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Die Musik der Neuen Sachlichkeit PDF

291 Pages·1999·36.396 MB·German
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Die Musik der Neuen Sachlichkeit Nils Grosch Die Musik der Neuen Sachlichkeit Verlag J. B. Metzler Stuttgart. Weimar Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Grosch, Nils: Die Musik der neuen Sachlichkeit / Nils Grosch. -Stuttgart; Weimar: Metzler, 1999 ISBN 978-3-476-01666-9 ISBN 978-3-476-03771-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-03771-8 Dieses Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulassig und stratbar. Das gilt insbesondere fiir Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 1999 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprunglich erschienen bei J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1999 Inhalt 1. Einfiihrung 1 1. Musik und ))AujJenwel/(( 2 2. Gebrauchsmusik, angewandte Musik, mechanische Musik 8 3. Neue Sachlichkeit als Stil? - Die musikalischen Darstellungsmittel der N euen Sachlichkeit 15 2. Zwischen Expressionismus und Offentlichkeit- Die Komponisten der Novembergruppe 21 1. Erste Phase: Nachkriegsexpressionismus 26 2. Zweite Phase: Bruch und Aufbruch 45 Exkurs: Donaueschingen 1926 - »Mechanische Musik« und sachlicher Stil 56 Vogel, Stuckenschmidt, Wolpe: »Mechanische« und »Stehende« Musik 68 3. Die Musik zum »Berlin im Licht«-Fest von 1928 80 3. Zeitoper als populates Medium des Musiktheaters 101 1. Auf dem Weg zu einem populaten Musiktheater 104 2. Oper als Medium 116 ))Der Zuhijrer begriijJt einen bekannten Komponisten((- Stilreferenzen in der Zeitoper 116 Technische Medien in der Zeitoper 135 Amerikanismus 149 3. ))Musik for ein Publikum, das im Theater naiv seinen SpajJ veriang/(( - Zeitoper als Unterhaltungsmusik 163 4. Aktualitat, der ))sogenannte Btiffocharakter(( und die ))Unglikkselige Bezek/mung)]a if{oper((( 177 VI 4. Rundfunkmusik 1929 181 1. ))Der Runc!funk und die Umschichtung des MusiklebenJ((, Zur musikalischen Radiotheorie der N euen Sachlichkeit 184 2. Die Originalkompositionen fur den Rundfunk 195 3. Kriterien der Komposition fur den Rundfunk 199 Franz Schrekers Kleine Suite 199 Radiophoner Klang und die Lehrgiinge fur Rundfunkmusik 205 Max Buttings Rundfunkkompostionen 213 4. Weill, Hindemith und Der Lindbe1l,hflug 226 Kurt Weills Radiostil 226 Hindemiths Lindbe1l,hflug-Vertonungen 239 5. Radiomusik als Unterhaltung 246 Eduard Kiinneke: Tanzerische Suite 247 Paul HOffers Rundfunkkompositionen 249 Rundfunkmusik als neue Gattung? 254 5. Schlufiwort 259 Danksagung 267 Literatur 269 Quellenliteratur 269 Sekundarliteratur 275 Personen-und Werkregister 285 1. Einfiihrung Mit tausend Volt wird Nacht zum Tag, Es siegt die Technik Schlag auf Schlag. Die Zeit marschiert im Riesenschritt, Berlin geht an der 5pitze mit. Du alte Stadt mit Deinem 5chwung ErhdltJt du dich fur immerj ung! Du biJt daJ Vorbild Neuer 5 achlichkeit PraktiJch, geschmackvoll und gescheit! 