ERGEBNISSE DER PHYSIOLOGIE BIOLOGISCHEN CHEMIE UND EXPERIMENTELLEN PHARMAKOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON K.KRAMER O.KRAYER E.LEHNARTZ GOTTINGEN BOSTON MONSTER jWESTF. A. v. MURALT H. H. WEBER BERN HEIDELBERG BAND 54 OSCAR A.M. WYSS DIE NERVaSE STEUERUNG DER ATMUNG MIT 92 ABBILDUNGEN SPRINGER-VERLAG BERLIN . GOTTINGEN· HEIDELBERG 1964 AAiillee RReecchhttee,, iinnssbbeessoonnddeerree ddaass ddeerr UUbbeerrsseettzzuunngg iinn ffrreemmddee SSpprraacchheenn,, vvoorrbbeehhaalltteenn OOhhnnee aauussddrriiiicckklliicchhee GGeenneehhmmiigguunngg ddeess VVeerrllaaggeess iisstt eess aauucchh nniicchhtt ggeessttaatttteett,, ddiieesseess BBuucchh ooddeerr TTeeiillee ddaarraauuss aauuff pphhoottoommeecchhaanniisscchheemm WWeeggee ((PPhhoottookkooppiiee,, MMiikkrrookkooppiiee)) ooddeerr aauuff aannddeerree AArrtt zznn vveerrvviieellffaaIIttiiggeenn ©© bbyy SSpprriinnggeerr--VVeerrllaagg II BBeerrlliinn'' GGoottttiinnggeenn'' HHeeiiddeellbbeerrgg 11996644 SSooffttccoovveerr rreepprriinntt ooff tthhee hhaarrddccoovveerr 1155tt eeddiittiioonn 11996644 LLiibbrraarryy ooff CCoonnggrreessss CCaattaalloogg CCaarrdd NNuummbbeerr 6622--3377 114422 IISSBBNN 997788--33--664422--4499441122--33 IISSBBNN 997788--33--664422--4499669911--22 ((eeBBooookk)) 000011 1100..11000077//997788--33--664422--4499669911--22 DDiiee WWiieeddeerrggaabbee vvoonn GGeebbrraauucchhssnnaammeenn,, HHaannddeellssnnaammeenn,, WWaarreennbbeezzeeiicchhnnnnnnggeenn nnssww.. iinn ddiieesseemm BBuucchhee bbeerreecchhttiiggtt aauucchh oohhnnee bbeessoonnddeerree KKeennnnzzeeiicchhnnnnnngg nniicchhtt zznn ddeerr AAnnnnaahhmmee,, ddaaBB ssoollcchhee NNaammeenn iimm SSiinnnnee ddeerr WWaarreennzzeeiicchheenn-- nnnndd MMaarrkkeennsscchhnnttzz GGiillsseettzzggeebbuunngg aallss ffrreeii ZZllII bbeettrraacchhtteenn wwaarreenn uunndd ddaahheerr vvoonn jjeeddeerrmmaannnn bbeennnnttzztt wweerrddeenn ddiiiirrffeenn TTiitteell--NNrr..44777744 Inhaltsverzeichnis Seite Orientierende Übersicht I. Die Autonomie der Atmung 3 11. Das Atmungszentrum 11 A. Über den Sitz des Atmungszentrums 12 B. Die der Erforschung der Funktionsweise des Atmungszentrums zugrunde liegenden experimentellen Verfahren . . 17 1. Die Decerebrierungsversuche . . . . 17 2. Die zentralen Ausschaltungsversuche . 43 3. Die zentralen Reizversuche . 49 a) Elektrische Reizung. . . . . . . 49 b) Nicht-elektrische Reizung 66 4. Die zentralen Abkühlungs- und Anaesthesierungsversuche . 69 5. Die zentralen Ableitungsversuche 75 C. Die Automatie des Atmungszentrums 92 D. Die efferenten Mechanismen des Atmungszentrums . 105 1. Die paarig-bilaterale Anordnung des Atmungszentrums und seiner motorischen Innervationsapparate . . . . . . 108 a) Die Medianspaltung der Medulla oblongata . 108 b) Die Eingriffe am Rückenmark . . . . . . 112 <X) Die halbseitige Querschnittsdurchtrennung (Hemisektion) 112 ß) Das "gekreuzte Phrenicusphänomen". . . . . . . . . 117 y) Die Querschnittsdurchtrennung zwischen Hals- und Brustmark 130 2. Die vom Atmungszentrum ausgehende motorische Innervation 132 a) Die inspiratorische Innervation . . . . . . . . . . . . . . .. 133 <X) Die Aktionsströme des Zwerchfells . . . . . . . . . . . .. 134 ß) Die Aktionsströme der inspiratorisch wirksamen Int ercostalmu skeln 1 38 y) Die Aktionsströme weiterer inspiratorisch wirksamer Muskeln 141 b) Die efferenten Aktionsströme des Nervus phrenicus. . . . . . . 