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Die Phylogenie der Gattung Marmota (Rodentia, Sciuridae): Ein stammbaum auf der Basis von DNA-Sequenzdaten PDF

8 Pages·1999·0.91 MB·German
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© Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Die Phylogenie der Gattung Marmota (Rodentia, Sciuridae): Ein Stammbaum auf der Basis von DNA-Sequenzdaten L. KRUCKENHAUSER, E. HARING, W. ARNOLD & W. PINSKER Abstract The genus Marmota comprises 6 an species together with the North Ameri- North American and 8 Eurasian species. can species M. monax. The status of M. In the present work the phylogeny of 11 monax as a member of the Eurasian clade species was established using the entire is in accordance with the evolution of sequence of the mitochondrial cytochrome chromosome numbers. The results are of b gene (1140 bp) as a phylogenetic mar- special interest with respect to the evoluti- ker. The material for DNA extraction on of social systems in the genus Marmo- consisted of liver tissue, skins or hair- ta that vary from solitary species (M. roots. In the species phylogeny deduced monax) to highly social species living in from the mitochondrial sequences two family groups (e.g., M. marmota). The distinct clusters become apparent: One molecular phylogeny suggests that high cluster consists of the North-west Ameri- sociality has evolved twice independently can species, the other contains the Eurasi- in the genus Marmota. Stapfia 63, zugleich Kataloge des OÖ. Landesmuseums, Neue Folge Nr. 146 (1999), 169-176 169 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Einleitung morphologisch wenig voneinander differen- ziert, was auf eine relativ rezente Aufspaltung Die Gattung Marmota (Murmeltiere) hinweist (Abb. 2). Dies ist auch Ursache für gehört zur Ordnung der Nagetiere und inner- Widersprüche in der Murmeltiertaxonomie halb dieser zur Familie Sciuridae (Hörnchen) und für die bis dato weitgehend ungeklärten mit Cynomys (Präriehunde) und Spermophilus Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb der (Ziesel) als nächstverwandten Gattungen. Gattung (Abb. 3). Murmeltiere sind ausschließlich auf der Nord- halbkugel zu finden, ihr Verbreitungsgebiet Eine genauere Kenntnis der Kladogenese (Abb. 1) bildet einen zirkumpolaren Ring und (Artaufspaltung) innerhalb der Gattung Marmota ist vor allem in Hinblick auf die folgenden M. Fragen wünschenswert: M. sibiri 1) Die Ausbreitungsge- . baibäcina*s', schichte. Hier gilt es zu klären, ob sich das Entstehungs- und Ausbreitungszentrum der Gat- tung in Nordamerika oder in M. himalayaha Zentralasien befindet. 2) Die Entstehung hochso- zialen Verhaltens. Innerhalb der Gattung Marmota findet sich ein weites Spektrum sozia- ler Organisation, welches von den solitär lebenden Waldmur- meltieren (M. monax) bis zu hochsozialen Arten wie dem Alpenmurmeltier (M. mar- mota) reicht (ARNOLD 1990a,b; BLUMSTEIN & ARMITAGE 1999). Merkmale hochsozialen Ver- haltens sind z. B. die gemeinsa- M. vancouverensis me Nutzung von Bauen durch M. Olympus1 eine Familiengruppe, gemeinsa- mer Winterschlaf mit sozialer Nordamerika Thermoregulation oder ein Paarungssystem basierend auf nur einem an der Fortpflanzung Abb. 1: erstreckt sich von den Pyrenäen in Westeuro- beteiligten Weibchen pro Gruppe. Diese Ver- Zirkumpolare Verbreitung der Gattung Marmota (modifiziert nach BARASH pa (M. marmota) bis nach Labrador im Osten haltensanpassungen ermöglichen das Überle- 1989). Kanadas (M. monax). Mit Ausnahme des ben