ebook img

Die Probleme des Rapallo-Vertrags: Eine Studie über die deutsch-russischen Beziehungen 1922–1926 PDF

106 Pages·1956·4.196 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Die Probleme des Rapallo-Vertrags: Eine Studie über die deutsch-russischen Beziehungen 1922–1926

ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN GEISTESWISSENSCHAFTEN Sitzung am 16. März 1955 in Düsseldorf ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN GEISTESWI SSE NSCHAFTEN HEFT 43 ABHANDLUNG Theodor Schieder Die Probleme des Rapallo -Vertrags Eine Studie über die deutsch-russischen Beziehungen 1922-1926 SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH ISBN 978-3-663-00298-7 ISBN 978-3-663-02211-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-02211-4 Copyright 1956 by Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag 1956 Gesamtherstellung: Westdeutscher Verlag Die Probleme des Rapallo-Vertrags Eine Studie über die deutsch-russischen Beziehungen 1922 bis 1926 Professor Dr. phil. Theodor Schieder, Köln I Karl Radek, einer der Wegbereiter deutsch-russischer Beziehungen nach dem ersten Weltkrieg, schrieb gegen Ende des Jahres 1919 in einem Artikel über die auswärtige Politik des deutschen Kommunismus folgende Sätze, 1 in denen die ganze Problematik r,evolutionärer Außenpolitik in nuce enthal ten ist: "Es ist das Kennzeichen aller konterrevolutionären, nationalistischen Politik, daß sie von dem sogenannten Primat der auswärtigen Politik aus geht, d. h. von der durch Ranke formulierten Auffassung, die Aufgaben der auswärtigen Politik müßten die der inneren bestimmen. Das Konter revolutionäre dieser Lehre besteht darin, daß, weil die Klasseninteressen in der auswärtigen Politik viel schwieriger aufzuweisen sind als in der inneren, weil dem Volke viel leichter einzureden ist, daß dem Auslande gegenüber alle Klassen der Gesellschaft gemeinsame Interessen haben, aus dieser ang,eblichen Gemeinsamkeit der auswärtigen Interessen dann die ge meinsamen inneren Aufgaben leichter abgeleitet, d. h. hervorgeschwindelt werden können. Es war eine der Lebensleistungen von Marx und besonders Engels, daß er zeigte, wie sich umgekehrt das Verhältnis zum Auslande aus den inneren Klassenverhältnissen einer Nation ergibt, wie die Außenauf gaben aus den inneren heranwachsen, um sie natürlich ihrerseits zu beein flussen. Wenn man also irgendein Primat aufzustellen hat, dann besteht für uns Marxisten ein Primat der inneren Verhältnisse." Was wird hier unter "inneren Verhältnissen" verstanden? Offenbar etwas wesentlich anderes als im 19. Jahrhundert: Radek faßt darin den in seine revolutionäre Phase eingetretenen proletarischen Klassenkampf zusammen; ihm bleibt in scheinbar dogmatischer Strenge alles außenpolitische Handeln untergeordnet, Außenpolitik ist immer zuerst Klassenkampf, und sie ist es 1 Die auswärtige Politik des deutschen Kommunismus und der Hamburger nationale Bolschewismus. In: Die Entwicklung der deutschen Revolution und die Aufgaben der Kommullistismen Partei, Hamburg 19202, S. 83 H. 6 Theodor Schieder vor allem auch auf bürgerlicher Seite Damit schien sie auf geradlinige 2. ideologische Bahnen festgelegt, von denen keine Abweichung gestattet war, aber in Wirklichkeit stellte der stockende Verlauf der weltrevolutionären Bewegung die AußenpoLitik des Sowjetstaats vor ganz unerwartete