue Syphilis heilmittel, das Salvarsan, wesentlich zur Forderung unserer Erkenntnis des Luesverlaufes beigetragen hatte. Das neue Heilmittel ermoglichte es, groBere Massenverschiebungen in der Allgemeinsyphilose vorzunehmen und hierbei {fie biologischen AuBerungen der Erreger weit deutlicher, als es sonst je moglich gewesen ware, zu erkennen; auBerdem bewirkte es eine wesentliche Abkiirzung des Infektionsverlaufes. Die Erwartungen, welche dem Salvarsan im besonderen in der Heilung der Syphilis des ZNS entgegengebracht wurden, sind leider nicht ganz in Erfiil lung gegangen. Einmal bleibt es dem Praktiker nicht verstandlich, weshalb sich schon in den frischen Luesstadien trotz energischer und bester Salvarsan behandlung schwere Veranderungen am ZNS einsteilen und unaufhaltsam weiter entwickeln. In facharztlichen Kreisen hat man sogar von einer Reiz wirkung des Salvarsans auf die meningeale Infektion gesprochen und glaubt sie als Ursache fiir die haufigere Friiherkrankung des ZNS anschuldigen zu Gennerich, Syphilis, 2. Auf!. 1 2 EinIeitung. sollen. Nach den friiher veroffentlichten Statistiken (Miinch. med. Wochenschr. 1916, Nr. 35 u. 36) kann es in der Tat keinem Zweifel unterIiegen, daB die Haufig keit der meningealen Syphilis in der allgemeinen Praxis seit Einfiihrung des Salvarsans, und zwar vorwiegend infolge unzulanglicher Anwendung zu genommen hat. Wenn die Schaden einer ungeniigenden Behandlung wenigstens bald zu einer fachmannischen Feststellung gelangten, so wiirden noch in einem groBen Teil der FaIle die bisher iiblichen Behandlungsmethoden zur Behebung der eingetretenen meningealen Veranderungen ausreichen. Leider gelangen ,aber die meisten FaIle erst dann zu einer sachgemaBen Behandlung, wenn fortgeschrit tenere Veranderungen dazu zwingen. Eine Beseitigung der meningealen Infek tion ist dann nur noch. zu einem geringen Teile mit den iiblichen Behandlungs methoden moglich. Will man der meningealen Syphilis jedoch auf der ganzen Linie begegnen. so muB einmal iiber ihre Entwicklungsgange und Ursachen volle Klarheit bestehen und zum andern eine Behandlungsmethode an die Hand gegeben werden, welche wahrend der ersten Infektionsjahre eine sichere Assanierung der Meningen gestattet. Erst in zweiter Linie kam es darauf an, auch die Heilmethode bei der Spats yphilis des ZNS zu verbessern. Um hier vorwarts zu kommen, muBte zunii.chst dariiber Klarheit geschaffen werden, worin die bisherige therapeutische Unzuganglichkeit der metaluetischen Bildungen gegeniiber den syphilitischen Bildungen am ZNS beruhte. Die pathologisch-anatomische Forschung hatte die arztliche Einsicht auf ein totes Geleise gefiihrt, insofern die biologischen Verhaltnisse am Lebenden bisher keine geniigende Beachtung erfahren hatten. Auf andere Weise ist es gar nicht zu erklaren, weshalb die Erkenntnis, daB die Metalues nichts anderes als eine Meningitis, bzw. Meningoencephalitis serosa (infectiosa) ist, bislang verborgen bleiben konnte. Die durch den Liquorein bruch herVorgerufene serose Durchtrankung der Meningen und des Parenchyms bewirkte einmal, wie zu zeigen ist, die·therapeutische Unzuganglichkeit und zum andern die Ausschwemmung und ein iippiges Fortgedeihen der Spiro chaten im Nervenparenchym, also auf der ektodermalen Substanz, welche in unverwassertem Zustande absolut resistent ist und als Nahrboden fiir Syphilis erreger nicht in Betracht kommt. An die Feststellung der Liquordiffusion ins Nervenparenchym als Ursache der Metalues kniipft sich die Erkenntnis, daB die chemische Behandlung dieses Krankheitsausganges ohne Wiederher stellung einer undurchlassigen Pia nur Stiickwerk bleiben muBte. Von