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Die Murmeltiere auf Vancouver Island (Marmota vancouverensis Rodentia, Sciuridae): Bedrohung einer seltenen Art durch Habitatverlust und genetische Verarmung PDF

10 Pages·1999·0.99 MB·German
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© Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Die Murmeltiere auf Vancouver Island (Marmota vancouverensis, Rodentia, Sciuridae): Bedrohung einer seltenen Art durch Habitatverlust und genetische Verarmung L. KRUCKENHAUSER, W. PINSKER & A.A. BRYANT Abstract ples were used as a source for DNA extrac- tion. The microsatellites were amplified by M. vancouverensis has experienced a PCR. In contrast to M. marmota, only two dramatic decline of the population size loci proved polymorphic in M. vancouver- over the past 10 years. To save this highly ensis. The number of alleles detected as endangered species from extinction, a reco- well as the average heterozygosity were very program has been started which will also considerably lower. Thus depauperati- include captive breeding, reintroductions, on of the gene pool may add to the threat and reestablishment of sustainable popula- already imposed by the diminishing popu- tions in suitable habitats. For this purpose lation number. However, the major pro- it would be helpful to have appropriate blem for the conservation of this species is genetic markers for the monitoring of the scarcity of appropriate habitats. population development, especially in order to avoid inbreeding and loss of varia- bility. In addition, it will be important to get some basic information on the present genetic status of the remaining population. Over the last years our research group in Vienna has carried out population stu- dies on the Alpine marmot (M. marmota) covering the entire distribution range of this species in the European Alps. Ten polymorphic microsatellite loci that have been isolated from the genome of M. mar- mota were tested in 21 individuals of M. vancouverensis. Because of the highly pro- Stapfia 63, zugleich Kataloge des OÖ. Landesmuseums, tected status of the species, hair root sam- Neue Folge Nr. 146 (1999), 159-168 159 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Einleitung Zählung erfaßt wurden, so kann die Größe der Restpopulation auf 85 bis 95 Individuen hoch- Das Vancouver Murmeltier (M. vancou- gerechnet werden. Sollte der negative Trend verensis SWARTH 1911) ist eine auf Vancouver in der Populationsentwicklung anhalten, so ist Island (British Columbia, Kanada) endemisch mit dem Verschwinden dieser Art innerhalb vorkommende Murmeltierart, welche akut des nächsten Jahrzehnts zu rechnen. vom Aussterben bedroht ist (Abb. 1). Vor Vancouver Island ist mit 32.000 km' die Abb. 1: allem in den letzten Jahren war eine dramati- Das Vancouver Murmeltier größte Insel vor der Westküste Nordamerikas sche Abnahme der Populationsgröße zu ver- (M. vancouverensis). Vom Erschei- und weist eine gebirgige Struktur mit Erhe- nungsbild her zählt M. vancouverensis zeichnen (BRYANT 1997). Wurde noch Mitte bungen bis 2200 m auf. Das ursprüngliche Ver- sicher zu den schönsten Säugetierar- der 1980er Jahre die Gesamtindividuenzahl breitungsgebiet von M. vancouverensis ten. Dennoch ist diese Art akut vom auf 300 bis 350 geschätzt, so wurden bei der Aussterben bedroht, wenn es nicht (BRYANT & JANZ 1996) umfaßte zahlreiche kurzfristig gelingt, die Zerstörung letzten Zählung im Jahre 1998 nur mehr 71 verstreute Kolonien, welche sich über die ihres Lebenraumes auf Vancouver Individuen gesichtet (Abb. 2). Zieht man in gesamte von Nordwesten nach Südosten ver- Island (Kanada) zu