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Die rätselhafte Schwimminsel PDF

82 Pages·2016·0.6 MB·German
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Hans J. Alpers / Ronald M. Hahn Die rätselhafte Schwimminsel Band 5 aus der Reihe „Raumschiff der Kinder“ ungekürzte Originaledition der nicht mehr aufgelegten Einzelausgabe von 1978 © Ensslin & Laiblin Verlag GmbH & Co. KG Reutlingen 1978. Sämtliche Rechte, auch die der Verfilmung, des Vortrags, der Rundfunk­ und Fernsehübertragung, der Verbreitung durch Kassetten und Schallplatten sowie der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten. Printed in Germany. ISBN 3­7709­0408­7 – Was man vorher wissen sollte – Harpo Trumpff: Sechzehn. Blondes, schulterlanges Haar. Hat gelegentlich Angst vor dem Alleinsein in der Dunkelheit. Grund seines Aufenthalts auf dem Sanatoriums­ schiff: Schwindelanfälle, Gedächtnisstörungen nach Stürzen. Chronist und Logbuchführer der EUKALYPTUS. Anca Trumpff: Harpos Schwester. Zwölf. Langes schwarzes Haar. Klein. Etwas pummelig. Regt sich auf, wenn man sie „Pummelchen“ nennt. Liebt Tiere. Mit Ollie sehr eng befreundet. Übertreibt gern. Wurde auf das Schiff geschickt, damit Harpo sich nicht allein fühlt. Brim Boriam: Vierzehnjähriger Negerjunge. Krauses Haar. War anfangs sehr schüchtern. Litt unter starken Sprachstörungen. Stottert jetzt nur noch, wenn er sehr auf­ geregt ist. Hat medizinisches Talent. Wurde von den Galaktischen Medi­ zinern in einem Schnellhypnose Verfahren zum Arzt ausgebildet. Thunderclap Genius: Deckname eines gelähmten fünfzehnjährigen Jungen. Hütet seinen echten Namen sorgsam. Hochintelligenter Tüftler. Technisch begabt. Alleswissende Leseratte mit eidetischem Gedächtnis (vergißt kaum etwas, was er einmal ge­ hört oder gelesen hat). Hobby: Entschlüsseln von Geheimschriften. Alexander: Sieht wie ein Bär aus. Träg einen roten Pelz. Kein Wunder, denn er ent­ stammt einer intelligenten Lebensform des Planeten Nordpol, die als Rasse der Rotpelze bekannt ist. Vielleicht zehn Jahre alt, aber sehr stark. Und lern­ eifrig. Nur mit der menschlichen Sprache will es noch nicht so richtig klappen. Lonzo: Roboter. Im Gegensatz zu seinen maschinellen Kollegen, die wegen ihrer teddybärartigen Aufmachung die „Grünen“ genannt werden, ohne Verklei­ dung. Behauptet von sich, überhaupt keine Maschine, sondern ein ehema­ liger Seeräuber zu sein. Ist zweifellos defekt. Steht voll auf der Seite der Kinder. Akzeptieren ihn, so wie er ist. Klopft gern Sprüche. Hat so ziemlich je­ des Buch über Piraten gelesen. Ist in der Lage, kleinere Verletzungen und Krankheiten mit einem eingebauten medizinischen System zu behandeln. Besitzt aus Metallringen zusammengesetzte Beine und einen kugelrunden Kopf. 2 Micel Fopp: Vierzehn. Schwarzhaarig. Dunkle Augen. Wurde durch falsche Medi­ kamente, die seine Mutter während ihrer Schwangerschaft einnahm, mit ver­ kürzten Armen geboren. Hände klein wie die eines Fünfjährigen und direkt an seinen Schultern angewachsen. Ansonsten körperlich unversehrt. „Tele­ path“ (ist in der Lage Gedanken zu lesen). Karlie Müllerchen: Fünfzehn. 