Christoph Weller Die offentliche Meinung in der AuBenpolitik Christoph Weller Die offentliche Meinung in cler Au6enpolitik Eine konstruktivistische Perspektive Westdeutscher Verlag Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz fur diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhaltlich Zugleich Dissertation Technische Universitiit Darmstadt (D 17) 1. Auflage September 2000 AJle Rechte vorbehalten © Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden, 2000 Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Fachverlagsgruppe BertelsmannSpringer. Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. 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Zur Operationalisierung der abhlingigen Variable 26 2.4.1. Das antikommunistische Feindbild 26 2.4.2. "Public Opinion on the Soviet Union" 30 2.4.3. Indikatoren des auBenpolitischen Einstellungswandels gegenuber der Sowjetunion am Ende des Ost-West-Konflikts 35 2.5. Der auBenpolitische Einstellungswandel in der Bundesrepuhlik Deutschland 39 2.6. Der auBenpolitische Einstellungswandel in den USA 57 2.7. Der llinderspezifisch unterschiedliche auBenpolitische Einstellungs- wandel gegentiher der Sowjetunion am Ende des Ost-West-Konflikts 77 3. Feindbild-Forschung 79 3.1. Die Feindbild-Forschung im Angesicht des Feindbild-Zerfalls 80 3.2. Systematische Bestandsaufnahme und Hypothesenhildung 85 3.2.1. Systematische Bestandsaufnahme der Feindbild-Forschung im Zusammenhang des Ost-West-Konflikts 85 3.2.2. Hypothesenbildung im Rahmen der Feindhild-Funktionen-Forschung 93 3.2.3. Hypothesen der Feindbild-Forschung 96 Hypothese 1 97 Hypothese 2 100 Hypothese 3 101 6 Inhaltsverzeichnis 4. AuOeDpolitik uDd OffeDtliche MeiDuDg 103 4.1. Vom EinfluB der offentlichen Meinung auf die AuBenpolitik: Das demokratische Dilemma intemationaler Politik 106 4.2. 1st die offentliche Meinung unbestandig und koharenzlos? Der Ansatz des "Rational Public" III 4.2.1. Der Ansatz des "Rational Public" 114 4.2.2. Hypothesen des "Rational Public"-Ansatzes 118 Hypothese 4 118 Hypothese 5 123 5. Hypothesen uDd theoretische Perspektiven 125 5.1. Das doppeIte Ratsel 126 5.2. Hypotbesen-Uberprufung 131 5.2.1. Dissonanz-Hypothese 131 5.2.2. Abschreckungs-Funktionen-Hypothese 136 5.2.3. F eindbild-Funktionen-Hypothese 138 5.2.4. Ereignis-Hypothese 143 5.2.5. Medien-Ereignis-Hypothese 147 5.2.6. Ergebnisse der HypothesenUberprufung 160 5.3. Bedingungsfaktoren auBenpolitischen Einstellungswandels 162 6. Auf dem Weg zu einem konstruktivistischen Erkliirungsmodell auOenpolitischen Einstellungswandels 169 6.1. Die Konfrrmation der Wirklichkeit der intemationalen Politik 172 6.2. AuBenpolitische Einstellungen als beobachtete Konstruktionen der intemationalen Politik: Das Beobachtungs-Modell 175 6.3. Erklarungsmoglichkeiten des Feindbild-Zerfalls 188 6.4. Die Analyse der offentlichen Meinung in der AuBenpolitik 190 6.5. Von den Bedingungen zu den Moglichkeiten auJ3enpolitischen Einstellungswandels 194 Literatur 197 Vorwort FRAGEN EINES LESENDEN ARBEITERS Wer baute das siebentorige Theben? In den Biichern stehen die Namen von Konigen. Haben die Konige die Felsbrocken herbeigeschleppt? [ ... J Der junge Alexander eroberte Indien. Er aile in? Casar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich? Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte Untergegangen war. Weinte sonst niemand? Friedrich der Zweite siegte im Siebenjahrigen Krieg. Wer Siegte au/3er ihm? [ ... ] (Bertolt Brecht: Die Gedichte, Frankfurt a.M. 1986: 656) Auf Biichem stehen die Namen von AutorInnen, doch gerade wissenschaftliche Ver offentlichungen sind das Ergebnis vielfaltigster Kommunikation und Kooperation. Auch wenn die Leserinnen und Leser dieses Buches in einem anderen als dem Brechtschen Sinne "lesende Arbeiter" sein werden, verweist Bertolt Brechts Gedicht doch auch bezUglich wissenschaftlicher Forschung auf die so wichtigen sozialen Grundlagen menschlicher Leistung. Ohne damit diese Arbeit in eine Reihe mit dem siebentorigen Theben und noch viel weniger mit dem Siebenjiihrigen Krieg stellen zu wollen -denn weder hatte ich einen Koch dabei, noch mu/3te bei meinen "Kampfen" jemand sein Leben lassen -, will ich hier zunachst auf die vielfaltigen Hilfen hin weisen, ohne die dieses Buch nicht hiitte geschrieben werden konnen. An erster Stelle mochte ich Klaus Dieter Wolf ftlr seine Unterstiitzung in dem langwierigen Entstehungsproze/3 dieser Arbeit danken. Er hat das Thema akzep tiert, in das ich mich schon 1993 bei meinem Wechsel nach Darmstadt verbis sen hatte, er hat die fast viermonatige Abwesenheit des ZIB-Redakteurs fur einen 8 Vorwort Forschungsaufenthalt in den USA 1995 uneingeschrankt befllrwortet und er hat vor allem in mehreren kritischen Phasen die Rolle eines Doktorvaters so ausge fullt, daB dieses Dissertationsvorhaben zu einem guten Ende kommen konnte. Einen wichtigen Anteil an der inhaltlichen Entwicklung dieser Arbeit hatten die unz!ihligen Diskussionen, die ich mit interessierten GesprachspartnerInnen immer wieder fuhren konnte. Sie lassen sich nicht alle auffllhren, aber besonders erw!ihnen mochte ich in dies em Zusammenhang Thomas Nielebock, Bettina Kubler, Wolfgang Stroebe, Michael Diehl, Manfred Efinger, Bruce Russett, Thomas Risse, Gudrun Schwarzer, Ute Schneider, Kristin Weller, Martina Timmermann, Almut Rewerts-Buschel und Gabriele Matern. In erheblichem MaBe hat diese Arbeit auch von den inspirierenden For schungskontexten profitiert, in die ich in den vergangenen lahren eingebunden war. Fur ihre Begleitung und ihre vielen Anregungen danke ich besonders Gunther Hellmann, Kirsten Mensch, Michael Greven, Heidrun Abromeit, Georg Mildenberger sowie der Forschungsgruppe WeJtgesellschaft, den Mitgliedern des Darmst!idter Graduiertenkollegs "Technisierung und Gesellschaft" und den KollegInnen am Institut fur Interkulturelle und Internationale Studien der Universit!it Bremen. Fur ganz wichtige UnterstUtzung bei der Fertigstellung der Arbeit mochte ich mich besonders bei Marianne Beisheim, Iris Krimmel, Andrea Liese, Rainer Schmalz-Bruns, Dieter Senghaas, Cornelia Ulbert, Ulrich Willems, Bernhard Zangl und Michael Zurn bedanken; sie haben ganze Kapitel der Arbeit kritisch gelesen und hilfreich kommentiert. AuBerdem haben Gertrud Gandenberger, Claudia letter, Anja Schiele und Andreas Weller die muhsame Arbeit des Korrekturlesens auf sich genommen, was mir eine groBe Hilfe war; dabei wurde die Rechtschreibung an den Regeln der 20. Auflage des Duden orientiert. Finanzielle UntersWtzung hat dieses Forschungsprojekt durch das Deutsche Historische Institut in