ACHIM SCHRADER DIE SOZIALE BEDEUTUNG DES BESITZES IN DER MODERNEN KONSUMGESELLSCHAFT DORTMUNDER SCHRIFTEN ZUR SOZIALFORSCHUNG Herausgegeben von der SozialJorschungsstelle an der Universität Münster - Sitz Dortmund Band 32 Achim Schrader Die soziale Bedeutung des Besitzes in der modernen Konsumgesellschaft Folgerungen aus einer empirischen Untersuchung in Westdeutschland SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH ISBN 978-3-663-00320-5 ISBN 978-3-663-02233-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-02233-6 Verlags-Nr. 043932 © 1966 by Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Westdeutsmer Verlag, Köln und Opladen 1966 GesamthersteIlung: J. D. Küster Namf., Bielefeld D6 VORWORT Diese Untersuchung ist ein Teil des von der Deutschen Forschungsgemein schaft, Kommission für dringliche sozialpolitische Fragen, geförderten For schungsvorhabens "Reaktionen und Motivationen der Bevölkerung gegen über sozialpolitischen Umverteilungsmaßnahmen", das unter der Leitung von Prof. Dr. Helmut Schelsky durch Dr. Hans-Joachim Knebel, Dr. Franz-Xa'Oer Kaufmann, Dipl.-Psychologe Dieter Grun und den Verfasser in der Sozialforschungsstelle an der Universität Münster, Sitz Dortmund, bearbeitet wurde und demnächst abgeschlossen wird. Im Rahmen dieser Untersuchung wurde im Herbst 1961 in städtischen und ländlichen Gebieten Westdeutschlands eine Erhebung bei etwa 500 Haushalten vorgenommen, die thematisch sehr breit angelegt war und das Ziel hatte, das Feld der interessierenden "Reaktionen und Motivatio nen" abzustecken. Zu den Erhebungsinstrumenten gehörten Fragen nach dem Vorhandensein von und den Einstellungen zu Besitz (Immobilien, dauerhaften Gebrauchsgütern und Rechtsansprüchen). Die Antworten auf diese Fragen konnten nicht ohne weiteres nach sozialpolitischen Kate gorien ausgewertet werden. Dazu fehlte das theoretische Rüstzeug, nach dem sich die Soziologie in der Epoche nach Marx, Simmel, '0. Stein und Max Weber mit dem Besitz kaum noch beschäftigt hat. So mußte man vor einer unmittelbar sozialpolitisch orientierten Aus wertung ein theoretisches Bezugssystem entwerfen und es am erhobenen empirischen Material überprüfen. Diesem Ziel dient diese Arbeit, die hel fen möchte, den Besitz und die Einstellung dazu als soziale Phänomene der modemen Konsumgesellschaft neu zu durchdenken und auf diese Weise auch einen Beitrag zur sozialpolitischen Diskussion der Gegenwart zu leisten. Eine empirische Untersuchung entsteht nicht nur durch die Arbeit eines einzelnen am Schreibtisch, auch wenn er als Autor später die alleinige wissenschaftliche Verantwortung dafür trägt. Vielmehr bedarf es der Mit arbeit vieler, denen zu danken eine angenehme Pflicht des Autors ist: Das gilt in besonderem Maße für die schon Genannten; vor allem dankt er Herrn Prof. Dr. Schelsky für die Möglichkeit, diesen Teil des größeren Projekts selbständig zu bearbeiten und dafür seine Anregungen zu empfan gen. Für wertvolle Hinweise ist er' darüber hinaus besonders den Herren Prof. Dr. Dieter Claessens, Dr. Heinrich Ebel und Dr. Dietrich Storbeck 6 Vorwort in aufrichtigem Dank verbunden. Schließlich möch.te er Frau El/riede Tomoor, den Herren Karl Strotmann und Diethard Nietzio für die Be arbeitung des Zahlenmaterials, Fräulein Marianne Dschuschuk für die Be treuung des Manuskripts und den Interviewern und Codierern für ihre Mitarbeit danken. Dortmund, im Frühjahr 1965 Achim Schrader INHALTSVERZEICHNIS VORWORT 5 1. TEIL: THEORETISCHE GRUNDLEGUNG 1. Kapitel: Soziologische Definition des Begriffes Besitz. 11 1. Besitz als soziales Objekt . . . . . 11 2. Besitz zwischen Notdurft und Luxus 12 3. Ist Besitzen soziales Handeln? . . 14 4. Ist Besitz sozialer Wert? . . . . . 15 5. Besitzen als Selektion von Werten . 16 2. Kapitel: Besitz als Erfüllung sozialer Bedürfnisse 16 1. Einleitung . . . . . . . . 16 2. Der anthropologische Ansatz 18 3. Bedürfnis und Besitzerwerb 19 4. Ableitung der Bedürfnisse . 20 5. Struktur der Bedürfnisse 20 3. Kapitel: Besitz als Symbol . . 22 2. TEIL: OPERATIONALE DEFINITIONEN 4. Kapitel: Die Erhebung 25 5. Kapitel: Besitzindices 27 1. Der Besitztest . . . 