stoppen. Foto: A.A. BRYANT. Betracht, daß nicht alle lebenden Tiere bei der laufende Gebirgskette verteilten, wobei sich das Verbreitungszentrum im südlich-zentralen Teil der Insel befand. Heute sind die Vorkom- men auf zwei Areale beschränkt: ein aus zwei Kolonien bestehendes Isolat im Gebiet des Mount Washington und ein 150 km' großes Kerngebiet innerhalb des ursprünglichen Ver- breitungszentrums, in welchem etwa zwei Drittel der heute lebenden Individuen zu fin- den sind (Abb. 3). Von den 25 bekannten und unter Beobachtung stehenden Kolonien waren nur 1 3 fortpflanzungsaktiv. Die Ursachen für den extremen Rückgang der Populationsgröße während der letzten 15 Jahre sind auf mehreren Ebenen zu suchen: in der natürlichen Lebensweise und den sehr spe- zifischen Lebensraumansprüchen dieser Art sowie in der Veränderung des Habitats sowohl durch äußere Einflüsse (Klimaschwankun- gen), als auch durch den Menschen (Holzwirt- schaft). Das Vancouver Murmeltier ist eine relativ junge Art, welche wahrscheinlich aus einer isolierten Population einer weiter ver- breiteten Stammart entstanden ist. Die Abtrennung erfolgte möglicherweise während der letzten Eiszeiten entweder im Küstenbe- reich oder in sogenannten „Nunataks", eisfrei- en Inseln innerhalb einer größeren Eismasse. Die nächsten Verwandten (KRUCKENHAUSER et al. 1999) sind das Olympmurmeltier (M. olympus), welches die Olympic Peninsula im Süden von Vancouver Island (Washington, USA) bewohnt, sowie das Eisgraue Murmel- tier (M. caligata), eine Festlandart, die in den Hochgebirgsregionen der USA und Kanadas vorkommt (siehe auch den Beitrag „Phyloge- nie der Gattung Marmota"). Das Vancouver 160 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Murmeltier gehört zu den größten Vertretern der Gattung. Adulte Tiere können ein Kör- pergewicht zwischen 3 kg (nach dem Winter- schlaf im Mai) und 6 kg (im September) errei- I chen. Sie sind durch eine besonders dunkle Fellfarbe gekennzeichnet, die durch eine weiße Behaarung des Schnauzenbereichs 1 sowie eine weiße Scheckung auf der Ventral- seite kontrastiert wird (NAGORSEN 1987). Murmeltiere waren auf Vancouver Island nie wirklich häufig. Infolge des stark fragmentier- ten Habitats entwickelte sich die Struktur einer Metapopulation. Darunter versteht man eine Unterteilung der Gesamtpopulation in kleine Kolonien, die von Zeit zu Zeit neu ent- stehen und wieder erlöschen. Das Vancouver 90 91 92 Murmeltier bevorzugt südliche oder westliche Jahr Gebirgshänge in einem Höhenbereich zwi- schen 1000 und 1400 m, an denen durch Abb. 2: Im Freiland gezählte Individuenzahlen. Seit 1984 ist eine drastische Abnahme der Populationsgröße zu verzeichnen. Bei der letzten Zählung im Jahre 1998 wurden regelmäßige Lawinenabgänge das Aufkommen nur mehr 71 Individuen registriert. von Wald- und Buschvegetation verhindert wird. Eine Kolonie besteht aus bis zu 5 adulten Individuen. Weibchen werden mit 3 Jahren Abb. 3: Das Verbreitungsgebiet des Vancouver Murmeltieres. Die meisten aktiven Kolo- geschlechtsreif, pflanzen sich aber meist nicht nien befinden sich heute im südlich-zentralen Teil der Insel. Daneben existiert noch ein kleines Isolat im Gebiet des Mount Washington. Aus den Positionen ehemaliger Kolo- vor dem vierten Lebensjahr fort. Die Repro- nien (historischen Berichten von 1864-1989 entnommen) läßt sich das weit größere duktionsrate ist mit Wurfgrößen von 2 bis 5 ursprüngliche Verbreitungsgebiet von M. vancouverensis rekonstruieren. niedrig. Jungtiere wandern im Alter von 2 Jahren ab, ein wichtiger Vorgang Aktive Kolonien • für die Erhaltung der Metapopulation. Ehemalige Kolonien o Gerade diese Popula- Solitäre