142 e) Die efferenten Aktionsströme weiterer inspiratorisch aktiver Nerven 1 63 C) Die Aktionsströme inspiratorisch aktiver zentraler Substrate. 168 b) Die exspiratorische Innervation. . . . . . . . . . . . . .. 180 <X) Die Aktionsströme exspiratorisch wirksamer Muskeln. . .. 181 ß) Die Aktionsströme exspiratorisch aktiver motorischer Nerven 186 y) Die Aktionsströme exspiratorisch aktiver zentraler Substrate 187 Irr. Die Selbststeuerung der Atmung . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 194 A. Die wesentlichen Etappen in der Entwicklung zum gegenwärtigen Stand der Kenntnisse über die vagale Atmungssteuerung ............. 194 B. Die der Erforschung der Selbststeuerung der Atmung zugrunde liegenden experimentellen Verfahren. 207 1. Die Vagusausschaltung . . . . . 207 a) Die Vagotomie . . . . . . . 207 b) :pie reizlose Vagus ausschaltung 213 c) Der partielle Vagusb lock. . . 21 9 d) Interpretation des reinen Vagusausschaltungseffektes 221 IY Inhaltsverzeichnis Seite 2. Die afferente Vagusreizung . . . . . . . 226 a) Der Frequenzeffekt . . . . . . . . . 228 b) Die Beteiligung verschiedener Fasergruppen 231 c) Gleichstromreizung . . . . . . . . . . . 238 d) Die inspiratorische Nachwirkung . . . . . 242 e) Intermittierende Reizung nach Maßgabe der Atmungsphase 248 IX) Intermittierende Serienreizung . 251 ß) Intermittierende Einzelreize . . . . . . . . . . . . 255 f) Kombinierte Reizung beider Vagi . . . . . . . . . . . 261 g) Die Beurteilung des Vagusreizeffektes am Pneumogramm 265 IX) Der inspiratorische Effekt . 268 ß) Der exspiratorische Effekt 271 y) Mischeffekte . . . . . . . 274 3. Die Ableitung der Aktionsströme des afferenten Lungenvagus 280 a) Die Blähungsafferenzen . . . . . . . . . . . . . 281 b) Die Kollapsafferenzen . . . . . . . . . . . . . . 288 4. Die Auslösung vagaler Atmungsreflexe nach Maßgabe des Blähungs- zustandes der Lungen . . . . . . . . . . . . . . . 293 a) Lungenblähungs- und -kollapsreflexe bei eröffnetem Thorax . 294 b) Lungenblähungs- und -entblähungsreflexe bei intaktem Thorax 307 oe) Atmung gegen Überdruck und Unterdruck 311 ß) Atmung bei Verschluß der Luftwege 316 y) Atmung bei Behinderung der Luftströmung 325 c) Die Vagusapnoe. . . . . . . . . . . . . . 329 5. Die Erforschung der vagal-respiratorischen Reflexzentren . 336 IV. Die proprioceptiven Atmungsreflexe extravagalen Ursprungs 344 Zusammenfassung 357 Literatur. . . . . 358 N amen verzeichnis 399 Sachverzeichnis. 413 Es ist viel mehr schon entdeckt, als man glaubt GOETHE Die nervöse Steuerung der Atmung* Von OSCAR A. M. Wvss Orientierende Übersicht Als vegetativer, für den Warmblüter unmittelbar lebenserhaltender Vor gang sind die Atmungsbewegungen primär autonomen Ursprungs. Diese A tttonomie ist ungleich derjenigen des Herzschlages im Zentralnervensystem verankert; denn die Effektoren der Atmungsbewegung gehören dem Skelet muskelapparat an und sind damit dem somatischen bzw. animalen Nerven system unterstellt. Die Lungen als das viscerale Erfolgsorgan besitzen außer ihrer vegetativ-efferenten die Bronchomotorik betreffenden Innervation vor allem die für die Atmungsbewegungen maßgebende sensible Innervation. Diese ist nicht nur vegetat iv -afferen ter Natur; sie