ےہ L 283 Die Nichtigkeit des Londoner Vertrages vom 8. Mai 1852. Von Friedrich Mommſen, Doctor und Profeſſor der Rechte, Göttingen, Vandenho e d und R u p r edyt's Verlag. BIBLIOTHECA REGIA SACENSIS Die Nichtigkeit des Londoner Vertrages vom 8. Mai 1852. Von Friedrich Mommſen, Doctor und Profeſſor der Rechte. Göttingen, Vandenhoed und Ruprecht's Verlag. 1863. Mit dem Tode des Königs Friedrich VII. von Dänemark iſt die männliche agnatiſche Nachkommenſchaft des Königs Friedrich III. von Dänemark erloſchen. Es handelt ſich dar um, wer jegt in die Herzogthümer Schleswig und Holſtein ſuc cediren ſoll. Auf der einen Seite wird die Herrſchaft über die Herzogthümer von dem Prinzen Chriſtian zu Schleswig-Hol ſtein-Sonderburg-Glücksburg, der als Chriſtian IX. den Dä niſchen Thron beſtiegen hat, auf der anderen Seite wird ſie von dem Erbprinzen Friedrich zu Schleswig-Holſtein-Son derburg-Auguſtenburg, der als Friedrich VIII. ſeinen Regie rungsantritt angekündigt hat, in Anſpruch genommen. In früheren Jahren iſt über die Erbfolge in die Herzog thümer Schleswig und Holſtein Viel geſchrieben. Für diejeni gen, welche fich darüber unterrichten wollen, fehlt es nicht an gründlichen und eingehenden Erörterungen. Ich habe nicht die Abſicht, hierauf von Neuem einzugehen; meine Unterſuchung ſoll ſich darauf beſchränken, ob der jetzige König von Däne mark, Chriſtian IX. , ein Recht auf die Herzogthümer hat. Chriſtian IX. iſt ein jüngerer Sohn des Hauſes Schles wig-Holſtein -Sonderburg-Glücksburg (früher Holſtein-Beck ge nannt). Er iſt an ſich weder in Dänemark, noch in den Her zogthümern Schleswig und Holſtein der nächſtberechtigte Thron folger. Dies iſt völlig unbeſtritten; und das Gegentheil iſt auch niemals, weder von ihm ſelbſt, noch überhaupt von Dä niſcher Seite behauptet. Er gründet ſein Succeſſionsrecht al lein auf den Londoner Vertrag vom 8. Mai 1852 und auf das in Folge dieſes Vertrages von dem Könige Friedrich VII. von Dänemark erlaſſene Thronfolgegeſetz vom 31. Juli 1853. Von der rechtlichen Bedeutung, welche der Londoner Ver trag vom 8. Mai 1852 hat, hängt es ab, ob Chriſtian IX. 4 ein Succeſſionsrecht auf die Herzogthümer Schleswig und Holſtein hat. Iſt nun die Thronfolgeordnung durch den Londoner Ver trag und das daran ſich anſchließende Thronfolgegeſek gültig geändert? Dies iſt die Frage, die wir in der Kürze erörtern wollen. I. Die Großmächte haben kein Recht, unter Ausſchlie ßung der legitimen Thronfolger eine neue Thronfolgeordnung zu ſanctioniren. Wohl iſt es vorgekommen , daß die Großmächte einen thatſächlichen Zuſtand, der ſich gegen das Recht gebildet hatte (ein fait accompli), nachdem dieſer Zuſtand bereits ins Leben getreten war, durch ihre Anerkennung gewiſſermaßen ſanctio nirt haben. Aber abgeſehen davon, daß es ſich fragt, welche rechtliche Bedeutung einer ſolchen Anerkennung beizulegen iſt, ſo handelte es ſich hier nicht um einen bereits eingetretenen thatſächlichen Zuſtand, der anzuerkennen geweſen wäre, ſon dern um eine Ordnung, deren Geltung einzig und allein auf eine, möglicherweiſe erſt nach geraumer Zeit eintretende Zu kunft berechnet war. Außerdem mag es anzuerkennen ſein, daß nach ſtattge habten Kriegen durch einen Congreß der Großmächte im Ver ein mit den zunächſt betheiligten Mächten neue Ordnungen ins Leben gerufen und auf ſvölkerrechtlich gültige Weiſe begründet werden können. Aber auch Derartiges lag hier nicht vor. Freilich war ein Krieg zwiſchen Dänemark und Deutſch land geführt; derſelbe war aber durch den Frieden vom 2. Juli 1850 beendigt, und in dieſem Frieden waren alle Rechte auf beiden Seiten ausdrücklich vorbehalten. Freilich war auch nach dieſem Friedensſchluß der Krieg zwiſchen Dänemark und dem auf ſeine eigenen Kräfte beſchränkten Schleswig-Holſtein fort geſeßt, bis im Januar 1851 durch ein Einſchreiten