Jörn Dosch Jörg Faust Hrsg. Die ökonomische Dynamik politischer Herrschaft. Das pazifische Asien und Lateinamerika Die ökonomische Dynamik politischer Herrschaft Jöm Dosch/Jörg Faust (Hrsg.) Die ökonomische Dynamik politischer Herrschaft Das pazifische Asien und Lateinamerika Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2000 Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier. Die Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz flir diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN 978-3-8100-2610-1 ISBN 978-3-663-09747-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-09747-1 © 2000 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Leske + Buderieb , Opladen 2000 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mi kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt Vorwort ....................................................................................................... VII Jörg Faust I Jörn Dosch Einleitung: Die ökonomische Dynamik politischer Herrschaft im pazifischen Asien und in Lateinamerika .......................................................... I Dieter Boris Die "Peso-Krise" in Mexiko 1994/95: "Marktversagen" versus "Politikversagen"-oder bei des? .................................................................. 21 Harald Barrios I Jörg Räder Entwicklungsfortschritte und Entwicklungsblockaden in Brasilien- Fragen der Regierbarkeit, der Systemeffizienz und der Legitimität .............. 49 Wolfgang Muno I Christoph Wagner Marktwirtschaft versus Demokratie? Wirtschaftliche Reformen und politische Entwicklung in Argentinien und Uruguay ..................................... 73 Peter Thiery Krisenresistenz einer defekten Demokratie? Zur ökonomischen Dynamik politischer Herrschaft in Chile ..................................................... 109 Aurel Croissant Südkorea zwischen "Demo-Prosperität" und "Demo-Desaster"? Die politischen Ursachen der "1MF-Crisis" ................................................ 147 Jürgen Rüland Thailand: Finanzkrise und politische Transformation ................................. 189 Jörn Dosch Indonesien: Autoritäre Klientelstrukturen und wirtschaftliche Entwicklung ........................................................................ 213 Gunter Schubert Taiwan und die Asienkrise-Krisenresistenz durch Demokratisierung? ..... 235 Manfred Mols Die Asienkrise: Manifeste und latente Züge, internationale Auswirkungen und die Rolle von APEC und ASEAN ........................................................ 255 Jörg Faust Politische Herrschaft, Verteilungskoalitionen und ökonomische Labilität-eine erste Bilanz ......................................................................... 285 Die Autoren ................................................................................................. 305 Vorwort Wie die Neunzigerjahre gezeigt haben, vollzieht sich der Wandel zu Demokratie und Marktwirtschaft in den meisten Staaten Lateinamerikas und des pazifischen Asiens kaum ohne schmerzhafte Begleiterscheinungen. Vielmehr waren in vielen der dortigen ernerging markets ökonomische Krisen zu beobachten. Die oftmals vertretene These, dass solche Krisen maßgeblich durch internationale Rahmenbedingungen wie etwa der Veränderung des internationalen Finanzsystems verursacht worden seien, greift jedoch zu kurz. Vielmehr ist der Frage nachzugehen, warum ökonomische Reformen in vielen Ländern Lateinamerikas und des pazifischen Asiens dergestalt durchgefiihrt wurden, dass sie mittel- bis langfristig die ökonomische Verwundbarkeit gegenüber externen Einflüssen erhöhten. Die Beiträge in diesem Sammelband gehen hierbei von der Grundannahme aus, dass die konkrete Ausprägung wirtschaftlicher Reformen im Sinne einer "Konstruktion" von Märkten auch das Ergebnis von politischen und gesellschaftlichen Interessen ist. Es ist daher zu fragen, wie politische und gesellschaftliche Interessen mit nationalen und internationalen Rahmenbedingungen zusammenwirkten. Welche Inter essen und welche Koalitionen aus politischen und gesellschaftlichen Akteuren lagen den ökonomischen Reformen zu Grunde und welche formellen, aber auch informellen Regeln strukturierten die wirtschaftspolitischen Entscheid ungsprozesse in den untersuchten Staaten? Grundlage flir diesen Sammelband war eine im Mai 1999 von der Konrad