Lagen, die dazu zwangen, das eindeutige ideologische Konzept umzuschreiben. Dies begann schon mit dem Augenblick, in dem die russischen Revo lutionäre einsehen mußten, daß dem ersten - russischen - Akt der Welt revolution nicht unmittelbar die nächsten in den anderen Ländern folgen würden. Die Vorstellung einer alle nationalen und staatlichen Grenzen überflutenden weltrevolutionären Erhebung stand im Winter 1917/18 noch im Vordergrund; sie führte zu einer revolutionären Strategie und Propa ganda ohne Außenpolitik, d. h. ohne Politik zwischen Staaten und Mäch ten. Trotzki, der erste Leiter des Außenkommissariats, konnte damals die Erwartung aussprechen, daß sich seine Tätigkeit auf den Erlaß einiger revo lutionärer Proklamationen beschränken werde und man dann "die Bude schließen könne" Die große Entscheidung über die Annahme des Brest 3. Litowsker Friedens, wie sie Lenin durchsetzte, enthielt dann im Keim schon den übergang zu einer neuen revolutionären Taktik; sie gab den revolutio nären Internationalismus im dogmatischen Sinne preis .u nd führte den Kampf um die Weltrevolution aufzweiEbenen weiter: auf der gesellschafts politischen des Klassenkampfes und auf der machtpolitischen der Staaten politik, in deren Mitte das sozialistische Vaterland stand, dessen Vertei digung und Erhaltung überhaupt erst den künftigen Sieg des Proletariats und des Kommunismus ermöglichte. Beide Ebenen können sich überschnei den: die Gesellschaftspolitik, d. h. das Zusammenspiel mit der Arbeiter klasse in anderen Ländern kann als Druckmittel für die staatliche Außen politik eingesetzt werden und die Außenpolitik der Sowjetmacht kann durch ihre Entscheidungen die politische Richtung und Lage des Proletariats in den kapitalistischen Ländern zu steuern versuchen. Außenpolitik, von Trotzki in den Anfängen der bolschewistischen Revolution noch gering- 2 So wird der "nationale Bolschewismus" der Hamburger Gruppe um Lauf/enberg und Wolf/heim als im Widerspruch mit den Interessen des deutschen Proletariats stehend ent larvt: "Während das Proletariat gewillt ist, die deutsche Bourgeoisie und die Junker voll kommen zu expropriieren, will ihnen die Entente nur einen Teil ihres Eigentums weg nehmen und sie als Hunde des kapitalistischen Ausbeutungsprozesses in Deutschland be halten. " Die deutsche Bourgeoisie würde zweifelsohne sogar eine offene Okkupation Deutschlands durch ,die Entente einer Rätediktatur vorziehen. Daraus ergibt sich, daß die Arbeiterklasse Deutschlands unter keinen Umständen auf die Hilfe der deutschen Bour geoisie in ihrem Kampfe gegen das Ententekapital rechnen kann." (a. a. 0., S. 97 f.) 3 Trotzki, Mein Leben, Berlin 1930, S. 327. Die Probleme des Rapallo-Vertrags 7 geschätzt als Instrument bürgerlicher Klassen- und Staatenpolitik, erhält dann wieder einen Sinn, eine Funktion innerhalb des revolutionären Pro zesses. Lenin war es, der schon sehr früh ihre Bedeutung erkannt und sie bereits im November 1918 als die "allerwichtigste Frage" bezeichnet hatte, "nicht nur deshalb, weil der Imperialismus nunmehr die starke und feste Verkettung aller Staaten der Welt zu einem einzigen System - um nicht zu sagen, zu einem schmutzigen, blutigen Knäuel - bedeutet, sondern weil der volle Sieg der sozialistischen Revolution in einem Lande undenkbar ist, weil er die aktivste Zusammenarbeit mindestens einiger fortgeschrittener