Roland Czada · Susanne Lütz Die politische Konstitution von Märkten Roland Czada · Susanne Lütz (Hrsg.) Die politische Konstitution von Märkten Roland Czada · Susanne Lütz (Hrsg.) Die politische Konstitution vonMärkten Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz fiir diese Publikation ist bei Der Deurschen Bibliothek erhăltlich 1. Auflage September 2000 Alle Rechte vorbehalten © Springer Fachmedien Wiesbaden 2000 Urspriing1ich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden 2000. Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwerrung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulăssig und strafbar. Das gilt insbe sondere fiir Vervielfăltigungen, Dbersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. www.westdeutschervlg.de Hochste inhaltliche und technische Qualităt unserer Produkte ist unser Zie!. Bei der Produk tion und Verbreitung unserer Biicher wollen wir die Umwelt schonen. Dieses Buch ist auf său refreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die EinschweiBfolie besteht aus Polyathylen und damit aus organischen Grundstoffen, die weder bei der Herstellung noch bei der Verbrennung Schadstoffe freisetzen. U mschlaggestaltung: Horst Dieter Biirkle, Darmstadt ISBN 978-3-531-13415-4 ISBN 978-3-322-89589-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-89589-9 Inhalt Vorwort ................................................................................................................... 7 Einleitung Susanne Lütz und Roland Czada Marktkonstitution als politische Aufgabe: Problemskizze und Theorieüberblick ...................................................................... 9 Teil I · Theoretische Perspektiven Vivien A. Schmidt Still Three Models of Capitalism? The Dynamics of Economic Adjustment in Britain, Germany, and France ...................................... 38 Hartmut Elsenhans Einbettende Strukturen oder steigende Masseneinkommen als Ursache von Wachstum durch Marktwirtschaft .............................................. 73 Burkard Eberlein Regulierung und die Konstitution von Märkten in Europa ..... ................. ....... ...... 89 Rainer Freriks und Ulrich Widmaier Die Veränderung der Strategie ökonomischer Akteure im Prozess der Entstehung eines europäischen Binnenmarktes ........................... 107 Teil II · Länderstudien Peter Imbusch Marktkonstitution und die Erzeugung dynamischer Unternehmer als gewaltsames politisches Zwangsprojekt Chile .............................................. 126 Sirnone Schwanitz Marktschaffung auf regionaler Ebene: Variationen der staatlichen Privatisierung in Russland ....................................... 147 Roland Czada Zwischen politischer Intervention und Marktdynamik: Sektorale und regionale Marktschaffung in Ostdeutschland ............................... 168 Teil III . Sektorstudien Elisabeth Wolf-Csanady Kulturgut versus Ware Buch: Die deutsche Buchpreisbindung im Spannungsfeld zwischen Kulturpolitik, Lobbyismus und europäischer Wettbewerbspolitik ........................................................................ 196 Frank Nullmeier "Mehr Wettbewerb!" Zur Marktkonstitution in der Hochschulpolitik ................................................... 209 Jürgen Feick Marktzugangsregulierung: Nationale Regulierung, europäische Integration und internationale Harmonisierung in der Arzneimittelzulassung ...................... 228 Susanne Lütz Die politische Regulierung globaler Finanzrisiken ............................................. 250 Raymund Werle und Ulrich Müller Der Kampf um den Markt: Technische Konvergenz, institutionelle Heterogenität und die Entwicklung von Märkten in der technischen Kommunikation ..................................................................... 264 Autorinnen und Autoren ...................................................................................... 287 Personen-und Sachverzeichnis ........................................................................... 