hat eine sekundäre Differenzierung zum viscero-somatischen, die Tätigkeit der Atmungsmuskulatur weitgehend beherrschenden afferenten System erfahren. Die geschlossene Funktion des gesamten nervösen Atmungsapparates läßt sich jedoch nur dann richtig er fassen, wenn die zentrale Autonomie in die primitiv-vegetativen Abschnitte des Hirnstamms verlegt und die zusätzliche Annahme gemacht wird, daß der primäre Anstoß zur Aktivierung der somato-motorischen Innervation der Atmungsmuskulatur von diesem vegetativen Grundsubstrat ausgeht. Man könnte vielleicht noch einen Schritt weiter gehen und dieses vegetative Grund substrat mit dem sympathischen Nervensystem funktionell identifizieren, in analoger Weise, wie dies für das Vasomotorenzentrum anerkanntermaßen getan wird. So ergibt sich für das Atmztngszentrum im weiteren Sinne vorerst eine Gliederung in ein vegetatives Grundsubstrat mit ausgesprochen autonomer Potenz und ein somatisches Innervationssubstrat, welches dem respiratorischen Effektorensystem unmittelbar übergeordnet ist und dem Atmungszentrum im engeren Sinne entspricht. Das vegetative Grundsubstrat wäre nach dieser hier vertretenen Auffassung der Vermittler sowohl für die direkte humorale als auch für die vegetativ-nervöse Beeinflussung der Atmungstätigkeit als Gesamt funktion. Das somatische Innervationssubstrat würde demgegenüber als aus- * Aus dem Physiologischen Institut der Universität Zürich. Ergebnisse der Physiologie, Bd. 54 2 Orientierende Übersicht führendes System die Entstehung und Koordination der Atmungsbewegungen ermöglichen und wäre damit der Sitz der nervösen Steuerung der Atmung. Die primäre Aufgabe des Atmungszentrums im engeren Sinne ist die Er zeugung der inspiratorisch-motorischen Innervation. Diese ist apriori rein tonischer Natur und wird erst sekundär zur phasischen, d. h. rhythmischen Atmungsinnervation moduliert. Die besondere Fähigkeit zur periodischen Modulierung der primär tonischen inspiratorischen Innervation und damit zur Erzeugung des Atmungsrhythmus wird als Automatie des Atm~tngszentrttms bezeichnet. Der Atmungsrhythmus ist nämlich im Gegensatz zum Herzrhythmus nicht ein elementarer Zellrhyth mus, sondern ein komplexer interneuronaler Schaltvorgang, an welchem ver schiedene intrazentrale und selbst reflektorische Steuermechanismen beteiligt sind. So erst entsteht der alternierende Wechsel von Inspiration als primärem Vorgang zu Exspiration als sekundärem Vorgang und umgekehrt von Exspira tion zurück zu Inspiration. Die Annahme einer Beteiligung von reflektorischen Schaltmechanismen am Zustandekommen des Atmungsrhythmus ist im Prinzip gleichbedeutend mit der älteren Auffassung einer Selbststeuerung der Atmung auf proprioceptiv reflektorischer Grundlage. Es treffen sich hier zwei verschiedene Betrachtungs weisen, von denen die erstere die Rolle der Lungenblähungsreceptoren als mit verantwortlich für die Entstehung des Atmungsrhythmus, die letztere ihre ausschlaggebende Rolle bei der Anpassung der Atmungsbewegungen an ver änderte mechanische Verhältnisse und damit ihre Bedeutung für die sog. physikalische Regulierung der Atmung in den Vordergrund stellt. Diesen viscero-somatischen proprioceptiven Reflexen vagalen Ursprungs gegenüber, die von entscheidendem Einfluß auf die Atmungsbewegung sind, spielen