Individuen tionsstruktur, die auf Abwanderung und Städte Neugründung von Kolonien beruht, ist möglicherweise mit Schuld am Rückgang der Bestände. In Gebieten, in denen intensive Holzwirtschaft be- trieben wird, kommt es häufig zur Besiede- lung von Kahlschlä- gen durch neu ein- wandernde Murmel- tiere. Die infolge von Abholzung baum- freien Areale sind oberflächlich den 161 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Tab. 1: Vergleich der Allozymvariation vonM. vancouverensis mit denWerten anderer Murmeltierarten. (H„ = Heterozygotiegrad, P = Polymorphiegrad, . = Zahl der untersuchten Loci) H. P L Quelle der Daten M. vancouverensis 7/.000 / /0 18% 22 BRYANT(1990) M. monax 5.3 % 25% 24 WRIGHT et al. (1987) M. flaviventris 7.5 % 40% 20 SCHWARTZ & ARMITAGE (1980) M. marmota 1.1 % 4 % 50 PRELEUTHNER & PlNSKER (1993) Tab. 2: Allelhäufigkeiten (in %) an 10Mikrosatellitenloci in M. marmota(Population Lechquellen- gebirge) und M. vancouverensis. (2n =Zahl der getesteter Allelepro Locus) Locus Allel M.m. M.v. Locus Allel M.m. M. v. MS06 142 100.0 Bibl-04 175 40.5 160 100.0 — 176 — 100.0 179 9.5 — 2n 44 42 188 2.4 — 190 47.6 — MS41 176 100.0 2n 42 42 186 31.8 — 190 68.2 — Bibl-18 137 — 100.0 2n 44 42 143 100.0 — 2n 42 42 MS45 111 47.7 — 113 52.3 — 115 — 100.0 GS12 132 33.3 — 133 66.7 — 2n 44 42 144 — 100.0 2n 42 42 MS53 145 2.4 60.0 147 76.2 40.0 149 21.4 — GS14 242 — 100.0 244 57.9 — 2n 42 40 246 42.1 — 2n 38 42 MS56 100 — 5.0 101 — 15.0 102 — 17.5 GS25 132 — 100.0 103 — 62.5 148 100.0 — 113 19.0 — 115 81.0 — 2n 42 42 2n 42 40 162 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at natürlichen, durch Lawinenabgänge von dich- Polymorphiegrad (P) verwendet (siehe Beitrag ter Vegetation befreiten Hängen ähnlich und von PRELEUTHNER &. PlNSKER). Ein Vergleich werden daher von den Murmeltieren als geeig- mit M. monax und M. flaviventris (Tab. 1) netes Habitat für das Anlegen von Bauen zeigt, daß zumindest zum Untersuchungszeit- akzeptiert. Diese von der Stammkolonie aus punkt (1987-1989) der Heterozygotiegrad von oft leichter erreichbaren und heute zahlreich M. vanvouverensis durchaus im Bereich der vorhandenen Alternativhabitate bieten anderen nordamerikanischen Murmeltiere jedoch weder das benötigte Angebot an Nah- lag. Der Polymorphiegrad hingegen war unter rungspflanzen, noch verhindern Lawinen das diesen drei Arten in M. vancouverensis am Wiederaufwachsen dichterer Vegetation. So geringsten. Der gefundene Wert von 18% werden sie praktisch zur Falle für die besagt, daß nur 4 von 22 Loci einen Polymor- Neuankömmlinge, und innerhalb von weni- phismus aufwiesen. Beide Maßzahlen (He und gen Jahren sind derartige Kolonien meist zum P) sind bei M. vancouverensis jedoch deutlich Scheitern verurteilt. Ein weiterer möglicher höher als jene der österreichischen Populatio- Grund für den Niedergang der Population ist nen des europäischen Alpenmurmeltieres M. eine Veränderung der Vegetation durch einen marmota, welche als genetisch verarmt einge- Temperaturanstieg in jüngster Zeit. stuft werden. Das vor 10 Jahren gestartete „Vancouver Unser Ziel war es nun, zusätzliche variable Island Marmot Recovery Project" in Nanaimo Loci für die Verwendung als genetische Mar- (Kanada) versucht, Notmaßnahmen zur Ret- ker zu entdecken. Im Zuge der populationsge- tung des Vancouver Murmeltieres zu organi- netischen Analysen am Alpenmurmeltier sieren. Ziel dieser Bemühungen ist es, (siehe den Beitrag „Genetische Differenzie- zunächst die verbliebene Population zu stabili- rung der Populationen des Alpenmurmeltie- sieren und später durch Aussetzung in geeig- res") wurden Mikrosatellitenloci aus M. neten Arealen für