27 2. Die Bildung von Objektgruppen 29 3. Die Bildung der Indices. . . . 33 31. Anforderungen an die Indexbestandteile 34 32. Anforderungen an die Indexzusammensetzung . 36 33. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . 36 4. Ortung der Indices im Referenzsystem des Grund- und Geld besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 6. Kapitel: Operationale Definitionen der Daten zur sozialen Diffe- renzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 7. Kapitel: Operationale Definitionen der Einstellungen 42 8. Kapitel: Statistische Verarbeitung 44 1. Korrelationsrechnung 44 2. Tableaus . . . . . . . . . . 45 8 Inhaltsverzeidmis 3. TEIL: DIE BEDEUTUNG DES BESITZES FüR DIE SOZIALE DIFFERENZIERUNG 9. Kapitel: Einleitung 47 10. Kapitel: Familie. . . 50 1. Familie und Besitz . 50 2. Besitz und Familie . 57 3. Trends und Thesen . 59 11. Kapitel: Siedlungsform 63 1. Siedlungsform und Besitz 63 2. Besitz und Siedlungsform 65 3. Zusammenfassung ... 66 12. Kapitel: Beruf und Arbeit 67 1. Beruf und Besitz . 67 11. Berufsstatus 67 12. Berufsmobilität 71 13. Wirtschaftssektor 72 14. Betriebsgröße . . 73 15. Zusammenfassung 74 2. Besitz und Beruf 74 3. Trends und Thesen 76 13. Kapitel: Mobilität . . 79 1. Mobilität und Besitz 80 11. Horizontale Mobilität 80 12. Berufsmobilität im Vergleich zur geographischen Mobilität 82 13. Vertikale Mobilität 83 2. Besitz und Mobilität . . 85 3. Trends und Thesen 86 14. Kapitel: Soziale Schichtung 89 1. Problemgeschichtlicher Rückblick • 90 2. Der Mittelwertcharakter des sozialen Status 93 3. Schichtung und Besitz 95 31. Bildung ........ . 95 32. Einkommen . . . . . . . . 97 Problemgeschichtlicher Exkurs 97 Einkommen und Besitz . . . . 100 33. Zusammenfassende Betrachtung der statusbestimmenden Kriterien ...... . .102 34. Soziale Schichtung . . . .102 4. Besitz und soziale Schichtung . 104 Inhaltsverzeichnis 9 4. TEIL: DIE BEDEUTUNG DES BESITZES FüR DIE SOZIALE ORIENTIERUNG 15. Kapitel: Einstellung zur Familie . . .108 1. Einstellung zur Familie und Besitz .108 2. Besitz und Einstellung zur Familie .111 3. Trends und Thesen . . . . . . .112 16. Kapitel: Einstellung zum Beruf . .113 1. Einstellung zum Beruf und Besitz .113 2. Besitz und Einstellung zum Beruf .115 3. Trends und Thesen ..... . .116 17. Kapitel: Einstellung zur Mobilität .118 18. Kapitel: Wirtschaftliches Verhalten .120 1. Finanzverhalten und Besitzniveau .120 2. Vorsorgeverhalten und Haftungsintensität .124 3. Zusammenfassung ......... . .126 19. Kapitel: Politische Einstellungen . . . . . .127 1. Einstellungen zum Staat und Besitzniveau .127 2. Einstellungen zum Staat und Haftungsintensität . .129 3. Vertrauen zur Verwaltung und Wunschintensität .130 4. Besitz und Einstellung zum Staat . . .131 5. Zusammenfassung ....... . .132 20.· Kapitel: Sozialpolitische Orientierung. .133 5. TEIL: DIE SOZIALE BEDEUTUNG DES BESITZES 21. Kapitel: Besitz als Kontrollinstrument der Person . 136 1. Funktionale Kontrolle des Besitzers . . . . . . . . . 137 2. Symbolische Kontrolle des Besitzers . . . . . . . . . 139 22. Kapitel: Besitzstreben als Ergebnis der Konditionierung der Person 141 1. Komplementäre Konditionierung der Person . . . . 142 2. Substitutive Konditionierung der Person . . . . . . 143 23. Kapitel: Besitz als Kontrollinstrument der Gesellschaft . 145 1. Funktionsorientierte Kontrolle . . . . . . . 145 2. Wertorientierte Kontrolle. . . . . . . . .146 3. Manipulierung der Kontrolle der Gesellschaft .147 LITERATUR VERZEICHNIS .151 NAMENVERZEICHNIS .. .165 1. Teil THEORETISCHE GRUNDLEGUNG 1. Kapitel: Soziologische Definition des Begriffes Besitz 1 Im Sprachgebrauch lassen sich Besitz und die mit diesen beiden Silben gebildeten Wörter einer großen Zahl von Bereichen zuordnen. Besitz bezeich net Größenverhältnisse, setzt Handeln voraus, zieht Handeln nach sich und erregt Gefühle und Affekte. Im Sprachbereich des Wirtschaftlichen ver knüpft sich Besitz mit Reichtum und Armut, mit Erwerb und Verkauf, mit Geben und Nehmen; in Recht und Ethik gewinnt er Bedeutungen, die mit Gesetzmäßigkeit, Gesetzlosigkeit, Berechtigung und Nichtberechtigung be schrieben werden 2. Die Vielfalt des Sprachgebrauchs deutet darauf hin, daß Besitz nicht allein Materie ist. Nicht nur das Verb "besitzen", sondern auch das Wort "Be sitz" selbst beschreibt ein Verhältnis von Besitzern und Nichtbesitzern zum Objekt Besitz. Das Wort "Besitz" beschreibt also sowohl das Objekt als auch die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt. Die Verwendung des Wor tes "Besitz" in vielen Sprachbereichen deutet weiter darauf hin, daß Besitz in seiner Eigenschaft als Objekt wie auch in seiner Eigenschaft als Subjekt Objekt-Beziehung fast unübersehbare Bezüge im sozialen Zusammenhang aufweist. 