Länder erfordert, zu denen wir Rußland nicht zählen können" Außen 4. politik ist für Lenin das Mittel, um in anderen Ländern eine Ausdehnung der Revolution zu erreichen und bis zu diesem Zeitpunkt dem Impel'ialismus Widerstand zu leisten, die Konflikte und Gegensätze zwischen den Imperia listen zu benutzen, um die "Oase der Sowjetmacht inmitten des tobenden imperialistischen Meeres zu erhalten. Die kapitalistischen Länder gewin 5" nen damit für die Sowjetpolitik eine doppelte Bedeutung: sie sind Partner oder Gegner im Kampfe um die staatliche Selbstbehauptung des sozialisti schen Vaterlands und möglicher oder wirklicher Schauplatz proletarischer Erhebungen. Man muß mit ihnen, wie es zuerst schon 1919 Kar! Radek ausgesprochen hat, zu einem "modus vivendi" kommen, um dem Aufbau Sowjetrußlands eine Atempause zu geben. - Diese Anschauung von den außenpolitischen Aufgaben der revolutionären Sowjetmacht hat sich in ver schiedenen Etappen ausgebildet, unter denen der Friede von Brest-Litowsk und die Beendigung der Interventionskriege einschließlich des polnischen von 1920 sich am deutlichsten herausheben. Sie bleibt nicht unwidersprochen, son dern setzt sich unter dem bestimmenden Einfluß der überragenden Intelligenz und Willenskraft LIenins gegen viele Widersacher durch, bis sie zuletzt noch einmal in äußerster Zuspitzung von Stalin gegen Trotzki hehauptet wird. Als Kerngedanke praktischer Außenpolitik des Sowjetstaates ergibt sich aus ihr die These von dem unüberwindlichen Antagonismus der imperialisti schen Mächte, den es zu benutzen, und das hieß gleichermaßen, zu erhalten galt; von einem "Gegeneinanderhetzen" sprach Lenin ganz unverblümt6• Hier war der Ansatzpunkt der sowjetischen Nachkriegspolitik gegen über Deutschland: sie durfte Deutschland nicht in die Hand des Westens 4 W. I. Lenin, Sämtliche Werke XXIII, 331 (Rede über die internationale Lage vom 8. November 1918). 5 W. I. Lenin in seinem Bericht über die Außenpolitik vom 14. Mai 1918. Sämtliche Werke XXIII, 18. W. I. Lenin am 26. November 1920. Sämtliche Werke XXV, S. 623. 6 8 Theodor Schied er fallen lassen, gleich ob dies dadurch geschah, daß die Ententemächte in einem Bürgerkrieg von der deutschen Bourgeoisie zu Hilfe gerufen wurden und das Reich als Ganzes militärisch besetzten, oder daß sich Deutschland von sich aus politisch und wirtschaftlich dem Westen auslieferte. In der Abwehr solcher Möglichkeiten mußten die Sowjets in Deutschland nicht nur die revolutionäre Karte, sondern ebenso die nationale ausspielen. Das Bündnis zwischen der kommunistischen Sowjetmacht und dem deut schen nationalen Revisionismus, dessen geschicktester und eifrigster Anwalt Kar! Radek gewesen ist, entsprach daher vorübergehend durchaus den poli tischen Intentionen auch Lenins, der im November 1920 in einer bedeut samen Rede den nationalen, gegen Versailles gerichteten Stimmungen sehr entgegenkam und dabei Worte fand, die als ein Bündnisangebot aufgefaßt werden mußten: "Deutschland ist besiegt, vom V ersailler Vertrag erdrückt, verfügt aber über ungeheure wirtschaftliche Möglichkeiten. Deutschland ist, seiner wirtschaftlichen Entwicklung nach, das zweite Land der Welt, wenn man Amerika für das erste hält ... Und einem solchen Lande hat man den Versailler Frieden aufgezwungen, der ihm die Existenz unmöglich macht. Deutschland ist eines der stärksten