Adenauer-Stiftung und dem Institut ftir Politikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität veranstalteten Tagung in St. Martin/Pfalz, bei der sich die Autoren mit der Suche nach Antworten auf die skizzierten Problem stellung beschäftigten. Dem Bildungswerk Mainz der Konrad Adenauer Stiftung sei hiermit fiir die Finanzierung der Tagung gedankt. Der Forschungsförderung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und den Interdisziplinären Arbeitskreisen flir Lateinamerika sowie Ost- und Südost asien der Universität Mainz verdanken wir die Finanzierung der Drucklegung, welche die Entstehung dieses Bandes erst ermöglichte. Für eine Reihe wertvolle Anregungen bei der Gestaltung und Konzeption dieses Bandes sind wir unseren Kollegen am Institut flir Politikwissenschaft der Universität Mainz sowie den Autoren der vorliegenden Beiträge verpflichtet. Dass aus den eingereichten Manuskripten ein druckfähiger Band entstehen konnte, verdanken wir nicht zuletzt Christina Heinisch, Bianca Alt sowie insbe sondere den F ormatierungskünsten von Thomas Vogt. April2000 Die Herausgeber Einleitung: Die ökonomische Dynamik politischer Herrschaft im pazifischen Asien und in Lateinamerika Jörg Faust I Jörn Dosch 1. Einleitung Seit der Abwertung des thailändischen Baht im Juli 1997 wurden große Teile des pazifischen Asiens von Währungsturbulenzen erschüttert. Die Folge war eine Reihe von Problemen, welche die einstmals bestaunten Wirtschaftswun derländer in eine tiefe wirtschaftliche und oftmals auch politische Krise stürz ten. 1993 hatte die Internationale Bank fiir Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank) in ihrem Jahresbericht die Region noch als "ostasiatisches Wun der" betitelt und das dortige Entwicklungsmodell als nachahmenswerte Stra tegie fiir andere Regionen gewürdigt. Der Ausbruch der sogenannten Asien krise beendete gleichwohl den Fortschrittsoptimismus und den damit einher gehenden Traum von immer neuen Wachstumsrekorden. Das Gros bisheriger Analysen zu den Ursachen jenes Phänomens war je doch lediglich auf die ökonomischen Wirkungszusammenhänge beschränkt (vgl. Dieter 1998; Montes 1997; Miotti et al. 1998). Hierbei scheint bislang festzustehen, dass die ökonomischen Ursachen, die zur Implosion des Asian Mirade fiihrten, ihren Ursprung sowohl in internationalen Kontextfaktoren als auch in nationalen Wirtschaftspolitiken hatten. Originär politische Ursa chen, welche die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen flir den Ausbruch der Krise konstituiert haben könnten, sind bislang kaum umfassend untersucht worden. Mit dem Verweis auf crony capitalism endete zumeist der Bezug auf endogene, politische Ursachen der Misere (vgl. Lim 1998: 20). In Lateinamerika hatte die Abwertung des mexikanischen Peso in den Jahren 1994/95 ähnliche Auswirkungen auf den sich nach dem verlorenen Jahrzehnt der Achtzigerjahre erholenden Subkontinent. 1997 und insbesonde re 1998 wiederum erreichten dann die Ausstrahlungen der ökonomischen Turbulenzen in Asien zunächst als externer Einflussfaktor die ernerging mar kets Lateinamerikas. Doch spätestens mit der Brasilienkrise im Januar 1999 und deren Auswirkungen in den Cono Sur Ländern zeigte sich, dass die ge genwärtigen Gefahren wirtschaftlicher Stagnation oder gar Rezession nicht 2 Jörg Faust und Jörn Dosch mehr primär auf internationale Einflüsse zurückzuführen sind, sondern auch auf interne Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre. Tabelle I: Wachstum des BIP der untersuchten Staaten 1994-1999 Ar~. Bras. Chile Mex. Uru~. lndon. Korea Taiw. Thai I. 1994 8,5 5,9 5,7 4,5 6,8 7,5 8,4 6,5 8,8 1995 -4,6 4,2 10,6 -6,2 -2,4 8,2 9,0 6,0 8,7 1996 4,3 2,8 7,4 5,1 4,9 8,0 7,1 5,7 5,5 1997 8,6 3,7 7,1 7,0 5,1 4,6 5,5 6,8 -0,4 1998 3,9 0,1 3,4 4,6 4,5 -13,9 -5,8 4,9 -9,4 1999* -3,0 -0,1 -0,4 3,0 2,1 -0,9 6,5 5,0 4 * vorläufige Daten. Quelle: Dresdner Bank Lateinamerika 1999; World Bank 1999a,b; 1MF 1999, 2000 Ziel der vorliegenden Beiträge soll es daher sein, die Verschränkung zwi schen politischer Herrschaft und ökonomischen Reformen zu untersuchen, ohne dass hierbei die Wirkungskraft internationaler Einflüsse wie der sich einzelstaatlicher Kontrolle zunehmend entziehenden globalen Finanzströme, vernachlässigt wird. Auf diese Weise könnte es gelingen, aus politikwissen schaftlicher Perspektive einen