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Die Suche nach Gemeinsamkeit und die Gewalt der Gruppe: Hooligans, Musikgruppen und andere Jugendcliquen PDF

471 Pages·1995·4.29 MB·German
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Ralf Bohnsack · Peter Loos et. al. Die Suche nach Gemeinsamkeit und Gewalt der Gruppe Hooligans, Musikgruppen und andere Jugendcliquen BohnsackILoos/SchäfferlStädtlerlWild Die Suche nach Gemeinsamkeit und die Gewalt der Gruppe Ralf Bohnsack Peter Loos Burkhard Schäffer Klaus Städtler Bodo Wild Die Suche nach Gemeinsamkeit und die Gewalt der Gruppe Hooligans, Musikgruppen und andere Jugendcliquen Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1995 ISBN 978-3-663-09768-6 ISBN 978-3-663-09767-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-09767-9 © 1995 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 1995 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mi kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Vorwort Die Suche nach Orientierungen während der Adoleszenzphase bei Lehrlingen steht im Zentrum unserer Untersuchung. Diese Suche ist eine handlungs praktische, aktionistische. Sie birgt gleichermaßen Potentiale der Kreativität und Entfaltung wie auch Risiken, Irrwege und Gewalttätigkeiten. Die Lebenspraxis von Lehrlingen ist uns Akademikern und Akademikerin nen kaum vertraut. Dies gilt umso mehr bei jenen Jugendlichen, die im Zusammenhang mit Erfahrungen der Marginalisierung und Kriminalisierung aus ihren angestammten Milieus herausgefallen sind. Unser Zugang ist ein verstehender; dies nicht in einem naiven Sinne, son dern im Sinne einer distanzierten Beobachtung, eines erklärenden Verstehens. Dabei ist der Schritt von der Sprache der Jugendlichen zu derjenigen unserer eigenen Interpretation ein rür uns selbst immer wieder spannendes und zu gleich mit Spannungen versehenes Unternehmen. Um dies dokumentieren zu können, haben wir uns entschieden, die Jugendlichen in ihren Originaltexten, den Transkripten relativ ausführlich zu Wort kommen zu lassen und damit den beachtlichen Umfang dieses Buches in Kauf zu nehmen. Den Leserinnen und Lesern empfehlen wir zunächst die Lektüre der "Zu sammenfassung der Ergebnisse" (Kap. 2), um auf diese Weise einen Über blick und auch einen roten Faden rür die weitere Lektüre zu gewinnen. Wir möchten der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die großzügige Unterstützung bei der Finanzierung des Forschungsprojekts danken. Für Anregung und Kritik danken wir Heide Appelsmeyer, Sabine Fach, Bruno Hildenbrand, Gerhard Riemann, Arnd-Michael Nohl, Aglaja Przybors ki und Monika W ohlrab-Sahr. Vor allem haben wir Maria-Theresia Becker zu danken für ihre Umsicht und Geduld, mit der sie immer wieder Ordnung in unsere Forschungsunterlagen gebracht hat. Berlin Ralf Bohnsack, Peter Loos, Klaus Städtler, im Juli 1995 Burkhard Schäffer, Bodo Wild Inhalt 1. Einleitung................................... 5 2. Zusammenfassung der Ergebnisse .................. 17 3. Die Hooligans ............................... 48 3.1. Kollektive Orientierungen .................... 61 3.2. Lebensgeschichten ........................ 134 3.3. Teilnehmende Beobachtung .................. 204 3.4. Zum Westvergleich ........................ 224 4. Die Musikgruppen ........................... 270 4.1. Die Gruppe Hiptext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 270 4.2. Die Gruppe Konkurrenz . .................... 314 5. Eine linke Gruppe: Basis ....................... 354 6. Eine familienbezogene Gruppe: Schau . . . . . . . . . . . . .. 