und fortgeschrittensten kapitalistischen Länder; es kann den Versailler Vertrag nicht ertragen und muß Verbündete gegen den Weltimperialismus suchen, obwohl es selbst ein imperialistisches - wenn auch besiegtes - Land ist 7." Aber ließ die innere und äußere Lage Deutschlands es wirklich zu, auf diesen unüberhörbaren Appell zu reagieren? Von einer wirklichen Hand lungsfreiheit der Reichspolitik kann angesichts des Zusammenhangs wirt schaftlicher und militärischer Sanktionspolitik, der Teilbesetzung, Entwaff nung und territorialen Beschneidung des Reiches nicht gesprochen werden. Freilich schienen selbst in dieser Bedrängnis Ansatzpunkte für ein selb ständiges außenpolitisches Handeln nicht zu fehlen. Es sind vor allem zwei, die zwei entgegengesetzte Möglichkeiten einer West- und Ostorientierung verkörpern: Englands Widerstand gegen eine uneingeschränkte Kontinen talvorherrschaft Frankreichs und die vorerst undurchsichtige Haltung des revolutionären Rußlands im Hintergrund der europäischen Politik, der Macht, die von Anfang an außer halb des Systems von Versailles gestan den und bei seiner Entstehung nicht mitgewirkt hatte. Die Alternative, die mit diesen beiden Möglichkeiten gegeben war, zeigte noch die Grundstellung des Kaiser-Reiches seit seiner Begründung, nur er schien sie jetzt unter ganz neuen Aspekten: der durch Flottenbau und 7 Lenin am 26. November 1920. Sämtliche Werke XXV, S. 636. Die Probleme des Rapallo-Vertrags 9 "Weltpolitik" hervorgerufene Gegensatz zu England war seit 1918 gegen standslos geworden, und als reine Kontinentalmacht konnte Deutschland für die englische Politik unter Umständen höhere Bedeutung gewinnen als zuvor, ein Gedanke, der bereits in dem bekannten Memorandum Lloyd Georges auf der Pariser Friedenskonferenz vom 26. März 1919 angedeutet warB. Das Verhältnis zu Rußland war in anderer Weise verändert: gegenüber dem Jahrhundert zwischen dem Wien er Kongreß und dem Ersten Weltkrieg waren beide Mächte der Vorteile und Nachteile gemeinsamer Grenzen be raubt, zwischen sie war der "Stacheldrahtverhau" (Clemenceau) der ost mitteleuropäischen Staaten, vor allem Polen gestellt. Das war bewußte Pla nung der Friedensschöpfer von Versailles gewesen, die nicht nur zu ihren Gunsten ausschlug: für England war zwar der Druck Rußlands auf Europa und die nördlichen und südlichen Meerengen gemildert, aber durch die Schwächung Deutschlands im Osten die Gleichgewichtsor,dnung in diesem Raum erheblich verschlechtert. Frankreich gewann an Stelle des alten Zaren reichs in den neuen Staaten Partner für sein Deutschland umgreifendes Bündnissystem, jedoch banden die politische Zerstückelung Ostmitteleuro pas und ,die Rivalitäten seiner Staaten auf die Dauer die französischen Kräfte mehr, als daß sie sie entlasteten. Man hat die alte preußisch-russische Freundschaft immer wieder auf die Interessengemeinschaft in der polnischen Frage, d. h. auf das gemeinsame Bedürfnis, Polen niederzuhalten, zurück geführt. Spätestens seit dem Ende des polnisch-russischen Krieges von 1920 und dem Vorschieben der polnischen Grenze nach Osten stellte sieb eine neue Interessengemeinschaft gegen das neue Polen her, von der in kom menden diplomatischen Verhandlungen noch ,des öfteren die Rede sein sollte, längst bevor schließlich im Jahre 1939 die Ereignisse der polnischen Teilung sich wiederholten. Setzt man