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Die Ordnung des Kontingenten: Beiträge zur zahlenmäßigen Selbstbeschreibung der modernen Gesellschaft PDF

315 Pages·2014·2.893 MB·German
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Innovation und Gesellschaft Herausgegeben von R. John, Berlin, Deutschland J. Aderhold, Berlin, Deutschland H. Braun-Th ürmann, Berlin, Deutschland I. Bormann, Berlin, Deutschland Die Reihe „Innovation und Gesellschaft “ wird vom Institut für Sozialinnovation e.V. (Berlin) verantwortet. Ziel ist es, Beiträge zu versammeln, die sich mit Inno- vationen in der Gesellschaft auseinandersetzen und damit sozialen Wandel be- obachten. Ausgangspunkt ist ein umfassendes Verständnis von Innovationen, das diese als weitreichende strukturelle Veränderungen begreift . Dabei stehen die Be- dingungen, das Zustandekommen, die Formen und Folgen sowie die planerischen Möglichkeiten der Gestaltung von Innovation und gesellschaft lichem Wandel im Mittelpunkt des Interesses. Herausgegeben von Dr. René John Dr. Jens Aderhold Dr. Holger Braun-Th ürmann Institut für Sozialinnovation e.V., Berlin, Deutschland Prof. Dr. Inka Bormann Freie Universität Berlin, Deutschland Alberto Cevolini (Hrsg.) Die Ordnung des Kontingenten Beiträge zur zahlenmäßigen Selbstbeschreibung der modernen Gesellschaft Herausgeber Alberto Cevolini Universität Modena/Reggio Emilia, Italien Die Publikation wurde durch einen Kostenzuschuss der Alexander von Humboldt-Stif- tung gefördert. ISSN 2193-6625 ISBN 978-3-531-19234-5 ISBN 978-3-531-19235-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-531-19235-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio- nalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in die- sem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu be- trachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürft en. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-vs.de Auch der Zufall ist nicht unergründlich. Er hat seine Regelmäßigkeit (Novalis, Fragmente, Nr. 226) Inhaltsverzeichnis Alberto Cevolini Zahlen, Zahlenverhältnisse, Zahlensucht .......................................................... 9 I. Sozialtheoretische und kulturwissenschaftliche Beobachtungen Maren Lehmann Komplexe Ereignisse und kontingente Mengen. Anmerkungen zur Soziologie der Zahl ................................................... 41 Giancarlo Corsi Die Ordnung der Zahlen und die Intrasparenz der Öffentlichkeit ........... 63 Rüdiger Campe ‘Unwahrscheinliche Wahrscheinlichkeit’. Evidenz im 18. Jahrhundert ..................................................................... 83 Marcus Twellmann Literatur und Statistik. Über das Verhältnis von alphabetischer und numerischer Soziographie ............................................................... 107 II. Sozialwissenschaftliche und wirtschaftstheoretische Untersuchungen Cristina Besio Das Projekt als quantifiziertes Versprechen ......................................... 133 René John Vage Evidenz der Innovation. Zur politischen Konjunktur eines Begriffs ............................................. 153 Alberto Cevolini Der Preis der Hoffnung ......................................................................... 177 8 Inhaltsverzeichnis Cornelius Schubert Zukunft sui generis? Computersimulationen als Instrumente gesellschaftlicher Selbstfortschreibung ................................................. 209 Elena Esposito Algorithmische Kontingenz. Der Umgang mit Unsicherheit im Web ................................................ 233 Birger P. Priddat Prognose als plausible Narratio ............................................................ 251 Werner Reichmann Wie wissen wir Wirtschaft? Die Quantifizierung der Wirtschaft als Mediatisierung & Wissenskultur ..................................................... 281 Leon Wansleben Die Beobachtung makroökonomischer Zahlen auf den Finanzmärkten .......................................................................... 301 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren ...................................................... 319 Zahlen, Zahlenverhältnisse, Zahlensucht Alberto Cevolini 1 Einleitung Das Interesse der Wissenssoziologie an der Erzeugung und Durchsetzung nume- rischer Darstellungen sozialer Phänomene ist in jüngster Zeit sehr rege gewor- den. Tatsächlich setzte es mit dem wohlbekannten Beitrag von Paul Lazarsfeld (1961) ein, doch erst die Intensivierung der philosophisch-historischen For- schung über Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie in den 1980er Jahren gab ihm den entscheidenden Schub; von da an und vor allem im letzten Jahrzehnt hat das Interesse an einer Reduzierung des Sozialen auf numerische Indikatoren außergewöhnlich zugenommen – vielleicht auch deshalb, weil man sich inzwi- schen daran gewöhnt hat, das Thema der Quantifizierung nicht quantitativ zu behandeln.1 Es ist freilich