402 7. Methodologie und Methoden .................... 425 8. Anhang ................................... 447 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 460 Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 467 1. Einleitung Seit die Soziologie abweichendes und gewaltbereites Handeln Jugendlicher zum ersten Mal in systematischer Weise zum Gegenstand empirischer For schung gemacht hat (Thrasher 1927, Shaw 1930), ist auf zwei zentrale Merk male immer wieder hingewiesen worden: Die Episodenhaftigkeit von Jugend kriminalität und die Bedeutung der peer-group in diesem Zusammenhang. Gleichwohl liegen - wie auch in den letzten Jahren angemerkt wurde - theoretische Modelle zur Erklärung von Episodenhaftigkeit bis heute nicht vorl. Wie in unserer Studie gezeigt werden kann, ist dies vor allem darauf zu rückzuführen, daß die spezifische Problematik der Adoleszenzentwicklung derjenigen, die in der Kriminalstatistik vor allem in Erscheinung treten, nämlich der männlichen Lehrlingen, bisher kaum Berücksichtigung gefunden hat. Was die Kriminologie anbetrifft, so hängt dies auch damit zusammen, daß die paradigmatisch-theoretisch sehr fruchtbare Perspektive des labeling approach sich in der gegenwärtigen Diskussion nahezu ausschließlich auf die Analyse von Kontrollinstanzen und -diskursen beschränkt2. Aber auch in der jugendsoziologischen Forschung zeigt sich eine bemerkenswerte Lücke im Bereich der Adoleszenzentwicklung bei Lehrlingen bzw. Jugendlichen aus Männliche Jugendliche - vor allem berufstätige - sind in einer spezifischen Altersphase in der polizeilichen und gerichtlichen Kriminalstatistik über repräsentiert ("Heranwachsende", also 18-2Ijährige, werden zweieinhalbmal so häufig gerichtlich verurteilt wie der Durchschnitt der Bevölkerung). Wesentlich stärker noch sind Jugendliche aus Randmilieus betroffen (vgl. Lamnek 1982 u. Ludwig 1983). Dabei ist auf den "episodalen" oder "passageren", d. h. alters phasenbedingten Charakter von Jugendkriminalität immer wieder hingewiesen worden (so u. a. von Matza 1964 und von Kerner 1984), und dies auch mit Bezug auf die DDR-Gesellschaft (Lekschas et al. 1983) -Dennoch hat der "Erkenntnis stand zur Erklärung von Episodenhaftigkeit ... das Niveau von Alltagstheorien kaum verlassen", wie Mariak und Schumann (1992, S. 335) feststellen. Hieraufhat auch Peters (1985) hingewiesen. 2 So stellt Schumann (1994, S. 242) fest: "Wenn kritische Kriminologen sich mit Gewalt auseinandersetzen, dann lieber mit dem Diskurs darüber, als mit dem Geschehen selbst". 5 "bildungsfernen" Milieus3. Und dies gilt ebenfalls für jene Studien, die sich auf Phänomene der Jugendgewalt spezialisiert haben. Damit zusammenhän gend ist auch die zentrale Bedeutung der peer-group für die Emergenz abwei chenden und vor allem gewaltbereiten Verhaltens von Jugendlichen zwar empirisch belegt, theoretisch aber wenig durchleuchtet4. Derartige theoretische Schwächen sind vor allem darauf zurückzuführen, daß die Bedeutung der Praxis kollektiven HandeIns für Prozesse der sozialisatori sehen Interaktion bisher weitgehend unberücksichtigt geblieben ist. Howard S. Becker (l971; ursprünglich: 1963) hatte bereits in seiner Studie "Outsi ders" die Praxis kollektiven HandeIns ins Zentrum der empirischen Analyse gerückt und betont: "Nicht abweichende Motive führen zu abweichendem Verhalten, sondern genau umgekehrt: das abweichende Verhalten erzeugt mit. der Zeit die abweichende Motivation" (S. 36). Die Praxis alltäglichen HandeIns jenseits und unterhalb zweckrationaler Motive und Intentionen hat in