noch. in die Rechnung ein, daß Deutschlands Verhältnis zu Rußland nicht mehr wie in der Zeit vor 1914 durch die russisch-österreichi sche Balkanrivalität belastet war so schien unter dem Aspekt des Mächte- 9, 8 Abgedru<.kt in: Das Diktat von Versailles, hrsg. von Fritz Berber, Essen 1939, Bd. I, S. 35 H. g Diese Tatsame wird, soweit im sehe, allein in einer Denksmrift des Grafen Brock dorfj-Rantzau vom 8. Juli 1922 hervorgehoben, die von Herbert Helbig, Die Moskauer Mission des Grafen Brockdorfj-Rantzau (Forsmungen zur osteuropäismen Gesmimte Band 2, 1955 S. 329 ff.) veröffentlimt wurde. Hier heißt es S. 331: "Ein enges Zusam mengehen mit Rußland wird uns heute in hohem Maße durm den Umstand erleimtert, daß der Panslavismus nach der Auflösung österreich-Ungarns und dem Zerfall der Türkei für uns kein Hindernis mehr bildet.« 10 Theodor Schieder gleichgewichts schon im vorhinein ,die Waage zugunsten künftiger deutsch russischer Beziehungen gesenkt zu sein, wobei auch die in ihrer Dauer nicht vorauszusehende erhebliche Schwächung Rußlands für Deutschland mit ins Gewicht fiel. Doch ließ sich seit 1918 das deutsch-russische Verhältnis nicht mehr nur außenpolitisch bestimmen, dazu war das Schicksal der deutschen Revolution von 1918 zu sehr mit der russischen Revolution verknüpft. Für den in seiner Grundstruktur bürgerlichen Weimarer Staat mit seinen vom Ergebnis des Umsturzes von 1918/19 unbefriedigten radikalen proletarischen Kräften, seiner wirtschaftlichen und sozialen Instabilität war die bolschewistische Macht im Osten nicht in erster Linie ein lockender Bundesgenosse für eine "aktive Politik", sondern eine sozialrevolutionäre Bedrohung. Dieser Staat, vor allem die ihn zuerst tragende Sozialdemokratie war westlich orien tiert seine politischen Ideen waren westeuropäischen, liberal-demokra 10; tischen Ursprungs, der in ihm vollzogene soziale Komprorniß zwischen Bürgertum und der Masse ,der Arbeiterschaft deutete auf angelsächsische Vorbilder. Nicht nur die räumliche Nähe zum russischen Bolschewismus, die lediglich durch die neue ostmitteleuropäische Staatenzone unterbrochen war, sondern vor allem der Vorrang, den Deutschland in der weltrevolutio nären Planung des Kommunismus einnahm, stellte die politische Führung des Weimarer Reiches vor eine lebensbedrohende Gefahr. Die Forderungen innerer und äußerer Sicherheit überschnitten sich, das Pendel schwang 11 zwischen bei,den hin und her, ohne in eine Ruhelage zu kommen. Niemals zuvor sind sich in der deutschen Rußlandpolitik so radikal ver schiedene Richtungen aufeinander gefolgt wie in den knapp fünf Jahren von der russischen Oktoberrevolution von 1917 bis zum Rapallo-Vertrag von 1922: die Möglichkeiten, Rußland auf politisch-diplomatischem Wege aus dem Ring der Kriegsgegner des Reiches herauszulösen, die mindestens bis zum Tode Graf Wittes im Frühjahr 1915 nicht ganz ohne Aussicht ge wesen waren, waren trotz der Initiative einiger Wirtschafts- und Finanz- 10 Zur Haltung der Sozialdemokratie vgl. die Schrift von Erich Matthias, Die Deutsche Sozialdemokratie und der Osten 1914-1945. (Arbeitsgemeinschaft für Osteuropafor schung, Forschungsberichte und Untersuchungen zur Zeitgeschichte) Tübingen 1954, die allel'1dings zu sehr von den vordergründigen Erklärungen der sozialdemokratischen Partei führer und zu wenig von den wirklichen außenpolitischen Entscheidungen und dem sozial demokratischen Anteil daran ausgeht. 