DIE •• •• SEROSE ENTZUNDUNG EINE PERMEABILITATS-PATHOLOGIE VON DR. HANS EPPINGER o. O. PROFESSOR, VORSTAND. DER I. MED. UNIVERSITATSKLINIK DR. HANS KAUNITZ DR. HANS POPPER UND IN WIEN MIT EINEM ANHANG UBER DEN MOLEKULAREN AUFBAU DER EIWEISSSTOFFE VON DR. HERMANN MARK UND DR. ANTON VON WACEK o. O. PROFESSOR, VORSTAND DES I. CHEM. PRIVATDOZENT, ASSISTENT DES I. CHEM. UNIVERSITATS-LAJ30RATORIUMS UNIVERSITATS-LABORATORIUMS IN WIEN MIT 124 TEXTABBILDUNGEN SPRINGER-VERLAG WIEN GMBH ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER DBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN. COPYRIGHT 1935 BY SPRINGER·VERLAG WIEN URSPRUNGLICH ERSCHIENEN BEI JULIUS SPRINGER IN VIENNA ISBN 978-3-7091-9622-9 ISBN 978-3-7091-9869-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-7091-9869-8 DER ALTEN WIENER MEDIZINISCHEN SCHULE ANLASSLICH DER 150.JAHRFEIER DES ALLGEMEINEN KRANKENHAUSES ZUGEEIGNET Vorwort. Unser Buch "Zur Pathologie und Therapie des menschlichen Odems" bildete den Auftakt fUr eine Reihe von klinischen Untersuchungen, die sich mit del' Bedeutung des peripheren Kreislaufes beschaftigten. Hier wurde erstmalig betont, wie wenig die Niere allein fUr die Entstehung del' unterschiedlichen Formen von Wassersucht verantwortlich gemacht werden kann und wie sehr die peripheren Gewebe als atiologischer Faktor in Betracht kommen. Als eigentliche Ursache vermuteten wir einen Kapillarschaden, del' einen EiweiBaustritt aus del' Blutbahn zur Folge hat; damals spraehen wir bereits von einer Albuminurie ins "Ge webe. Auf dem Umwege iiber das "Asthma cardiale", bei dem wir uns fiir eine Starung del' Motorik del' KapiUaren interessierten, naherten wir uns del' Frage, was im Organismus gesehieht, wenn es zu einem "Versagen des Kreislaufes" kommt; selbstverstandlich sahen wir uns nicht im mindesten veranlaBt, die fiihrende Rolle des Herzens zu schmalern, abel' wir waren bemiiht, Veranderungen in del' Peripherie starker zu betonen als es bis dahin tatsachlich geschehen ist. Wir muBten sogar beim Kreislaufversagen an allgemeine Gewebsstarungen denken, weshalb auch die Stoffwechselsttirungen des Herzkranken unsere regste Aufmerksamkeit erheischen. Auch hier muBte del' Grund del' Stoffwechselveranderungen in Schiidigungen des Kapillarsystems gesucht werden. In weiterer Folge war es uns gelungen, das Gesehehen wahrend des Kollapses zu klaren; hier begegnen wir dem peripheren Faktor .. in reinster Form, wahrend das Herz bei dieser Kreislaufschiidigung nur mittelbar betroffen erscheint. Als wir die Kapillarveriinderungen wahrend des Kollapses genauer verfolgten, gelang es uns, die urspriing lich nur vermutete Albuminurie ins Gewebe sichel' zu stellen; wir miissen somit mit der Tatsache rechnen, daB die EiweiBkorper des Elutes gelegentlich die GefaBe verlassen und in die Gewebe iibertreten. Dieser pathologische Vorgang stellt eine Erkrankung del' Kapillaren dar, die sich bald in diesem, bald in jenem Organ starker bemerkbar machen kann; sie beansprucht auch eine nominelle Sonderstellung, weswegen wir von einer "serosen Entziindung" sprechen. Unsere Auf- VI Vorwort. gabe war, auf experimentellen und pathologisch-anatomischen Grund lagen aufbauend, die KIllik dieses Zustandes zu eroffnen. DaB wir mit dem Studium des Kollapses begannen, erleichterte unser Bemuhen. Dies ist auch der Grund, warum wir bei der vorliegenden Darstellung auf die Analyse des Kollapses weitgehend eingingen. Wien, im September 1935. Die Verfasser. Inhaltsverzeichnis. Seite I. Der Kollaps.................................................. 1 UmgrenzWlg des klinischen Begriffes Kollaps ................... 1 Historische EntwicklWlg und AbgrenzWlg des Begriffes Kollaps von der Herzinsuffizienz ........................................ 