© Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Die stammesgeschichtlichen Verwandtschaftsbeziehungen der Flußkrebse Die Stellung der Astacida im phylogenetischen System der Decapoda (Zehnfußkrebse) S. RICHTER Abstract mainly based on the work of SCHOLTZ & RICHTER (1995). Well known taxa such The Closest Relatives of the Cray- as Palinura, Astacura and Anomura are fishes - the Position of the Astacida apparently not monophyletic. The crayfis- in the Phylogenetic System of the hes are probably not closely related to Decapoda. homarids. Instead they belong to the Frac- tosternalia also including thalassinids, One important task for systematists is anomalans and brachyurans. Within the the reconstruction of the phylogenetic relationships of taxa. Here I discuss cha- Fractosternalia the crayfishes are either racters for the phylogenetic placement of the sister group of the remaining taxa or the crayfishes within the reptant decapods the sister group of the Thalassinida. Stapfia 58. zugleich Kataloge des OÖ. Landesmuseums, Neue Folge Nr. 137 (1998), 213-220 213 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Aufgaben und Methoden einer art) zurück. In einem ersten Schritt ist es phylogenetischen Systematik notwendig, zwischen den verschiedenen Arten gemeinsame Merkmale zu erkennen. Flußkrebse sind wie Urzeitkrehse, Wasser- Dabei muß jedoch beachtet werden, daß nur flöhe sowie einzelne Vertreter anderer Grup- Merkmale verwendet werden sollen, die pen der Krebstiere (Crustacea) Süßwasserbe- tatsächlich auf eine gemeinsame Abstammung wohner. Ihre nächsten Verwandten leben hindeuten (Homologien) und die nicht nur jedoch (bis aut wenige Ausnahmen) wie die Zeichen ähnlicher Lebensweise sind (Konver- Mehrzahl der Krehstierarten im Meer. Auch genzen). Der entscheidende Unterschied gegenüber einer traditionellen und vielleicht auch eher intuitiven Systematik besteht nun aber dann, daß die gemeinsamen homologen Merkmale zwischen zwei Taxa nicht einfach summiert werden, sondern nach abgeleiteten (apomorphen) und ursprünglichen (plesio- morphen) Merkmalen unterschieden werden. Für eine Rekonstruktion der phylogenetischen Beziehungen können dabei nur die apomor- phen Merkmale herangezogen werden. Nur sie deuten auf eine Schwestergruppenheziehung. Dabei wird davon ausgegangen, daß diese Merkmale in der direkten Vorfahrenreihe (Ahnenlinie) der beiden Schwestergruppen evolviert wurden. Die beiden Schwestergrup- pen bilden somit eine geschlossene Ahstam- mungsgemeinschaft (Monophylum). Ein ein- faches Beispiel soll das verdeutlichen (in Anlehnung an Ax 1984; Abb. 2): Für eine Rekonstruktion der Verwandtschaftsbeziehun- gen der Menschenaffen einschließlich des Abb. 1: sie sind populär und gehören :u den „typi- Menschen kann der Besitz eines Felles, also Verschiedene Vertreter der Decapoda schen" Krebstieren. Zu ihnen zählen Hummer, eines mehr oder weniger geschlossenen Haar- Reptantia: obere Reihe von links nach Langusten und Bärenkrebse, Maulwurfskrebse, rechts: Cherax destructor (Astacida), kleides, nicht herangezogen werden. Zwar ist Einsiedler- und Furchenkrebse und schließlich Birgus latro (Anomala), Ibacus peronii dieses ein homologes Merkmal, welches (Achelata); mittlere Reihe: Geocar- die echten