2,20 Meter groß. Niemand weiß, wann er aufhören wird zu wachsen. Bürstenhaarschnitt. Liebt nichts mehr als Kartoffelpuffer. Tischt sie jedesmal, wenn er mit Küchendienst an der Reihe ist, den anderen in hundert Variationen auf. Hat Humor und starkes Interesse an Funktechnik und Astro­ navigation. Ollie: Elf. Strubbelkopf. Fransenbesetzte Lederhose. Ziemlich frech. Sogenannter „Hypochonder“ (eingebildeter Kranker). Kerngesund, redet sich aber ständig ein, gegen alles und jeden allergisch zu sein. Schreit nach Medizin, sobald er einen einsamen Pickel auf seiner Haut entdeckt. Sein Ziel: rasch erwachsen zu werden, weil er Anca Trumpff heiraten will. Moritz: Dackel. Ollies Liebling. Darf eigentlich nicht in die Zentrale. Wird von Ollie immer wieder eingeschmuggelt. Hat es auf Lonzos Metallbeine abgesehen. Und auf Trompo, den er für eine Art Hund hält. Trompo: Außerirdisches Wesen von Katzengröße. Sieht wie ein rosafarbener Elefant aus. Schlappohren. Haut ist von einem Fell bedeckt. Ist kein Tier, sondern ein intelligentes Lebewesen von einem Planeten mit unaussprechlichem Namen. Lebte als eine Art „Krankheitsaufspürer“ bei den Galaktischen Medizinern, bevor er auf das „Raumschiff der Kinder“ kam. Bharos: Elfenhaft zierlicher Mutant aus dem Stamme Akkai. Langlebig. Kann Ge­ danken lesen sowie sich selbst und andere durch Kraft des Geistes von einem Ort zum anderen transportieren. Strandete mit einem Raumschiff vor vielen hundert Jahren und überlebte Generationen von Nachkommen seiner einstigen Schiffskameraden, die sich zu Weltraumnomaden entwickelten. Schloß sich der EUKALYPTUS­Crew an, weil er gern auf seine Heimatwelt zu­ rückkehren möchte. Flint: Ehemaliger Raumpilot. Kahlköpfig, schwarzer Bart. Hatte finstere Pläne, die durch ein unvorgesehenes Ereignis zerstört wurden. Landet mit anderen 3 Schiffbrüchigen auf der Wasserwelt Tonoga. Ein unangenehmer Zeitgenosse, der den Raumfahrern der EUKALYPTUS zu schaffen macht. Erik: Flints enger Vertrauter. Macht alles, was sein Boß ihm aufträgt, auch wenn es kriminell ist. Vom Denken hält er nicht viel. Doona: Tanitaner. Als junger Wissenschaftler auf einer Forschungsstation tätig. Schuppige Haut, eiförmiger Schädel mit drei Nasenlöchern und Facetten­ augen. Führt ständigen Kampf gegen die bürokratische Verwaltung seiner Heimatwelt. Bricht zu einer abenteuerlichen Expedition auf, um auf einer Ro­ bot­Insel nach dem Rechten zu sehen. Caral: Doonas väterlicher Freund. Begleitet ihn auf der langen Reise zur Robot­In­ sel. Ebenfalls ein Tanitaner. Besonders erfahren als Zureiter der „Bogeys“, jener treuen Reitfische, ohne deren Hilfe die Reise nicht möglich wäre. Schwatzmaul: Elektronengehirn der EUKALYPTUS. Umfaßt alle elektronischen Teile, Steuer­ und Kontrollelemente des Schiffes. Und die Speicherbänke. Die Bord­ bibliothek. Ist nicht perfekt. Muß manchmal zugeben, daß er Wissenslücken hat. Redet mit menschlicher Stimme viel, gern und geschwollen. Auch über Sachen, die keinen interessieren. Das hat ihm seinen Namen eingetragen. EUKALYPTUS: Den Namen erhielt das Schiff erst durch die Kinder. Obwohl es ja eigentlich eher wie eine riesige Hantel aussieht. Zwei Kugeln, ein zy­ lindrisches Verbindungsstück. Besteht aus einer Vielzahl von Decks, jedes ki­ lometergroß, viele davon als künstliche Wüsten und Dschungel ausgestattet. Ob das Raumfahrzeug ursprünglich als eine Art Auswanderungsschiff für interstellare Reisen vorgesehen war, weiß man nicht so genau. Sicher ist nur, daß es einen neuartigen, vorher nicht getesteten Antrieb besitzt, der mehrfa­ che Lichtgeschwindigkeit zuläßt. Es umkreiste als Hospitalschiff für kranke und umweltgestörte Kinder die Erde – bis es sich aus noch ungeklärter Ursa­ che aus seiner Umlaufbahn riß. Die ursprüngliche Besatzung ließ das Schiff und die Kinder im Stich. Diese mußten selbst lernen, das Schiff