eine weitere Verbreitung marmota isoliert. Mikrosatelliten sind Orte im und Vergrößerung der Population auf 400 bis Genom, die aus einer Aufeinanderfolge zahl- 600 Individuen zu sorgen. Eine wichtige Maß- reicher Kopien eines simplen DNA-Sequenz- nahme ist dabei die Gründung einer ständig motivs (z. B. CACACA) bestehen. Die Zahl kontrollierten Zuchtpopulation in einem der Wiederholungseinheiten eines solchen geschützten Gebiet innerhalb des Strathcona Mikrosatelliten kann variieren, wodurch Provincial Park auf Vancouver Island. Parallel Allele (Varianten des Locus) entstehen, die dazu werden in den Zoos von Toronto und sich in der Länge unterscheiden. Mit Hilfe der Calgary Zuchtversuche in Gefangenschaft PCR-Technik (Polymerase-Kettenreaktion) durchgeführt. Für diese Zuchtprogramme und können die Mikrosatelliten eines Individuums für das weitere genetische Monitoring der isoliert und die Allele aufgrund ihrer Länge Populationen nach den geplanten Wiederaus- identifiziert werden. In der vorliegenden setzungen ist es notwendig, variable Gene als Untersuchung wurde nun getestet, ob die Marker zur Verfügung zu haben. Mit Hilfe die- beim Alpenmurmeltier entdeckten Mikro- ser Marker sollen vor allem Inzucht innerhalb satellitenloci auch beim Vancouver Murmel- der Zuchtlinien sowie der Verlust von Variabi- tier vorhanden sind und als neue variable lität im Genpool der gesamten Art erkannt Marker für genetische Analysen an dieser und vermieden werden. Frühere mittels Allo- bedrohten Tierart verwendet werden können. zymelektrophorese durchgeführte Untersu- Gleichzeitig wurde überprüft, ob sich M. chungen (siehe auch die Beiträge „Genetische marmota und M. vancouverensis in ihrer Varia- Verarmung des Alpenmurmeltieres (Marmota bilität unterscheiden. m. marmota) in Österreich" und „Das Alpen- murmeltier Marmota m. marmota - eine gene- tisch verarmte Tierart") ergaben keinen ein- Methodik deutigen Hinweis auf verringerte Variabilität in den getesteten Individuen (BRYANT 1990). Die Untersuchung umfaßte 21 Individuen Als Maßzahlen für die genetische Variation von M. vancouverensis, dies entspricht etwa werden der Heterozygotiegrad (He) und der einem Viertel der noch verbliebenen Popula- 163 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at tion. Aufgrund der starken Bedrohung der Art passieren, daß die außerhalb der Satellitense- und den daraus resultierenden strengen quenz liegenden Bindungsstellen für die PC.R- Schutzbestimmungen war es selbstverständ- Primer durch Mutationen so verändert sind, lich nicht möglich, Blut- oder Organproben daß keine Primer-Bindung und somit keine für die DNA-Gewinnung zu verwenden. Es PCR-Amplifikation mehr möglich ist. Dies wurde daher eine Form der Probenentnahme kann übrigens auch innerhalb einer Art pas- gewählt, die nur eine geringfügige Beeinträch- sieren. Bei Polymorphismus für eine solche tigung des betroffenen Individuums mit sich Variante bezeichnet man diese Verlustmutan- bringt. Jedem der zu untersuchenden Tiere ten eines Mikrosatellitenlocus als „Nullallele". wurde ein kleines Haarbüschel entfernt und Grundsätzlich kann man davon ausgehen, daß die in den Zellen der Haarwurzeln vorhande- mit abnehmendem Verwandtschaftsgrad zwi- ne DNA als Ausgangsmaterial für die weiteren schen zwei Arten auch die Zahl der gemein- Analysen verwendet. Obwohl dabei nur gerin- sam vorhandenen Mikrosatelliten immer ge Mengen an DNA gewonnen werden kön- geringer wird. Im Fall der 10 aus M. marmota nen, reichen diese aus, um mit Hilfe der PCR- gewonnenen Mikrosatellitenloci waren Methode einzelne Mikrosatellitenloci zu jedoch die Satellitensequenzen in M. vancou- amplifizieren. Einzelheiten