1 So pries im Jahr 1928 an1aI3lich des »Berlin im Licht«-Festes Qtto Stranskys Marschsong die Hauptstadt der Weimarer Republik als )) Vorbild Neuer 5 achlich keik(. Berlin spielte mit den Muskeln: Bisher unbeleuchtete Stadtteile bekamen damals erstmals Licht, und die grof3en Untemehmen gestalteten in der gesam ten 1nnenstadt eine eindrucksvolle Werbeschau mit einer neuen und fur dama lige Verhiiltnisse iiberwiiltigenden Beleuchtung. Ein kommerziell intendiertes Spektakel also war das »Berlin im Licht«-Fest; nach auf3en hin sollte deutlich werden, daf3 Berlin eine modeme, junge Weltstadt war, die mit New York oder London konkurrieren kanne. Nicht fiir andere Stadte etwa war Berlin das Vor bild, sondem fur einen Trend, der mehr als nur Fragen urbaner Strukturierung betraf - den gesamten »modemen Zeitgeist«, sowohl die modeme akonomi sche Struktur V)Achtung wie noch nie vor deinem Handel, deiner Industrie((, so heillt es im Refrain desselben Songs) als auch den jugendlichen Elan und die offene Weltzugewandtheit Berlins umfassend. FUr einen Trend, dem dieses Vorbild dienen konnte, gab es kaum ein besseres Schlagwort als die »Neue Sachlichkeit«. Dieses diente aber auch zur Benennung ganz anderer, eben falls neuer Er scheinungen: 1m Tagesvokabular sprach man von ganz neuen Moden und Verhaltensnormen, auch die Ablasung des biirgerlichen Liebesbegriffs durch eine auf direktere Karperlichkeit bezogene Erotik faf3te man mit dem Begriff »Neue Sachlichkeit«.2 Spiitestens seit Mitte der zwanziger Jahre hatte der Ter minus somit seine Bedeutung in der Sprache des Tages auf eigentlich aIle Le bensbereiche ausgeweitet und bleibt letztlich als Umschreibung des ))Zeitgeistes der ZwaniJger Jahre - etwas schwer Definierbares((.3 Otto Stransky: »Berlin im Licht!!. Mam-h, Text von Giinther Bilbo, in: Haus, Hof, Garten. Illustrierte Wochenschrift des Berliner Tageblatts, 13.10.1928. 2 Zum Beispiel in der Kurzgeschichte Neue Sachlichkeit von Albert van Waasdijk, in: Ber liner Borsen-Courier, 25.11.1930. 3 Stephen Hinton: Neue Sachlichkeit, in: Handwiirterbuch der musikalischen Terminologie. Frei burg im Breisgau. Auslieferung 1991. 2 Einfuhrung Zunachst war er 1923 fur die bildende Kunst in Gebrauch gekommen - der Mannheimer Aussteller Gustav F. Hartlaub hatte ihn damals regelrecht erfun den, urn einer Ausstellung einen Namen zu geben, in der verschiedene Kunst richtungen, die sich nicht mehr unter dem Stilbegriff des Expressionismus sub sumieren lieBen, Platz fanden.4 Die Ausstellung startete dann 1925, und sehr bald iibertrug man den Terminus »Neue Sachlichkeit« auch auf andere Berei che: Wahrend noch 1932 der konservative Musikkritiker Alfred HeuB eifrig dariiber spekulierte, ))Was unter >5achlichkeit< in der Tonkunst if' verstehen warei«5, hatte bereits 1927 der osterreichische, damals in Deutschland lebende Kompo nist Ernst Krenek konstatiert, daB der Begriff »Neue Sachlichkeit« im kunst kritischen Tagesgebrauch bereits zurn Schlagwort geworden und auch auf an dere Gebiete, darunter die Musik, iibertragen worden sei, und daB es inzwi schen iiblich sei, ihn auf neuere Werke anzuwenden.6 1. Musik und »AuJlenwelt« Die Frage, was Musik befahigen konnte, zurn ))Leben if'rikkzukehren(?, betraf den Kern kiinstlerischen Schaffens iiberhaupt - nicht nur fur Krenek. Der bewuBte Versuch, sich mit der auBerkiinstlerischen Realitat kiinstlerisch aus einanderzusetzen, fiihrte Krenek damals dazu, den Begriff »Neue Sachlichkeit« aufzugreifen, der die komplexen Modernisierungsprozesse auf sozialem und kulturellem Sektor schlagwortartig umriB. Kreneks Versuch, den Begriff »Neue Sachlichkeit« von musikgeschichtlicher Warte aus sinnvoll zu fiillen und kon kreter als im schlagwortartigen Gebrauch des Tagesjoumalismus zu fassen, ist bewuBt vorlaufig formuliert, denn Krenek distanziert sich in seinem Essay ))Neue Sach/idJkeit in der Musik(( sowohl von dem schnellen Entstehen und Ver schwinden kunstkritischer Etiketten als auch von der Moglichkeit, eine solche Bezeichnung ohne geschichtliche Distanz als zutreffendes Stilkriteriurn benut zen zu konnen. Statt sich auf eine solche musikkritische Begriffspragung zu stiitzen, geht Krenek bei seiner Bestimmung der Neuen Sachlichkeit von ganz konkreten Erfahrungen aus: 1m Februar 1927 war seine Zeitoper Jon,!), spielt auf in Leipzig uraufgefiihrt worden, und der im gleichen Jahr entstandene Essay ist 4 Zur Begriffsgeschichte siehe Hinton: Neue Sat'h/ichkeit. 