Versdindliche Wissenschaft Band 69 Lothar M. Loske Die Sonnenuhren Kunstwerke der Zeitmessung und ihre Geheimnisse Zweite, erganzte Auflage Mit 67 Abbildungen Springer-Verlag Berlin' Heidelberg· New York 1970 Herausgeber der Naturwissenschaftlichen Abteilung: Prof. Dr. Karl v. Frisch, Miinchen Prof.lng. ebron. L. M. Laske Sta. Margarita 413 Mexiko 12, D. F. ISBN-13: 978-3-540-05027-8 e-ISBN-13: 978-3-642-86364-6 DOl: 10.1007/978-3-642-86364-6 Umschlagentwurf: W. Eisenschink, Heidelberg Das Werk ist urheberrechtlich geschlltzt. Die dadurch begrllndeten Rechte, insbesondere die der Obersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funk sendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ahnlichem Wege und der Speiche rung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, aum. bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Bei Vervielfaltigungen fllr gewerbliche Zwecke ist gemall § 54 UrhG eine Vergiitung an den Verlag zu zahlen, deren Hohe mit dem Verlag zu vereinbaren ist. © by Springer-Verlag Berlin' Heidelberg 1959 and 1970. Library of Congress Catalog Card Number 77-120382. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handels namen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dall 80Iche Namen im Sinn der Warenzeidlen und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Titel-Nr. 7202 V orwort zur zweiten Auflage DaB eine zweite Auflage notwendig geworden ist, laBt hof fen, daB das Interesse an Sonnenuhren weiter besteht und neue Kunstfreunde und Liebhaber dieser alten Technik und Wissenschaft sich den bisherigen zugesellen werden. Bei der Vorbereitung der zweiten Auflage wurden Anregungen beriicksichtigt, die in zahlreichen Besprechungen gemacht wurden. Das geschichtliche Kapitel konnte unverandert bleiben. Den zahl reichen Wiinschen, einer kiinftigen Neuauflage Empfehlungen zum Se1bstbau beizugeben, konnte erfreulicherweise entsprochen wer den. Besonderer Dank gebiihrt dem Verlag fiir seine Zustimmung zu einer wesentlichen Erweiterung des Abbildungsmaterials. So ist es ge1ungen, den Freunden von Sonnenuhren eine Reihe moder nerer Ausfiihrungen im Bild vorzufiihren. Allen Freunden und Anhangern dieser unserer altesten Technik und Wissenschaft der Zeitmessung wiinsche ich Freude und An regung bei der Lektiire der Neuauflage. Mexiko, im Juli 1970 Lothar M. Loske v Vorwort zur ersten Auflage Beim Anblick einer alten Sonnenuhr mag schon manchem eine ahnende Vorstellung entstanden sein tiber die Schonheit und Gro~e der Astronomie und Mathematik, die es uns ermoglichen, die Himmelskorper - Sonne, Mond und Sterne - einzuladen, mit ihrem Licht und Schatten die Stun den unseres Daseins selber zu zahlen. Und wenngleich eine Sonnenuhr im 20. Jahrhundert - im Zeitalter der hochentwickelten Technik - keinerlei wirtschaft lichen Wert mehr erlangen kann, so liegen in ihr doch innere Werte. Die Entwicklung der modernen Uhrenindustrie hat sehr viel Anteil daran, wenn es heute nur noch wenige Menschen gibt, die mit den wahren astronomischen Zusammenhangen einer Sonnen uhr vertraut sind. Die vorliegende Schrift machte deshalb eine Anregung sein, neue Freunde und neues Verstandnis ftir diese tiber aus interessante und sehr lehrreiche Zeitme~kunst zu finden. Es werden nicht nur die Reprasentanten der Antike nach ihren Einzelheiten beschrieben und ihre historischen Werte erforscht, son dern auch gezeigt, wie man selbst durch Studieren und Experimen tieren hinter die Geheimnisse der Linien und Winkel kommen kann, denen man ohne besondere Erfahrung fremd gegentiberstehen muK Auch in der dekorativen Kunst kann die Sonnenuhr zu Stil und Formausdruck unseres Jahrhunderts dienen. Und so ist es mein Wunsch, da~ die vorliegende Schrift, neben der Achtung vor den alten Meisterwerken, zu eigenem zeitgenossischem Schaffen ermuti gen mage. Mexiko, im November 1958 Lothar M. Loske VI Inhaltsverzeichnis Die Lehre von den Sonnenuhren . 