zu steuern. Oder steuern zu lassen, denn die meiste Arbeit nimmt ihnen der allgegen­ wärtige Computer Schwatzmaul ab. Daß sich die EUKALYPTUS überhaupt wieder manövrieren läßt, verdanken die Kinder vor allem den hilfreichen „Weltraumärzten“, – einer extraterrestrischen Rasse – und dem tüchtigen Tiefschläfer Daniel Locke, der mit anderen Besatzungsmitgliedern auf dem Planeten Nordpol zurückblieb. Die EUKALYPTUS hat mehrere Beiboote, Fabrikationsstätten für alles, was an Bord benötigt wird, Wartungsroboter – und natürlich eine sehr tüchtige, aber auch fröhliche Besatzung. 4 SOS zwischen den Sternen Harpo erwachte von einem Stoß, fuhr hoch und dachte: Was hat Schwatz­ maul falsch gemacht? Für einen Moment lang erfaßte ihn Panik. Die Vorstellung, daß der fast all­ mächtige Computer des Sternenschiffes EUKALYPTUS fehlerhaft funktionie­ ren könne, führte dazu, daß sich seine Stirn mit einem Schweißfilm bedeckte. Er atmete tief durch, schüttelte den Kopf, und mit dieser Bewegung verflog der Alptraum, löste sich wie Rauch in nichts auf. Der kleine Lautsprecher neben seiner Koje knackte, dann sagte eine aufge­ regte Jungenstimme: „Alle Mann in die Zentrale! Alle Mann ... und Anca ... in die Zentrale! Ich glaube, ich spinne!“ Bevor Harpo Gelegenheit hatte, sich nach dem Grund für die Aufregung zu erkundigen, war die Stimme des Wachhabenden nicht mehr zu verstehen. Ein chaotisches Stimmengewirr drang aus dem Lautsprecher. Harpo zog sich hastig an und rannte ungekämmt den Korridor entlang. Türen klappten auf und zu. Brim Boriam, der an Bord der EUKALYPTUS die Aufgaben eines Arztes versah, tauchte vor ihm auf. Sein Gesicht hatte etwas von seiner natür­ lichen schwarzen Hautfarbe verloren. Beide Jungen liefen jetzt nebeneinander. „Was ist los?“ fragte Harpo keu­ chend den vierzehnjährigen Afrikaner. „Ärger mit Schwatzmaul?“ Brim Boriam antwortete nicht, zuckte aber im Laufen mit den Schultern. Woher sollte er auch mehr wissen als Harpo? Manchmal legte der Bordcomputer tatsächlich ein seltsames Benehmen an den Tag – obwohl man ihm nichts Schlechtes nachsagen konnte, wenn es um Wichtiges ging. Diesmal schien Schwatzmaul nichts mit der allgemeinen Verwirrung zu tun zu haben. In der Zentrale erwartete die elfköpfige Besatzung statt dessen ein ziemlich bleicher Thunderclap Genius, der nervös mit seinem Rollstuhl im Kreis herumfuhr und dabei murmelte: „Sie werden mir nicht glauben! Sie werden mir einfach nicht glauben. Die denken, daß mich der Raumkoller ge­ packt hat.“ „Was ... uuuuaaaahhhh ... werden sie dir nicht glauben?“ fragte Harpo, der trotz des schnellen Laufes noch einmal herzhaft gähnen mußte, um den Schlaf aus den Kleidern zu schütteln. „Du machst mir Spaß, mein lieber Pitter! Mitten in der Nacht wirfst du uns aus den Kojen und ...“ „Schaut mal nach draußen!“ krähte der kleine Oliver vorwurfsvoll. „Es ist ja noch stockfinstere Nacht!“ Thunderclap, der mit Unmutsfalten auf der Stirn vernommen hatte, daß Harpo ihn mit seinem richtigen Vornamen – den er gar nicht liebte – an­ sprach, wechselte bei dieser Bemerkung den Gesichtsausdruck. Da hatte der Kleine mal wieder einen seiner unglaublichen Schlüsse gezogen! Natürlich war es draußen dunkel. Aber das hatte der Weltraum nun mal so an sich. 5 „Ein Funkspruch“, stammelte Thunderclap, der entschlossen davon aus­ ging, daß der Name „Pitter“ im allgemeinen Stimmengewirr untergegangen war. Er wollte einfach nicht wahrhaben, daß jeder an Bord sein kleines Ge­ heimnis längst kannte. „Ein Funkspruch kam vor fünf Minuten rein. Auf Ka­ nal acht! Und wißt ihr, von wem?