Washington, D.C. erfahren, das mir einen Aufenthalt an der Yale University in New Haven ermoglicht hat. AuBerdem sind Ergebnisse eines anderen Forschungsprojekts in diese Arbeit eingeflossen, welches von der Technischen Hochschule Darmstadt in den lahren 1996/97 finanziert wurde. Die VerOffentlichung einer Dissertation beendet keinen ForschungsprozeB, sie unterbricht ihn nur. So bleibt auch dieses Buch so unvollstandig, wie wissen schaftliche Publikationen immer nur sein konnen. Fur man chen Gedanken war die VerOffentlichung zu fruh, als daB er schon ausreichend klar h!itte formuliert oder zu Ende gedacht werden konnen; manche anderen Schwachen sind dem Autor wahrscheinlich noch nicht einmal bewuBt, auf die er sich gerne hinweisen I!iBt, urn die Kommunikation fortzusetzen, zu der diese Arbeit ihren Beitrag leisten mochte. 1. Einleitung "Ich filhle mich zugehOrig einem Volk oder einer Nation, die Grund genug hat, uber Feindbilder nachzudenken, Feindbilder, die sie geschaffen und verbreitet hat, und das Feindbild, das sie selbst darstellt." (Heinrich Boll: Feindbild und Frieden, Miinchen 1987: 27) Die offentliche Meinung spielt in der AuBenpolitik eine besondere Rolle, nicht nur in Demokratien. Sie kann dem AuBenverhalten eines Staates durch breite Zustimmung groBes Gewicht verleihen oder durch Ablehnung und Umstrittenheit staatliche AuBenpolitik ihrer Macht und NachdrUcklichkeit berauben. Gerade fUr Konfliktpart ner in der intemationalen Politik ist der Ruckhalt, den eine AuBenpolitik in der offentlichen Meinung des entsprechenden Landes genieBt, ein wichtiges Element fUr die eigenen Handlungs-und Strategieentscheidungen, sowohl beim kooperativen wie beim konfrontativen Aufeinandertreffen "nationaler Interessen". Die offentliche Meinung genieBt folglich nicht nur groBe Aufinerksamkeit bei auBenpolitischen Akteuren, sondem auch in der wissenschaftlichen AuBenpolitikanalyse, in Erkla rungsansatzen der Intemationalen Beziehungen. In aller Regel kommt ihr dabei die Rolle eines Einflu13- bzw. Erklarungsfaktors zu: Die offentliche Meinung wirkt sich beschrankend oder erweitemd auf die auBenpolitischen Handlungsmoglichkeiten aus bzw. muB als einer von mehreren Einflussen bertlcksichtigt werden, wenn staatliches AuBenverhalten erklart werden solI. Viel seltener als auf die AuBenpolitik richtet sich die wissenschaftliche Auf merksarnkeit auf das Zustandekommen der auBenpolitischen offentlichen Meinung oder die Ursachen ihres Wandels. Als zu erklarendes Element von AuBenpolitik wird die offentliche Meinung in der Wissenschaft nur kaum beachtet. In dieser Hinsicht scheint es sogar einen Vorsprung der auBenpolitischen Akteure zu geben, die durchaus daran interessiert sind, die auBenpolitische offentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen oder zu verandem. Diese ambivalente Rolle der offentlichen Meinung in ihrem Wechselverhiiltnis mit der AuBenpolitik zieht schon seit Anfang des vergangenen lahrhunders immer wieder Aufinerksarnkeit auf sich, ohne daB sich jedoch heute sagen lie13e, das Zustandekommen und der Wandel auBenpolitischer offentlicher Meinung sei so ausreichend verstanden, daB ohne weiteres plausible Erklarungsansiitze und 10 Einleitung empirische Theorien formuliert werden konnten. Aus vielerlei Grunden, das solI die nachfolgende