291 Vorwort Ein zuträglicher institutioneller Rahmen und der Verzicht auf politische Eingriffe gelten vielfach als wichtigste oder gar einzige Voraussetzung für marktwirtschaftli ebes Wachstum. Grundtenor der Beiträge dieses Bandes ist demgegenüber, dass funktionierende Märkte nicht nur institutionell eingebettet sein müssen, sondern darüber hinaus zu ihrer Kräftigung ständiger politischer Pflege bedürfen. Erfahrun gen der postsozialistischen Transformation in Osteuropa und der Industrialisierungs prozesse in Schwellenländern zeigen, ebenso wie jüngste Entwicklungen regulativer Marktschaffung in den westlichen Industriestaaten, dass Märkte ohne aktive politi sche Förderung nicht gedeihen können. Die Konstitution von Märkten in vormals staatlichen Infrastruktursektoren - Bahn, Post, Telekommunikation - zeigt, ebenso wie die Politik der Finanzmarktregulierung, dass marktwirtschaftliche Verhältnisse nicht von selbst entstehen, auch dann nicht, wenn bewährte marktwirtschaftliche Institutionen bereits vorhanden sind. Das Dilemma, dass Regierungen die Wachstumsdynamik von Märkten einerseits entfesseln möchten, andererseits aber dort wieder zügeln, wo sich ihre Bürger, Wähler, Produzenten und Verbraucher erhöhten Risiken ausgesetzt sehen, gilt in allen untersuchten Ländern und Wirtschaftssektoren. Die Beiträge des Bandes deu ten darauf hin, dass vor diesem Hintergrund Märkte dort am erfolgreichsten ge schaffen und entwickelt wurden, wo Regierungen dezidiert marktwirtschaftliche, zugleich aber auch pragmatische Eingriffe bevorzugten statt sich ganz auf eine radi kale Marktideologie einzulassen. Politik und Markt lassen sich nicht trennen, weil die politische Gestaltung, der Schutz oder die Liberalisierung von Märkten stets von massiven gesellschaftlichen Verteilungskonflikten begleitet ist. Die Handlupgsressourcen des Staates, die Orga nisierbarkeil von Interessen, gesellschaftliche Leitbilder und weitere politische, so ziale und kulturelle Faktoren sind entscheidende Bedingungen, von denen die poli- tische Konstitution, Entwicklung, letztlich die institutionelle Verfasstheit und Funktionsweise von Märkten abhängt. Aus diesem Grund bleiben auch im Zeitalter der Globalisierung und der europäischen Marktintegration ökonomische Systeme auf absehbare Zeit in nationale soziokulturelle Strukturen eingebettet. Die Beiträge gehen im Wesentlichen auf zwei von den Herausgebern organisierte Tagungen zurück - ein Treffen der Sektion "Politik und Ökonomie" der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) zum Thema "Politische Markt konstitution" im Oktober 1998 in Hagen und ein Arbeitskreis mit dem Titel "The Making of Markets in Post-National Settings" im Rahmen der Jahrestagung der "Society for the Advancement for Socio-Economics" (SASE) im Juli 1998 in Wien. Für tatkräftige Unterstützung bei der technischen Fertigstellung dieses Bandes be danken wir uns ganz herzlich bei Christel Schommertz und Thomas Pott vom Max Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln und Annette Kämmer von der FernUniversität Hagen. Roland Czada Susanne Lütz Hagen und Köln im August 2000 Einleitung Marktkonstitution als politische Aufgabe: Problemskizze und Theorieüberblick Susanne Lütz und Roland Czada Fragen der Schaffung und Regulierung von Märkten stoßen seit geraumer Zeit auf besondere Aufmerksamkeit. In dem Maße, in dem der keynesianische Wohlfahrts kapitalismus in eine Krise geraten war und zunächst Inflation, dann Stagflation und schließlich Massenarbeitslosigkeit die Wirtschaftspolitik der Industrieländer her ausforderten, erhob sich der Ruf neoliberaler Ökonomen und Politiker nach mehr Markt und weniger Staat. Inzwischen hat die in den USA und Großbritannien be reits in den frühen Achtzigerjahren eingeschlagene neoliberale Wende der Wirt schaftspolitik auf alle hoch entwickelten Industriestaaten in der einen oder anderen Weise abgefärbt. Groß angelegte Privatisierungsprogramme führten vielerorts zum Rückzug des Staates als Eigentümer von Wirtschaftsuntemehmen. Zugleich wurden Märkte von althergebrachten Reglements befreit, denen Ökonomen wachstums hemmende Wirkung attestiert hatten. Der Zusammenbruch der sozialistischen Staatenwelt im Jahr 1989 schien zu nächst die neoliberale Minimalstaatsdoktrin zu bestätigen. Gleiches gilt für die Wir kungen des technologischen Wandels auf die Marktdynamik: Neue Informations und Kommunikationstechnologien entfesselten einen neuen, auf Computeranwen dungen basierenden Produktzyklus, der alte Märkte revolutionierte und neue Märkte entstehen ließ. Sinkende Transaktionskosten, durch Vemetzung flexibilisierte Pro duktionsorganisationen, neue Verteilungswege, ein verändertes Konsumverhalten und ein insgesamt beschleunigter ökonomischer Strukturwandel offenbarten eine Marktdynamik, vor der herkömmliche, namentlich in der europäischen Sozialdemo kratie verankerte politische Gestaltungsabsichten