2 a) Kardiale Theorie, b) Gefii13erschlaffWlg, c) BeziehWlgen zur Infektion. Identitat von Shock Wld Kollaps, sowie Theorien ihrer EntstehWlg 5 a) Einflu13 des Traumas, b) Das kleine Herz, c) Vasomotoren lahmWlg, d) Nebennierenversagen, e) Akapnietheorie - Kohlen saure, f) Kiirpereigene Zerfallsprodukte - Histamin, g) Leber venensperre. Blutdepots Wld zirkulierende Blutmenge ....................... 8 VerminderWlg der zirkulierenden Blutmenge als eigentliche Ursache des Kollapses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 II. Der Kollaps im Experiment ................................... 10 Der Pepton-Shock. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 10 a) Symptomenbild, b) Versuchsanordnung Wld Verhalten des Kreislaufes, c) BeeinflussWlg durch Medikamente, d) Zusammen fassWlg. Der Histamin-Shock . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 a) Symptomenbild, b) Verhalten des Kreislaufes, c) Blutein dickWlg. d) Permeabilitatssteigerung. Lymphflu13 Wld Leber venensperre, e) BeeinflussWlg der Gasdiffusion, f) BeeinflussWlg der Muskeltatigkeit, g) "KapillarisierWlg", h) Zusammenfassung. Der Vasomotorenkollaps ...................................... 27 a) VersuchsanordnWlg, b) Kreislauf Wld Blutdepots, c) Blut und Lymphe, d) ZusammenfassWlg. Der Kollaps nach Blutverlusten ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 31 a) Symptomenbild, b) Kreislauf, c) Kompensation des Blut verlustes, d) Lymphflu13, e) ZnsammenfassWlg. Der Kollaps nach VerbriihWlg........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a) VersuchsanordnWlg Wld Symptomenbild, b) Blut Wld Kreis lauf, c) ZusammenfassWlg. Der experimentelle WWldkollaps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Der orthostatische Kollaps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 38 Der Kollaps bei Akapnie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 40 Der Kollaps bei bakteriellen Infekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 41 FolgerWlgen aus dem Experiment flir das gesamte Kollapsproblem 41 VIII Inhaltsverzeichnis. Seite III. KUnik des Kollapses ....................................... 45 Differentialdiagnose zwischen kardialer und peripherer Insuffizienz 45 Postoperativer Kollaps ..................................... 46 Verbrennung. .. .. . ...... .. . .. ... .... .. ... .... ...... ... ... .. 49 OhnInacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 50 Kollaps nach Trauma... ... .. ... ...... ... .... .. ...... .... .. 51 Bauchfellentziindung ....................................... 52 Infektionskrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 54 Vergiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 55 Der Kollaps bei Herzkrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 55 Zusammenfassung ........... " ................ " ... ........ 56 IV. Therapie des Kollapses...................................... 56 V. KUnik der bakteriellen NahrungsmittelvergUtungen. . . . . . . . . . . .. 60 Symptomatologie .......... , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Kasuistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Schwere, mit Kollaps einhergehende Form. b) Icterus catar rhalis. c) Gastritis. d) Cholezystitis, e) Kolitis, f) Nephritis. g) Lahmung yom Typus der Landryschen Paralyse. Zusammenfassung ........................ '" .. . . .. . ... ..... 72 VI. Die serose Entzlindung als pathologisch-anatomischer Befund bei der Na hrungsmittelvergiftung ................................ 72 VII. Die akute und chronische Histaminvergiftung ................. 75 Einflu13 von Histamin auf die Kapillarfunktion .............. , 75 Histaminquaddel .......................................... , 76 Plasmaaustritt und Bluteindickung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 77 Die Leber bei der akuten Histaminvergiftung ................ 