“ Während sieben der Mannschaftsmitglieder einstimmig „Neeee!“ brüllten, gab Alexander, der bärenhaft aussehende Rotpelz, ein schnaufendes Ge­ räusch von sich, das zweifellos die rotpelzische Version von „Neeee!“ war. Bharos, der erst vor wenigen Wochen zur Besatzung der EUKALYPTUS gestoßen war, machte nur kugelrunde Augen. Und Trompo, das kätz­ chengroße Lebewesen mit dem Aussehen eines Elefanten, piepste verstört. „Es war ...“ holte Thunderclap aus, unterbrach sich und pumpte sich erst einmal die Lungen voll Luft, „es war ein Funkspruch von einem Raumschiff der Erde! Da habt ihr es. Ich habe euch ja gesagt, ihr werdet es mir nicht glau­ ben. Von der Erde – versteht ihr!“ Er schüttelte die Fäuste in der Luft, als wollte er ihnen das Gesagte einhämmern. „Na und?“ fragte Harpo. „Was wollte es denn?“ Er tat natürlich nur so, als sei es für ihn eine Selbstverständlichkeit, daß ein irdisches Raumschiff in der Nähe war. Aber er freute sich auf Thunderclaps Reaktion. Die blieb nicht aus. Der Junge im Rollstuhl vergaß drei Sekunden lang das Atmen und starrte seinen Freund an. „Dich läßt wohl alles kalt, was?“ schimpfte er dann los. „Dann hört jetzt zu: Das Raumschiff befindet sich in Not und braucht dringend Hilfe!“ Einer sah verstohlen zum anderen und versuchte herauszukriegen, wie der die Sache aufnahm. Thunderclap war ja eigentlich ein cleverer Bursche, der meistens auch das meinte, was er sagte. Aber die vielen Aufregungen der letz­ ten Zeit ... Und dann die lange schlaflose Nacht allein in der Zentrale ... Selbst Harpo guckte so undurchsichtig. „Ich weiß genau, was ihr denkt“, jammerte Thunderclap. „So weit von der Erde entfernt kann es kein anderes irdisches Raumschiff als die EUKALYP­ TUS geben. Aber ihr täuscht euch! Fragt Schwatzmaul – ich kann euch nicht mehr sagen.“ Schwatzmaul hatte die ganze Zeit nur auf sein Stichwort gewartet. Eine grüne Birne blinkte ungeduldig auf dem Kontrollbord über Thunderclaps Sitz. Das Zeichen, daß Schwatzmaul etwas zu sagen hatte, sich aber von allein nicht in das Gespräch einschalten wollte. „Erhebe deine Donnerstimme, edler Computer, und verkünde uns deine Weisheiten“, witzelte Anca mit salbungsvoller Stimme. Das Mädchen war Harpos Schwester und im Moment das einzige weibliche Besatzungsmitglied. Alle warteten gespannt, was der Bordcomputer zu berichten hatte. „Ergebensten Dank, mein holder Engel“, sagte Schwatzmaul so artig, daß man sich nicht gewundert hätte, wenn die ganze Computerwand eingeknickt wäre, um eine Verbeugung zu machen. „Nun ... – die Tonbandstimme des Gehirns imitierte ein Räuspern – „die Aussagen des Wachhabenden sind in jeder Beziehung sachlich korrekt. Vor ...“ 6 „Da habt ihr’s!“ schrie Thunderclap triumphierend dazwischen. „Pschschschtt“, machten die anderen. „... genau elf Minuten und siebenundfünfzig Sekunden erreichte die EUKA­ LYPTUS ein Funkspruch, der sich exakt so anhörte ...“ Schwatzmauls Innenleben schien zu schnarren. Dann war für Sekunden aus den Lautsprechern so etwas Ähnliches wie kosmische Musik, untermalt vom tiefen Summen eines weit entfernten Radiosterns, zu hören. Plötzlich sagte eine aufgeregte Männerstimme: „Hier Raumschiff AESCLIPUS im Raumsektor Theta­Kappa­Omikron! Raumschiff AESCLIPUS ... Ich wiederho­ le ...“ Eine andere Stimme, leiser, aber noch verständlich, unterbrach: „Schneller, Erik, schneller! Wir haben keine Zeit mehr ...