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Die poetische Konstruktion des Selbst: Grenzgänge zwischen Frühromantik und Moderne: Novalis, Bachmann, Christa Wolf, Foucault PDF

415 Pages·2000·13.634 MB·German
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MARION SCHMAUS Die poetische Konstruktion des Selbst Grenzgänge zwischen Frühromantik und Moderne: Novalis, Bachmann, Christa Wolf, Foucault & MAX NIEMEYERVERLAG TÜBINGEN 2000 Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Meinen Eltern, Ingeborg und Wilhelm Schmaus gewidmet Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Schmaus, Marion: Die poetische Konstruktion des Selbst: Grenzgänge zwischen Früh- romantik und Moderne: Novalis, Bachmann, Christa Wolf, Foucault / Marion Schmaus. — Tübingen: Niemeyer, 2000 (Hermaea; N.F., Bd. 92) ISBN 3-484-15092-0 ISSN 0440-7164 © Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2000 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über- setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektro- nischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Buchbinder: Geiger, Ammerbuch Dank Die vorliegende Studie hätte ohne die Unterstützung und das Gespräch mit anderen nicht entstehen können. Ihnen möchte ich meinen Dank aussprechen: Herr Prof. Dr. Klaus-Detlef Müller hat in seinen Seminaren, im Ge- spräch und in der Zusammenarbeit mein Interesse an der poetologi- schen Fragestellung geweckt und gefördert. Die Entstehung dieser Ar- beit hat er von Anfang anı mit großem Interesse und Vertrauen beglei- tet. Für die vielfältige Unterstützung herzlichen Dank! In Lehre und Forschung hat mir Herr Prof. Dr. Manfred Frank wertvolle Einblicke in die philosophischen Grundlagen der Frühro- mantik vermittelt, denen diese Untersuchung verpflichtet ist. Für die jahrelange Betreuung mit Ansporn und Kritik bin ich sehr dankbar. Den Professoren Dr. Bernhard Greiner und Dr. Jürgen Wertheimer sei für die Begutachtung der Arbeit gedankt. Die Studienstiftung des deutschen Volkes hat die zügige Abfassung dieser Studie sowie den Forschungsaufenthalt an der Universität von Kalifornien, Berkeley ermöglicht, die Deutsche Forschungsgemein- schaft hat den Druck des Buches unterstützt, wofür ich Dank sagen möchte. Den Reihenherausgebern Prof. Dr. Klaus-Detlef Müller und Prof. Dr. Joachim Heinzle sei für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe »Hermaea« gedankt. Für die Abdruckgenehmigung eines Zitats aus dem Nachlaß bin ich der Familie Bachmann sowie Prof. Dr. Robert Pichl sehr verbunden. Schließlich gilt mein besonderer Dank den Gesprächspartnerinnen, die dieses Buch von der Konzeption bis zum Abschluß mit Anregung, Kritik und viel Humor begleitet haben: Eva Corino, Dr. Susanne Kom- fort-Hein, Dr. Elizabeth Millan, Dr. Karin Schutjer, Dr. Heather Sul- livan, Dr. Barbara Thums. Letzterer danke ich insbesondere für die treue Hilfe bei der Überarbeitung des Textes. Tübingen, im April 2000 Marion Schmaus V Inhalt Einleitung I. »Ich ist eine Kunst - ein Kunstwerck.« Philosophisch-literarische Selbstverhältnisse im Werk Friedrich von Hardenbergs (Novalis) . Variationen auf ein Thema: Entwürfe des Ich in den Philosophischen Fragmenten« Die Voraussetzungen: »Fichten bin ich 1.I. Aufmunterung schuldig« .. »Wir sprechen vom Ich — als Einem, und ess sind doch Zwey«: Die Dialektik von Gefühl und Gedanke . . 0 15 1.3. »Ördo inversus«e: Der „berühmte Widerstreit i im Ich« 1.4- Lebenskunst - die Kunst, »Leben zu construiren«: Zur Rolle der Einbildungskraft und der Poesie im Prozeß des »Schwebens zwischen Entgegengesetztem« 1.5. Die Poesie als das affine Andere 2. Die poetische Konstruktion des Selbst im ‚Heinrich von Ofterdingen« Der ‚Heinrich von Ofterdingen« als transzendentaler 2.1. Bildungsroman 2.2. Das individuelle Lebensbuch 2.3. Die blaue Blume 2.4. Die Liebesbeziehung Heinrichs zuu Mathilde als sozioästhetische Darstellung des Rollentauschs von Gefühl und Gedanke 2.5. Das Märchen von »Eros und Fabek 2.6. Der siderische Mensch . 