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Die Romanliteratur der DDR: Erzähltechniken, Leserlenkung, Kulturpolitik PDF

367 Pages·1991·18.591 MB·German
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Friedrich-H. Schregel . Die Romanliteratur der DDR Friedrich-H. Schregel Die Romanliteratur der DDR Erzähltechniken, Leserlenkung, Kulturpolitik Westdeutscher Verlag CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schregel, Friedrich-H.: Die Romanliteratur der DDR: Erzähltechniken, Leserlenkung, Kulturpolitik / Friedrich-H. Schregel. - Opladen: Westdt. Verl., 1991 ISBN 978-3-531-12188-8 ISBN 978-3-322-90629-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-90629-8 Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann International. Alle Rechte vorbehalten © 1991 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt ins besondere fiir Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt ISBN 978-3-531-12188-8 Inhalt 1. Einleitung 1.1 Schriftsteller in der DDR heute 7 1.2 Absicht und Ziel der Untersuchung 8 2. Rezeptionsdimension von Formen 2.1 Leserbezug von Stilmitteln: Stand der Forschung 16 2.2 Stilmittel und Leseraktivität 27 3. Die vierziger Jahre 3.1 Einleitung: Die demokratisch-antifaschistische Phase in der SBZ 45 3.2 Erzähltechniken 46 3.3 Politik und Kulturpolitik 58 3.4 Rezeptionskonzepte 80 3.5 Die Formalismus-Kampagne 86 4. Die fünfziger Jahre 4.1 Einleitung 95 4.2 Erzähltechniken 99 4.3 Politik und Kulturpolitik: Konzepte und Praxis, Bitterfeld 128 4.4 Rezeptionskonzepte 155 4.5 Die 'harte Schreibweise' 159 5. Die sechziger Jahre 5.1 Einleitung 164 5.2 Erzähltechniken 165 5.3 Politik und Kulturpolitik 194 5.4 Rezeptionskonzepte 213 6. Die siebziger Jahre 6.1 Einleitung 221 6.2 Erzähltechniken 222 6.3 Politik und Kulturpolitik 246 6.4 Die 'Subjektivierungs-These' 258 6.5 Rezeptionskonzepte 270 7. Die achtziger Jahre 7.1 Die Entwicklung der literarischen Technik: Zusammenfassung 290 7.2 Erzähltechniken seit Mitte der siebziger Jahre 299 7.3 Überblick über die Literatwpolitik der achtziger Jahre 313 7.4 Rollenzuweisung und Rollensuche: Die Literatur Mitte der achtziger Jahre 322 Anhang Belletristik 329 Sekundärliteratur 353 Namenregister 363 6 1. Einleitung 1.1 Schriftsteller in der DDR heute Die Veränderungen in der DDR werden für die Schriftsteller dort schwerwiegende Folgen haben; literarische Kriterien werden nun wieder wichtiger sein als politi sche. Zugleich steht indes zu befürchten, daß ökonomische Kriterien in Zukunft über die Veröffentlichung von Literatur entscheiden werden - und darhit wieder nicht-kunstorientierte Überlegungen. J. Becker, 19TI von Ost- nach Westberlin umgezogen, bis dahin einer der angese henen und unbequemen Schriftsteller der DDR, sprach im Herbst 1989 auf einer Historiker-Tagung in Tel Aviv über die DDR-Literatur und ihre momentane Ver änderung. In einem Rückblick auf eigene Erfahrungen und ehemalige Kollegen wies er darauf hin, es habe sich für einen Autor stets ausgezahlt, in der Heimat DDR zensiert und kritisiert zu werden -umso aufmerksamer und begieriger sei die Kritik in der BRD gewesen, Probleme mit den Kulturbehörden in der DDR hätten immer hohe Umsätze in der BRD bedeutet. "Manche Bücher mögen nur geschrie ben worden sein, um in der DDR verboten zu werden ... ", vermutete er, den Um gang mit DDR-Literaturpolitikem pointierend.! Becker spricht einen wesentlichen Unterschied an -zwischen politisch braven oder um Opposition bemühten Romanen und literarisch guten Romanen. Bei vielen Ge legenheiten zuvor, beispielsweise auf dem Schriftstellerkongreß Ende 1987, wehr ten sich Autoren öffentlich gegen die Inanspruchnahme der Literatur für ihr nicht fremde, ihr aber nicht primäre Zwecke: Sie lehnten damit sowohl Forderungen von oben ab, Literatur solle regierungstreu und staats tragend sein, als auch Wünsche 1 s. Süddeutsche Zeitung, 06. 