Hardung-Hardung: Die Prokuristen Dr. Heimo Hardung-Hardung Die Prokuristen Aufgaben und Stellung der zweiten Ebene im Management Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler, Wiesbaden I ISBN 978-3-663-00300-7 ISBN 978-3-663-02213-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-02213-8 17erLlgs-~r.3965 Copyright by Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Wiesbaden 1966 Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1966 Vorwort Wenn man die jährlich erscheinenden Statistiken über die Größe der Unternehmen und die Zahl der Führungskräfte an ihrer Spitze stu diert, kann man an einer recht bemerkenswerten Tatsache nicht vor beigehen: Die Führungsschicht wird von Jahr zu Jahr dünner. Die Anzahl der Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer und Firmenchefs nimmt ständig ab, gemessen an der steigenden Anzahl der in den Unternehmen Beschäftigten. Die damit verbundene Konzentration der Entscheidungsgewalt bringt Vorteile, wenn - insbesondere in Großbetrieben - wichtige Maßnahmen schnell und mit der notwen digen Prägnanz getroffen werden sollen. Sie erschwert aber die Be urteilung und Abwägung aller für eine Entscheidung wichtigen Um stände angesichts der Größe des Verantwortungsbereiches, den jedes Mitglied der Unternehmensleitung zu überschauen und zu führen hat. Kein Unternehmen größeren Ausmaßes kann deshalb heute auf eine gut organisierte zweite Ebene verzichten, jene zweite Ebene, die dem V orstand oder der Geschäftsführung direkt zugeordnet ist und einen Teil oder Bereich des Unternehmens selbständig zu führen hat. Ihre Angehörigen haben die verschiedensten Titel, "Generalbevollmäch tigter" und "Direktor", "Abteilungsleiter" und "Gruppenchef" . Da ihr gemeinsames Kennzeichen (in deutschen Gesellschaften) in der Regel die Prokura ist, habe ich dieses Buch verallgemeinernd "Die Proku risten" genannt. Ich möchte darunter aber all jene - und nur jene - verstehen, die der Geschäftsleitung direkt unterstehen. Ihnen obliegt eine sehr komplexe Aufgabe. Sie sollen den ihnen unterstellten Arbeitsbereich sachkundig führen und dafür Sorge tragen, daß er in sinnvoller Abstimmung mit an deren Abteilungen einen möglichst großen Beitrag zum wirtschaft lichen Erfolg des Unternehmens leistet. Für die Unternehmensleitung 5 müssen sie jene Unterlagen ausarbeiten, die die Basis für Entschei dungen auf höchster Ebene darstellen. Sie haben darüber hinaus aber auch eine Mittlerrolle zu erfüllen, indem sie die Entscheidungen der Unternehmensleitung in die betriebliche Praxis umsetzen und die Unternehmensleitung über Betriebsprobleme informieren. Über die Aufgaben der Unternehmensleitung und ihre Bewältigung sind zahlreiche Arbeiten erschienen. Darunter fehlt es nicht an aus gefeilten allgemeingültigen Theorien, die sozusagen als Rezept für die Bewältigung von Führungsaufgaben in oberster Ebene dienen sollen. Über die Funktion der "zweiten Ebene" findet man aber - abgesehen von einigen soziologischen Studien - kaum Literatur, ob wohl auch der Prokurist (rechtlich!) im Namen der Firma handelt. Und was noch schlimmer ist: In der Praxis begegnet man vielfach sogar der Meinung, daß die zur Führung von Teilbereichen eines Unternehmens notwendigen Kenntnisse am besten sozusagen "von selbst" erworben werden, daß die Schulung des Mannes in der zwei ten Ebene darin besteht, daß er in der täglichen Praxis mit den man nigfachen Problemen konfrontiert wird, die sich innerhalb seines Ar beitsbereiches ergeben. Ich selbst glaube nicht an eine solche Möglichkeit. Zwar gibt es zweifellos eine Reihe von spezifischen Aufgaben, für die praktische Erfahrung große, vielleicht sogar überwiegende Bedeu tung hat, für die Bewältigung der Gesamtaufgabe in der zweiten Ebene jedoch reicht die Auseinandersetzung mit den Problemen des Tages sicherlich nicht aus, um die notwendigen Qualifikationen zu vermitteln. Deshalb erscheint mir eine grundlegende, systematische Untersuchung aller Probleme der zweiten Ebene unerläßlich, um zu einem vollständigen Bild über die Rolle der Prokuristenebene in der Unternehmensleitung zu gelangen. Diese offenbar in der einschlägigen Literatur bestehende Lücke ver sucht das vorliegende Buch zu füllen. Es erhebt keinen wie immer gearteten Anspruch, einen Beitrag zu den Wirtschaftswissenschaften zu leisten, und steht in einem nur ober- 6 flächIichen Zusammenhang mit den Theorien der Unternehmensfüh rung. Das Manuskript ist aus der lebendigen Praxis für den Praktiker geschrieben, als Arbeitshilfe für den, der schon als Prokurist, Abtei lungsleiter oder Verkaufschef in der zweiten Ebene tätig ist und der diesen Zeilen