Krabben. Alle diese Gruppen kön- coidea natalis (Brachyura), Lomis hirta nen trotz ihrer recht unterschiedlichen Orang Utan, Gorilla und die beiden Schim- (Anomala), Enoplometopus debelius pansenarten vereint, doch handelt es sich Gestalt als Decapoda Reptantia zusammenge- (Homarida), Petrolisthes lamarckü hierbei um ein plesiomorphes Merkmal, wie (Anomala), Albunea symnista faßt werden (Abb. l). (Anomala), Coenobita sp. (Anomala); ein Blick auf die übrigen Säugetieranen leicht untere Reihe: Callianassa australiensis Zu den Aufgaben einer zeitgemäßen Syste- verrät. Die Vorfahren des heutigen Menschen (Thalassinida), Pisa nodipes (Brachyu- matik gehört die Rekonstruktion der stammes- haben das Fell, dessen Reste wir weiterhin an ra). geschichtlichen (phylogenetischen) Ver- uns feststellen können, verloren. Über die wandtschaftsbeziehungen der einzelnen Tier- Schwestergruppenbeziehungen läßt sich mit gruppen. Dabei wird nach Methoden verfah- Hilfe dieses Merkmales somit keine Aussage ren, die der Entomologe Willi HENNIG ab treffen. Vielmehr sind Gorilla und die beiden 1950 entwickelt und formuliert hat. Ziel einer Schimpansenarten mit dem Menschen näher Rekonstruktion der phylogenetischen Ver- verwandt als mit dem Orang Utan. Das läßt wandtschaftsbeziehungen ist es, das jeweils sich überzeugend u. a. durch die Verschmel- nächst verwandte Taxon (eine Gruppe von zung von zwei Handwurzelknochen begrün- Arten oder auch eine einzelne Art), die soge- den, ein Merkmal, das dem Orang Utan und nannte Schwestergruppe, zu finden. Zwei allen übrigen Affen fehlt. Was zählt, ist also Schwestergruppen gehen damit auf einen nur nicht die Gesamtähnlichkeit, sondern ent- ihnen gemeinsamen Vorfahren (ihre Stamm- scheidend sind einzelne Merkmale (Apomor- 214 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at phien), die auf eine exklusive gemeinsame Pleocyemata zusammengefaßt. Vertreter ande- Abstammung deuten. Der Gorilla, die beiden rer Taxa der Natantia geben dagegen die Eier Schimpansenarten und der Mensch bilden in das freie Wasser ab, wie es auch bei vielen damit eine geschlossene Abstammungsge- anderen Krebstieren der Fall ist (BURKENROAD meinschaft (Monophylum). Dieses Beispiel 1963). Aufgrund dieser phylogenetischen Ver- zeigt auch, daß die Klassifikation in der Zoolo- wandtschaftsbeziehungen erweist sich auch gie nicht in jedem Fall den Anforderungen eine andere Gruppierung, die der „Lang- einer phylogenetischen Systematik genügt, schwanzkrebse" oder Macrura, die neben den wird man doch noch viele Lehrbücher finden, Natantia auch die Astacura und Palinura in denen die Menschenaffen (Pongidae) auf- umfaßt, als nicht grund ihrer allgemeineren Ähnlichkeit zusam- mehr vertretbar. mengefaßt und dem Menschen gegenüberge- Die vorwiegend stellt werden. Wir werden solcherart Beispiele bodenbewohnenden auch in der stammesgeschichtlichen Ver- Reptantia lassen sich wandtschaft der Flußkrebse kennenlernen. dagegen gut als Orang Utan Monophylum begrün- den. Sie besitzen eine Flußkrebse gehören zu den Reihe nur ihnen eige- Zehnfußkrebsen ner Apomorphien. Dazu gehören ein dor- Flußkrebse gehören neben den schon zu soventral abgeflachter Beginn genannten Taxa der Reptantia sowie Körper, eine scheren- Verschmelzung von 2 