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Die privat-öffentliche Achse des Politischen: Das Unvernehmen zwischen Hannah Arendt und Jacques Rancière PDF

376 Pages·2016·4.06 MB·German
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Trotz des scheinbaren Verlusts der tradierten liberalen Dichotomie von n Privatsphäre und Öffentlichkeit lässt sich beobachten, dass Begriffe e h ‚privat‘ und ‚öffentlich‘ keinesfalls aus dem Gebrauch gekommen sind. In den c s i gegenwärtigen Debatten werden sie vielmehr auch für die Linke bestimmend. t i l Ivana Perica Angesichts der gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Umlagerung o P sowohl des Privaten als auch des Öffentlichen werden in der vorliegenden s e Die privat-öffentliche Studie einzelne einander entgegenstehende liberale und linke Positionen d beleuchtet. In einer kontrapunktuellen Lektüre der vermeintlichen Liberalen e s h Hannah Arendt und des vermeintlichen Linken Jacques Rancière werden Achse des Politischen c A die Ordnungsmechanismen des politischen bzw. politisch-theoretischen e Feldes ergründet. Ausgehend von Rancières parergonaler Arendt-Kritik wird h c Das Unvernehmen der Frage nachgegangen, ob die disparaten Denkgebäude von Arendt und i l t Rancière einander nicht viel näher stehen könnten, als dies üblicherweise n zwischen e angenommen wird. f f Hannah Arendt ö - t und a v i Jacques Rancière r p e i D a c i r e P a n a v n I n a m u e N & n e s u a h s g i n ö K Ivana Perica — Die privat-öffentliche Achse des Politischen EPISTEMATA WÜRZBURGER WISSENSCHAFTLICHE SCHRIFTEN Reihe Philosophie Band 558 — 2016 Ivana Perica Die privat-öffentliche Achse des Politischen Das Unvernehmen zwischen Hannah Arendt und Jacques Rancière Königshausen & Neumann Ivana Perica (1984) studierte Germanistik und Slavistik an den Universitäten in Zagreb, Leipzig, Konstanz, Berlin und Graz. Ihre Doktorarbeit verfasste sie an der Universität Wien. In ihren aktuellen Arbeiten versucht sie, die poli- tisch-theoretische Dichotomie des ‚Privaten‘ und des ‚Öffentlichen‘ in ein literatur- und kulturwissenschaftliches analytisches Vokabular zu übersetzen. Damit soll die Debatte um die ‚Politik der Literatur‘ um die Dimension des ‚Politischen‘, wie von Arendt und Rancière verstanden, erweitert werden. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch die Österreichische Forschungsgemeinschaft. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2016 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier Umschlag: skh-softics / coverart Umschlagabbildung: Waterdrops © deviantART 36730768 (fotolia.com) Bindung: docupoint GmbH, Magdeburg Alle Rechte vorbehalten Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany ISBN 978-3-8260-5712-0 www.koenigshausen-neumann.de www.libri.de www.buchhandel.de www.buchkatalog.de INHALT EINLEITUNG .................................................................................................... 7 I. DIE PRIVAT-ÖFFENTLICHE ACHSE DES POLITISCHEN PRIVATSPHÄRE UND ÖFFENTLICHKEIT ALS DISJUNKTIONSMOMENT DER POLITISCHEN THEORIE ........................................................................ 23 1. ‚Privat‘ und ‚öffentlich‘ als Achse zwischen ‚links‘ und ‚liberal‘ ............ 24 2. Das Grundunvernehmen der politischen Theorie .................................. 28 Der liberale Kritizismus ............................................................................. 37 • Jürgen Habermas’ langer Schatten über den Öffentlichkeitsdiskussionen ................................................................ 46 Die marxistische Kritik .............................................................................. 53 • Die Politik nach der Dekonstruktion .............................................. 61 3. Hannah Arendt und Jacques Rancière: Eine erste Begegnung .............. 70 II. DIE HINTERGRÜNDE HANNAH ARENDT: EINE VIELSEITIGE IDENTIFIKATIONSFIGUR DER POLITISCHEN THEORIE ................................................................................ 79 1. Hannah Arendt als Großmutter der Konsensphilosophie ..................... 82 2. Hannah Arendt als verspätete Klassikerin der Linken ........................... 88 3. Die Politik und das Politische ................................................................. 