unter rauhen klimatischen Bedingungen, nordamerikanischen Waldmurmeltiers sind entweder in hochgelegenen Regionen oder die Arten an ein Leben in offenem Gelände nördlichen Breitegraden. Es erhebt sich nun angepaßt. Dabei werden die Gebirgszonen die Frage, ob das bei den meisten heute (Bergsteppen, hochgelegene Bergwüsten und - lebenden Arten vorherrschende hochsoziale tundren) bevorzugt, einzig das eurasische Verhalten sich bereits in der gemeinsamen Steppenmurmeltier (M. bobak) ist auf die Stammart der Gattung Marmota entwickelt Grassteppe als Lebensraum spezialisiert. Insge- hat. In diesem Fall wäre das Verhaltensmuster samt wurden 14 Arten beschrieben, davon der solitär lebenden Art M. monax sekundär leben 6 in Nordamerika und 8 in Eurasien entstanden. Alternativ könnte angenommen (BARASH 1989, BIBIKOV 1996). Die Arten sind werden, daß das Verhaltensmuster von M. 170 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at monax den ursprünglichen Typ repräsentiert, Methodik welcher auch für die nächstverwandte Gruppe Eine moderne Methode zur Aufklärung der Erdhörnchen charakteristisch ist. von stammesgeschichtlichen Verwandt- schaftsbeziehungen ist die Sequenzanalyse von Demzufolge wäre das hochsoziale Verhal- Makromolekülen (Proteine oder Nukleinsäu- ten sowohl der amerikanischen als auch der ren). Durch Vergleich der aus unterschiedli- eurasischen Murmeltierarten als relativ neue chen Arten gewonnenen Sequenzen ist es Anpassung an eiszeitliche Bedingungen zu möglich, die Zahl der Unterschiede zu bestim- werten. men und auf diese Weise den Verwandt- Abb. 2a-2c: Nordamerikanische Murmeltierarten: a) M. olympus b) M. flaviventris c) M. caligata Fotos: W. PINSKER 171 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at chondrien (Abb. 5). Dieser auch als mtDNA Pliocene Pleistocene bezeichnete Teil der Erbinformation hat die Eigenschaft, sich im Laufe der Evolution ? M. vancouverensis besonders rasch durch Mutationen zu verän- M. olympus dern. Für die Verwandtschaftsbestimmung M. monax zwischen den nahe verwandten Murmeltierar- ten erschien daher eine Untersuchung des M. flaviventris Cytochrom b Gens aus den Mitochondrien als M. marmota geeignete Methode. Die Länge dieses Gens M. nevadensis M. caligata beträgt 1140 Basenpaare (bp). M. broweri * Ein Problem bei der Durchführung des M. camtschatica Projekts ergab sich bei der Beschaffung des M. sibirica * Probenmaterials. Während es beispielsweise ohne weiteres möglich war, vom Alpenmur- M. baibacina meltier im Zuge der jagdlichen Nutzung M. minor M. bobak Organproben zu erhalten, stieß dies bei ande- M. himalayana * ren Arten auf erhebliche Schwierigkeiten. So M. menzbieri ist die auf wenige Areale in Vancouver Island (Kanada) beschränkte Art M. vancouverensis M. caudata mit einem Restbestand von etwa 100 Indivi- duen akut vom Aussterben bedroht. Die nahe Abb. 3: Phylogenie der Gattung Mar- schaftsgrad zu quantifizieren. Ein Beispiel verwandte Art M. olympus ist zwar nicht mota auf der Basis morphologischer eines solchen Sequenzvergleichs ist in Abb. 4 gefährdet, kommt aber nur innerhalb des Merkmale (modifiziert nach BIBIKOW 1996). Die Artaufspaltung innerhalb zu sehen. Es handelt sich dabei um den Ver- Olympic National Park (USA) vor und ist der Gattung bleibt weitgehend unge- gleich von Abschnitten des mitochondrialen dort ganzjährig geschützt. In beiden Fällen klärt. Die mit einem * bezeichneten Genoms, die für das Protein Cytochrom b mußte daher auf weniger geeignetes Proben- Arten standen für unsere Untersu- chung