über die Single- verensis vorhanden und ließen sich mit den Locus-Mikrosatellitenanalyse sind dem Bei- gleichen PCR-Primern amplifizieren. trag „Genetische Differenzierung der Popula- tionen des Alpenmurmeltieres" zu entneh- Für den zwischenartlichen Vergleich der men. Fünf der als Marker verwendeten Loci Variation wurden diese 10 Loci auch an 22 (MS06, MS41, MS45, MS53 und MS56) Individuen aus einer österreichischen Popula- wurden im Laufe dieser Untersuchungen aus tion des Alpenmurmeltieres untersucht. Bei dem Genom von M. marmota isoliert, zwei dieser Vergleichspopulation aus dem Lech- weitere Loci (Bibl-4 und Bibl-18) wurden von quellengebirge (Westösterreich) handelt es KLINK1CHT (1993) beschrieben. Die drei Loci sich um ein autochthones Vorkommen. Die GS12, GS14 und GS25 schließlich wurden Untersuchung der 3 Mikrosatellitenloci ursprünglich im Genom der Erdhörnchenart MS06, MS41 und MS45 ergab, daß die Varia- Spermophilus columbianus (STEVENS et al. bilität dieser Population den Werten anderer 1997) gefunden und für diese Arbeit in M. autochthoner Populationen entspricht (siehe marmota getestet. Somit standen insgesamt den Beitrag „Genetische Differenzierung der zehn Mikrosatellitenloci für den Vergleich der Populationen des Alpenmurmeltieres"). Die Variation zwischen M. marmota und M. van- Analyse der 7 anderen Mikrosatellitenloci in couverensis zur Verfügung. Voraussetzung für weiteren Populationen von M. marmota ist die Auswahl dieser 10 Loci war Polymorphis- derzeit in Arbeit. mus in zumindest einer Population von M. Die Ergebnisse der Mikrosatellitenanalyse marmota. von M. marmota und M. vancouverensis sind in Tabelle 2 zusammengefaßt. Während sich 7 der 10 Loci in der Population Lechquellenge- Ergebnisse und Diskussion birge von M. marmota als polymorph erwiesen, war dies in M. vancouverensis nur bei 2 Loci Genetische Variation (MS53 und MS56) der Fall. An einem Locus Insgesamt wurden 10 der in M. marmota (MS53) sind beide Arten für die Allele 145 polymorphen Single-Locus-Mikrosatelliten und 147 polymorph, an den anderen Loci auf ihre Verwendbarkeit für Untersuchungen haben die beiden Arten keine gemeinsamen des Vancouver Murmeltieres überprüft. Infol- Allele. Über alle Loci summiert wurden in M. ge der hohen Mutationsrate der Kopienzahl marmota 20 und in M. vancouverensis 14 Alle- kann es vorkommen, daß Mikrosatelliten le gefunden. Die entsprechenden Werte für auch komplett verloren gehen. Oft sind daher den durchschnittlichen Heterozygotiegrad die aus einer bestimmten Art isolierten (H) betrugen 31.5% in M. marmota gegenü- e Mikrosatellitenloci im Genom einer verwand- ber 10.3% in M. vancouverensis. Aus diesen ten Art nicht mehr vorhanden. Es kann auch Zahlen wird deutlich, daß die genetische 164 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Variation von M. vancouverensis niedriger ist verensis den gesamten Genpool der Art als in der Vergleichspopulation von M. mar- betrifft. Aus den Ergebnissen unserer Untersu- mow.. Dabei muß man berücksichtigen, daß chungen ist nicht abzuleiten, wann dieser Ver- die Stichprobe von M. vancouverensis prak- lust der Variation eingetreten ist. Da es sich tisch den Genpool der gesamten Art repräsen- beim Vancouver Murmeltier um eine relativ tiert. Da 21 von maximal 100 überlebenden junge Art handelt, ist es durchaus denkbar, Individuen analysiert wurden, ist die Wahr- daß es im Zuge der Artentstehung zu einem scheinlichkeit gering, daß in den restlichen genetischen Flaschenhals oder zu Driftphä- Vancouver Murmeltieren noch ein größerer nomenen (siehe auch den Beitrag „Geneti- Anteil in der Stichprobe nicht erfaßter