92 4. Arendt trouble: Das Private und das Öffentliche................................. 100 5. Epistemologische und politische Öffentlichkeit .................................. 106 JACQUES RANCIÈRE: DER THEORIEHYBRIDE ......................................... 113 1. Rancière im Kontext des poststrukturalistischen politischen Denkens ................................................................................................... 113 2. Die Lügen des demokratischen État ...................................................... 118 3. Die Lügen der politischen Philosophie ................................................. 122 4. Der diskursive Raum des Privaten und des Öffentlichen .................... 131 5. Hybridität der Figuren, Hybridität der Traditionen ............................ 138 III. DAS UNVERNEHMEN ZWISCHEN HANNAH ARENDT UND JACQUES RANCIÈRE DAS POLITISCHE: DIE ANTI/POLITIK DES SOZIALEN ............................. 147 1. Die sprachliche Fundierung des Politischen ......................................... 149 5 2. Die politische (Un-)Genügsamkeit des Zõon politikon ....................... 157 3. Das Soziale und Politische: eine haltbare Dichotomie ......................... 164 4. Quid pro quo: Arendt und Marx ............................................................ 174 5. Die Altvordere: Der verschwiegene Hintergrund der Kritik am ‚Grund‘ ............................................................................................... 187 Zu den Gründen selbst – Der Arché-Begriff .......................................... 194 Menschenrechte als Arché des Politischen .............................................. 197 Arché als Gründung der Freiheit ........................................................... 201 Tertium datur: Freiheit durch Gründung .............................................. 206 6. Revolutionärer versus evolutionärer Anarchismus ............................... 214 DAS ÄSTHETISCHE: DER GEMEINSAME NENNER – SENSUS COMMUNIS .................................................................................... 219 1. Die Vereinigungskunst ........................................................................... 219 Sensus communis – der Verlust des gemeinsamen Nenners und Möglichkeiten seiner Neuaktivierung ....................................................... 225 2. Sinnliche Wege zur Gemeinschaft bei Jacques Rancière ...................... 231 Rancières Annäherung: die romantische Kunst ........................................ 234 • Die romantische Verwerfung der Topografie des Privaten und Öffentlichen: Das Unvernehmen mit Freud .................................... 237 • Die romantische Verwerfung der gesellschaftlichen Autonomie der Kunst: Das Unvernehmen mit Lyotard ...................................... 243 Rancières Distanznahme: die avantgardistische Kunst ............................ 245 3. Hannah Arendts Sinnesgemeinschaft ................................................... 252 Arendts ästhetische Gewinnbarmachung des Politischen ........................ 255 4. Ausblicke auf das Ästhetische: Überlegungen zu einer agonal- politischen Erzähltheorie ....................................................................... 266 5. Ausblicke auf das Kritische: Das dynamische Modell von Rückzug und Teilnahme ........................................................................................ 275 DAS PÄDAGOGISCHE: DIE POLITIK DER BILDUNG ................................ 285 1. Drei Begriffszeitalter und zwei komplementäre Bildungsdesaster ...... 292 Institution und Autonomie zwischen ‚links‘ und ‚liberal‘ ........................ 298 2. Rancières universeller Unterricht .......................................................... 302 3. Arendts Verantwortung für die Welt .................................................... 310 4. Sensus communis als Ausgangs- und Endpunkt des Pädagogischen .... 317 SCHLUSSWORT ........................................................................................... 321 LITERATURVERZEICHNIS ........................................................................... 335 PERSONENREGISTER ................................................................................... 