11 Karl Dietrich Erdmann spricht in seinem Aufsatz "Das Problem der Ost- oder West orientierung in der Locarno-Politik Stresemanns" (Geschichte in Wissenschaft und Unter richt, 6, 1955, S. 133 ff.) sehr treffend" von den Interessen der inneren und äußeren Staats räson", die in entgegengesetzte Richtungen weisen können. Die Probleme des Rapallo-Vertrags 11 kreise - unter ihnen Stinnes - nicht voll ausgeschöpft worden Die Pro 12. klamation eines von Rußland losgelösten polnischen Staates vom Oktober 1916 setzte ihnen ein Ende, ohne daß an ihre Stelle ein klares Programm, die östliche Front auch politisch zu entlasten, getreten wäre. Der schließ lich im März 1918 geschlossene Brest-Litowsker Friede, der die neuen bol schewistischen Machthaber zu Partnern hatte, schien den Vorteil eines rus sischen Sonderfriedens mit der "Randstaatenpolitik" .cl. h. der Zurückdrän gung der russischen Macht aus Ostmitteleuropa verbinden zu können, aber er war im Prinzip gegenüber den russischen Revolutionären eine unklare Verbindung von Intervention und Kollaboration und hat im Endergebnis den Sowjets die von Lenin erstrebte "Atempause" gewährt und den Bol schewismus gerettet. Die Ansätze einer Politik des militanten Antibolsche wismus im Sommer 1918, wie sie sich an die Namen der ersten deutschen Vertreter in Moskau, des Grafen Mirbach und Karl Helfferichs, knüpften 13, hätten Deutschland im Augenblick wachsender Bedrängnis im Westen eben so in uferlose militärische und politische Unternehmungen verwickelt wie das bolschewistische Angebot einer gewissen militärischen Kooperation gegen die alliierten Interventionsheere in Rußland, das Tschitscherin im Auftrage Lenins Helfferich am 1. August 1918 überbrachte 14. Lassen die Zusatzverträge zum Brester Frieden vom 27. August 1918 noch den Ver such erkennen, wenigstens die wirtschaftlichen Verbindungen mit den Sowjets zu intensivieren so drängen die Ereignisse an der Westfront die 15, deutsche Politik im ganzen immer mehr auf die Linie, den erstrebten Kon takt mit den Westmächten über einen Waffenstillstand nicht durch poli tische Transaktionen im Osten zu gefährden. So kam es zur Ausweisung des russischen Botschafters aus Berlin am Vorabend der inneren Umwäl zung im Reiche, die Lenin vielleicht nicht ganz mit Unrecht als einen An näherungsversuch an die Westmächte gedeutet hat: "Wenn Deutschland unseren Botschafter aus Deutschland vertrieben hat, so hat es so gehandelt, wenn nicht in direktem Einvernehmen mit der englisch-französischen Politik, 12 Zu diesem Problem vgl. die Arbeiten von Rudolf Stadelmann, Friedensversuche im er sten Jahr des Weltkrieges, H. Z. 156, 1937, und Erwin Hölzle, Deutschland und Rußland, in: Der Osten im Ersten Weltkrieg (Lpg. 1944), S. 13 H. 13 Dazu Kurt 'V. Raslmer, Zwischen Brest-Litowsk und Compiegne, die deutsche Ost politik vom Sommer 1918 (Baltische Lande IV, 1939). 14 Edward Hallet Carr, The Bolshevic Revolution 1917-1923, London 1953, III, 83 f. über die Sache selbst hat Karl Helfferich, Der Weltkrieg (Berlin 1922, 11, S. 466 f.) be richtet. 15 Dazu neuerdings die Dokumentation von W. Gatzke, Zu den deutsch-russischen Be ziehungen im Sommer 1918. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 3, 1955, S. 67 H.

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.