Handwurzelknochen dem Verwandtschaftskreis der Garnelenarti- artige Bildung am (Apomorphie) gen (Natantia) zu den Zehnfußkrebsen (Deca- fünften Schreitbein poda). Diese bilden ein Monophylum, welches (Pereiopod), vor- sich durch eine Reihe von Apomorphien nehmlich wohl mit begründen läßt: dazu gehören die Verbindung Reinigungsfunktion des Carapax mit den dorsalen Anteilen aller (Abb. 3A), und eine spezifische Körperhal- Abb. 2: acht Thoraxsegmente, die Ausbildung von tung bei der Spermienübertragung, bei der die Phylogenetisches Verwandtschaftsdia- mindestens zwei Kieferfüßen (Maxillipeden) Geschlechter Kopf an Kopf, die Ventralseiten gramm von Menschenaffen und und der Besitz eines Scaphognathiten, einer gegenüber, orientiert sind, während bei den Mensch zur Erläuterung einiger Begrif- fe der phylogenetischen Systematik. Bildung der 2. Maxille, die einen Wasserstrom Garnelenartigen die beiden Partner in einem erzeugt und damit einen wichtigen Beitrag für 90° Winkel zueinander angeordnet sind. die Atmung der Decapoda liefert. Innerhalb der Reptantia werden nun tra- Innerhalb der Decapoda werden die vor- ditionell (siehe GRÜNER 1993 für verschiede- wiegend schwimmenden Formen als Natantia ne Möglichkeiten der Klassifikation der Deca- und die vorwiegend bodenbewohnenden For- poda) vier höhere Taxa unterschieden: die men als Reptantia unterschieden (BOAS Astacura (mit Flußkrebsen, Hummern u. a.), 1880). Allerdings handelt es sich bei den die Palinura (mit Langusten und Bären- Natantia nicht um eine geschlossene Abstam- krebsen), die Anomura („Mittelkrebse", mit mungsgemeinschaft, sondern um eine Gruppe, Einsiedlerkrebsen, Maulwurfskrebsen, Fur- die aufgrund einer allgemeinen Ähnlichkeit chenkrebsen u. a.) und die Brachyura (die (wie die Menschenaffen) zusammengefaßt echten Krabben oder „Kurzschwanzkrebse"). werden, ohne daß damit die tatsächlichen Eine phylogenetische Analyse dieser Gruppen phylogenetischen Verwandtschaftsbeziehun- (SCHULTZ & RICHTER 1995) hat jedoch erge- gen wiedergegeben werden. Tatsächlich sind ben, daß es sich bei den drei erstgenannten Teilgruppen der Natantia näher mit den Rep- wahrscheinlich nicht um geschlossene tantia verwandt als mit den übrigen Natantia. Abstammungsgemeinschaften handelt, son- So werden bei Vertretern einiger Gruppen der dern um Ähnlichkeitsgruppierungen, die wie- Natantia ebenso wie bei den Reptantia die derum denen der Menschenaffen oder der Eier an den Schwimmbeinen (Pleopoden) Natantia entsprechen. Nur bei den Brachyura befestigt. Die entsprechenden Taxa werden als soll es sich um ein Monophylum handeln, 215 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at doch auch letzteres wird aufgrund molekularer Welches sind nun die basalen, ranghoch- Untersuchungen bestritten (Sl'EARS et al. sten Schwestergruppenbeziehungen innerhalb 1992). der Reptantia.' Diese Frage könnte vereinfacht auch lauten: Welches Taxon ist innerhalb der Reptantia das ursprünglichste? Allerdings muß Vorschlag für ein phylogeneti- bei dieser Formulierun» bedacht werden, daß sches System der bodenbewoh- nenden Zehnfußkrebse es keine ursprünglichen - oder gar primitiven (Decapoda Reptantia) - Arten t\]er Taxa gibt, sondern daß jede Art und jedes Taxon durch ein Muster aus Im folgenden soll