somato-somatische Reflexe musculärer und articulärer Natur als pro prioceptive Atmungsreflexe extravagalen Ursprungs im Bereiche der nervösen Steuerung der Atmung keine spezifischere Rolle, als ihnen ganz allgemein im Rahmen der proprioceptiven Kontrolle von Tonus und Bewegung innerhalb des Skelet-Muskel-Systems zukommt. Damit ist die nervöse Steuerung der Atmung in ihren Grundprinzipien umrissen. Weitere nervöse Einflüsse, wie sie sowohl vom Atmungsapparat selber als auch von den übrigen vegetativen und animalen Systemen ausgehen, können nicht mehr zur Steuerung der Atmung gerechnet werden, sondern sind als Fremdreflexe exteroceptiver, enteroceptiver oder nociceptiver Natur zu bewerten. Die einzige Ausnahme machen vielleicht die von den spezifischen Chemoreceptoren der sinualen und cardio-aortalen Kreislaufabschnitte aus gehenden Atmungsreflexe, die aber in die chemische Steuerung der Atmung eingebaut sind und im vorliegenden Zusammenhang nicht diskutiert werden. Auch die nervösen Einflüsse aus der arbeitenden Skeletmuskulatur sowie die Einwirkungen von seiten höherer Zentren des Hirnstamms und der Hirn- Die Autonomie der Atmung 3 rinde fallen außerhalb des Rahmens der nervösen Steuerung der Atmung, welche nur diejenigen nervösen Mechanismen umfaßt, die für das Zustande kommen einer normalen Atmung unentbehrlich sind. 1. Die Autonomie der Atmung Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts hat sich die Erkenntnis, daß die Atmung autonomen Ursprungs ist, nach und nach durchgesetzt. Dabei be deutet autonom nichts anderes als spontan, aus innerer Ursache heraus. Bald nach LEGALLOIs' (1812) epochemachender Entdeckung des Atmungszentrums hatte FLOuRENs (1842, pp. 186-207) als erster den Begriff der Autonomie der Atmung dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er von seinem "point vital" als vom "organe premier moteur" sprach, dem er die weiteren Attribute "essentieI" , "primordial", "spontane" zuteilte. Diese Feststellung beansprucht um so größeres Interesse, als schon zu jener Zeit immer wieder versucht worden war, die Entstehung der Atmungsbewegungen auf äußere Ursachen zurückzu führen, und nicht zuletzt auf solche äußeren Faktoren, die der Atmungs tätigkeit selber entspringen (vgl. sub IU A, S.194ff.). Der forschende Geist der damaligen Zeit konnte sich offenbar mit der unsichtbaren inneren Ursache nicht abfinden und suchte nach dem alles erklärenden äußeren oder inneren Reiz. So ist es auch verständlich, daß die Lehre von der Autonomie der Atmung von Anfang an mit dem damals neu aufgekommenen Begriff des inneren che mischen Reizes aufs engste verknüpft war, und daß RosENTHAL (1862), der als erster die Autonomie der Atmung expressis verbis postulierte, dem Sauerstoff mangel als zentralem Atmungsreiz eine ihm allerdings nicht gebührende Rolle zuschrieb. Immerhin war mit der Annahme einer zentralen, später richtiger weise der Kohlensäure zugeschriebenen chemischen Wirkung die Autonomie auch insofern definiert, als sie das innere Milieu mit seinen verschiedenen humoralen Faktoren zur Voraussetzung hat. Der chemische Reiz ist lediglich Milieufaktor und keinesfalls auslösendes Agens; denn Sitz der Autonomie kann nur lebendes und im vorliegenden Fall nervöses Substrat sein. Eine gewisse Schwierigkeit in der Interpretation älterer und