“ Die erste Stimme kam jetzt so überstürzt, daß sie sich mehrmals verhaspelte, bevor sie hervorstieß: „Wir verlassen das Schiff mit einem Bei­ boot ...“ „Abschußvorrichtung funktioniert nicht!“ schrie eine Frauenstimme an­ scheinend aus dem Hintergrund. „Abdrehen! Abdrehen!“ Das Stimmengewirr wurde so laut, daß der Funker nicht mehr zu verstehen war. „Versuchen Notlandung!“ kam er endlich noch einmal verständlich durch. „Weiße Zwergsonne im Sektor Theta­Kappa­Omikron. Zweiter Planet ... Rettet uns ... Rettet uns ...“ Krachen, Zerreißen von Metall – dann Stille. Ungläubig fragte Thunderclap: „Dann hast du also alles aufgezeichnet, Schwatzmaul? Ja, weshalb hab’ ich mir eigentlich groß Gedanken gemacht, daß ihr mir nicht glaubt ...“ „Wir Maschinen schlafen niemals“, bemerkte der Computer mit einer un­ verkennbaren Portion Stolz in der Stimme. In der folgenden Stille hätte man eine Stecknadel zu Boden fallen hören – selbst eine aus Plastik. Die irdischen Stimmen aus dem All hatten allen erst einmal die Sprache verschlagen. Harpos Blick irrte ziellos zwischen den Lichtpunkten umher, die greifbar nahe zu sein schienen und doch nichts anderes als viele Lichtjahre entfernte Sterne waren, deren Funkeln durch die gläserne Kuppel über der Zentrale der EUKALYPTUS fiel. Nur ein einziger Stern stand groß und nah vor ihnen. An ihm blieben Harpos Augen schließ­ lich hängen. „Weiße Zwergsonne ... zweiter Planet ...“ geisterte eine Stimme durch sein Gehirn. Ehe er seinen Gedanken aussprechen konnte, spürte er einen sanften Stoß gegen die Rippen. „Dort ist sie“, platzte Anca in die Stille hinein. Obwohl sie nur flüsterte, konnte sie jeder deutlich verstehen. „Das muß die Zwergsonne sein, nicht wahr? Und gar nicht weit entfernt ...“ „Schwatzmaul?“ fragte Harpo. „Von dorther kam der Hilferuf“, bestätigte das Bordgehirn ungewöhnlich knapp. 7 „Dann ist es ja wohl keine Frage, was wir zu tun haben!“ trumpfte Anca auf. Nein, das war es wirklich nicht. „Erst mal duschen und futtern“, riet Thunderclap nach einem Blick in die noch immer schlaftrunkenen Gesichter. „Dann sehen wir weiter.“ Binnen fünf Minuten stand jedes rostfreie Mitglied unter der Dusche. In­ dessen bereitete Lonzo – der ein Roboter war, dies aber für gewöhnlich gerne abstritt – aus Synthofood ein Frühstück zu, das selbst den abgeschlafftesten Helden wieder auf die Beine bringen mußte. Synthofood war ein künstlich erzeugtes Produkt, das sich aber in Aussehen und Geschmack kaum von na­ türlicher Nahrung unterschied. Gestärkt und hellwach kehrte die Meute in die Zentrale zurück. Karlie Mül­ lerchen, der mit seinen sechzehn Jahren bereits zwei Meter zwanzig maß und ein dünnes Bärtchen trug, enterte den Platz des Navigators und begann mit den Berechnungen. Anca, die in den letzten Wochen immer mehr Interesse für diese Wissenschaft entwickelt hatte, half ihm, so gut sie konnte. Aber die kniffligsten Berechnungen mußte natürlich Schwatzmaul über­ nehmen. Der Computer hätte den Kurs auch allein ausrechnen können, aber da er nicht nur ein großes und schlaues, sondern auch ein weises Bordgehirn war, ließ er darüber keine Bemerkung fallen. Erstens war es nur gut, wenn die Besatzung sich im Notfall auch allein zu helfen wußte, und zweitens stärkte es das Selbstvertrauen der jugendlichen Navigatoren, wenn sie ihre selbstge­ stellte Aufgabe bewältigten. Und wenn es einmal nicht so ganz klappte, dann nahm er stillschweigend die nötigen kleinen Kurskorrekturen vor, um die EU­ KALYPTUS zum Zielort