nichts Neues, dass die Gesellschaft sich selber zählt. Bereits die antiken Hochkulturen hatten aus fiskalischen oder militärischen Gründen auf Quantifizierungen zugegriffen, indem sie arbeits- bzw. kriegsfähige Männer in eine Steuer- bzw. Volkszählungsliste eintrugen. Die zahlenmäßige Selbstbe- schreibung der Gesellschaft stellt in diesem Sinne, wie Ian Hacking gesagt hat, ein ‘universal of human governance’ dar.2 Neu hingegen ist jene Entwicklung, in deren Zug Daten und statistische Tabellen zu den vielfältigsten Aspekten des Lebens (etwa zu Geburten- und Sterberaten) und der Moral (Ehescheidungen, Verbrechen oder Selbstmord) produziert werden. Diese Entwicklung setzt gegen Ende des 17. Jahrhunderts an und wächst in den 1820er Jahren geradezu explosi- onsartig an. Neu ist auch die Tatsache, dass solche Informationen durch Zeitun- gen und Fachjournale in Umlauf gebracht werden. Gegenstand der Quantifizierung sind üblicherweise Individuen, aber auch ihr Verhalten (zum Beispiel hygienische oder Nahrungsgewohnheiten, Lesezeit oder Konsum, Intelligenz oder individuelle Meinungen) und die Leistungen von formalen Organisationen, wie etwa von Banken, Unternehmen, aber auch von Hochschulen und Universitäten. Das Ergebnis ist die Herstellung von routinisier- 1 Vgl. nur Mennicken/Vollmer (2007) und Heintz (2010; 2012). 2 Hacking (1992: 140); vgl. ferner Engel (1862: 27); beide beziehen sich auf das 4. Buch des Alten Testaments. A. Cevolini (Hrsg.), Die Ordnung des Kontingenten, Innovation und Gesellschaft, DOI 10.1007/978-3-531-19235-2_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 10 Alberto Cevolini ten Messverfahren, die Qualitäten in Quantitäten umwandeln und ein shared metric für hochselektive Bewertungen (rating- bzw. ranking-assessment) einrich- ten.3 Die Anwendung von derartigen Indikatoren ist jetzt schon allgegenwärtig geworden (vgl. Gigerenzer et al. 1998: 257; Porter 1995: viii; 2011: 33) und überschüttet sogar das Wissenschaftssystem, das damit die Möglichkeit erhält, die Reputation von Wissenschaftlern, Fachzeitschriften und Forschungsinstituten – wenn auch in sehr umstrittener Weise – zu quantifizieren.4 Die gegenwärtige Gesellschaft scheint also von einer Zahlensucht erdrückt, deren erste Symptome auf den von der bahnbrechenden englischen Erfahrung inspirierten leibnizschen Vorschlag zurückreichen, eine zentralisierte statistische Registratur für die Verwaltung des Preußischen Staates einzurichten. Von da an hat sich die Praxis der Quantifizierung so ausgebreitet, dass sie nun den Einzel- nen durch sein gesamtes irdisches Dasein begleitet: von der Geburt bis zur Tau- fe, von der Impfung bis zur Schulzeit, von der Arbeitszeit bis zur Rente und durch Krankheiten hindurch bis hin zum Tode.5 Was inzwischen wie eine Selbstverständlichkeit aussieht, sollte von der Soziologie kontraintuitiv als hoch- unwahrscheinliches Ergebnis von Evolution betrachtet werden. Bereits an den ersten Reaktionen der Zeitgenossen lassen sich deutliche Anzeichen für ein sol- ches Unwahrscheinlichkeitsbewusstseins aufspüren. John Graunt war sich dessen bewusst, dass es sich recht seltsam ausnehmen würde, Zufälligkeiten (Casualities) zu zählen, er war aber zugleich der Meinung, dass eine solche Operation von ihrem Ziel aus, nämlich von der Möglichkeit, den Wohlfahrtscharakter des Staates zu demonstrieren und die Kunst des Regierens (the Art of Governing) zu unterstützen, gerechtfertigt werden konnte.6 Um die neu aufkommende political Arithmetick zu fördern, behauptete William Petty ([1690]1899: 244) seinerseits, dass »the Method I take to do this, is not yet very usual«, da statt »only comparative and superlative Words, and intellectual Ar- guments« zu benutzen, »I have taken the course [...] to express my self in terms of Numbers, Weight, or Measure [...] leaving those [arguments] that depend upon the mutable Minds, Opinions, Appetites, and Passions of particular Men, to the consideration of others« – indem er dadurch zum ersten Mal eine deutliche Un- 3 Espeland/Sauder (2007: 16ff.) sprechen von commensuration. 4 Man spricht in diesem Zusammenhang von Szientometrie; vgl. Gigerenzer et al. (1998: 274f.). 5 So Engel (1862: 25f.), der dem leibniz’schen Projekt gemäß die Statistik nicht für eine selb- ständige Wissenschaft, sondern für eine unentbehrliche Grundlage der Staatswissenschaften hielt und sie eben deshalb als ein Zeichen des Culturfortschritts begriff. 6 »Nor is it obvious to every body, why the Accompt of Casualities [...] is made. The reason [...] is, that the state of health in the City may at all times appear. [...] It may be now asked, to what purpose tends all this laborious bustling and groping?«, und seine Antwort lautet, dass es darum geht, durch die politische Verwaltung »the Subject in Peace and Plenty« (Graunt [1662]1676: 18, 96, 98/1899, II: 347, 394, 395) zu erhalten.

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