Erklärungsbeitrag für das Entstehen ökonomi scher Krisen und Stagnation in den Transformationsgesellschaften Asiens und Lateinamerikas zu leisten. Deshalb wird nicht die politische Dynamik öko nomischer Reformen ( vgl. Przeworski 1991, Muno 1997, Islarn!Chowdhury 1997), sondern vielmehr die ökonomische Dynamik politischer Herrschaft ins Zentrum der Analyse gerückt. Implizit der konkordanzmethodischen Vorgehensweise verpflichtet, könnten anband der Fälle aus Lateinamerika und Asien Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Auswirkungen politischer Herrschaft auf die Krisenresistenz der jeweiligen Volkswirtschaften identifiziert werden. Stimmen alsotrotzder unterschiedlichen Verlaufsmuster politischer und ökonomischer Entwick lungsprozesse in den untersuchten Ländern bestimmte Kriterien politischer Herrschaft überein, die in signifikantem Maße zur Erhöhung ökonomischer Verwundbarkeit gegenüber internationalen Einflussfaktoren beigetragen ha ben? Ergänzend wäre zu hinterfragen, inwieweit sich dies auf die Handlungs kapazitäten der regionalen Kooperations- und Integrationsmechanismen aus wirkte. Auch der marginale Beitrag von ASEAN, APEC oder MERCOSUR zur Lösung der wirtschaftlichen Krisen mag insofern zumindest teilweise auf die bei der Gestaltung dieser Organisationen zu Grunde liegenden Herr schaftsinteressen der beteiligten Staaten zurückgeführt werden. Um sich einer Antwort auf die skizzierten Fragen nähern zu können, er scheint es sinnvoll, zunächst die politischen und ökonomischen Transformati- Die ökonomische Dynamik politischer Herrschaft 3 onsprozesse in den einzelnen Ländern zu untersuchen. Eine vergleichende Betrachtung dieser Wandlungsprozesse kann dabei Gemeinsamkeiten identi fizieren, die bei einem ersten Blick durch die deutlichen Unterschiede der Reformen verdeckt worden sind. Daran anschließen wird sich in einem zwei ten Schritt die Frage, in welcher Art und Weise die für die Durchführung der wirtschaftlichen Strukturanpassungen verantwortlichen Entscheidungsträger die hierfür notwendige Akzeptanz bei den gesellschaftlichen Akteursgruppen erreichten. Zu klären ist demnach, über welche Verfahren spezifische, die Transformation tragende Akteursgruppen miteinander verflochten waren und mittels welcher Institutionen die Legitimation der durchgeführten Reformen sichergestellt wurde. Gemäß der Definition von Douglas North (1992: 4-6) können soziale In stitutionen dabei als Regeln zur Ordnung und Steuerung menschlichen Ver haltens verstanden werden. Formale Institutionen (Gesetze, Verfassungen, etc.) sind öffentliche und für die Mitglieder einer Gemeinschaft kodifizierte Regeln ungeachtet von deren bisheriger gesellschaftlicher Einübung. Informa le Institutionen (Tradition, Brauchtum, common law etc.) wirken hingegen nicht Kraft kodifizierter Niederschrift handlungsleitend, sondern über die gesellschaftliche Einübung. 1 Eine solch institutionenorientierte Betrachtung, die gleichzeitig normativ gesetzte als auch empirisch beobachtbare Regelwerke erfasst, rückt auch den Handlungsspielraum des Staates ins Blickfeld der Analyse. Eine der zentralen Herausforderungen bei der Errichtung ökonomisch effizienter Reformen besteht vor allem darin, dass die staatlichen Akteure über einen Grad an Un abhängigkeit verfügen müssen, der eine Vereinnahmung des Staates durch gesellschaftliche Akteure über informale Verfahren wie Klientelismus, Neo patrimonialismus oder Korruption erschwert (Vgl. Olson 1991; Evans 1995). Andererseits verringert jedoch eine überzogene technocratic insulation des Staates die Möglichkeiten gesellschaftlicher Partizipation und Kontrolle und kann zur Ablehnung des verordneten institutionellen Wandels führen.2 Der Begriff der embedded autonomy (Evans 1995: 12) verweist dabei auf den hybriden Charakter staatlicher Ordnungspolitik, die sich vom Druck von Interessengruppen emanzipieren muss, gleichzeitig jedoch deren Unterstüt zung für die Materialisierung der neuen Ordnung in der gesellschaftlichen Sphäre benötigt. Einen neoinstitutionalistischen Ansatz nutzend, der sowohl die Interessen kollektiver staatlicher wie gesellschaftlicher Akteure als auch die historische Dynamik handlungsleitender Institutionen und deren Anreizstrukturen inner halb einer Gesellschaft berücksichtigt, gelangen wir zu zwei, eng miteinander verwobenen Thesen.