vielleicht die eine oder andere nützliche Anregung ent nehmen möge, als Anleitung für den höheren Angestellten, der das Verlangen hat, in die Prokuristenebene hineinzuwachsen, und schließ lich als Orientierung für jene, die zwar nicht unmittelbar wirtschaft lich tätig sind, aber der Wirtschaft nahestehen, wie Kreise des Schul wesens, Industrieverbände und Soziologen. Letztlich mag es vielleicht sogar da oder dort einen nützlichen Zweck für die Unternehmensleitung selbst haben, indem es die Aufgaben der zweiten Ebene nochmals rekapituliert und präzisiert für jene, die diesem oft etwas vernachlässigten Thema vielleicht entwachsen sind. Ich habe zunächst versucht, die Funktion der zweiten Ebene in der Unternehmensspitze zu analysieren und in ihre wesentlichen Auf gaben zu zerlegen. Ich glaube, daß erst auf der Basis dieser Auf gaben analyse die Qualifikationen abgeleitet werden können, die in $ler zweiten Ebene erwartet werden müssen. Mit praktischen Hin weisen für die tägliche Arbeit beschäftigen sich dann die beiden fol genden Kapitel. Abschließend folgt noch ein Abschnitt darüber, wie die Voraussetzungen für einen Aufstieg in die zweite Ebene syste matisch erworben werden können. Das Buch ist also bemüht, sowohl die Bedeutung und Funktion der zweiten Ebene im Unternehmen zu umreißen als auch Ratschläge zu geben, wie die gestellten Aufgaben am besten erfüllt werden können. Frankfurt am Main, im Januar 1966 Heimo Hardung-Hardung 7 Inhaltsverzeichnis Seite Erstes Kapitel: Die Aufgabe der Prokuristenebene in der Unternehmensspitze 13 Die Ziele eines Unternehmens 13 Die Marktgeltung . 17 Der Produktionswert 19 Neue Absatzmärkte 22 Die zweite Ebene in der Unternehmensspitze 24 Arbeitsteilung und Verantwortlichkeiten 27 Organisation der Arbeit 32 Lenkung der Mitarbeiter 36 Die spezifischen Leistungen in der zweiten Ebene 38 Ressortleitung . 39 Organisation der Verantwortlichkeit 44 Menschliche Beziehungen . 47 Zweites Kapitel: Qualifikationen für die zweite Ebene 51 Allgemeine Grundsätze. 51 Fachkenntnisse . 59 9 Seite Organisationsvermögen . 64 Einordnung in Ziele des Unternehmensganzen . 66 Produktion. 66 Menschen 70 Finanzen 88 Die Praxis der innerbetrieblichen Organisation 90 Die Zeitplanung 98 Autorität 107 Der Autoritätswert von Fachkenntnissen 109 Sprachkenntnisse und Auslandserfahrung . 112 Persönliche und menschliche Qualitäten 115 Gesellschaftliche Stellung 119 Der Wert für Vorgesetzte 121 Die Fähigkeit zur Kondensation 121 Horizontale innerbetriebliche Verbindungen 125 Gefolgschaft 126 Selbständigkeit der Entscheidungen 127 Drittes Kapitel: Die praktische Arbeit in der zweiten Ebene 135 Beurteilung des möglichen Beitrags zur Marktgeltung . 137 Das Festlegen eines Produktionswertes. 143 Beiträge zur Schaffung neuer Absatzmärkte 149 Die Praxis der Arbeitsteilung 155 Lenkung der Mitarbeiter 161 Passive Ressortleitung 167 Aktive Ressortleitung 173 10 Seite Viertes Kapitel: Ideen und Intuition. 181 Ideen "von außen" 185 Ideen "von innen" 188 Fünftes Kapitel: Der Weg zur zweiten Ebene. 197 Arbeitstechnik . 197 Bilanz der Kenntnisse 198 Zeitplanung 204 Verhältnis zur Umwelt. 207 Verhältnis zu den Vorgesetzten 207 Verhältnis zu Mitarbeitern . 211 Privatleben. 212 Schlußwort . 219 11 Erstes Kapitel Die Aufgabe der Prokuristenebene in der Untemehmensspitze Die Ziele eines Unternehmens Jede Aufgabe läßt sich von einem Ziel ableiten. Wer sich mit den Auf gaben der zweiten Ebene in der Unternehmensspitze ~useinander setzen will, muß sich deshalb zunächst mit den Zielen des Unterneh mens selbst auseinandersetzen. Eine Binsenweisheit? Leider keineswegs. Eine Rundfrage, die ich einmal unter Prokuristen veranstaltet habe, brachte als unerwartetes Ergebnis ein bunt schil lerndes Bukett von etwa zwanzig verschiedenen Ansichten über die Grundziele eines Unternehmens. Wenn ich von den politisch gefärb ten ("Aus einem möglichst geringen Lohnaufwand eine möglichst hohe Dividende herausschlagen") zunächst absehe, waren selbst die fach lichen Definitionen der Untemehmensaufgabe erstaunlich verschie den. Sie reichten v~n der "Erhaltung und Vermehrung des Volks vermögens" über die "Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen" bis zu der Forderung, "einen möglichst geringen Kapitalaufwand möglichst hoch zu verzinsen". Ich sage "erstaunlich", weil die Situation der Befragten mit der eines Mannes vergleichbar ist, der einen Zug besteigt, ohne zu wissen, wo hin er fährt. Leider gibt es keine statistisch gültigen Untersuchungen darüber, wieviele Männer der zweiten Ebene sich gründlich mit der Aufgabe eines Unternehmens auseinandergesetzt haben. Die Ge- 13