nun ein phylogeneti- ursprünglichen und abgeleiteten Merkmalen sches System der Decapoda Reptantia vorge- charakterisiert wird. Als ursprünglich kann stellt werden, welches weitgehend dem Vor- also nur ein Taxon mit einer hohen Anzahl schlag von SCHOLTZ &. RICHTER (1995) folgt ursprünglicher Merkmale verstanden werden. (Abb. 4). Bei dieser Untersuchung wurden Schwestergruppe aller übrigen Reptantia Merkmalskomplexe der externen Morpholo- sind vermutlich die Polychelida (Abb. 5), eine gie, Anatomie, Ontogenese, Spermien- und relativ artenarme Gruppe, deren tiefseebe- Gehirnstruktur herangezogen. Hier möchte wohnenden Vertreter durch den Besitz von ich mich jedoch auf einige wenige, leicht einer Schere an jedem der fünf Pereiopoden nachvollziehbare Merkmale beschränken. (insgesamt besitzen die Tiere natürlich zehn Dabei soll an dieser Stelle betont werden, daß Schreitbeine, doch ist es üblich nur eine Kör- auch die Schlußfolgerungen der Systematik, perseite zu zählen) ausgezeichnet sind. Bezüg- wie die in allen wissenschaftlichen Diszipli- lich des 5. Pereiopoden gilt dieses allerdings nen, Hypothesencharakter besitzen. nur für die Weibchen. Dabei handelt es sich Weitere Untersuchungen werden zeigen, jedoch nur bei der Schere des 4- Pereiopoden welche der Schlußfolgerungen Bestand haben um eine Apomorphie dieses Taxons, da Sche- und welche in der Zukunft revidiert werden ren an den ersten drei Pereiopoden auch bei müssen. Abb. 3: Ausgewählte Merkmale zur Etablie- rung eines phylogenetischen Systems der Reptantia. A: Schere des 5. Pereio- poden von Polycheles typhlops (REM; Maßstab: 0,5 mm); B: 3. Maxilliped mit crista dentata von Orconectes limosus (REM; Maßstab: 0,5 mm); C: Sternum von Galathea squamifera. Pfeile deu- ten auf das letzte Thorakalsternit (Zeichnung: P. ADAM); D: 1. Antenne von Galathea squamifera (REM; Maß- stab: 0,5 mm). Abbildungen verändert nach SCHOITZ & RICHTER (1995). 216 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Reptantia Mflcrochelata " FractostetnaUa Meinre* Polychelida Brachyura Abb. 4: 5 Pereiopod meist_ unterhalb de Phylogenetisches Verwandtschaftsdia- Carapax getrage gramm der Decapoda Reptantia. Stel- Bodengänge 1 ^B p|eOn geschlechts- lung der Flußkrebse (Astacida) im bewohnend Jr^ dimorph, unter der System. Abbildungen verändert aus Thorax geklappt HOLTHUIS (1991) und GRÜNER (1993). spezifische Gestalt der Antenne letztes Thorakalsternit nicht mit davor liegendem verschmolzen stark ausgeprägte Schere am I. Schreitbein crista dentata. abgerundetes Telson ' dorsoventral abgeflachter Körper, Schere am 5. Schreitbein, Kopf an Kopf Kopulationsstellung verschiedenen Garnelenartigen und verschie- lenartigen eigenen - plesiomorphen Merk- denen Reptantia zu finden sind. malszustand beibehalten haben. So besitzen Alle ührigen Taxa lassen sich als Eurep- Vertreter aller höheren Taxa der Eureptantia tantia zusammenfassen, die sich mit Hilfe eine Reihe kleiner chitinöser Zähne, eine einiger Apomorphien von den Polychelida sogenannte crista dentata, auf dem Ischium des abgrenzen lassen, die den - auch den Garne- 3. Maxillipeden (Abb. 3B). Eine solche crista Abb. 5: Habitus von Polycheles typhlops (Polychelida). 