12. 89 7 von unten, Literatur solle machtkritisch und autoritätszersetzend sein; diese Ab wehr klingt auch bei Becker an. Eine neue Beurteilung des Aesthetischen und des Politischen, eine bewußtere Trennung der Bereiche steht an, der Inhalt gilt nicht mehr, so steht zu hoffen, als einziges Kriterium für die Beurteilung von Literatur, wie es so lange in Ost und West geübt wurde; das Kriterium Literarizität könnte nun ernst genommen werden. Hierum geht es in dieser Untersuchung: Die Entwicklung der Literatur in ihrer For mensprache wird beschrieben; nicht die Inhalte, sondern die Abhängigkeit und Selbständigkeit der Ausdrucksformen von Literatur werden historisch betrachtet. Kurz vor der Wende bereits und zur Zeit in noch größerem Maße werden Me moiren publiziert, die Zugang zu bislang unerreichbarem Material verschaffen. Diese Erinnerungen dürften aufschlußreich sein, vielerlei Hintergründe nämlich erhellen und mancherlei begreifbar machen, was bis heute eher durch Mut maßungen als Fakten belegt war. Gleichwohl werden die hier gefundenen Er gebnisse gültig bleiben; literarische Texte werden zugrunde gelegt, daran werden literaturpolitische und rezeptionsaesthetische Konzepte verdeutlicht. Dieses Mate rial wird von zukünftiger Aufklärung nicht direkt berührt, lediglich Entscheidun gen, Motive, Voraussetzungen und Einflußnahmen werden dem in Zukunft vorlie genden Material zu entnehmen sein. Insofern ist zu erwarten, daß die anstehenden Veröffentlichungen aus Archiven die hier ausgebreiteten Thesen und Untersu chungsergebnisse nicht werden ändern können, sondern Zusatzinformationen und Belegmaterialliefern. l.2 Absicht und Ziel der Untersuchung Will man einem einzelnen literarischen Werk gerecht werden, sind Inhalt und Form zu untersuchen - in ihrem Zusammenhang und ihrer Abhängigkeit, im wechselseitigen Durchdringen und gemeinsamen Wirken. Die Aussage eines Werks ist ein kaum auflösbares Ineinander von Form-und Inhaltsmomenten. Gerade in der DDR-Literaturwissenschaft wird die Dialektik von Inhalt und Form betont - in der Theorie. Verfolgt man nämlich genauer, was im Einzelnen ge schrieben und erforscht wird, stellt man fest, daß die Dialektik anfangs betont und späterhin mißachtet wird. Der Primat des Inhalts wird gesetzt, die Form als zweitrangig angesehen. In der Praxis der Literaturkritik und -politik werden litera rische Werke behandelt, als gäbe es keinerlei Zusammenhang zwischen Form und 8 Inhalt. nicht selten fehlt jedes Wort über die Gestaltung. Da werden Themen und Aussagen kritisiert, ohne die Fiktionalität zu berücksichtigen. ohne auf den Erzäh ler einzugehen. ohne aesthetische Elemente der Distanzierung zu betrachten. Da werden andererseits literarische Techniken schlechthin formalistisch oder dekadent geheißen. ohne einen Gedanken an ihre Verwendung in einem literarischen Ganzen zu verschwenden. Brecht kritisierte 1950 diese falsch betriebene sozialistische Li teraturwissenschaft: "lese eine arbeit über gorki und mich. von einer arbeiterstudentin in leipzig verfaßt ideologie, ideologie, ideologie. nirgends ein ästhetischer begriff'.2 Dennoch gibt es Möglichkeiten, gewinnbringend Form- oder Inhaltsmomente vor übergehend zu isolieren und für sich zu untersuchen. Die Berechtigung solcher Un tersuchungen liegt unter anderem im historischen Wandel- Veränderungen in der