Varia- sche Verarmung des Alpenmurmeltieres in tion zu finden ist. Im Gegensatz dazu umfaßt Österreich") gekommen sein könnte. Tat- die Vergleichspopulation Lechquellengebirge sache ist, daß bei dieser Inselart Verbreitung von M. marmota nur einen kleinen Teil der und Individuenzahl von Anfang an einge- Individuenzahl dieser Art. Aufgrund geogra- schränkt waren, was Drifteffekte begünstigen phischer Differenzierung der Populationen ist könnte. Da die Ende der 80er Jahre durch- zu erwarten, daß die Variation auf das gesamte geführten Allozymuntersuchungen keinen Verbreitungsgebiet bezogen wesentlich höher eindeutigen Hinweis auf reduzierte Varia- ist. Von drei Loci (MS06, MS41 und MS45) bilität ergaben, könnte man eventuell einen liegen bereits Daten aus acht zusätzlichen Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der Populationen vor (siehe Beitrag „Genetische Population in den vergangenen zehn Jahren Differenzierung der Populationen des Alpen- vermuten. Bei genauerer Betrachtung ist diese murmeltieres"), wobei insgesamt 13 Allele Erklärung allerdings höchst unwahrschein- entdeckt wurden. Diesen stehen in M. lich. Verlust von Variation tritt dann ein, vancouverensis nur 3 Allele (alle drei Loci wenn entweder eine drastische Reduktion der waren monomorph) gegenüber. In der noch Population auf wenige Individuen zu einem laufenden Untersuchung aller 10 Loci in Flaschenhalseffekt führt, oder eine kleine zusätzlichen Populationen von M. marmota Population über einen längeren Zeitraum konnten bis jetzt 35 verschiedene Allele starker genetischer Drift ausgesetzt ist. Die unterschieden werden, wobei die Entdeckung Individuenzahl von M. vancouverensis jedoch weiterer Allele wahrscheinlich ist. Nimmt verringerte sich im Beobachtungszeitraum seit man dennoch die Zahl 35 als Minimalschät- 1984 kontinuierlich von 350 auf 100 Indivi- zung der Gesamtvariation, so ist die Anzahl duen, sodaß ein plötzlicher Variationsverlust verschiedener Allele mehr als doppelt so hoch durch Flaschenhalseffekt auszuschließen ist. wie in M. vancouverensis (14 Allele). Für langfristigen Variationsverlust durch Drif- teffekte wiederum war der Zeitraum zu kurz. Als positives Ergebnis dieser Untersu- Daher ergibt sich die Diskrepanz zu den chung ist die Entdeckung zweier polymorpher Enzymdaten möglicherweise daraus, daß es Loci zu werten, die als genetische Marker für sich bei den 4 variablen Enzymgenen um Zuchtversuche und Populationsanalysen balancierte Polymorphismen handelt, die geeignet sind. Die Suche nach weiteren varia- durch Selektionsdruck erhalten bleiben (z. B. blen Mikrosatelliten erscheint somit trotz der durch Heterozygotenvorteil). Die Mikro- nachgewiesenen genetischen Verarmung satelliten hingegen repräsentieren neutrale nicht aussichtslos. Die hier angewandte (nicht durch selektive Kräfte gesteuerte) Methode der DNA-Gewinnung aus Haaren ist Variation, geben aber damit eher die durch- für die Tiere wesentlich schonender als die schnittliche Situation des Genpools der Art Blutabnahme, wie sie für Enzymanalysen not- wieder. wendig wäre. Die technischen Voraussetzun- gen für den Aufbau eines genetischen Moni- toring-Systems für die Population wären also Überlebenschancen gegeben. Wie steht es nun mit den Überlebens- Negativ zu sehen ist sicher die reduzierte chancen des Vancouver Murmeltieres? Die Variabilität, welche im Falle von M. vancou- genetische Verarmung kann kurzfristig zu 165 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at einer zusätzlichen Bedrohung werden, wenn es genügend große Fläche von geschützten Area- durch Fixierung nachteiliger Allele zu len für die Wiederansiedelung bereitgestellt