Argumentation dieser Arbeit verdeutlichen, ist der Forschungsstand zur Erklarung der offentlichen Meinung in der AuBenpolitik unzureichend. Mit der Entwicklung einer konstruktivistischen Theorieperspektive aus dem Scheitem der vorliegenden Erklarungsansatze wird hier der Versuch untemommen, zwei Forschungsstrange aus ihrer normativen Begrenztheit und erkenntnis theoretischen Widerspruchlichkeit zu befreien und zugleich in einem theoretisch konsistenten Analysemodell zusammenzutUhren. Dies geschieht anhand der Frage stellung, wie sich ein einschneidender Wandel der offentlichen Meinung, gebildet aus den durch reprasentative Meinungsumfragen erhobenen auBenpolitischen Einstellungen der Bevolkerung eines demokratischen Staats, erklaren laBt. Ais empirisches Beispiel eines solchen einschneidenden auBenpolitischen Einstellungs wandels dient der Feindbild-Zerfall gegenUber der Sowjetunion am Ende des Ost West-Konflikts. Die Reformen in der Sowjetunion in den Jahren 1985 bis 1991 waren ein ent scheidendes Element auf dem Weg zu einem friedlichen Ende des Kalten Kriegs, nicht nur weil damit die Auflosung des Systemkonflikts zwischen Ost und West eingeleitet wurde, sondem weil sich die auBenpolitischen Einstellungen gegenUber der Sowjetunion in den westlichen Demokratien entscheidend veranderten, sich von einem Feindbild zu differenzierten Einstellungen mit vielen positiven Anteilen wandelten. Dieser Wandel der Offentlichen Meinung im Westen erzwang die positiven Reaktionen der NAT O-Staaten auf die RUstungskontroll-Vorschlage Michail Gorbatschows, schuf damit zunehmend ein Klima der Entspannung flir die fundamentalen Reformen im sowjetischen Machtbereich und verhinderte gleichzeitig jeglichen Versuch des Westens, den sozialistischen Kollaps zu seinen eigenen Gunsten im Sinne eines globalen Machtzuwachses auszunUtzen, wie Ansatze der Realistischen Schule batten erwarten lassen. Der auBenpolitische Einstellungswandel hatte mithin entscheidenden Anteil an den Ereignissen, die zum Ende des Ost-West Konflikts fiihrten. Wie laBt sich ein solcher Wandel der offentlichen Meinung bzw. auBen politischer Einstellungen erklaren? Dies ist die zentrale, hier zu verfolgende Fragesteliung, deren Virulenz am genannten Beispiel besonders deutlich wird, denn der auBenpolitische Einstellungswandel gegenUber der Sowjetunion -sein Zeitpunkt, sein Verlauf, seine Geschwindigkeit -, welcher am Ende der 1980er Jahre in den NATO-Staaten zu beobachten war, steht kontrar zu den theoretischen Erwartungen in der Politikwissenschaft und der Friedensforschung. Ehe jedoch dieses wissen schaftliche Ratsel detailliert herausgearbeitet und zum roten Faden dieser Arbeit gemacht wird, ist der Kontext der nachfolgenden Argumentation zu beschreiben, urn (l) ihren Stellenwert innerhalb der Politikwissenschaft zu verdeutlichen, (2) urn die theoretischen AnknUpfungspunkte zu benennen, die flir eine Bearbeitung dieser Fragestellung zur Verfiigung stehen, und (3) urn die Reichweite des zu entwickeln den Erklarungsmodells anzugeben. Zunachst aber ist auf das Erkenntnisinteresse hinzuweisen, dem die Fragestellung entspringt; am Ende der Einleitung wird der Aufbau der Arbeit vorgestellt. Einleitung II Sozialwissenschaftliche Forschung geschieht auf der Grundlage nonnativer Vorentscheidungen, die