Deſterreichs und Preußens die Feindſeligkeiten beendigt wurden. Aber daß durch dieſe Fortſeßung des Krieges der, in dem Friedensſchluß 5 vom 2. Juli 1850 ausdrücklich ausgeſprochene Vorbehalt der Rechte nicht erloſchen war, das zeigen die Verhandlungen, welche in den Jahren 1851 und 1852 zwiſchen Deſterreich und Preußen auf der einen und Dänemark auf der anderen Seite gepflogen ſind. Durch den Krieg war, das geht namentlich auch aus dieſen Verhandlungen und aus den darin enthalte nen Zugeſtändniſſen Dänemarks unwiderleglich hervor, die rechtliche Stellung der Herzogthümer Schleswig und Holſtein Dänemark gegenüber in keiner Weiſe verändert. Von einer Ordnung deſſen, was durch den Krieg etwa ins Ungewiſſe geſtellt wäre, konnte ſomit keine Rede ſein. II. Die Großmächte haben inſonderheit kein Recht, für ein Land, welches, wie Holſtein , zum Deutſchen Bunde ge hört, eine neue Thronfolgeordnung feſtzuſtellen oder eine Ent ſcheidung über ein ſtreitiges Succeſſionsrecht abzugeben. Iſt das Succeſſionsrecht in Anſehung eines zum Deut ſchen Bunde gehörigen Landes beſtritten, ſo iſt jedenfalls der Deutſche Bund die allein competente Macht. Dies kann in der That keinem Zweifel unterliegen. III. Die Großmächte haben in dem Londoner Vertrage durchaus keine Garantie weder in Beziehung auf die Inte: grität der Däniſchen Monarchie, noch in Beziehung auf das Succeſſionsrecht des Prinzen Chriſtian zu Schleswig-Holſtein Sonderburg-Glücksburg übernommen. Es iſt freilich wahr, daß im Eingange des Londoner Vertrages die Aufrechthaltung der Integrität der Däniſchen Monarchie für einen Gegenſtand von hoher Wichtigkeit erklärt wird, daß ferner die contrahirenden Mächte in einem Zwi ſchenſalze des zweiten Artikels des Vertrages das Princip der Integrität der Däniſchen Monarchie als unwandelbar anerkent nen. Aber eine Verpflichtung, dieſe Integrität aufrecht zu halten und zu ſchüßen, iſt nicht übernommen; die Anerkennung des Princips der Integrität der Däniſchen Monarchie, wie ſie 6 im Londoner Vertrage ausgeſprochen iſt, hat nur eine höchſt beſchränkte Bedeutung. Sie ſoll nur eine, wenn ich mich ſo ausdrücken darf, moraliſche Verpflichtung für die contrahirent den Mächte begründen, die weiteren Eröffnungen in Erwä gung zu ziehen, welche Se. Majeſtät der König von Däne mark für gut befinden würde, ihnen zukommen zu laſſen“, falus eine nahe bevorſtehende Erlöſchung der männlichen Descendenz des Prinzen Chriſtian zu befürchten ſtände. Auf etwas An deres bezieht ſich der zweite Artikel des Londoner Vertrages nicht, und es iſt wohl zu beachten, daß die ganze Anerkennung der Integrität nur mit Beziehung auf den Inhalt dieſes Ar tikels und um dieſen zu motiviren vorkommt. In Wirklich keit enthält alſo die ganze Anerkennung der Integrität der Dä niſchen Monarchie, von welcher ſo viel Weſens gemacht wird, gar nichts weiter, als eine Erklärung, daß man die Aufrecht haltung derſelben als wünſchenswerth betracyte. Von einer Garantie kann hier durchaus nicht die Rede ſein; ja man kann nicht einmal die Anerkennung der In tegrität als einen beſonderen Gegenſtand der Stipulation betrachten. Ebenſo iſt auch keine Garantie in Beziehung auf die Suc ceſſion des Prinzen Chriſtian zu Schleswig-Holſtein-Sonder burg-Glücksburg übernommen. Der Vertrag beſchränktſich auf eine Anerkennung, ohne den Contrahenten irgend welche wci: tere Verpflichtungen aufzulegen. IV. Die Großmächte haben, wie man annehmen muß, ſich durd; den Londoner Vertrag vom 8. Mai 1852, nicht unbedingt und ſchlechthin verpflichten wollen, das Suc ceſſionsrecht des Prinzen Chriſtian zu S.-H.-S.