1 Die Erde als Normaluhr un serer Welt 18 Die Sterntage . 19 Die Sonnentage 19 Der Sonnen tag ist langer als der Sterntag 20 Eine gedachte Sonne ermoglicht den "mittleren Sonnentag" 21 Tabelle der Zeitgleichung 24 Der Alltag des 20. Jahrhunderts braucht die "Normalzeit" 24 Ortszeit - MEZ-Tabelle 26 Die Sommerzeit 29 "Greenwich Mean Time" als Weltzeit 29 Die Datumsgrenze 30 Die Methoden astronomischer Zeitbestimmung 30 Die Mittagslinie 32 Die Tierkreiszeichen und Tierkreis-Sternbilder 35 Die Stellung der Sonnenuhren zur Erdachse 38 Die Harmonie der Stundenlinien . 42 Die Konstruktion von Sonnenuhren mit einfachen Stunden- linien auf verschiedenen Flachen . 44 Der Abweichungsmesser . 51 Konstruktion der abweichenden Vertikal-Sonnenuhr 53 Die polare Ostuhr und die pol are Westuhr . 55 Aufrig einer polaren Westuhr 57 Die polare Suduhr 59 Die aquatoriale Sonnenuhr 60 Die aufgebogene l\quatorialuhr 62 Die Stundenlinie fur "mittlere" Sonnenzeit 63 Sonnenkalendarium . 68 Kalendarium nach der Sonnenhohe auf mehreren Flachen 70 Die Tageslangen auf dem Sonnenuhrzifferblatt 71 Die hyperbolischen Bahnen der Schatten 73 VII Die Tierkreislinien auf cler Wandsonnenuhr 76 Die Stundenlinien ftir die Normalzeit . 78 Die "Weltzeit" auf clem Sonnenuhrzifferblatt 81 Die Aquatorial-Sonnenuhr der Stadt Frankfurt a. M. 82 Normalzeit - MEZ . 84 "Weltzeit", "wahre" und "mittlere" Sonnenzeit und Normal- zeit ftir tiber 200 Orte anderer Linder 85 Tierkreiszeichen 86 Universelle Aquatorial-Sonnenuhr 88 Sinnsprtiche auf Sonnenuhren 94 Empfehlungen zum Selbstbau 95 Sachverzeichnis 100 VIII Die Lehre von den Sonnenuhren Die Lehre von den Sonnenuhren - fachlich richtig Gnomonik genannt - hat viele Epochen durchgemacht und basierte dabei stets auf sorgfaltigen Beobachtungen. Nach den uralten Gesetzen. von denen uns Vitruvius und Ptolemaus in ihren Schriften be richten, folgte eine "Gnomonik der Neuzeit", die ihrerseits bis zum heutigen Jahrhundert vielerlei Veranderungen erfahren hat. Und erstmals in der Geschichte der Zeitmessung werden in dieser Schrift Methoden und astronomische Instrumente beschrieben, die selbst den Bediirfnissen un seres technisch hochentwickelten Zeit alters ge recht werden konnen, wie die Angabe von" Weltzeit" und "Nor malzeiteinheiten" . Das erste Zeitme~gerat des Menschen zur Feststellung der Tagesstunden war unseres Wissens der Schatten, den ein senkrech ter Stab bei Sonnenschein auf den Boden warf. Sicherlich fiel es den nachdenkenden Menschen auf, da~ sich ihr eigener Schatten im Verlaufe des Tages mehrfach ·veranderte. Sie konnten beob achten, da~ der Schatten vom Morgen an nach und nach kiirzer wurde, urn die Mitte des Tages ein Minimum erreichte, und von da ab wieder wuchs bis zum Untergang der Sonne. Mit dieser Er fahrung lie~ sich die Lange des Schattens feststellen, den der eigene Korper zu den verschiedenen Tagesabschnitten warf, und man ma~ ihn nach der Lange seines Fu~es aus. "Wenn dein Schatten sechzehn Fup miBt, geliebte Berenike. erwartet dich dein Amasis am Olivenhain." So mag sich im alten Xgypten ein feuriger Jiingling mit dem Madchen seiner Wahl verabredet haben. Am anderen Tag Iud Berenike den Geliebten "auf vier Fup" zum Essen ein, und wenn gleich Amasis urn einen Kopf gro~er war als sie, so ma~ er seinen Schatten auch mit einem langeren FuB. Der Grieche Philoxenes vernahm einstmals aus dem Munde seines Arztes die schicksalsschwere Mahnung: 1 Loske, Sonnenuhren 1 "Wenn du noch irgendeine Anordnung zu treffen hast, dann geh ohne Aufschub daran, denn du wirst binnen sieben Fuj1 sterben." Bald ging man dazu iiber,.offentliche Platze mit Sonnensaulen zu schmiicken, deren SchattenHingen durch Platten am Boden ge mess en wurden. Wer damals geniigend Geld besaB, konnte einen Sklaven halten und ihm den Befehl erteilen, sich unter den Obelisk zu setzen und dann eilends nach Hause zu laufen, sob aid die Schattenlange eine halbe oder volle