zu bringen. Schwatzmaul war eben genausowenig eine gewöhnliche Maschine wie Lonzo ein gewöhnlicher Roboter war. Ziemlich genau siebenundvierzig Minuten nach Empfang des Funkspruchs lag eine Kursbestimmung vor. Das riesige Sternenschiff EUKALYPTUS – einst als Sanatorium für umweltgeschädigte Kinder im Orbit der Erde – steuerte nicht länger seinen Kurs zum Zentrum der Galaxis, sondern zog eine Parabel zum östlichen Rand jenes Sternennebels, den man die Milchstraße nennt. Die weiße Zwergsonne, die vorhin noch am äußeren Rand der Sternen­ kuppel zu sehen gewesen war, verschwand zunächst ganz aus dem Sichtfeld, tauchte aber bald wieder auf und schob sich langsam zur Mitte. Alle Bild­ schirme, die von den Außenkameras und Teleskopen versorgt wurden, zeig­ ten den „weißen Zwerg“ – wie dieser Sternentypus von geringer Größe und extrem hoher Dichte genannt wurde. Die Entfernung betrug nicht viel mehr als drei Lichtstunden. Als sich die EUKALYPTUS der kleinen Sonne bis auf eine halbe Lichtstunde genähert hatte, begannen Schwatzmauls Analysato­ ren zu rattern. „Fünf Planeten umkreisen die Sonne“, meldete Karlie, der sich erregt über den kleinen Sichtschirm eines Analysators beugte und den dort er­ scheinenden Text ablas. „Und der letzte ist ein Eisbrocken“, ergänzte Harpo fröstelnd, als er dem Langen über die Schultern lugte. „Ammoniakatmosphäre, brrrrrr!“ 8 Lonzo gluckste: „Herrje! Und das einzige Eis, das ich mag, ist Schokoladen­ eis!“ Karlie hatte sich von seinem Sitz erhoben und lief mit großen Schritten in der Zentrale auf und ab. „Eine Eiskugel, ein Schlackehaufen und zwei Stein­ klötze ohne Atmosphäre“, sagte er. „Aber der zweite Planet, von dem im Funkspruch die Rede war, scheint tatsächlich eine bewohnbare Welt zu sein.“ Bald sahen es alle auf dem Bildschirm. Er glänzte wie eine blaue Glas­ murmel. Dichte, weiße Wolkenbänke behinderten den Blick, aber überall dort, wo man bis auf die Oberfläche schauen konnte, war Wasser zu sehen. Wasser und nichts als Wasser. „Was schätzt du, Schwatzmaul?“ fragte Thunderclap neugierig. „Wieviel Landmasse? Vierzig Prozent? Dreißig? Zwanzig?“ „Elektronengehirne vermitteln Fakten und keine Schätzungen“, empörte sich der Bordcomputer. Die Stimme klang beinahe beleidigt – kein Wunder, wenn man Schwatzmauls Fimmel kannte, alles möglichst bis auf die zehnte Kommastelle oder die letzte Mikrosekunde genau anzugeben. „Aber nach den bisher eingegangenen Messungen besteht die Oberfläche des Planeten zu mehr als 99 Prozent aus Wasser.“ „Oje!“ rief Anca und sprang auf. „Dann müssen die Schiffbrüchigen ertrin­ ken, wenn wir sie nicht schnellstens finden!“ Harpo biß sich auf die Unterlippe. Das war ja eine verflixte Situation. Brim Boriam rieb die vor Aufregung schwitzenden Hände gegeneinander und fragte: „Habt ihr eine Ahnung, wie lange ein Mensch schwimmen kann? Ein paar Stunden?“ „Höchstens. Wenn er gut in Form und das Wasser nicht zu kalt ist“, murmelte Micel, der sich mit seinen verkrüppelten Ärmchen selbst nur mühsam über Wasser halten konnte. „Und die Haie?“ rief Ollie. „Mensch, denkt doch mal an die Haie!“ „Pah!“ machte Karlie. „Wer sagt dir denn, daß es hier Haie gibt? Wir sind doch nicht auf der Erde!“ So überzeugend klang das allerdings nicht, denn wenn der Planet tierisches Leben hervorgebracht hatte, dann mochte es schon sein, daß auch Raubfische darunter waren. Schwatzmaul war so klug, sich aus der Diskussion herauszuhalten, weil er noch immer zu wenig Daten besaß. „Jedenfalls müssen wir so schnell sein wie noch nie in unserem Leben“, sagte Harpo. „Jede Minute, die wir hier vergeuden, kann für das Leben der Schiffbrüchigen wichtig sein. Wir müssen in die Gleitboote! Wir nehmen alle einsatzfähigen Boote!