365 SACHREGISTER ............................................................................................ 371 6 Einleitung I. Der in der gegenwärtigen politischen Theorie eingebürgerten Feststel- lung, dass es „keinen der Gesellschaft eigentümlich genähten Raum [gibt], weil das Soziale selbst kein Wesen hat“1, kann man hinzufügen, dass auch die Privatsphäre und Öffentlichkeit keinen eigentümlichen Raum, kein eigentliches Wesen haben. Sie sind vielmehr als Wahrheitseffekte unter- schiedlicher theoretischer Positionen und ideologischer Ansichten zu be- trachten. Heute, dreißig Jahre nach der Formulierung der obigen Feststel- lung und auf Basis der Erfahrung einer praktischen Verflüssigung von Pri- vatsphäre und Öffentlichkeit, gilt es die Rolle zu untersuchen, die Privatsphäre und Öffentlichkeit, Privates und Öffentliches nicht nur in der vermeintlich objektiven, theorieunabhängigen Wirklichkeit, sondern auch im Feld der politischen Theorie eingenommen haben und nach wie vor einnehmen. Die Anzahl an philosophischen und politisch-theoretischen Studien, die dieses Thema anreißen, zeugt von mittlerweile neu erwach- tem Interesse am Privaten und Öffentlichen. Die Gründe dafür liegen in einem sich scheinbar unaufhaltsam vollziehenden, andauernden sozialen Wandel, im Zuge dessen die tradierten politischen und sozialen Trennun- gen von ‚privat‘ und ‚öffentlich‘ porös werden. Das in diesem Kontext häufig hörbare Beweinen des Verlusts der Privatsphäre und die mit diesem zusammenfallende Klage über den Verfall der Öffentlichkeit machen tat- sächlich einen der Brennpunkte des zeitgenössischen theoretischen Den- kens aus. Zugleich stellen sie eine Achse des politischen Denkens der gan- zen Moderne dar. Dass die deskriptive bis normative Einstellung des je- weiligen Theoretikers zur privat-öffentlichen Konstituierung des Sozialen und Politischen eng mit seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten theore- tischen Tradition zusammenhängt, wurde in theoretischen Begegnungen und Auseinandersetzungen von einander entgegenstehenden politisch- theoretischen Positionen zwar mitreflektiert – zur disziplinbildenden Achse aber, über die sich einzelne Positionen begegnen und antagonisie- ren, ist sie noch nicht auserkoren worden. Bei der Gegenüberstellung der unterschiedlichen politisch-theoretischen Positionen möchte das hier verwendete analytische Prozedere nicht nur der Frage nachgehen, wie die politische Theorie als Einheit und Abstraktum das soziale Phänomen der privat-öffentlichen Dichotomie beobachtet. Es geht hingegen von einer 1 Laclau/Mouffe: Hegemonie und radikale Demokratie, S. 130. 7 tiefen Gespaltenheit in der Theorie aus und beobachtet ferner, wie sich, abhängig von der theoretischen Einstellung zu dieser Dichotomie, unter- schiedliche Theorien nicht nur zur sozialen ‚Wirklichkeit‘, sondern auch zueinander positionieren und auf der politischen Skala zwischen ‚links‘ und ‚liberal‘ (wie auch ‚rechts‘) gruppieren. Nicht also die Ermittlung der ‚objektiven‘ Beschaffenheit von Privatsphäre und Öffentlichkeit ist das Ziel, sondern die Erfragung der Angewiesenheit dieser Dichotomie auf den politisch-theoretischen Hintergrund im Spannungsfeld zwischen ‚links‘ und ‚liberal‘. Kurzum, bei der Arbeit mit den Kategorien ‚privat‘ und ‚öffentlich‘ dürfen die in der Theorie wirksamen Kräfte nicht verges- sen werden, die bedingen, dass etwas als ‚privat‘ oder ‚öffentlich‘ wahrge- nommen oder in seiner politischen Relevanz übersehen wird. Schematisch betrachtet könnte das traditionelle Feld der politischen Theorie folgendermaßen umrissen werden: Während die Vertreter der li- beralen Positionen daran festhalten, das Private und das Öffentliche (ma- terialisiert in den bürgerlichen Sphären der Privatsphäre und der Öffent- lichkeit) normativ zu bestimmen und voneinander abzugrenzen, setzen sich die linken Positionen für die Lockerung des tradierten Verhältnisses von Privatsphäre und Öffentlichkeit, Privatem und Öffentlichem ein. Sie sind auch um die Infragestellung und Herausforderung von Diskursen, Institutionen und materiellen Grundlagen, deren Wahrheitseffekte diese Sphären sind, bemüht. Würde man aber, ausgehend von der Einstellung eines bestimmten Theoretikers oder einer bestimmten