neuerer Arbeiten ergibt sich aus dem Umstand, daß für das, was hier Autonomie genannt wird, d. h. für die spontane Entstehung aus innerer Ursache heraus, meistens die Bezeichnung "Automatie" verwendet wurde und z. T. auch heute noch in diesem Sinne verwendet wird. Dies hängt damit zusammen, daß ur sprünglich angenommen wurde, der primär autonome Vorgang sei der Atmungsrhythmus als einheitlicher Grundprozeß. Da nach dieser Auffassung der Rhythmus, d. h. die Automatie als solche apriori als autonom zu betrachten war, lag kein Anlaß zu einer strengen begrifflichen Trennung zwischen "Autonomie" und "Automatie" vor. Man sprach von "Automatie" in der Absicht, die autonome Potenz der rhythmischen Tätigkeit zum Ausdruck zu bringen. 1* 4 Die Autonomie der Atmung Heute liegt die Situation anders. Allgemein physiologisch bedeutet "Auto matie" repetierende bzw. rhythmische Erregungsbildung. Diese kann spontan sein, wie z. B. in Schrittmacherzellen des Herzmuskels; dann ist sie autonom. Sie kann aber auch provoziert sein, wie z. B. in einem Receptor, der auf einen Reiz repetierend antwortet; dann ist sie nicht autonom. Schon hieraus ergibt sich ohne weiteres, daß auf der Stufe der Zellphysiologie die Begriffe "Auto nomie" und "Automatie" prinzipiell zu unterscheiden sind. Bei der Entstehung des Atmungsrhythmus gestalten sich die Verhältnisse wesentlich komplizierter. Hier handelt es sich nicht um einen elementaren Zellrhythmus ; denn was hier als Automatie bezeichnet wird, ist das periodische Auftreten von ganzen Erregungsfolgen. Wie weiter unten (sub II B, C) näher ausgeführt wird, sind am Zustandekommen der Atmungsautomatie verschie dene nervöse Aggregate beteiligt, und es erscheint nur schon deshalb sehr problematisch, diesen allen in gleicher Weise autonome Potenzen zuschreiben zu wollen. Die Entstehung des Atmungsrhythmus ist nach allem, was heute darüber bekannt ist, ein viel zu komplexer Vorgang, als daß ihm als solchem eine Eigenschaft zukommen könnte, welche für elementare Zellfunktionen reser viert bleiben muß. Erst wenn der Atmungsrhythmus in seine verschiedenen Komponenten zerlegt ist, wird man sich die Frage vorlegen können, welche von diesen Komponenten als autonom tätig zu betrachten sind. Um es jetzt schon vorwegzunehmen, ist dies die primäre inspiratorisch-motorische Inner vation bzw. die Aktivität des ihr unmittelbar zugrunde liegenden vegetativ nervösen Substrates. Die einheitlichen Nervenzellen dieses Substrates wären dann gemäß der vorliegenden Annahme im zellphysiologischen Sinne zu auto nomer Automatie befähigt und würden auf Grund dieser Fähigkeit die primär tonische inspiratorische Innervation erzeugen, aus welcher erst sekundär auf Grund interneuronaler Wechselbeziehungen die komplexere Atmungsauto matie hervorgeht [vgl. WYSS 1954 (a), 1955]. Mit dieser kritischen Einstellung wird man daher von nun an die Arbeiten früherer Autoren über die "Auto matie" der Atmung interpretieren müssen. Ungeachtet des inneren Mechanismus der Atmungsautomatie (vgl. sub II C, S. 92ff.) ist vorerst festzuhalten, daß ROSENTHAL und die ihm folgenden Autoren bestrebt waren, den experimentellen Beweis zu erbringen, daß die Atmung auch nach Ausschaltung sämtlicher irgendwie in Frage kommenden Afferenzen aus der Peripherie, sowie nach Eliminierung der zentralen