Stundenmarkierung erreicht hatte. Die Aufgaben der alten steinernen Zeitmesser beschrankten sich nicht immer nur auf die Einteilungen der Tagesstunden, sondern dienten auch als MaBstab fiir den gesamten Jahresablauf. Ruinen monumentaler Sonnenuhranlagen aus der Zeit 2000 bis 1500 Jahre v. Chr. lassen erkennen, wie geschickt und genau die damaligen Astronomen ihre Kalendereinteilungen aufzustellen wuBten. Solche Reste astronomischer Weisheit finden sich bei allen Kulturvolkern Asiens und des Mittelmeerraumes, insbesondere bei den 1\gyptern sowie auch bei den Assyrern, Arabern und Chaldaern. Unweit der oberagyptischen Stadt Theben konnte ein Sonnentempel freigelegt werden, der 1500 v. Chr. zu Ehren des Sonnengottes Amon-Rha errichtet wurde und durch seine Anordnung Intelligenz und astro nomische Weisheit verrat. Die gewaltigen und noch heute zum groBten Teil erhalten ge bliebenen steinernen Sonnenuhren in Jaypur und Delhi werden als die leuchtendsten Monumente der dunklen Geschichte Indiens be zeichnet. Sie sind Zeugen einer jahrtausendelangen Entwicklung der indischen ZeitmeBkunde und Astronomie. Zu verdanken sind diese prachtvollen Bauwerke dem Maharaja von Jaypur Sowei Jai Singh II., der, 1686 geboren, bis zu seinem Tod 1743 bedeutende indische Gelehrsamkeit verkorperte und im Mittelpunkt wissenschaftlicher Forschung stand. Jai Singh widmete sich bereits in seiner friihesten Jugend den Disziplinen der Astro nomie und Mathematik. Er fand, daB die damals in Gebrauch ste hen den Tafeln unzureichend genau waren und bemiihte sich mit wissenschaftlicher Systematik urn neue und bessere Tafeln. Ein zu sammenfassendes Werk seiner Arbeit liegt im Britischen Museum in London aus. Der Hofpandit Jaganath schreibt von Jai Singh, daB er sehr klug war, genial neue Methoden einzufiihren wuBte 2 und Globen und Instrumente konstruierte. Fur seme Observato rien habe er eine Sonnenuhr, eine Erd- und Himmelskugel, ein Scheitelkreisinstrument, einen Mauerquadranten, einen Bogen von 60° in den Meridian gestellt, eine Aquatorial-Sonnenuhr und an deres mehr errichtet. Heute sind im Observatorium von Jaypur noch 16 Instrumente aus dieser Zeit erhalten. Auch in China, einem Land mit vieltausendjahriger Kultur, wurden unter fast allen Dynastien astronomische Instrumente und Zeitmesser erdacht und gebaut. Einer der bisher altesten Zeugen ist vermutlich die Ringkugel (Armillarsphare) von Lo Hsia-Hung, der 139 bis 86 v. Chr. unter der Herrschaft von Wu Ti lebte. Neben vielen anderen prachtvollen Bauwerken der aztekischen Volkskunst wird in der Stadt Mexiko der sogenannte "Stein der Sonne" aufbewahrt (Abb. 1). Es handelt sich urn einen gewaltigen Basaltstein von 25 t Gewicht und einem Dunnmesser von 3,6 m. Die Arbeit nahm vermutlich 52 Jahre in Anspruch und wurde 1479 beendet. Dieser Kalender ist 103 Jahre alter als unsere heu tige Kalendereinteilung, die immerhin schon 1582 von Papst Gre gor XIII. fUr die gesamte christliche Welt eingefuhrt wurde. 1m kleinsten Kreis in der Mitte zeigt sich das Gesicht des Son nengottes der Azteken Tonathiuh, des Herrschers der Welt. Urn seinen Kopf befinden sich 4 Quadrate, die sogenannten Nahuiollin (vier Bewegungen), worunter vielleicht die 4 Jahreszeiten zu ver stehen sind. Bestimmt jedoch erzahlen sie von den 4 verschiedenen Wegen der aztekischen Legende uber das Kommen und Gehen der Welt. Die Figuren in Form eines V verkorpern die Warme- und Lichtstrahlen der Sonne. Der folgende grogere Zirkel, urn die Quadrate der Gewalten, ist in 20 Felder eingeteilt. Jedes Feld ver sinnbildlicht durch eine kleine Skulptur einen der 20 Tage des az tekischen Monats. Das Jahr setzte sich aus 18 Monaten zusammen. Mit je 20 Ta gen ergeben sie 360 Tage, zu denen noch 5 Tage - als 5 dicke Punkte im Innern des Tageszirkels markiert - hinzugezahlt wur den. Wahrend dieser Nemontemi (Opfertage) wurde jedes Jahr ein Azteke gehobenen Standes der Sonne geopfert. 1* 3