und Machbarkeitsvorstellungen verblassen mussten. Selbst dort, wo linke und christdemokratische Parteien den Wohlfahrtsstaat verteidigten, kam es im Verlauf der Neunzigerjahre zu immer wei teren Übernahmen von Elementen neoliberaler Wirtschaftspolitik. Nicht zuletzt hat dazu auch der ökonomische Kollaps der sozialistischen Länder beigetragen. Schließ lich waren all diese Entwicklungen von einem stetigen Abbau nationaler Barrieren des Handels und Kapitalverkehrs auf europäischer und globaler Ebene begleitet. Erst seit Mitte der Neunzigerjahre werden die Kehrseiten dieser Entwicklungen deutlich. Privatisierungspolitiken führten nicht automatisch zu freien Märkten und mehr Wettbewerb. Vor allem die Privatisierung.vormals staatlicher Infrastruktur monopole im Verkehrs-, Energie-, Post- und Telekommunikationssektor zog neue Staatseingriffe und bürokratische Regulierungsaufgaben zur Sicherung von Wett- 10 Susanne Lütz und Roland Czada bewerbsstrukturen nach sich. Auch die Entgrenzung nationaler Volkswirtschaften bot nicht nur ökonomische Effizienzvorteile und W achstumschancen. Der schran kenlos gewordene globale Kapitalismus erwies sich zugleich als krisenanfällig. Die internationalen Kapital- und Devisenmärkte sind der nationalen politischen Kon trolle entglitten. Unkontrollierbare Marktdynamiken und Kettenreaktionen bedro hen nun die Stabilität und Wachstumsprospekte einer hochinterdependenten, glo balen Wirtschaft. Die marktwirtschaftliehen Transformationen in Ost-Mitteleuropa haben gezeigt, dass rechtsstaatliche Basisinstitutionen für das Funktionieren von Märkten unverzichtbar sind. Mehr noch: Über die Basisinstitutionen hinaus und im Einklang mit ihnen bedarf es offenbar sektoraler Regelsysteme und der sozialen Einbettung der Marktteilnehmer und des Marktmechanismus (R. Czada/G. Lehm bruch 1998; R. Czada in diesem Band). Und auch die neuen Technologien sind als Marktplattformen nur brauchbar, wenn die dort getätigten Transaktionen effektiven Regelungsstrukturen folgen, die den in Jahrhunderten entwickelten nationalen Markt systemen der Industriestaaten gleichwertig sind. Mit der wachsenden Durchlässigkeit nationaler und sektoraler Grenzen sind die herkömmlichen Regelsysteme des Nationalstaates nicht nur stumpf geworden. In der neuen, global entgrenzten Wirtschaft können die Marktkräfte nationale Volks wirtschaften und Regierungen auf vielfältige Weise disziplinieren. Dies ist ein aus neoliberaler Sicht erwünschtes Gegengift zur Bekämpfung tatsächlicher und ver meintlicher Auswüchse des Wohlfahrtsstaates. Der Staat entwickelt sich vor diesem Hintergrund vom Wohlfahrtsstaat zum Wettbewerbsstaat (P. Cerny 1997; J. Hirsch 1996), der den Markt, anstatt ihn zu zähmen, aus seinen Fesseln immer weiter be freien muss. Die wachsende Mobilität und grenzenlose Verfügbarkeit von Produk tionsfaktoren wie Kapital und neue Technologien lässt nach neoklassischer Vor stellung Zinsen, Wachstum, Profit- und Produktivitätsraten konvergieren und mit ihnen auch die bislang unterschiedlichen Wege der institutionellen Marktgestaltung (vgl. R. Bayer 1996: 30--32 zur Zusammenfassung neoklassischer Annahmen). Im freien internationalen Wettbewerb liegt neben der Entmachtung des Nationalstaates offenbar auch ein Moment internationaler Vereinheitlichung. Mehr noch: Die Ent machtung des Nationalstaates im Innern erscheint sogar als entscheidende Voraus setzung für die Konvergenz bestimmter institutioneller Regeln und politischer Steuerungsinstrumente der Marktwirtschaft. Welche institutionellen Gegenkräfte hier wirksam sind und wie sich das Beharrungsvermögen nationaler Systeme der politischen Ökonomie letztlich auswirkt, ist eine offene, nur auf dem Weg empiri scher Forschung zu beantwortende Frage. Ein breites Spektrum sozialwissenschaftlicher Literatur hat seit langer Zeit dar auf verwiesen, dass Märkte auf Grund ihrer institutionellen Einbettung als histori sche Phänomene zu betrachten sind. Die Intervention des Staates in die Wirtschaft kann unterschiedlich intensiv sein, sich im Sinne liberaler Ideologie etwa restriktiv auf die Einhaltung von Spielregeln des Wettbewerbes konzentrieren, in einer akti ven Struktur- und Industriepolitik oder in kompensatorischer Verteilungspolitik zu Gunsten der Verlierer von Marktprozessen bestehen. Marktakteure, wie gesell schaftliche Schlüsselgruppen in den Bereichen Arbeit, Industrie und Finanzwesen
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