der gegenwärtigen Theoriediskussion in der Soziologie eine neue und zentrale Bedeutung gewonnen (vom "praxeologi sehen Erkenntnisinteresse" bei Bourdieu bis hin zur Kategorie des "prakti schen Bewußtseins" bei Giddens 1988; siehe dazu auch: Joas 1988). Eine fruchtbare Aktualisierung dieser Konzeptionen setzt allerdings einen validen empirisch-methodischen Zugang zur Handlungspraxis voraus, wie dies auf der Grundlage methodologisch fundierter Verfahren der qualitativen bzw. rekonstruktiven Sozialforschung geleistet werden kann. Mit den in unserer empirischen Analyse entwickelten Kategorien des "habi tuellen HandeIns" und der "habituellen Übereinstimmung" werden Prozesse des sozialen Lernens und der Entstehung von Orientierungen und habituellen Stilelementen in peer-groups herausgearbeitet. Im Zentrum stehen Gruppen von Hooligans aus dem Ost- und Westteil der Stadt Berlin, die mit Musik gruppen, einer unauffälligen Gruppe und einer Gruppe "linker, ~ewaltberei­ ter" Jugendlicher aus dem Ostteil der Stadt verglichen werden . Dies u. a. 3 Von Engel und Hurrelmann (1989, S. 28) werden Lehrlinge mit Hauptschul abschluß als "bildungsferne" Gruppen angesehen. 4 So wurden z. B. in der insgesamt sehr aufschlußreichen und reflektierten repräsentativen Studie von Willems u. a. (1993) 93,8 % fremdenfeindlicher Straf und Gewalttaten als Gruppentaten eingestuft. 5 Cliquen weiblicher Lehrlinge stellen in unserer Berliner Untersuchung keinen eigenständigen Forschungsbereich dar. Die ganz anders gearteten Probleme der Ausgrenzung und Kriminalisierung bei jungen Frauen und Mädchen, die primär deren Sexual-und Geschlechtsrollenverhaltenbetreffen (vgl. 6. Jugendbericht 1990 sowie 8. Jugendbericht 1994) hätten die Komplexität unseres Projektes in einer 6 deshalb, um Besonderheiten der Orientierungen und Auffälligkeiten des Lebenslaufs bei Lehrlingen nicht vorschnell als konstitutive Merkmale einer "kriminellen Karriere" zu konstruieren, sondern diese in einem allgemeinen theoretischen Modell der Sozialisation verorten zu können. In komparativer Analyse können dann die besonderen Bedingungen der Lebensgeschichte herausgearbeitet werden, die in eine spezifische Handlungspraxis der Ado leszenzentwicklung - z. B. diejenige der Aktionismen kö~erlicher Gewalt - münden. Dabei wird auch die Bedeutung der "Wende" beleuchtet, deren Analyse allerdings nicht im Zentrum steht. Es zeigt sich hier, daß die viel fach diskutierte These von einer milieuspezifischen "Desintegration" zwar nicht falsch, aber zu global bzw. eindimensional ist. Wie unsere Ergebnisse zeigen, werden Erfahrungen der milieuspezifischen Desintegration oder der "habituellen Verunsicherung" in sehr unterschiedli cher Weise bewältigt. Von entscheidender Bedeutung ist hier unter anderem, inwieweit die familiale Kommunikation Möglichkeiten einer (meta-)kommu nikativen Bewältigung von Orientierungsproblemen und der Ausbildung einer persönlichen Identität vermittelt. Theoretische Grundlagen Bei Becker, dem Mitbegründer des labeling-approach, war die Analyse der Definitionsprozesse der Kontrollinstanzen noch verbunden mit der Analyse der Alltagspraxis derjenigen, deren Handeln Gegenstand dieser Definitionen ist 7. Gegenwärtig werden diese Bereiche zumeist isoliert, ohne ausreichenden schwer integrierbaren Weise erhöht. Einbezogen wurde allerdings eine Clique von Freundinnen der Hooligans. - Zur Musikgruppe Hiptext und zur Gruppe mit familialer Bindung Schau gehört jeweils auch eine junge Frau. 6 Mit dem hier und im folgenden verwendeten Begriff" Wende" sind zusammenfas send