2.7. Die Verwirklichung der Utopie als formales Geschehen 3. Zusammenfassung vu ll. Verzicht auf erpreßte Autorität. Entwürfe des Ich in Ingeborg Bachmanns »Todesarten«-Projekt . 105 I. Spurensicherung 2. Das Ich, das nicht eines ist en . 118 Isis und Osiris: Formen der Geschwisterliebe im 3. Gespräch zwischen Ingeborg Bachmann und Robert Musil . Ein weiterer Akt ii n \ der Dialektik der Aufklärung. Widerstreitende Identitätskonzepte: Malina und Ich . »Glücklich mit Ivan — Historische Stadien einer Liebesutopie: Novalis, Musil, Ingeborg Bachmann Verhinderte Autorschaft: Die poetische Produktion des weiblichen Ich rn Eine Dialektik des Absurden: Die Geheimnisse einer Prinzessin, Blumengespräche und das »Gespräch im Gebirg« (Paul Celan) Malina als Erzähler der ‚Todesarten« II. »Die große Hoffnung oder über die Schwierigkeit, »ich« zu sagen«. Poetische Selbstversuche im Werk Christa Wolfs Gesprächsraum Romantik 0 I. Romantische Korrespondenzen: Die Initiation zum 2. Dichter, Psychosomatik und Schwierigkeiten mit der ersten Person en Zeitschichten und Kindheitsmuster 4. Todesarten und Selbstversuche: Der Rollentausch der Geschlechter und eine andere Ästhetik . 2309 . Zusammenfassung . 251 IV. Antike Ästhetik der Existenz und moderne Lebenskunst: Zum Werdegang des etho-poetischen Subjekts im Denken Michel Foucaults . 257 Traum und Existenz: Foucaults frühromantische Anfänge. 1. Novalis’ träumendes Ich als Gegenentwurf zur ’Traumdeutung« Freuds . . 262 Vorwortpolitik — Die Stile Foucaults . 275 . Wege des Anders-Denkens: Literatur als Gegendiskurs und das Subjekt im Widerstand . 205 vmI 3.1. Literatur, Wahnsinn und Gesetz: Hölderlins »Nein« zum Gesetz des Vaters . 305 3.2. Das Subjekt und die moderne Macht“ . 317 4. Wege des Anders-Seins: Antike Ästhetik der Existenz und moderne Lebenskunst . 325 4.1. Antike: Gebrauch der Lüste 333 4.2. Moderne: Gebrauch der Lüste und Freundschaft als Lebensweise . 340 4.3. Moderne Lebenskunst? Judith Butlers Konzept der gender performance . 346 4.4. Die Sorge um sich - 359 4.5. Die neue Politik der Wahrheit: Wahrsprechen. . 365 4.6. L’Ecriture de soi / Die Schrift seiner selbst . 372 Nachwort . 381 Literaturverzeichnis . 383 Personenregister . 405 IX Einleitung Ich weiß nicht, ob es eine Untersuchung des Ich und der vielen Ich in der Literatur gibt, bekannt ist mir keine, und obwohl ich mich nicht imstande fühle, eine regelrechte oder gar erschöpfende Untersu- chung anzustellen, meine ich, daß es da viele Ich gibt und über Ich keine Einigung - als sollte es keine Einigung geben über den Menschen, sondern nur immer neue Entwürfe. [...] Und es wird seinen Triumph haben, heute wie eh und je — als Platzhalter der menschlichen Stimme. (Ingeborg Bachmann WA IV, 219, 237) Diese Untersuchung hat sich zur Aufgabe gestellt, philosophisch-lite- rarisch >»neue Entwürfe: des Ich exemplarisch anhand der Werke Friedrich von Hardenbergs, Ingeborg Bachmanns, Christa Wolfs und Michel Foucaults zu rekonstruieren. Das sich selbst schreibende Ich soll als frühromantische Gedankenfigur erhoben werden, die in Lite- ratur und Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts erneut Aktualität gewonnen hat. Ausgehend von der von Kant und Fichte übernomme- nen, erkenntnistheoretischen Fragestellung nach der Möglichkeit von Selbstbewußtsein hat Novalis in seiner Werk die Widerspruchsstruktur des Ich, das sich als identisch und geteilt zugleich erfährt, einer prak- tisch-poetischen Lösung zugeführt. Die Poesie erscheint als Medium der Dialogizität, und die poetische Tätigkeit wird als adäquate Praxis zwangfreier Selbstvermittlung benannt. Hardenberg hat für diese Form der Praxis den Begriff der Konstruktion gewählt, das »Ich soll construirt werden«, es ist ein »artistisches« Wesen, »eine Kunst — ein Kunstwerck.