nicht zur Verfügung. kodieren. material zurückgegriffen werden. Im Fall von M. vancouverensis wurden von lebenden Tie- Abb. 4: Alignment der ersten 80 bp In der molekularen Evolutionsforschung des Cytochrom-b Gens. Die erste Zeile ren gewonnene Haare als DNA-Quelle ver- enthält die Sequenz von M. bobak, ist es von der jeweiligen Fragestellung abhän- wendet, bei M. olympus waren es Hautstücke davon abweichende Positionen sind gig, welche Sequenz als phylogenetischer Mar- aus Museumsmaterial. Mit Hilfe der PCR- rot oder blau (bei drei verschiedenen ker zum Einsatz kommen soll. Für nahe ver- Basen an der betreffenden Position) Technik (Polymerase-Kettenreaktion) ist es gekennzeichnet. Die Basen der DNA wandte Arten und Taxa unterhalb des Artni- möglich, DNA-Moleküle aus einer geringen sind wie folgt abgekürzt: a = Adenin, g = Guanin, c = Cytosin, t = Thymin. veaus hat sich die Untersuchung von Genen Menge an Ausgangsmaterial zu vermehren. Variable Positionen geben Auskunft aus den Mitochondrien besonders bewährt. In Dabei wird der Replikationsprozeß (Verdoppe- über den Verwandtschaftsgrad. Die eukaryontischen Zellen (d. h. Zellen mit lung) der DNA-Doppelhelix, so wie er auch in Sequenzen der nahe verwandten Arten M. vancouverensis und M. cali- einem echten Zellkern) findet sich Erbinfor- der lebenden Zelle vor jeder Teilung stattfin- gata unterscheiden sich im gezeigten mation (DNA) nicht nur im Kern, sondern det, im Reagenzglas durchgeführt, wobei Abschnitt an 4 Positionen, jene von auch in den für die Energieproduktion zustän- (zumindest theoretisch) jede Replikationsrun- M. vancouverensis und M. marmota an 11 Positionen. digen Organellen des Cytoplasmas, den Mito- de eine Verdoppelung des Zielgens zur Folge + 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6 + 7 + 8 M.bobak atgacaaacacccgcaaaacccaccctctaattaaaattattaatcactcctttattgatttacctgcaccctctaatat M. baibacina atgacaaacatccgcaaaacccaccctctaattaaaattattaatcattcctttattgatttacctgcaccctctaatat M. camtschatica atgacaaacacccgcaaaactcaccctctaattaaaatcattaatcactccttcattgatttacctgcaccctctaatat M. menzbieri atgacaaacacccgacaaaaccatcctctaatcaaaattatcaaccactcctttattgatttacccgcaccctctaatat M. caudata atgacaaacacccgcaaaacccatcctctaattaaaattatcaaccactcctttattgatttacccacaccctctaatat M. marmota atgacaaacacccgcaaaacccaccctctaataaaaatcattaatcgctcccttattgatttacccgcaccctctaatat M. monax atgacaaacacccgcaaaacccatcctctatttaaaattattaaccactcctttattgacctacctgcaccctctaatat M. flaviventris atgacaaacacccgcaaaacccaccctttaattaaaattattaatcactccttcattgatttacctgcgccctccaacat M. vancouverensis atgacaaacactcgcaaaacccatcctttaattaaaattataaatcactccttcattgatttacctacgccctctaatat M. caligata atgacaaacactcgtaaaacccatcctttaattgaaattattaatcactccttcattgatttacctgcgccctctaatat S. richardsonii atgacaaacatccgcaaaactcaccctttaattaaaatcgtcaaccactccttcatcgacttacccgcaccctccaacat 172 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at hat. Auf diese Weise gelang es, sogar aus fast 50 Jahre alten Hautstücken Kopien des mito- chondrialen Cytochrom b Gens für die Sequenzanalyse zu erhalten. In derart altem Material ist allerdings durch Abbauprozesse die DNA in kleinere Fragmente zerteilt. Dadurch ist es nicht möglich, so wie bei fri- schem Material das gesamte Gen in einer PCR-Amplifikation (mehrere Replikations- runden) zu vermehren. Es wird daher ver- sucht, kleinere Bruchstücke einzeln zu ampli- ND1 fizieren. Bei der nordamerikanischen Art M. Abb. 5: olympus gelang dies nur mit einer Teilsequenz Mitochondriales Genom und Bin- des Cytochrom b Gens. dungsstellen