78 Histologische Bilder nach chronischer Darreichung von Histamin 82 a) Leber, b) Magendarmkanal, c) Pankreas. Zusammenfassung ........... ........ .. ... ... . .. . .. .. ... .... 90 VIII. Die chemische Natur der mutmallUchen Nahrungsmittelgifte .... 91 Die Giftigkeit des Fleisches notgeschlachteter Tiere ........... 91 Histamin kommt als Gift kaum in Betracht ................. 92 Die Ungesattigtheit der mutma13lichen Gifte.................. 93 Toxizitat des Eiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 94 Akrolein und Allylverbindlmgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 95 Nachweis des Allylamins. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 96 a) Durch Farbreaktionen, b) Durch kristallographische Unter suchung. Zusammenfassung ............... , .......................... 101 IX. Die akute und chronische Allylamin- und AllyHormiatvergiftung. 101 Allgemeines Symptomenbild ................................. 102 a) Blut- und Harnbeflmd, Erbrechen und Durchfalle, Verhalten der Temperatur, b) Kreislauf, c) Eiwei13fraktionen im Plasma, d) Verhalten der Lymphe, e) Leberpre13safte, f) Pfortaderdruck, g) Histamingehalt im Blut, h) Unterschied in der Wirkung von Allylformiat und Allylamin, i) Zusammenfassung. Inhaltsverzeichnis. IX Seite Der anatomische Befund bei der Allylformiatintoxikation . . . . .. 112 a) Makroskopisch, b) Mikroskopisch, c) Veranderungen nach chronischer Allylformiatvergiftung. Zusammenfassung .......................................... 120 X. Die serose Entziindung bei Basedowscher Krankheit und bci der Jodvergiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 122 XI. Kombinierte Wirkungen von Allylformiat mit Histamin und Thyroxin .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 125 Akute Endokarditis ........................................ 127 Leberzirrhose .............................................. 135 XII. Beeinflussung des retikuloendothelialen Systems durch die serose Entziindung ............................................... 153 XIII. Die Austauschvorgiinge im Bereiche der normalen und geschiidigtcn Kapillaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 163 Die Gewebsfliissigkeit ...................................... 164 Das Vinarol ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 173 Sauerstoffpassage durch die Kapillarwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 178 Triibe Schwelhmg.......................................... 181 XIV. Wege zur Analyse der serosen Entziindung beim lUenschen ..... 181 Die Bluteindickung ......................................... 182 Blutmenge und Serumeiwei13schwankungen.................... 183 Eiwei13iibertritt im Bereiche des gestauten Armes als Kriterium einer serosen Entziindung ................................. 186 Die Kantharidenblasenmethode als Kriterium flir das Bestehen von seroser Entziindung ...................................... 191 Der NafCl-Quotient als Kriterium der serosen Entziindl.Ulg .... 194 Das Problem der Blutkorperchensenkung und die serose Ent- ziindung ................................................ 196 XV. Ininik und Pathologie der serosen Elltziilldullg ................ 197 Die Serumkrankheit........................................ 198 Belichtungskrankheiten ..................................... 199 Die Verbrennung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 199 Die Beriberi-Krankheit ..................................... 203 Basedowsche Krankheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 207 Graviditat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 208 Vergiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 209 Der Rheumatismus infectiosus ............................... 213 Infektionskrankheiten ....................................... 