Ein flüsse aus höheren Hirnabschnitten weiter fortbesteht. Dabei war die seit HALL (1837) speziell von VOLKMANN (1841), VIERORDT (1844), SCHIFF (1858/59; 1873, p. 318), RACH (1863) und WITTICH (1866) vertretene Ansicht, die Atmung werde nur durch periphere Reize vornehmlich chemischer Natur unterhalten, als die hergebrachte Meinung in erster Linie zu widerlegen. Nicht daß etwa namhafte Autoren der damaligen Zeit nicht auch schon an eine primär zentrale Ursache der Atmungsbewegungen gedacht hätten; denn im Anschluß an die Die Autonomie der Atmung 5 ersten diesbezüglichen Angaben von LEGALLOIS (1812) hatten schon MÜLLER (1837, pp. 66-80) und nach ihm FLOuRENs (1842, pp. 186-207), VALENTIN (1844, p. 800; 1848, p. 543), ECKHARD (1854, p. 97ff.), FUNKE (1858, p.474) und LUDWIG (1858, p.211) solche anhaltenden rhythmischen Bewegungen mit zunehmender Klarheit als das Produkt einer Selbsterregung bestimmter Stellen im Gehirn, speziell im verlängerten Mark erkannt. Es fehlte aber immer noch die entscheidende experimentelle Beweisführung, die erst in neuerer Zeit dank verbesserter technischer Hilfsmittel ermöglicht wurde. Obschon seit Beginn dieses jahrhunderts die Autonomie der Atmung mit aller für die da maligen Verhältnisse nur wünschbaren Genauigkeit und Zuverlässigkeit nach gewiesen werden konnte, fand die gegenteilige Ansicht, daß nämlich die Atmung primär ein Reflexphänomen sei, seit den sechziger jahren bis weit ins zwan zigste jahrhundert hinein immer wieder ernsthafte Vertreter [SCHIFF 1873; 1894, pp. 42-51 ; LANGENDORFF 1878 ; HERzEN 1887; SCHIPILOFF 1890; MEL TZER 1890 (a); HERING 1893; BETHE 1903, p. 403; HYDE 1906; BAGLIONI 1907; DESOMER 1923, 1924 (c); SHARPEy-SCHAFER 1932; GESELL und MOYER 1935 (d); vgl. aber auch BRECKENRIDGE und HOFF 1954; GARdA RAMOS 1959]. Dies zeigt nur die nachhaltende Wirkung der ursprünglich auf dem reinen Auslöseprinzip aufgebauten Reflexvorstellung, sowie die noch lange nicht überwundene Abneigung gegen die Annahme, daß etwas von sich aus entstehen soll. Nachdem aber heute die Erkenntnis, daß auch das einfache Reflexgeschehen an einem zentral vorhandenen und in letzter Instanz doch wieder autonomen Erregungszustand sich abspielt, ziemlich allgemein durch gedrungen ist, kann es sich bei der Atmung wohl nur mehr um die Frage handeln, welchen zentralen Substraten der höchste Grad von Autonomie zu kommt. Es ist daher auch nicht mehr angezeigt, etwa von der "Autonomie des Atmungszentrums" zu sprechen, da an dessen Automatie, d. h. dem rhyth muserzeugenden Mechanismus außer den primär vorhandenen autonomen Potenzen sowohl intrazentrale Schaltvorgänge als auch echte Reflexe beteiligt sind (vgl. sub 11 C, S. 102). Wenn also hier die "Autonomie der Atmung" zur Diskussion steht, so bezieht sich dieser Begriff auf das Vorhandensein autonomer Potenzen innerhalb des viel komplexeren Systems des Atmungs zentrums. Der Nachweis der Autonomie der Atmung wurde denn auch weit gehend unabhängig von den Untersuchungen über die Automatie des Atmungs zentrums erbracht, indem es in erster Linie darauf ankam, ihre Unabhängig keit von Afferenzen aus der Peripherie unter Beweis zu stellen. In zweiter Linie erst wurde auch daran gedacht, daß das seit LE GALLOIS (1812) in die Medulla oblongata zu verlegende Atmungszentrum auch von höheren