-Glücksburg auf die Geſammtheit der unter dem Scepter des Königs von Dänemark vereinigten Länder anzuerkennen. Als der Londoner Vertrag abgeſchloſſen wurde, war die neue Feſtſtellung der Thronfolgeordnung nur noch ein Plan, den der König von Dänemark, falls derſelbe die Biligung 7 der Großmächte finden würde, demnächſt auszuführen gedachte. Die Anerkennung konnte alſo nur für den Fall ausgeſprochen werden, daß dieſer Plan zur Ausführung kommen würde, daß die Combination, welche den Großmädyten vorgelegt war, ſich verwirklichen würde. Dies ergiebt ſich aus der Natur der Sache. Was die einzelnen contrahirenden Mächte zur Verwirkli chung der Combination, der zufolge das Succeſſionsrecht auf den Prinzen Chriſtian und deſſen Descendenten übertragen werden ſollte, für nöthig hielten, iſt in dem Londoner Vertrage nicht ausgeſprochen. Unter dieſen Umſtänden muß man an nehmen, daß ſie dasjenige für nöthig hielten, was wirklich nöthig war, damit die neue Thronfolgeordnung gültig zu Stande komme. Es würde, wie mir ſcheint, eine Beleidi gung gegen die contrahirenden Mächte ſein, wenn man an nehmen wollte, ſie hätten dem neuen Thronfolgegeſeß im Vor: aus auch für den Fall zuſtimmen wollen, daß daſſelbe in ci ner rechtsverleşenden und daher rechtlich ungültigen Weiſe er: laſſen werden ſollte. Man hat kein Recht, anzunehmen, daß die contrahirenden Mächte die Abſicht gehabt haben, eventnell eine Rechtsverleßung durch ihre Anerkennung im Voraus zu billigen und gutzuheißen. In dem LondonerVertrage wird allerdings geſagt, daß Se. Majeſtät der König von Dänemark mit Einwilligung Sr. kö niglichen Hoheit des Erbprinzen und Seiner nächſten, durd, das Däniſche Königsgeſetz zur Erbfolge berufenen Cognaten, ſowie auch nach Verabredung mit Sr. Majeſtät dem Raiſer von Rußland, dem Haupt der älteren Linie des Holſtein-Gottorpi ſchen Hauſes“ erklärt habe, die Erbfolge in ſeinen Staaten in der zur Frage ſtehenden Weiſe zu ordnen. Man könnte nun etwa glauben, daß die contrahirenden Mächte die Ein willigung der hier angeführten Perſonen für genügend gehal ten hätten , damit das nene Thronfolgegeſetz gültig zu Stande komme, und daß ſic eben deshalb keine Bedingungen aus: drücklich aufgeſtellt hätten. 8 Die contrahirenden Mächte waren jedoch damit bekannt, daß von verſchiedenen Seiten für den Fall, daß der Mannsſtamm des Königs Friedrich III. von Dänemark erlöſchen würde, An ſprüche auf die Erbfolge in die Herzogthümer Schleswig und Holſtein erhoben würden, daß inſonderheit ſolche Anſprüche von der Schleswig-Holſtein-Sonderburg-Auguſtenburgiſchen Linie des Oldenburgiſchen Hauſes erhoben würden, und daß dieſe Linie älter ſei, als die Glücksburgiſche. Wollten nun etwa die Großmächte, als ein Europäiſches Tribunal, durch den Londoner Vertrag eine Entſcheidung über alle dieſe verſchiedenartigen Erbanſprüche abgeben, und dieſe durch die Anerkennung des Prinzen Chriſtian als unbegründet verwerfen ? Wenn man einen Streit entſcheiden will, ſo muß man dochy zuerſt die einander gegenüberſtehenden Parteien hören; die Mit glieder des Auguſtenburgiſcheu Hauſes ſind aber nicht gehört worden. Wenn man einen Streit entſcheiden will, ſo muß man ferner doch zuvor eine Unterſuchung über den Gegenſtand des Streites anſtellen. Daß der damalige Congreß in London irgend eine derartige Unterſuchung vorgenommen hätte, davon hat man nichts gehört. Endlich, wenn man eine Entſcheidung abgeben will, und zumal eine Entſcheidung über eine ſo wichtige Sache, ſo ſpricht man dies doch offen aus; ein ſolcher Ausſpruch iſt aber im Londoner Vertrage nicht enthalten. So ſprechen denn die gewichtigſten Gründe dagegen, daß die contrahirenden Mächte ohne weiteres den ſämmtlichen Agna ten des Oldenburgiſchen Hauſes ihr Succeſſionsrecht auf die Herzogthümer Schleswig und Holſtein hätten abſprechen wollen. Am wenigſten kann man auch von den beiden Deutſchen Großmächten annehmen, daß ſie in die unzweifelhafte Compe tenz des Deutſchen Bundes hätten eingreifen wollen, daß ſie zul gleich den Bundesbeſchluß vom 17. Septbr. 1846, durch wel