215 Hypertonie und maligne Nierensklerose ....................... 217 Stauungsodem .............. " . " .......................... 219 Die Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 220 Der Icterus catarrhalis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 222 Akute Leb eratrophie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 242 Leberzirrhose .............................................. 243 Anderweitige Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 244 x Inhaltsverzeichnis. Seite XVI. Allgemeine Pharmakologie der serosen Entziindung........... 245 XVII. Allgemeine Therapie der serosen Entziindung ................ 259 XVIII. Zusammenfassung ........................................ 266 Anhang: tlber den molekularen Aufbau der Eiweillstoffe. Von H. MARK und A. von WACEK ...................................... 273 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 273 Die Aminosauren ....................................... 274 Die gegenseitige Verkniipfung der Aminosauren . . . . . . . . . . .. 275 Haupt- und Nebenvalenzen .............................. 276 Heteropolare und homoopolare Hauptvalenzen... . . . . . . . . .. 277 Die Durchlassigkeit von Eiweillmembranen . . . . . . . . . . . . . . .. 289 Das Eiweill in Losung ................................... 291 I. Der Kollaps. Umgrenzung des klinischen Begriffes Kollaps. Die Bezeichnung Kollaps stammt aus der Klinik der Infektions krankheiten. Die alten Arzte sprachen von diesem Zustand, wenn es im Verlaufe einer fieberhaften Erkrankung zu einer plOtzlichen Ver schlimmerung des gesamten Krankheitsbildes kommt; scheinbar unver mittelt setzt Tachykardie, Temperaturabfall und Ausbruch von kaltem Schweif3 ein; dabei liegen die Patienten starr und teilnahmslos da, die Gesichtszuge verfallen rasch, werden faltig; die Nase ist spitz, die Augen liegen glanzlos in den Hohlen und sind von breiten, dunklen Ringen umgeben; die Pupillen sind weit und reagieren trage, der Blick ist mude in die Ferne gerichtet; Haut und Schleimhaute sind blaB, Hande und Lippen ein wenig zyanotisch verfarbt; die Extremitaten fUhlen sich kalt an, sie sind, ebenso wie der ganze Stamm und das Gesicht, von kaltem, klebrigem SchweiB bedeckt. Venen sind weder in der Kubitalgegend, noch am Handrucken zu sehen. Die Temperatur, die noch vor kurzer Zeit zwischen 39 und 40° schwankte, ist unter 36° gesunken, selbst die Temperatur im Rektum zeigt weniger als 37°. Die Sensibilitat der Haut ist herabgesetl';t, nur bei sehr energischem Zugreifen verziehen die Patienten ein wenig das sonst maskenhaft starre Gesicht, wobei sie nur schwache Abwehrbewegungen ausfUhren; die Kranken vermeiden jede spontane Bewegung, die passiv erhobene obere Extremitat faUt wie leblos ZUl uck; der Puls der Art. radialis ist klein, vielfach kaum tastbar, auBerst frequent und unregelmaBig, oft be angstigend lang uberhaupt nicht zu fUhlen; im Gegensatz hiezu klopfen die Karotiden deutlich, bei mageren Menschen mit fehlendem Meteoris mus ist auch die Aorta abdominalis lebhaft hupfend zu tasten. Das Bewuf3tsein ist meist nicht getrubt, die Patienten geben zwar tr'age, aber klare Antworten, sie klagen uber Kalte, OhnmachtsgefUhl; gelegent lich kommt es zu einer auffallenden Geschwatzigkeit. Die Atmung ist unregelmaBig, mitunter bleibt sie langere Zeit aus. Halt der Zustand langer an; so steigert sich das DurstgefUhl; versucht der Patient zu trinken, so kann es zu Erbrechen kommen; die Zunge wird trocken, der Bauch schwillt an, wobei es oft zu einer VergroBerung der Leber kommt, die auch schmerzhaft werden kann; wenn sich das Krankheitsbild nicht rasch bessert, so tritt meist unter Verschlechterung des Pulses BewuBt losigkeit und Versagen der Atemtatigkeit der Tod ein. Eppinger, Serosc Entziindung. 1