217 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at fehlt den Polychelida und den Garnelenarti- Innerhalb der Macrochelata läßt sich eine gen. Ein zweites Merkmal betrifft die Form des Schwestergruppenbeziehung zwischen den Telsons: als Neuerwerbung kann ein abgerun- Homarida (Hummer u. a.) und den übrigen detes, mehr oder weniger quadratisches Telson Taxa wahrscheinlich machen. Die Homarida angeführt werden, während die Polychelida - besitzen wie Langusten und Bärenkrebse und ebenso wie die gamelenartigen Decapoda - auch die Polychelida ein (unterschiedlich dif- ein spit: zulaufendes Telson besitzen. Ein spitz- ferenziertes) einheitliches Sternum. Als abge- zulaufendes dreieckiges Telson besitzen aller- leitet kann dagegen angesehen werden, daß dings auch viele Krabben, doch kann dieses als das Sternit des letzten Thorakalsegmentes, also das des 5. Pereiopoden, von dem davor liegenden getrennt ist (Abb. 5C). Die Beweg- lichkeit des 5. Pereiopoden wird dadurch erhöht. Aufgrund dieses Merkmals, welches allerdings von den Brachyura, bei denen alle Thorakalsternite miteinander verschmolzen sind, nicht geteilt wird, läßt sich ein Mono- phylum Fractosternalia begründen. Innerhalb der Fractosternalia bleiben nun noch die Anomura und die Brachyura zu behandeln, ehe wir abschließend auf die Posi- tion der Flußkrebse im System der Reptantia zu sprechen kommen können. Die Krabben oder Brachyura lassen sich gut als geschlosse- ne Abstammungsgemeinschaft begründen, wenn auch einige Merkmale, die wir als typisch für die Krabben ansehen, erst inner- halb dieses Taxons evolviert wurden. Als Abb. 6: sekundäre Erscheinung innerhalb der Apomorphien, die für die gesamten Brachyura Phyllosoma-Larve. Brachyura gedeutet werden (SCHULTZ & gelten, können jedoch der abgeflachte und RICHTER 1995). unter den Thorax gelegte Hinterleib (das Ple- Ein Taxon Palinura (BORRAHAILE 1907), on) sowie dessen bei den Geschlechtem deut- bestehend aus Polychelida auf der einen und lich unterschiedliche Gestalt (das Pleon der den Langusten (Palinuridae, Synaxidae) und Männchen ist schmaler als jenes der Weib- Bärenkrebsen (Scyllaridae) auf der anderen chen) angeführt werden. Als gegen eine Seite, stellt somit keine geschlossene Abstam- Monophylie der Brachyura sprechend werden mungsgemeinschaft dar. Langusten und Übereinstimmungen in der Gestalt der Larven Bärenkrebse zusammen bilden dagegen sehr der ursprünglichen Brachyura und Vertretern wahrscheinlich ein Monophylum (die Ache- der Anomura gesehen (z. B. GURNEY 1942). lata nach ScHOLTZ &. RICHTER 1995), gekenn- Dabei handelt es sich jedoch wahrscheinlich zeichnet u. a. durch eine spezifische Larve, die um plesiomorphe Merkmale, die nicht für die Phyllosoma-Larve (z. B. GURNEY 1942; Abb. Rekonstruktion der Verwandtschaftsbeziehun- 6), und durch das Fehlen von Scheren (mit gen angeführt werden können. Ausnahme der des 5. Pereiopoden der Weib- Die Anomura (nach BORRAOAILE 1907), chen). bestehend aus den Maulwurfskrebsen (Thalas- Die übrigen Reptantia können als Mono- sinida) auf der einen und den Einsiedler- phylum zusammengefaßt werden, für das der krebsen (Paguroidea), Furchenkrebsen (Gala- Name Macrochelata vorgeschlagen wurde theoidea) sowie Lomoidea und Hippoidea auf (SCHOLTZ & RICHTER 1995). Dessen Vertreter der anderen Seite, sind