« (HKA II, 253) Die Poesie ist ihm in dieser Hinsicht »Constructionslehre des schaffenden Geistes« (HKA IV, 263). Mit der poetischen Konstruktion des Selbst verbindet sich die Einsicht, daß das Selbst kein Gegebenes, sondern ein Aufgegebenes ist, so daß die ange- strebte Einheit in der Zwei- und Mehrheit nur approximando erreicht werden kann, zu einer unendlichen Vermittlungsbewegung führt. Die unendliche Perfektibilität ist Signum des Ich, es wird als Approxima- tionsprinzip gefaßt. Unter diesem Aspekt generiert sich der Akt des Schreibens in der Frühromantik in einem weiten Sinne als Autobio- graphie, als Selbst-Lebens-Schrift, über den sich das Ich erst schreibend hervorbringt, eben konstruiert. Das Genre des »transzendentalen Bil- dungsromans«, veranschaulicht am »Heinrich von Ofterdingen«, soll im folgenden als Vollzug der poetischen Konstruktion des Selbst heraus- gearbeitet werden. Novalis’ Roman läßt sich als individuelles Lebens- buch lesen. Spuren dieses pragmatischen Literaturverständnisses finden sich in der ästhetischen Moderne nach 1945.' So führt Ingeborg Bach- mann dieses Dichtungsverständnis in ihrem auf das »Iodesarten«-Pro- jekt bezogenen Diktum der »imaginären Autobiographie< produktiv weiter. Mit der Einzeichnung der »vierten Dimension der AutorIn in ihre Texte erweist sich Christa Wolfs Werk als Aktualisierung der früh- romantischen Gedankenfigur der poetischen Konstruktion des Selbst. Michel Foucault arbeitet in seinem späten Text »L’Ecriture de soic (»Die Schrift seiner selbst«) die Verfahrensweisen des sich selbst schreibenden Ich heraus und reflektiert damit auch nachträglich sein Werk, das seinen eigenen Worten zufolge »Fragmente der Autobiographie: versammelt. Fast im Gleichklang mit Hardenbergs »Ich ist ein Kunstwerk« formu- liert Foucault als Leitsatz seiner späten Ästhetik bzw. Ethik der Exi- stenz: »Aus der Idee, daß uns das Selbst nicht gegeben ist, kann meines Erachtens nur eine praktische Konsequenz gezogen werden: wir müs- sen uns selbst als ein Kunstwerk schaffen.« (GE 274) Der poetischen Konstruktion des Selbst ist zugleich eine formale Individualethik implizit, da die praktisch-poetische Tätigkeit als ethi- sche Form des Selbst- und Weltverhaltens ausgewiesen wird. Zur Kenn- zeichnung dieses Sachverhalts bedient sich Michel Foucault des antiken Begriffs »Ethopoiein« »Ethopoiein heißt Ethos zu machen, Ethos zu produzieren.« (FuS 50) Die Engführung von Ethik und Ästhetik als Signum der Wahlverwandtschaft der in dieser Arbeit versammelten Au- tor/innen findet in diesem Terminus ihren adäquaten Ausdruck.” Die in der Poesie ermöglichte dialogische Vermittlung mit dem eigenen und fremden Anderen wird zum Vorschein mundaner kommunikativer In- tersubjektivität, wobei die Sphären der Lebenswelt und der Kunst in solchem Maße in Interaktion versetzt werden, daß Poesie als reflektierte ‘ Zum »Makroepochenbegriff« der ästhetischen Moderne siehe S. Vietta und D. Kem- per, Einleitung (in: Ästhetische Moderne in Europa. Hrsg. von $. Vietta und D. Kem- per, S. 1-55). Im folgenden werden die Werkausgaben Friedrich von Hardenbergs und Ingeborg Bachmanns, sowie die Texte Christa Wolfs, Michel Foucaults und anderer Autoren unter Siglen zitiert, die im Literaturverzeichnis unter der jeweiligen Autor/in aufgeschlüsselt sind. Die weitere Literatur wird mit Kurztiteln genannt. Zu den jüngsten Debatten um Ethik und Ästhetik siehe: Etho-Poietik. Hrsg. von B. Greiner und M. Moog-Grünewald; Ethik der Ästhetik. Hrsg. von C. Wulf, D. Kamper und H. U. Gumbrecht; Ethik und Ästhetik. Hrsg. von G. Gamm und G. Kimmerle.

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