der PCR-Primer. Das Bei der Sequenzanalyse wird der mittels mitochondriale PCR vermehrte Sequenzabschnitt weiter Genom der Säu- untersucht und die genaue Abfolge der einzel- getiere ist ein ringförmiges nen Bausteine (Basen bzw. Nukleotide) DNA-Molekül von bestimmt. Als Ergebnis erhält man die geneti- 16.000 bp Länge. sche Information in Form einer Basensequenz. Es enthält die Information für Das Alphabet, in dem diese Information ver- Markergene und Primer 13 proteinkodie- faßt ist, kennt vier „Buchstaben": die Basen rende Gene, 2 Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G) und rRNAs und 22 tRNAs sowie eine Cytosin (C). Sequenzanalysen wurden an den POS 14709 Kontrollregion. Cytochrom b Genen von 10 Murmeltierarten cytb/L Die untersuchten durchgeführt, die Sequenz von M. flaviventris H B Gene (Cytochrom b und NADH- ist der Arbeit von THOMAS & MARTIN (1993) Cytochrom b Dehydrogenase entnommen. Ein Vergleich dieser Sequenzen UE 4) sind blau zeigt, daß manche nur geringe Unterschiede 1140 bp markiert, die flan- cytb/H kierenden tRNA- aufweisen (z. B. M. vancouverensis und M. cali- pos 15926 Gene gelb. Die gata: 1.8%), andere hingegen sich sehr stark pos 10195 Bindungsstellen voneinander unterscheiden (z. B. M. vancou- NW/L für die PCR-Pri- mer, die für die verensis und M. marmoca 10.4%). Daraus kann B Amplifikation der man bereits grob auf den Grad der Verwandt- ND4L NADH - Dehydrogenase UE 4 Gene Cyt-b und schaft schließen. Für eine Rekonstruktion der ND4 verwendet Kladogenese, der Reihenfolge der Artaufspal- 1224 bp wurden, sind ND4/H durch Pfeile tungsereignisse im Laufe der Evolution, ist pos. 11460 gekennzeichnet. jedoch eine genauere Analyse erforderlich. Ein dazu geeignetes Rechenverfahren ist die sehe Name sagt - Prinzip der größten Spar- „Maximum Parsimony"-Methode. Dabei wird samkeit jenes Netzwerk aus, welches mit der versucht, alle verfügbaren Sequenzen der geringsten Anzahl anzunehmender Mutatio- rezenten Arten durch Annahme von Mutati- nen auskommt. Die Lösung, welche die wenig- onsschritten (Umwandlung von Basen) inein- sten Zusatzannahmen (= Mutationen) ander überzuführen. Als Ergebnis erhält man benötigt, gilt als die wahrscheinlich richtige. ein komplexes Netzwerk, welches die ver- schiedenen Sequenzen miteinander verbindet. Um die so festgestellten Verwandtschafts- Für jeden Abschnitt des Netzwerks wird die beziehungen zwischen den Sequenzen phylo- Anzahl der anzunehmenden Mutationen genetisch interpretieren zu können, ist es not- errechnet. Natürlich gibt es für diesen wendig, das Netzwerk in ein Dendrogramm Rechenvorgang mehrere Lösungen. Die überzuführen, welches als Stammbaum der „Maximum Parsimony"-Methode (SwoFFORD untersuchten Arten aufgefaßt werden kann. 1993) wählt nun nach dem - wie der engli- Die Position der Wurzel des Stammbaums 173 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at erhält man dadurch, daß man eine weitere Wie stimmen die molekularen Daten nun Sequenz einer entfernt verwandten Art als mit anderen Befunden überein? In Abb. 7 sind Außengruppe in die Berechnung einbezieht. die aus dem Cytochrom b Gen abgeleiteten In unserem Fall wurde dafür die Sequenz des Verwandtschaftsverhältnisse karyologischen Cytochrom b Gens der amerikanischen Erd- Befunden gegenübergestellt. Die Position der hörnchenart Spermophilus richardsonii (THO- nordamerikanischen Art M. olympus wurde MAS &. MARTIN 1993) verwendet. aufgrund einer Teilsequenz festgelegt, da aus dem alten Material nicht das gesamte Cyto- chrom b Gen gewonnen