5 So der Titel eines Pamphlets von Alfred HeuG, in: Zeitschrift fiir Musik 90 (1932), S.495-9. 6 Ernst Krenek: >Neue Sat'h/ichkeif< in der Musik, in: i 10 (Amsterdam) (1927), S.216-8. Folgende kurze Zitate entstammen dem selben Text, falls nicht anders gekennzeichnet. 7 So Krenek in e~em Brief an seine Eltern, zitiert nach John L. Steward: Ernst Krenek. Eine kritische Biographie. Tutzing 1990, S. 85f. Einfuhnmg 3 letztlich die Reflexion sowohl der as thetis chen Konzeption als auch der fiir damalige Verhaltnisse einmaligen Wirkung der Oper. Krenek hatte in Jon,!), spielt auf zwar einen tiefen gesellschaftlich-kulturellen Konflikt seiner Gegen wart darstellen wollen, und er hatte fur die eine Seite dieser Darstellung Insi gnien des technisierten Alltags und der medienbeherrschten popularen Kultur, vor allem Revueeffekte, Jazzschlager und modeme Tanzmusikstile, verwendet. Doch mit einem solehen Massenerfolg hatte er nicht gerechnet, und der war ja auch fur ein Werk der Neuen Musik vollkommen ungewohnlich: Jon,!), spielt alff wurde auf Anhieb ein ungeheurer Publikumserfolg; kurz nach der Leipziger Urauffiihrung iibemahmen zahlreiche Hauser das StUck. Aber die Wirkung ging noch weit iiber bloBe Auffiihrungs- und Publikumszahlen hinaus, Songs aus der Oper wurden popular arrangiert, im Rundfunk und auf Schallplatte vermarktet, eine Wiener Tabakfabrik kreierte sogar eine Zigarettenmarke »Johnny«. Jon,!), spielt aufhatte, obwohllediglich fur Auffuhrungen in konven tionellen Opemhausem konzipiert, den Rahmen opemhafter Rezeption voll kommen gesprengt, war auf diesem Wege in den as thetis chen und wirkungs maBigen Bereich popularer Musik und so zu einer breiten Offentlichkeit vor gedrungen. GroBe Skandale hatte es schon lang nicht mehr bei Opernauffuh rungen aus dem Bereich der Neuen Musik gegeben, und ebensowenig soleh unmittelbare Anzeichen des Erfolgs. Hier aber machte sich >Offentlichkeit< in Gestalt eines musikalischen Marktes bemerkbar und fuhrte dem Komponisten den RezeptionsprozeB seines Werkes unmittelbar vor - fUr Krenek eine unge wohnliche Erfahrung. So wird verstiindlich, warum Krenek den Begriff »Neue Sachlichkeit« durch eine ))veranderte Einstellung [der Komponisten] zur Aujenwel/(( erklart: }}Der Musi ker sucht nach der Basis einer breiteren Wirksamkeit.(( Es ist dieser ProzeB, den Kre nek als die }}entscheidende Wandlung(( in der aktuellen Entwicklung charakterisiert und der die Formulierung eines neuen Epochenbegriffs nahelegt. Krenek ver zichtet dabei auf das gebrauchliche Bild einander ablosender Epochen, auch wenn er die Neue Sachlichkeit letztlich aus einer Reaktion auf den Expressio nismus ableitet. Da aber fur ihn }}die Begri1fe )vonvartJ( und )riickwartJ(, aJif die Zeit angewendet, iiberhaupt einen Un sinn bedeuten und weil es im Leben und in der Kunst nur ein zeitliches Nacheinander, aber keine Rangordnung des "Fortschritts und Riickschritts gib/((, meidet er die V orstellung einer historischen Epochenfolge. Deshalb ist die Neue Sachlichkeit in Kreneks Darlegung keine Gegenreakti