1. Besitz als soziales Objekt Besitz in seiner materiellen Qualität wird erst dadurch soziales Objekt, daß das Subjekt zu ihm eine Beziehung eingegangen ist; sei es als Besitzer, sei es als Nichtbesitzer. Soziologisch bedeutungsvoll wird ein solches Subjekt-Ob jekt-Verhältnis jedoch erst im Zusammenhang mit anderen Subjekt-Objekt bzw. Subjekt-Subjekt-Verhältnissen. Die Beziehung des Individuums zum Besitz -losgelöst von der sozialen Bedeutung, die diesem Verhältnis beigemes sen wird - ist kein soziologisches Erkenntnisobjekt. Erst im sozialen Zusam- 1 Der juristische und sozialgeschichtliche Unterschied zwischen Besitz und Eigentum wird nicht berücksichtigt. Zur hier verwendeten operationalen Definition des Besitzes vgl. S. 32 ff. 2 Dornseij, Wortschatz. Im Textteil erscheinen die zitierten Publikationen mit dem Verfassernamen und einer Kurzform des Titels. Das Literaturverzeichnis enthält alle bibliographischen Angaben, wo bei die im Text genannte Kurzform in Klammern vor den betreffenden Titel gesetzt ist. 12 Theoretisme Grundlegung menhang befähigt Besitz den Besitzer anders als den Nichtbesitzer, sozial zu handeln. Dieser Zusammenhang bewirkt, daß die Objekte und die Bezie hungen der Subjekte zu den Objekten in dem sozialen Bezugsrahmen, in dem das Subjekt lebt, bewertet werden und daß sich sowohl Besitzer als auch Nichtbesitzer an diesen Wertungen orientieren. Die Art und Weise, in der der Besitzer durch den Besitz zu sozialem Handeln befähigt wird, läßt sich mit T alcott Parsons 3 als seine Fähigkeit beschreiben, eine soziale Situation zu kontrollieren (to control). Die Tat sache, daß der Besitz der gesellschaftlichen Bewertung unterliegt, bewirkt, daß der Besitzer wie auch der Nichtbesitzer durch das Objekt Besitz bzw. die Subjekt-Objekt-Beziehung ("Besitzer -Besitz" und " Nichtbesitzer -Besitz") ebenfalls sozial bewertet wird (bzw. in der Terminologie Parsons': to be controlled). Besitz hat also, soziologisch gesehen, zwei voneinander zu unterscheidende, jedoch miteinander verbundene Bedeutungen: Besitz ist das Agens des Besit zers, seine soziale Situation zu kontrollieren; Besitz ist das Agens der Gesell schaft, ihre Mitglieder - seien sie Besitzer oder Nichtbesitzer - zu kontrollieren. Besitz stempelt die Person zum "Herrn" und zum "Opfer" 4 ihrer sozialen Umwelt. - In diesem sozialen Bezugsrahmen wird Besitz zum soziologischen Erkenntnisobjekt. Soziales Handeln einer Person in Familien, Gruppen primärer und sekun därer Art, in Gemeinden, in wirtschaftlichen Bezügen, in Staat und Gesell schaft ist ohne Berücksichtigung des Besitzes nicht zu denken. Besitz stabili siert die von der Person gewonnene soziale Position sowohl durch die Fak tizität des Besitzes selbst als auch durch die individuelle Einstellung zu dieser Faktizität. Die soziale Orientierung der Person geschieht ebenfalls unter Mit wirkung des Besitzes; Besitz ist als Träger gesellschaftlicher Werte in beson derem Maße geeignet, ihr die Wertvorstellungen der Gesellschaft drastisch zu vermitteln. Besitz ist - in der Terminologie Freuds und Parsons' - ge eignet, Objekt für "kathektische", also Wert-Besetzungen zu sein. 2. Besitz zwischen Notdurft und Luxus Bevor die soziologische Bedeutung des Besitzes näher präzisiert werden kann, müssen wir wegen der geschilderten Vielfalt der Semantik des Wortes Besitz zunächst genauer darstellen, welche Typen von Besitzobjekten uns in dieser Arbeit besonders interessieren werden. 3 Parsons, General Theory, S. 9. 4 Whyte, Herr und Opfer der Organisation.