philosophischen Tradition zur Frage der Privatsphäre und der Öffentlichkeit bzw. des Pri- vaten und des Öffentlichen eine Skizze des politisch-theoretischen Spek- trums entwerfen, auf welcher auf der einen Seite die Linken und auf der anderen die Liberalen verortet wären, sähe man bald ein, dass die Grenze dazwischen nicht immer einfach zu ziehen ist. (Ein solcher, keineswegs einfacher Fall besteht in der Positionierung und Begegnung von Hannah Arendt und Jacques Rancière, auf die in Teil II. eingegangen wird.) Um nichtsdestotrotz einen einleitenden, provisorischen Kontrast zwischen ‚links‘ und ‚liberal‘ in den Raum zu stellen, sei zunächst der folgende De- finitionsversuch des Privaten angebracht: Mit dem Begriff des Privaten grenzen wir also, das ist die Idee, Bereiche oder Dimensionen ab für ein Individuum, die es braucht, um die in mo- dernen Gesellschaften beanspruchte und rechtlich gesicherte individuelle Freiheit leben zu können.2 Diese von Beate Rössler formulierte Definition des Privaten schreibt sich in die lange Dauer der liberalen Befreiungsnarrative von Staat, Überwa- chung, Kontrolle und Disziplinierung ein. Infolge eines Jahrzehnte an- 2 Rössler: Der Wert des Privaten, S. 138. 8 dauernden, teils durch die neuen sozialen Bewegungen angebahnten und teils durch Marktentwicklung angekurbelten „Strukturwandels“3 des Priva- ten und des Öffentlichen, der im Triumph der liberalen Demokratie und im Sieg des Individuums kulminierte, scheinen die meisten liberatorischen Forderungen erfüllt worden zu sein: private und öffentliche Rechte des Einzelsubjekts gehören mittlerweile zu den Grundlagen der westlichen li- beral-demokratischen Ordnung. Zugleich ist durch den Sieg der liberalen Demokratie die linke Eman- zipationspolitik ohne die ideologischen Stützpfeiler geblieben, die sie bis- her in ihrer Bewegung von Unterwerfung und Unterdrückung zu Be- freiung und Emanzipation verwendete. Die linken Befreiungsnarrative, die sich häufig als Reaktion auf die vom ökonomischen und philosophischen Liberalismus bedingten und verschwiegenen Exklusionen artikulieren, fo- kussieren sich auf die Offenlegung der fiktiven und auf Ungerechtigkei- ten beruhenden Beschaffenheit der liberalen Freiheit, welche auf einer künstlichen und klassenbedingten Auseinanderhaltung des privaten und des öffentlichen Lebens fußt. Den überdauerten linken Bewegungen scheinen im neu hergestellten ideologischen, ökonomischen und politi- schen Kontext viele Anhaltspunkte, die als Ausgang oder Ziel der Kritik oder einer neuen Auflehnung verwendet werden könnten, abhanden ge- kommen zu sein: Die Feststellung „All that is solid melts into air“4 scheint sich andauernd zu bestätigen. Aufgrund des Verlusts dieser An- haltspunkte werden die westlichen posthistorischen, postideologischen Gesellschaften von einem Defizit des Politischen heimgesucht. Die Linke findet sich in einer schwer zu bewältigenden Zwickmühle, die diesem fak- tisch-materiellen Strukturwandel des Privaten und des Öffentlichen (vor- herrschende materielle Produktionsweise), wie auch einem politisch- theoretischen Strukturwandel (gegenseitige Annäherung von ehemals an- tagonisierten theoretischen Positionen) zu verdanken ist. Deshalb scheint der links-liberale Schematismus, wenigstens in puncto der ‚typisch linken‘ und ‚typisch liberalen‘ Einstellungen zum privat-öffentlichen Komplex, heutzutage von einer beschränkten Gültig- keit zu sein. Ein weiterer Grund dafür liegt darin, dass spätestens im seit Fukuyamas ‚Ende der Geschichte‘ (das höchstens als ein symbolischer Meilenstein genommen werden kann) bestehenden sozialen und politi- schen Rahmen die liberalen Anliegen (Ordnung der privaten und der öf- fentlichen Sphären, Demokratie-Debatte, Schutz des Eigentums und der 3 Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit 4 All that is solid melts into air ist der Titel eines Buches von Marshall Berman aus dem Jahre 1981. Es handelt sich um die Übersetzung des folgenden Satzes: „Alles Ständi- sche und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind end- lich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.“ (Marx/Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, S. 465) 9

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