on auf den Expressionismus als Ganzes oder gar eine historische Ablosung desselben, sondern ein Reflex auf einen ganz bestimmten Aspekt, }}die kom"e quente Weiterentwicklung eines romantischen Individualismus [. .. ], der den schciffenden KUnstler immer mehr isolierte und ihn von Eifolg und Wirkung aJif die Aujlenwelt wenig stens ideologisch unabhiingig zu machen suchtC((. Zum Regulativ zeitgenossischen 4 Einfuhrung Komponierens wp:d aus einer solchen Entgegensetzung heraus eben die »Au Benwelt«, also in Kreneks Begrifflichkeit die ineins gedachte, modem geformte Offentlichkeit - als Garant fur den Erfolg eines Werkes - und die zeitgenossi schen auBerkiinsderischen Entwicklungen iiberhaupt - als Garant kiinsderi scher Aktualitat. Primar diese Asthetisierung der Offentlichen Sphare als rezep tiver Kontext von Kunst macht den Gegensatz zurn Expressionismus relevant. Dessen weltabgewandte Haltung erscheint Krenek iiberhaupt erst aus der ))ei gentum/ichen Beschqffinheit der deutschen Menta/itaf« heraus moglich: ))Der romanislhe Kiinst/er hat diese Basis von vorneherein. Sein aujerer Eifolg wird von der Starke und Ori gina/itat seiner Begabung abhangen, aber er wird nie etwas Abstruses, Sonderbares und Un populares schreiben. 1m Bereich des deutschen Geistes /iegen die Dinge anders((. 1m glei chen Jahr wie Krenek diagnostizierte der gleichaltrige Komponist Kurt Weill ein ))Abriicken vom individua/istischen IVtnstprin::(jp((, das im wesentlichen nichts anderes ist als die von Krenek vorsichtig als Neue Sachlichkeit skizzierte Ent wicklung. Dieses sei zwar iiberall zu beobachten, trete jedoch nirgends mit so eruptiver Kraft hervor wie in Deutschland.8 Aus Weills und Kreneks Darstellungen wird der Bruch deutlich, zu dem es kam, als die individualistische Musikasthetik, die sich - im Werkdenken der deutschen Romantik wurzelnd - im Expressionismus intensiviert hatte, relativ plotzlich mit einer neuartig geformten Massenkultur konfrontiert sah, die sich in kiirzester Zeit entwickelt hatte. Die enge Anbindung der N euen Sachlichkeit an die sozialen und kulturellen Entwicklungen in Deutschland ist also kein rein musikgeschichtliches Phano men. Auch Hardaubs Ausstellung »Neue Sachlichkeit« dokurnentierte explizit Werke ausschlieBlich deutscher Kiinsder. Die Charakteristik der Neuen Sach lichkeit war in der Geschwindigkeit der kulturellen Wandlungen dieser Epoche begriindet: Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Revolution bedeuteten fiir die Generation Kreneks und Weills die Erfahrung eines radikalen kulturellen und politischen Bruchs; die republikanische Gesellschaftsordnung, deren An gehorige sich ideologisch vielfach aus der Antipathie oder der Sympathie der unterschiedlich erlebten Kaiserreichs- und Kriegszeit heraus gruppierten, setzte das Bediirfnis nach neuen kulturellen 1dentifikationsstrukturen frei. Zudem hatten urn die Jahre 1923/1924 die wirtschaftliche und soziale Entwicklung und zugleich die offent;liche Ausstrahlung des Rundfunks die technischen und wirtschaftlichen Grundlagen dafur gelegt, daB breiten Bevolkerungsschichten erstmals kiinsderische Produkte zuganglich wurden, die ihnen zuvor weder fmanziell erreichbar noch zeitlich verfugbar waren. Und drittens brachten die 8 Kurt Weill: Verschiebungen in der musikalischen Produktion [1927], in: Ders.: Musik und Theater. Gesammelte Schriften, hg. von Stephen Hinton und Jiirgen Schebera. Berlin 1990, S. 45-8.

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