die politisch-historischen Ereignisse des Mauerfalls, der Neukonstitution der DDR, der Währungsunion und des Zusammenschlusses der beiden deutschen Staaten gemeint - so, wie dieser Begriff überwiegend auch von den von uns untersuchten Jugendlichen verstanden wird. 7 Der Zugang zur Ebene der Handlungspraxis wurde von Becker zwar empirisch in überzeugender Weise geleistet, bei der theoretisch-kategorialen Erfassung geriet er jedoch in einige Verwirrungen, die er dann auch in den aus diesem Grunde verfaßten "Nachträglichen Bemerkungen ... " (Becker 1971, Kap. 10) nur unzureichend zu klären vermochte. Zur gen auen Klärung bedarf es einer fundierten Unterscheidung von kommunikativem (intentionalem) und habituellem Handeln. 7 Bezug aufeinander bearbeitet: die Kriminologie befaßt sich - wie gesagt - derzeit schwerpunktmäßig mit der Analyse der Alltagspraxis von Kontroll instanzen bzw. - Kontrolldiskursen. Andererseits erhalten innerhalb der prominenten Studien zur Jugendgewalt (Heitmeyer 1993 u. 1995) die durch den Eingriff der Kontrollinstanzen und den Ausgrenzungsdruck seitens der Öffentlichkeit mitproduzierten Abweichungs- und Gewaltpotentiale keinen ausreichenden systematischen Stellenwert. Überwiegend findet sich dort ein "objektivistischer" Zugang zur gesell schaftlichen Realität. D. h. die "objektive" gesellschaftliche Realität wird als ein von deren "subjektiver" Erfahrung getrennt zu analysierendes Phänomen behandelt. So werden z. B. bei Heitmeyer (1992) "Desintegrationspotentiale" von "Desintegrationserfahrungen" unterschieden, wobei erstere als objektive gesetzt und der empirischen Überprüfung entzogen werden, die von vorneher ein auf Desintegrationserfahrungen beschränkt bleibt. Auch in Studien, die sich wie diejenige von Heitmeyer als "qualitative" verstehen, wird "qualita tiv" häufig mit einer Analyse des "Subjektiven" gleichgesetzt. Im empiri schen Forschungsprozeß wird durch diese "Leitdifferenz" (vgl. Matthes 1992) zwischen "objektiver Realität" und "subjektiver Erfahrung" stillschweigend vorgegeben, was rür die Erforschten überhaupt erfahrbar sein kann bzw. in welchem kategorialen Rahmen eine empirische Analyse dieser Erfahrungen stattzufinden hat. Dieser kategoriale Rahmen ist dann auch nicht durchgängig theoretisch expliziert; vielmehr gehen milieuspezifische Selbstverständlich keiten (der Forscherinnen und Forscher) in seine Konzeptionierung ein. Auf diesem Wege kann ein privilegierter Zugang zur gesellschaftlichen Wirklich keit in Anspruch genommen werden, ohne daß dieser methodologisch begrün det würde. In der von Mannheim u. a. auch in Auseinandersetzung mit Marx und Durkheim entfalteten Wissenssoziologie ist diese Leitdifferenz (und der mit ihr verbundene Objektivismus) dadurch obsolet geworden, daß gesellschaftli ches "Sein", gesellschaftliche Lagerung nicht jenseits des Erlebens der Er forschten angesiedelt wird, sondern sich durch Gemeinsamkeiten des biogra phischen Erlebens der Handlungspraxis, der Sozialisationsgeschichte, des Schicksals überhaupt erst konstituiert und auf diese Weise auch empirisch greifbar wird. Insbesondere ging es Mannheim (1980, S. 231 ff.) darum, die Analyse des Kollektiven, der Kollektivvorstellungen nicht allein von ihrer "Dinghaftigkeit" im Durkheimschen Sinne her zu bestimmen. Zugehörigkeit zu demselben Milieu, z. B. zu derselben Generation, bedeutet dann Ein bindung in gemeinsame Erlebniszusammehänge, in "konjunktive Erfahrungs räume" (Mannheim 1922-1925; 1980). Milieuanalyse ist in diesem Sinne 8

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