“ „Wißt ihr eigentlich, was es bedeutet, vier oder fünf Menschen zu suchen – mitten im Meer eines erdgroßen Planeten?“ fragte Micel, obwohl er sich mit den anderen zu den Hangars in Bewegung setzte. „Dagegen ist die berühmte Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen eine Spielübung für Säuglinge!“ Das wußten sie alle. Aber sie wollten gar nicht darüber nachdenken, wie aussichtslos ihr Unternehmen war. Und Micel eigentlich auch nicht ... 9 Doonas Theorie Früh am Morgen, nachdem Doona seinen Wachdienst beendet hatte, zog es ihn nach draußen. Er übergab seiner Ablösung, die aus den Wohnkuppeln am Meeresgrund heraufkam, alle Registriergeräte in einwandfreiem Zustand und meldete sich beim Chef vom Dienst ab. Der bärbeißig wirkende, aber nicht unsympathische Wissenschaftler nahm die vorschriftsmäßige Meldung müde brummend entgegen. Der Lift brachte ihn nach oben, und da sich Doona an der Peripherie der SHAVACCOR befand, stand er schon wenig spä­ ter inmitten exotischer Bäume und Pflanzen, die einen Großteil der Oberflä­ che des Forschungsbootes bedeckten. Sie stammten von verschiedenen Planeten und sollten auf ihre Widerstandsfähigkeit hin in der Atmosphäre Tonogas getestet werden. Eine kühle Brise kam von der See her und um­ schmeichelte Doonas schuppige Haut. Der Morgen auf Tonoga war immer wieder ein Erlebnis. Das Licht der winzigen, aber leuchtstarken Sonne brach sich auf den Wellen. Frische, wür­ zige Luft stieg in Doonas Nase. Die spitzmäuligen Trioniten flogen ziemlich tief und ließen ihre silbern glänzenden Leiber von der Sonne kitzeln. In den Wipfeln der Bäume nisteten seit einigen Wochen mehrere vierflügelige Vögel mit prächtigem bunten Gefieder. Sie kreischten aufgeregt. Wahrscheinlich brüteten sie bereits Eier aus und hielten den jungen Wissenschaftler für eine Gefahr. Doona lächelte verhalten. Ganz im Gegenteil, dachte er, ganz im Gegenteil. Er freute sich über jedes Anzeichen von Leben auf Tonoga, ob es nun pflanz­ licher oder tierischer Art war. Sein Volk setzte große Hoffnungen auf diese Welt. Sie mußte deshalb behütet und bewacht werden wie ein Augapfel. In einigen hundert Jahren würde die Nahrung knapp werden auf Doonas Heimatwelt. Deshalb hoffte man so sehr auf Tonoga. Denn der Planet war so groß und reich an Schätzen jeder Art, daß er die Heimat ersetzen konnte. Bis­ her hatte man kein intelligentes Leben entdeckt. Sollte man eines Tages doch derartige Lebewesen in den Tiefen des Meeres finden, würde es sicherlich möglich sein, sich mit ihnen zu einigen und friedlich nebeneinander zu leben. Als Doona zum künstlich angelegten Strand hinabging, traf er einen anderen Mann. Es war Saryl, ein B­Wissenschaftler wie Doona selbst. Auch er hatte Nachtdienst gehabt, allerdings in einem anderen Bereich der SHAVAC­ COR: Saryl war verantwortlich für die Kontrolle der Relaisstationen und über­ wachte den Eingang der Forschungsergebnisse mehrerer Robotstationen. Saryl machte einen nachdenklichen, beinahe niedergeschlagenen Ein­ druck. Doona begrüßte den anderen. Da er ein guter Beobachter war, fragte er: „Kummer am frühen Morgen, Bruder?“ „So könnte man es nennen, Bruder“, antwortete Saryl und setzte sich in den Sand. 10

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