Zentren aus beeinflußt werden kann, und daß auch diese Einflüsse ausgeschaltet werden müssen, um den Beweis der Autonomie zu erbringen. ROSENTHAL (1862) bezeichnete unter Bezugnahme auf MÜLLER (1844, p. 66) die Atmungsbewegungen als "automatische", d. h. als solche, "welche 6 Die Autonomie der Atmung aus natürlichen, in den Zentralorganen liegenden Ursachen erfolgen", und hatte damit von Anfang an die Autonomie der Atmung als Begriff definiert. Während längerer Zeit war er auch der einzige aktive Vertreter dieser An schauung und suchte sie durch experimentelle Tatsachen zu begründen. So wurde, speziell den anderslautenden Erfahrungen von RACH (1863) gegenüber bewiesen, daß die Atmung auch dann noch weiter besteht, wenn sämtliche dorsalen 'Wurzeln des Halsmarks, dessen Übergang zum Brustmark, die beiden Nervi vagi sowie der Hirustamm im Bereiche der Vierhügel durchschnitten sind (ROSENTHAL 1865). Diese erstmals klare Versuchssituation wurde grund legend für die weitere Forschung, wobei einerseits der Beschaffenheit des Blutes eine entscheidende Bedeutung für die autonome Tätigkeit zugeschrieben wurde, andererseits der Begriff der Autonomie (immer noch als "Automatie" bezeichnet) allgemein auf die Nervenzentren ausgedehnt wurde [ROSENTHAL 1875; ROSENBACH 1877 (a, b); BURKART 1878; LUCIANI 1879]. Auch FRE DERICQ (1879) entschied sich für die "automatische" und gegen die reflexogene Natur der Atmungstätigkeit und konnte durch lokale Abkühlung an der frei gelegten Medulla oblongata die Atmung verlangsamen oder gar aufheben (FREDERICQ 1883). Allerdings waren weder diese ersten reversiblen Aus schaltungsversuche noch die gelegentlich angeführten zentralen Reizversuche von KRoNEcKER und MARCKWALD (1879) als Beweise für die Autonomie der Atmung zu verwerten; denn es hätte ja auch der von FLOURENS (1851, 1862) für Warmblüter und Kaltblüter von neuem bestätigt gefundene "noeud vital" ebensogut als reflektorisches wie als autonomes Atmungszentrum ange sprochen werden können. Sicher war für FLOURENS der Begriff des "noeud vital" mit demjenigen der Autonomie der Atmung aufs engste verknüpft; doch haben sich diese beiden Begriffe in der Folgezeit weitgehend unabhängig voneinander entwickelt. Mit Beginn der achtziger Jahre folgte eine Periode, während welcher die der Atmung zugrunde liegenden autonomen Potenzen einem dem Schritt macher des Herzens analogen "automatischen" Zentrum zugeschrieben wurden [KNOLL 1886 (b, cl], Erwähnenswert ist im Hinblick auf die heutige Auf fassung, daß GAD (1886,1893) es vorgezogen hätte, "autochthon" statt "automatisch" zu sagen, und daß er diese Eigenschaft ausschließlich für das Inspirationszentrum reservierte und dem Exspirationszentrum lediglich reflek torische Bedeutung beimaß. Damit war aber insofern schon ein weiterer Schritt getan, als mit der differenzierteren Analyse des Atmungszentrums die heute als Automatie bezeichnete Funktionsweise dieses Zentrums ins Blick feld gerückt wurde. Um es in der hier vorgeschlagenen Terminologie auszu drücken, war GAD offensichtlich zur Erkenntnis gelangt, daß nur gewisse Anteile, und zwar nur die Nervenzellen des inspiratorischen Zentrums die dem Atmungszentrum zukommende Autonomie besitzen. Gleichzeitig mit diesem tieferen Eindringen in die Funktionsweise des Atmungszentrums bekam auch