Thematik oder Gestaltung können in der Konzentration auf ein Werk auf keinen Fall erkannt, begriffen und erklärt werden. Neuerung in der Form wird nicht von einem neuen Inhalt bestimmt, sondern die Neuerungen im Inhalt und die in der Form werden beeinflußt von einer dritten Kraft - diese kann sowohl innerliterari scher als auch außerliterarischer Natur sein. Herausbildungen neuer Gestaltungs elemente oder Motive weisen auf einen verursachenden Faktor, der im Blick auf ein Werk schwerlich zu fassen ist -um überindividuelle, objektive Züge und Kräf te zu erkennen, braucht es den auf größere Zusammenhänge gerichteten Blick. Literarische Formen verändern sich. Die fiiihen russischen Strukturalisten -Tynja nov, Sklovskij und andere - widmeten diesem Phänomen Untersuchungen, schon sie zeigten, wie aesthetische Mittel und Methoden oder Genres mit der Zeit ab steigen; werden Darstellungsmittel lange und intensiv benutzt, verlieren sie ihre Aussagekraft und werden beliebig benutzbar, sind am Ende nurmehr Klischees. Sie sind mitunter in den Alltagsgebrauch übergegangen, sind auch dem künstlerischen Laien verständlich und verfügbar; Techniken und Genres verlieren ihre Wertschät zung als künstlerisch, werden deklassiert und leben im Kinderbuch oder im Aben teuerroman weiter. Die Kunstgattungen -hier: die Literatur - unternehmen deshalb Anstrengungen, immer neue Formen zu entwickeln -so bleibt die Differenz zwi schen hoher und niederer Literatur bestehen. Neben diesen inneren führen auch äu ßere Kräfte zur Veränderung -Einflüsse der Produktionsbedingungen, der anderen Künsten, der Gesellschaft im allgemeinen. rr. 2 B. Brecht, Arbeitsjouma11942· 55; Bd. Frankfurt/M. 1974 p.565 9 Nur im Blick auf Reihen von literarischen Werken werden Veränderungen in der Technik sicht- und untersuchbar. Im diachronen Blick bekommen aesthetische Techniken für sich auch eine erste Bestimmung als Inhalt -die neue Technik ist im Vergleich mit der alten mehr oder weniger leserorientiert, mehr oder weniger fa belorientiert, mehr oder weniger bestimmt von einer Funktion der Literatur. Was Fonnen ausdrücken, können in den meisten Fällen auch Inhalte ausdrücken, doch nicht erreichen: Die Aussage mag erzielt werden, indes mit einem anderen Leser bezug, mit einem anderen Umgang mit dem Leser. Nun muß kein Autor auf der Höhe seiner Zeit schreiben; auch die Verweigerung von Neuerungen kann Stilelement und Absicht sein. Dies zu entscheiden ist nur möglich bei genauer Betrachtung eines Einzelwerks vor dem Hintergrund der zeit genössischen Literatur. In keinem einzelnen Werk ist das Fehlen oder Vorhanden sein eines Darstellungsmittels auffällig; doch das Vorherrschen bestimmter Stilele rnente, das Ausbleiben von Wandel, der Zeitpunkt von Veränderungen ist von Be deutung, dem soll hier nachgeforscht werden durch die Betrachtung einer Vielzahl von Texten. Die Entwicklung von Fonnen kann man unter verschiedenen Aspekten betrachten. Hier wird nach den Ansprüchen an den Leser gefragt. Allein schon die Neuheit ei nes literarischen Mittels fordert den Leser heraus zu Bemühungen um Verständnis; darüber hinaus hat aber modeme Literatur Techniken entwickelt, die ganz unab hängig von der Qualität des Neuen stets die Qualität der Leseraktivierung besitzen; der Sinn liegt nicht mehr auf der Hand, will vom Leser erschlossen sein, eine ge nießende Hingabe an das Kunstwerk ist durch die Technik verunmöglicht. Die Auswahl der von mir näher untersuchten Stilmittel ist von solchen Überlegungen angeleitet. Erzähltechnik in ihrer Veränderung und ihrem Leserbezug untersuche ich am Bei spiel der Prosa der