wahrscheinlich nicht besitzen in der Regel eine besonders stark aus- monophyletisch. Vielmehr können die letzt- geprägte große Schere am 1. Pereiopoden ver- genannten als Anomala zusammengefaßt und glichen mit denen der nachfolgenden Extre- den Brachyura als Schwestergruppe gegenü- mitäten. bergestellt werden. Anomala und Brachyura 218 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at (vereinigt zu den Meiura) bilden dann die Doch ein Blick auf die einzelnen Merkmale Schwestergruppe zu den Thalassinida. zeigt, daß diese Übereinstimmungen auch von Die Meiura (SCHOLTZ & RICHTER 1995) jeweils anderen Taxa geteilt werden. Es han- lassen sich u. a. durch den Besitz einer spezi- delt sich also nicht um ausschließlich Homari- da und Astacida eigene Apomorphien. Für ein fisch gestalteten 1. Antenne vereinigen. Diese Monophylum Astacura lassen sich keine über- trägt zwei ungleich geformte Flagellen (ein zeugenden Merkmale finden. Dagegen besit- äußeres dickeres mit vielen Sinnesborsten und zen die Flußkrebse mindestens eine Überein- ein inneres wenig beborstetes dünneres Flagel- stimmung mit den Fractostemalia, nämlich lum). Zudem ist der Antennenstiel zweifach geknickt (Abb. 3D). Die Anomala, die so unterschiedliche Taxa wie u. a. die Einsiedler- krebse, die Steinkrabben und die Furchen- krebse vereinigen, werden durch einen ver- kleinerten und zeitweise unter dem Carapax getragenen 5. Pereiopoden - daher scheinen manche dieser Zehnfußkrebse nur acht Schreitbeine zu besitzen - begründet. Auch bei den Larven der Anomala befindet sich der 5. Pereiopod in einer spezifischen Position nach innen versetzt, einmalig im Reich der Zehnfußkrebse. Die Verwandtschaftsbezie- hungen innerhalb der Anomala können nicht Thema dieses Beitrages sein. Hierzu finden sich jedoch Angaben bei RICHTER & SCHOLTZ (1994). Die Thalassinida oder Maulwurfskrebse lassen sich durch das Bauen und Bewohnen von vertikalen Gängen im Meeressand als geschlossene Abstammungsgemeinschaft begründen. Eine ganze Reihe weiterer Merk- male werden von PoORE (1994) angeführt. Die Stellung der Flußkrebse im System der Zehnfußkrebse Wie lassen sich nun schließlich die Fluß- krebse (zur Angleichung an die übrigen Taxonnamen von SCHOLTZ & RICHTER 1995 als Astacida bezeichnet) in das phylogeneti- sche System der Reptantia eingliedern. In vie- die für dieses Taxon namengebende, ein nicht len Klassifikationen (erstmals BORRADAILE Abb. 7: mit dem davor liegenden verschmolzenes let- Sternum von Cherax destructor (Asta- 1907) werden Astacida und Homarida zusam- zes Thorakalsternit (Abb. 7). cida). Pfeile deuten auf das letzte men als Astacura angeführt. Und in der Tat Thorakalsternit (Zeichnung: P. ADAM). sind die Ähnlichkeiten zwischen beiden Taxa Nach SCHOLTZ & RICHTER (1995) könn- Abbildung verändert nach SCHOLTZ & RICHTER (1995). groß: sie besitzen einen kräftigen muskulösen ten die Astacida die Schwestergruppe aller Hinterleib, eine große Schere am 1. Pereiopo- übrigen Fractostemalia (also von Thalassinida den, zwei weitere Scheren an den beiden und Meiura) bilden, doch auch eine Schwe- nachfolgenden Extremitäten, eine 1. Antenne stergruppenbeziehung zu den Thalassinida ist mit zwei mehr oder weniger gleich gestalteten möglich. Die Frage, ob die Astacida selbst ein wenig beborsteten Flagellen und noch eine Monophylum bilden, ist Thema eines anderen ganze Reihe weiterer Übereinstimmungen. Beitrages (SCHOLTZ in diesem Band). 