werden konnte. Die diploiden Chromosomenzahlen variieren innerhalb der Gattung von 38 bis 42. Wie der 61 - M. marmota Vergleich zeigt, stimmt die Verteilung der — M. bobak Chromosomenzahlen gut mit der auf der Basis 18 der Cytochrom b Daten getroffenen Untertei- 40 18 31 — M. baibacina lung in zwei Stammlinien überein. Die Arten 43 des rein nordamerikanischen Clusters besitzen M. camtschatica (mit Ausnahme von M. olympus) 42 Chromo- 45 21 M. menzbieri somen, in dem aus den eurasischen Arten und 19 21 M. monax bestehenden Cluster hingegen 38 M. caudata (mit Ausnahme von M. camtschatica). Da in 47 • M. monax der Karyotypenevolution ein genereller Trend in Richtung zur Verringerung der Chromoso- 45 M. flaviventris menzahlen durch zentrische Fusionen akro- 22 107 M. vancouverensis zentrischer Chromosomen festzustellen ist, 24 kann davon ausgegangen werden, daß es sich M. caligata bei der Chromosomenzahl 38 um ein abgelei- tetes Merkmal handelt. Dies würde wieder die - Spermophilus richardsonii phylogenetische Verwandtschaft von M. Abb. 6: Molekularer Stammbaum der monax mit den eurasischen Arten bestätigen. Gattung Marmota. Das "Maximum Ergebnisse und Diskussion Parsimony"-Dendrogramm wurde auf In dem auf den Cytochrom b Daten basie- Die Position von M. monax an der Basis der Basis der Cytochrom-b Sequenz- daten erstellt. Die Sequenz von Sper- renden Stammbaum (Abb. 6) kann man des eurasischen Clusters bedeutet auch, daß mophilus richardsonii wurde als innerhalb der Gattung Marmota zwei distinkte die Gattung Marmota ihren Ursprung in Außengruppe verwendet. Die Zahlen Stammlinien unterscheiden: 1) eine rein nord- Nordamerika haben muß, wofür auch Fossil- bezeichnen die Mutationsschritte auf dem jeweiligen Ast. amerikanische Linie, und 2) eine aus den eura- funde der Stammarten M. vetus und M. minor sischen Arten und der nordamerikanischen aus dem frühen Pliozän sprechen. Aus Eurasi- Art M. monax bestehende Linie. Die Position en hingegen sind keine Murmeltierfunde aus der Art M. monax als Verwandte der eura- der Zeit vor dem späten Pliozän bekannt. Man sischen Murmeltiere kommt überraschend, kann daraus schließen, daß die Murmeltiere wird aber durch die Untersuchung einer weite- Eurasien über die Beringstraße besiedelt ren Sequenz von 1224 bp Länge, einem inter- haben. Die Alpen und somit das Verbreitungs- nen Abschnitt des Gens für die NADH-Dehy- gebiet des Alpenmurmeltieres M. marmota drogenase Untereinheit 4 (ND4), bestätigt stünden somit am Ende dieser Wanderungs- (KRUCKENHAUSER et al. 1999). Interessant ist route. innerhalb der eurasischen Verwandtschafts- gruppe die Stellung des Alpenmurmeltiers M. In Abb. 7 ist auch eine grobe Klassifikati- marmota, welches nicht näher mit dem geogra- on des Sozialverhaltens angegeben. Dabei phisch benachbarten Steppenmurmeltier M. wird ersichtlich, daß an der Basis beider Clu- bobak verwandt zu sein scheint. Der Cyto- ster jeweils eine Art mit mittlerer (M. flavi- chrom b Stammbaum weist auf eine frühzeitige ventris) bis schwach (M. monax) entwickelter Abspaltung des Alpenmurmeltieres innerhalb Sozialität steht, ähnlich jener der nächstver- der eurasischen Gruppe hin. wandten Gattung der Erdhörnchen. Daraus kann geschlossen werden, daß die Sozialstruk- 174 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at tur dieser beiden Arten dem Verhaltenstyp der der caiigata-Gruppe kam. Eine alternative gemeinsamen Stammart entspricht. Hohe Erklärung basiert auf der Hypothese, daß sich Sozialität wäre damit ein abgeleitetes Verhal- die