DDR. An diesem Untersuchungsgegenstand die Thesen zu ex emplifizieren bot sich an, weil in der DDR die Kunst offen funktionalisiert wurde und weil die Abgrenzung von Einflüssen -von außen und aus der Geschichte - leichter als bei anderen Literaturen zu bewerkstelligen ist. Jahrzehntelang entwickelte sich die DDR-Literatur in enger Anlehnung an die Po litik, Themen und Ziele aus der Politik waren den Literaten Orientierung. Inner halb des von der Politik gegebenen Rahmens entwickelte die Literatur eine Vielfalt von Themen, die den Literaturen anderer Länder in nichts nachstand; auch in der DDR werden Frauenromane, Abenteuerromane, christliche Erbauungsliteratur und Biographien verfaßt, verlegt und verkauft. Dieser thematische Reichtum, der im Westen kaum wahrgenommen wurde, ging lange Zeit einher mit einer aestheti- 10 schen Armut, die im Westen durchaus beobachtet und attackiert wurde. Die Kon zentration des Blicks auf die Romane mit Stoffen aus der unmittelbaren Gegenwart nimmt nicht nur die Literaturkritik in der BRD vor, sondern ebenso die in der DDR; beide messen mit unterschiedlichen Interessen die literarische Darstellung an der Realität. Ob nun die eine Gruppe kontrolliert, ob die Lehrsätze des soziali stischen Realismus allesamt einbezogen wurden, oder ob die andere Gruppe forscht, ob unter der OberfUlche Aufsässigkeit auszumachen ist - beide Gruppen reduzieren die Literatur des Landes erheblich. In der Erzählweise knUpfte die DDR-Literatur nicht an politisch und aesthetisch fortschrittliche Autoren der Weimarer Zeit an, sondern an Vertreter des bürgerli chen Realismus. Diese Linie fällt zusammen mit einer aus dem Marxismus-Leni nismus hergeleiteten Aesthetik. Die Theorie des sozialistischen Realismus verlangt nach Widerspiegelung und nach typischen Abbildern; schon dies eISChwert For men phantastischer, surrealistischer oder montierter Darstellung ganz erheblich. Die Widerspiegelungsaesthetik verwirft Formen der Subjektivität, also beispiels weise Figurenperspektive, Ich-Romane oder Briefromane. Die Vorstellung, objek tives und umfassendes Erfassen der Welt sei möglich und mit der materialistischen Methode des Marxismus-Leninismus auch erreichbar, äußert sich auch in Vor schriften für Formen und Vorgehensweisen der KunsL Dies gilt indes nur so lange, wie eine Produld- und Produktionsacsthetik als Maßgabe herrscht, im Werk also die Welt ~ch beschrieben fmden soll. Sobald der Leser, seine Aktivität und seine Ko-Produlction einbezogen wird, ist der Anspruch. die Welt soUe getreu wiederge geben sein, nicht. mehr aufrechtzuerllalten. Das Wissen ist nun vorbanden, daß nicht das Werk als Text, sondern das Werk im Rezeptionsakt zählt, die Wirkung, nicht mehr das Abbild ist nun zu beurteilen. Will man erklären, warum die Literatur- und Kulturpolitiker bestimmte Themen und Formen bevorzugten, bat man eine Reihe von Faktoren zu erläutern: im Zu sammenhang mit der bürgerlichen Herkunft dieser Politiker die Vorliebe für be stimmte Formen des bürgerlichen Realismus' , die theoretische und praktische Tra dition der sozialistischen Literaturbewegung, sowohl in Deutschland als auch in der Sowjetunion, die Vollcsfrontpolitik der dreißiger und vierziger Jahre als Hinter grund für die Erarbeitung der politischen und kulturpolitischen Linie in der SBZ I DDR, der Einfluß einzelner Literaturtheoretiker, wie z.B. Luk8cs', Bemühungen, sich abzusetzen von westlicher Literatur, dortigen Strömungen, Stilen und Stoffen, das Interesse schließlich, allen Bevölkerungsschichten den Zugang zur Kunst zu eröffnen. 11

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