219 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Zusammenfassung Literatur Eine der vorrangigen Aufgaben einer bio- Ax P. (1984): Das Phylogenetische System. — G. Fischer Verl., Stuttgart. logischen Systematik ist die Rekonstruktion BOAS J.E.V. (1880): Studier over Decapodernes Sla- der stammesgeschichtlichen (phylogeneti- egtskabsforhold. — Videnskabelege Selskab schen) Verwandtschaftsbeziehungen der Skrifter 6. Raekke, naturvidenskabeleg og Organismen. Bei dieser Rekonstruktion ist mathematisk Afd. 1.2: 25-210. nach den Prinzipien einer konsequent phylo- BORRADAILE L.A. (1907): On the classification of the genetischen Systematik, wie sie von dem Ent- decapod crustaceans. — Annals and Magazines of Natural Hist. (7) 19: 457-486. omologen Willi HENNIG entwickelt wurde, zu verfahren. Die Flußkrebse gehören demnach BURKENROAD M.D. (1963): The evolution of the Euca- rida, (Crustacea, Eumalacostraca), in relation to zu den Decapoda Reptantia, den vornehm- the fossil record. — Tulane Studies in Geology 2: lich bodenbewohnenden Zehnfußkrebsen. 2-17. Bekannte Taxa dieser Tiergruppe, wie die GRÜNER H.-E. (1993): Crustacea. In: GRÜNER H.-E. Palinura, die Anomura und auch die Astacura (Hrsg.): Lehrbuch der Speziellen Zool., Bd. I, 4. stellen wahrscheinlich keine geschlossenen Teil. Arthropoda (ohne Insecta): 448-1030. — G. Fischer Verl., Jena. Abstammungsgemeinschaften (Monophyla) GURNEY R. (1942): Larvae of decapod Crustacea. — dar. Das bedeutet auch, daß die Hummer Ray Society, London. wahrscheinlich nicht die die nächsten Ver- HENNIG W. (1950): Grundzüge einer Theorie der phy- wandten der Flußkrebse sind. Vielmehr läßt logenetischen Systematik. — Deutscher Zentral- sich eine nahe Verwandtschaftsbeziehung der verl., Berlin. Flußkrebse zu den Thalassinida, Anomala und HOLTHUIS L.B. (1991): FAO species catalogue. Vol. 13. Brachyura begründen, die alle gemeinsam als Marine lobsters of the world. An annotated and illustrated catalogue of species of interest to fis- Fractosternalia vereinigt werden können. heries known to date. — FAO Fisheries Synopsis Innerhalb der Fractosternalia könnten die No. 125 13: 1-292. Flußkrebse die Schwestergruppe aller übrigen POORE G.C.B. (1994): A phylogeny of the families of Taxa oder aber auch nur der Thalasssinida Thalassinidea (Crustacea: Decapoda) with keys darstellen. to families and genera. — Memoirs Mus. Victo- ria 54:79-120. RICHTER S. & G. SCHOLTZ (1994): Morphological eviden- ce for a hermit crab ancestry of lithodids (Cru- stacea, Decapoda, Anomala, Paguroidea). — Zool. Anzeiger 233: 187-210. SCHOLTZ G. & S. RICHTER (1995): Phylogenetic systema- tics of reptantian Decapoda Malacostraca: Cru- stacea). — Zool. J. Linnean Society 113: 289- 328. SPEARS T., ABELE L. G. & W. KIM (1992): The monophy- ly of brachyuran crabs: a phylogenetic study based on 18S rRNA. — Systematic Biology 41: 446-461. Anschrift des Verfassers: Dr. Stefan RICHTER Institut für Biologie AG Vergleichende Zoologie Humboldt Universität zu Berlin Philippstr. 13 D-10115 Berlin Deutschland e-mail: [email protected]'berlin.de 220