Stammart der caiigata-Gruppe in Gebirgs- tensmuster, welches sich in den beiden regionen südlich der vereisten Zone ent- getrennten Stammlinien (eurasische Murmel- wickelte und anschließend nach Norden aus- tiere bzw. Murmeltiere aus dem gebirgigen breitete. In beiden Fällen muß man jedoch Nordwesten Amerikas) unabhängig ent- davon ausgehen, daß sich die hohe Sozialität wickelt hat. Folgendes Szenario wäre vorstell- der eurasischen bzw. nordwestamerikanischen bar: Die Murmeltiere des Pliozän lebten in den Savannen im Zentralbereich Nordamerikas 2n Herkunft Sozialität unter Bedingungen, wie sie heute M. monax vorfindet. Die Ausbreitung in höher bzw. wei- M. marmota 38 EU hoch ter nördlich gelegene Gebiete führte zu selek- M.bobak 38 EU, AS hoch tiver Anpassung in Richtung einer mehr I geselligen Sozialstruktur. Später kam es im M. baibacina 38 AS hoch Zuge einer immer weiter vordringenden Verei- sung möglicherweise zur Abtrennung von M. camtschatica 40 AS hoch Randpopulationen im Norden. Auch auf dem M. menzbieri 38 AS hoch Höhepunkt der Eiszeiten blieb dort eine eis- freie Landmasse, Beringia genannt, bestehen M. caudata 38 AS hoch und bildete eine Landbrücke zwischen Alaska und Asien. In dieser baumfreien Permafrostzo- M. monax [W\ NA fnüdr^i ne herrschten Bedingungen, die jenen im heu- M. flaviventris 42 NA | mittlel | tigen Verbreitungsgebiet vieler hochsozialer Murmeltierarten der Paläarktis ähnlich sind. M. vancouverensis 42 NA hoch Es ist möglich, daß die dort eingeschlossenen Murmeltierpopulationen einem Selektions- M. olympus 40 NA hoch druck ausgesetzt waren, der zur Entwicklung hochsozialen Verhaltens als Anpassung an die M. caliqata 42 NA hoch extreme Kälte geführt hat. Von der Beringia könnte die Kolonisation Eurasiens ihren Aus- Murmeltierarten zweimal unabhängig als Abb. 7: Anpassung an extreme Klimabedingungen Vergleich von molekularer Phylo- gang genommen haben, gefolgt von der genie, Chromosomenzahlen, entwickelt hat. Artaufspaltung in die heute dort lebenden, geographischer Herkunft und hochsozialen Murmeltierarten. Die Beringia- Grad der Sozialität. Die Unter- Danksagung teilung der Gattung in zwei Population wurde hingegen durch den distinkte Artengruppen ist klar Anstieg des Meeresspiegels während einer der Die vorliegende Arbeit wurde vom FWF erkennbar. Zwischeneiszeiten ausgelöscht. Bei der Entste- im Rahmen des Projektes PI 1840-GEN geför- Die Zugehörigkeit der nord- amerikanischen Art M. monax zu hung des hochsozialen Verhaltens der nord- dert. Unser besonderer Dank gilt K.B. ARMI- der eurasischen Artengruppe west-amerikanischen caiigata-Gruppe (M. cali- TAGE (Lawrence), A. BRYANT (Nanaimo), wird durch die Chromosomen- gata, M. olympus, M. vancouverensis) könnte N.A. FORMOZOV (Moscow), J. KENAGY (Seatt- zahlen (HOFFMANN & NADLER 1968; RAUSCH & RAUSCH 1971) bestätigt. sich nach der Abspaltung von M. flaviventris le), M. PRELEUTHNER (Vienna), M. ROGGEN- In beiden Artengruppen steht ein ähnlicher Prozeß in einer späteren Verei- DORF (Essen) und E.I. ZHOLNEROVSKAYA eine Art mit mittlerer (M. flavi- sungsperiode wiederholt haben. Diesmal war (Novosibirsk) für die Überlassung von Pro- ventris) bzw. niedriger Sozialität (M. monax) an der Basis. Daraus jedoch eine Ausbreitung von der Beringia benmaterial der verschiedenen Murmeltierar- geht hervor, daß sich hochsozi- nach Eurasien nicht mehr möglich, da die ten für diese Untersuchung sowie I. GERSTL ales Verhalten in der Evolution Habitate dieses Kontinents bereits von den und E. KEHRER für