auch das Erkenntnisziel mitbestimmen. Wird in dieser Arbeit ein wissenschaftlich plausibles ErkHirungsmodell aufienpolitischen Ein stellungswandels gesucht, steht dahinter nicht nur der autklarerische Anspruch, neue Erkenntnisse tiber Mechanismen und EinfluBfaktoren auBenpolitischen Einstel lungswandels zur Diskussion zu stellen. Zugleich wird damit ein friedenswissen schaftlicher Anspruch verfolgt, der einerseits nach Bedingungen fUr die Reduktion von Kriegsgefahren und andererseits nach Moglichkeiten zur Erhohung gesellschaft licher Friedensf<ihigkeit fragt. Wenn Krieg in den Kopfen beginnt (Praambel der UNESCO) und Feindbilder eine Voraussetzung fUr die kollektive Gewaltbereitschaft und -anwendung sind, sollen uns Erkenntnisse tiber Bedingungen und Moglichkeiten eines Feindbild-Zerfalls Aufschltisse daruber geben, ob, und wenn ja, wie Feindbild Abbau gesellschaftlich initiiert werden konnte. Damit soli ein Beitrag geleistet werden zu dem tibergreifenden friedenswissenschaftlichen Erkenntnisziel, wie Gewalt begrenzt und Frieden gefordert werden kann. (I) Der politologische Kontext dieser Arbeit ist vielfaltig. Aber auch wenn ihre Argumentation gewissennaBen quer zu den traditionellen Grenzen politikwissen schaftlicher Teildisziplinen verlauft, gehort ihre Fragestellung primar zu den Internationalen Beziehungen, indem sie bei den Veranderungen der intemationalen Politik ansetzt und etwas zu ihrer Erklarung beitragen mochte. In der Theorie entwicklung der Intemationalen Beziehungen konnen Wahmehmungsmuster und "Fehlwahmehmungen" als klassische, aber tiber lange Zeit vemachlassigte Themen gelten. Erst in jUngster Zeit wird kognitiven Prozessen, etwa der Bedeutung von Wissen oder der Wirkung von Ideen, wieder zunehmend groBere Beachtung geschenkt. Mit dem grundlegenden Wandel eines tiber vierzig Jahre relativ stabilen Freund-Feind-Schemas ist eine Varianz bei den Wahmehmungsmustem der intemationalen Politik gegeben, die neue Erkenntnism5glichkeiten tiber die Bedeutung kognitiver Prozesse filr politische Einstellungen verspricht. Besonders filr die konstruktivistische Diskussion in den Intemationalen Beziehungen ist die hier verfolgte Fragestellung von Relevanz: AuBenpolitische Einstellungen sind Resultat der individuellen und sozialen Konstruktion eines intemationalen Systems mit spezifischen Strukturen. Der Wandel auBenpolitischer Einstellungen verweist darauf, daB die Konstruktion des intemationalen Systems Veranderungen unterworfen ist, und stellt damit ein produktives Untersuchungsobjekt zur Weiterentwicklung konstruktivistischer Ansatze dar. Einen ahnlichen Stellenwert beanspruchen Fragestellung und Argumentation dieser Arbeit auch filr die Auj3enpolitikanalyse, die bei der Dreiteilung der polito logischen Teildisziplinen weitgehend den Intemationalen Beziehungen zugerechnet wird. Kontinuitat und Wandel von AuBenpolitik stehen vielfach im Zentrum der AuBenpolitik-Analyse, meist unter der Fragestellung, wie sich der Wandel erklaren laBt. Indem im hier gewahlten Beispiel auBenpolitischen Einstellungen und 5ffentlicher Meinung ein entscheidender Stellenwert fUr den Wandel der AuBen politik der westlichen Staaten gegentiber der Sowjetunion beigemessen wird, soli ein wichtiger EinfluBfaktor in der AuBenpolitik-Analyse auf seine Konstitutions-