den sich hier eroffnenden therapeutischen Wegen: 1. operativen Ersatz der erkrankten Pia, 2. Immunotherapie zur Hebung der lokalen Abwehrreaktion gegen die ein gedrungenen Erreger, 3. Versuch einer Ausheilung der Pia unter Wiederherstellung ihrer Funktion. und zwar durch eine fortlaufende energische Bekampfung der Erreger am Krankheitsherd von zwei Seiten, yom Blut und vom Liquor aus. kommen nur die beiden letzteren in Betracht. Bei Beschrankung dieser Methoden auf die geeigneten FaIle und bei sach. gema.l3er Durchfiihrung sind die Erfolge durchaus beachtenswert und recht fertigen eine konsequente Fortfiihrung, bis andere Methoden gefunden sind. die eine radikalere Bekiimpfung der Metalues versprechen. I. Entwicklnngsnrsachen der meningealen Syphilis 1). Die syphilidogenen Erkrankungen am ZNS nehmen bekanntlich immer ihren Ausgang von den Meningen und ihren Fortsatzen. Diese von Virchow, Heubner, Oppenheim, Siemerling, Lubarsch usw. fiir die Syphilis cerebrospinalis rehauptete Tatsache trifft nach den Beobachtungen von Alz heimer, NiBI, Obersteiner, Redlich, Stargardt u. a. auch fiir die Meta lues zu. Es ist daher natiirlich, daB wir zur Klarung des vorliegenden Problems der Infektion der Meningen und des Liquors bereits im frischen Stadium unsere besondere Aufmerksamkeit zuwenden miissen. Nach den NeiBerschen Anschauungen tiber den Hergang der Allgemein durchseuchung aller Organe mit Spirochaten sollte man annehmen, daB im frischen Luesstadium auch in den Liquor und die Meningen stets Spirochaten, wenn auch in sehr verschiedener Menge hingelangten. Bei der bekannten Eigen bewegung der Spirochaten wiirde ein derartiger Vorgang jedenfalls durchaus erklarlich erscheinen. DaB nun tatsachlich in allen Fallen eine Liquorinfektion stattfindet, ist bisher aber noch an keinem Krankenmaterial erwiesen worden und wird sich meines Erachtens auch in Zukunft nicht einwandfrei erweisen lassen. Das Vorhandensein einer Liquorinfektion ist namlich, wie anderseitige und unsere eigenen positiven Impfergebnisse mit normalem Liquor von frischen Sekundarfallen ergaben, keinesfalls unbedingt mit dem Eintritt von Liquor veranderungen verbunden, bzw. da'Von abhangig. Auf der anderen Seite ist auch ein negatives Impfergebnis nicht maBgebend (d. h. es spricht nicht gegen bestehende Liquorinfektion), einmal wegen der geringen und an ent legener Stelle entnommenen Liquormenge und zum andem, weil sich erfahrungs gemiLB spater noch haufig Liquorveranderungen einstellen konnen. Wie oft dies unter bestimmten Verhaltnissen, d. h. bei einer gewissen Art von Behand lung der Fall ist, wird unten noch mehrfach beriihrt werden. Es laBt sich jedenfalls nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Ver mutung aussprechen, daB im frischen Luesstadium zunachst in allen Fallen auch eine Liquorinfektion stattfindet. Die Zahl der FaIle, wo es nun im weiteren Verlauf zu meningealen Erkrankungen kommt, ist bekanntlich beschrankt; immerhin fordert jedoch die absolute Zahl und die Schwere der syphilitischen Erkrankungen des ZNS dazu auf, ihren Entwicklungsursachen nachzugehen und damit auch die Frage nach ihrer zweckmaBigsten Bekampfung aufzurollen. Wir miissen uns zunachst fragen, ist die Annahme eines Virus ner'Veux berechtigt, d. h. eines Virus mit einer besonderen Vorliebe fiir die Meningen, oder sind es stets besondere Griinde, welche fiir die Fortentwicklung der meningealen Infektion in bestimmten Fallen maBgebend sind. Auf die 'Vielen 1) Unverii.nderter Vortrag, gehalten auf der SiidwestdeutBchen Dermatologenversamm. lung in Bonn, September 1917. 1*

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