ausgezeichnete technische der Murmeltiere zweimal unab- hängig entwickelt haben muß früher eingewanderten Murmeltierarten Unterstützung. (Pfeile). besetzt waren. Aufgrund ihrer im rauhen Kli- ma entwickelten hohen Sozialität war diese Population jedoch in der Lage, in die südlich gelegenen Gebirgsregionen auszuweichen, wo es zur Radiation in die heute lebenden Arten 175 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Zusammenfassung Literatur Die Gattung Marmota umfaßt 6 nordame- ARNOLD W. (1990a): The evolution of marmot sociali- ty: I. Why disperse late? — Behav. Ecol. Sociobi- rikanische und 8 eurasische Arten. Die Phylo- ol. 27: 229-237. genie von 11 Arten wurde auf der Basis der ARNOLD W. (1990b): The evolution of marmot sociali- Gesamtsequenz (1140 bp) des mitochondria- ty: II. Costs and benefits of joint hibernation. — len Gens für das Protein Cytochrom b rekon- Behav. Ecol. Sociobiol. 27: 239-246. struiert. Das Ausgangsmaterial für die DNA- BARASH D.P. (1989): Marmots. — Stanford University Extraktion bestand aus Gewebeproben der Press, Stanford, CA, California. Leber, Hautstücken oder Haaren. In der aus BIBIKOW D.I. (1996): Die Murmeltiere der Welt. — Die der Sequenz abgeleiteten Artenphylogenie Neue Brehm-Bücherei Bd. 388. Westarp Wis- senschaften, Magdeburg, Germany. sind zwei distinkte Cluster erkennbar: Ein BLUMSTEIN D.T. & K.B. ARMITAGE (1999): Cooperative Cluster besteht aus den nordwestamerikani- breeding in marmots. — Oikos 84: 369-382. schen Arten, der andere aus den eurasischen HOFFMANN R.S. & C.F. NADLER (1968): Chromosomes Arten und der nordamerikanischen Art M. and systematics of some North American species monax. Die Zugehörigkeit von M. monax zur of the genus Marmota (Rodentia: Sciuridae). — Gruppe der eurasischen Arten wird durch Experientia 24: 740-742. Anschriften der Verfasser: Befunde über die Chromosomenzahlen KRUCKENHAUSER L, PINSKER W., HARING E. S W. ARNOLD bestätigt. Die Ergebnisse sind von besonderem (1999): Marmot phylogeny revisited: molecular Mag. Luise KRUCKENHAUSER evidence for a diphyletic origin of sociality. — J. Interesse in bezug auf die Evolution der Sozi- Ao.Univ-Prof. Dr. Wilhelm PlNSKER Zool. Syst. Evol. Research 37: 49-56. alsysteme in der Gattung Marmota, welche Institut für Medizinische Biologie, RAUSCH R.L. & V.R. RAUSCH (1971): The somatic chro- von solitären Arten (M. monax) bis zu hoch- mosomes of some North American marmots AG Allg. Genetik sozialen, in Familiengruppen lebenden Arten (Sciuridae), with remarks on the relationships of Medizinische Fakultät der Univer- (z. B. M. marmota) variiert. Die molekulare Marmota broweri HALL and GILMORE. — Mamma- lia 35: 85-101. sität Wien Phylogenie zeigt, daß sich hohe Sozialität in SWOFFORO D. (1993): PAUP: phylogenetic analysis Währingerstr. 10 der Gattung Marmota zweimal unabhängig using parsimony, version 3.1.1. — Illinois Natu- A-1090 Wien entwickelt haben muß. ral History Survey, Champaign, IL, USA. Austria THOMAS W.K. & S.L. MARTIN (1993): A recent origin of e-mail: Luise.Kruckenhauser@uni- marmots. — Mol. Phylgenet. Evol. 2: 330-336. vie.ac.at, [email protected] Mag. Dr. Elisabeth HARING Erste Zoologische Abteilung, Che- mosystematik Naturhistorisches Museum Wien Burgring 7 A-1014 Wien Austria e-mail: [email protected] O.Univ.-Prof. Dr. Walter ARNOLD Forschungsinstitut für Wildtierkun- de und Ökologie Veterinärmedizinische Universität Wien Savoyenstr. 1 A-l 160 Wien Austria e-mail: Walter. [email protected] 176

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