Inzuchtdepression kommt. Ein langfristiger wird, sind alle Rettungsmaßnahmen langfri- Effekt wäre die Verringerung des genetischen stig zum Scheitern verurteilt. Die Sicherung Potentials und damit der evolutionären Flexi- des Lebensraumes wäre demnach die vordring- bilität, der Anpassungsfähigkeit an sich liche Aufgabe, gegenüber der die Erhaltung ändernde Bedingungen (PRIMACK 1993). Dies der genetischen Variabilität in der akuten ist besonders zu beachten, falls sich bei weite- Situation eher als Nebenaspekt zu bewerten rem Absinken der Individuenzahlen der Trend ist. zur Verminderung der Variabilität fortsetzen sollte. Daß Arten bzw. Populationen sich auch Danksagung nach einem drastischen Flaschenhals trotz Variabilitätsverlust erholen und wieder aus- Die vorliegende Arbeit wurde vom FWF breiten können, ist durch zahlreiche Beispiele im Rahmen des Projektes P11840-GEN geför- von verschiedenen Säugetierarten belegt (z. B. dert. Unser besonderer Dank gilt I. GERSTL Nördlicher See-Elefant, Löwe, Gepard). Auch und E. KEHRER für ausgezeichnete technische beim Alpenmurmeltier waren Wiederansiede- Unterstützung. lungen, trotz Foundereffekten bei den Ausset- zungen und damit verbundener Reduktion der Zusammenfassung Variabilität, erfolgreich und haben zum Auf- bau stabiler Populationen geführt. Wenn es M. vancouverensis hat während der ver- daher auch angebracht erscheint, bei den gangenen 10 Jahre einen dramatischen Ein- Zucht- und Wiederansiedelungsbemühungen bruch der Populationsgröße erfahren. Um die- genetische Aspekte mit zu berücksichtigen, se Art vor dem Aussterben zu bewahren, wur- um die fortschreitende Verringerung der de ein Rettungsprogramm gestartet, welches Variabilität zu stoppen, ist das vordringliche die Nachzucht in Gefangenschaft, Wiederan- Hauptziel die Erhaltung der verbliebenen siedelungen und die Wiederherstellung stabi- Population. ler Populationen in geeigneten Habitaten beinhaltet. Zu diesem Zweck wäre es hilfreich, Das Konzept der „minimal viable populati- genetische Marker für die Überprüfung der on" (MVP = kleinste lebensfähige Populati- Populationsentwicklung zu haben, speziell in on) besagt, daß eine bestimmte Mindestindi- Hinblick auf die Vermeidung von Inzucht und viduenzahl vorhanden sein muß, um das Über- den Verlust von Variabilität. Zusätzlich ist es leben der Population über einen längeren wichtig, grundlegende Informationen über Zeitraum trotz zufälliger oder umweltbedingter den gegenwärtigen genetischen Status der ver- Schwankungen zu garantieren. Definiert ist bliebenen Population zu erhalten. die MVP als jene Populationsgröße, bei der die Überlebenswahrscheinlichkeit über eine Peri- In den letzten Jahren hat unsere Arbeits- ode von 1000 Jahren 99% beträgt. Die MVP gruppe Populationsanalysen am Alpenmur- ist artspezifisch und hängt von vielen Fakto- meltier (M. marmota) im gesamten ostalpinen ren (z. B. Fortpflanzungsrate, Generationsdau- Verbreitungsgebiet dieser Art durchgeführt. er, Schwankungsbreite der Populationsgröße) Zehn in M. marmota polymorphe Mikrosatel- ab. Für Säuger wird hierbei eine Individuen- litenloci wurden auch in 21 Individuen von zahl von 500 als Richtwert angegeben, eine M. vancouverensis getestet. Wegen der stren- Zahl die beim Vancouver Murmeltier bereits gen Schutzbestimmungen für diese Art wur- deutlich unterschritten ist. Im Vordergrund den Haarwurzelproben als Ausgangsmaterial aller Bemühungen muß daher zunächst auf für die DNA-Extraktion verwendet. Die jeden Fall die Erhaltung der in höchstem Mikrosatelliten wurden mittels PCR amplifi- Maße gefährdeten Restpopulation stehen. Das ziert. Die Zahl der Allele wie auch der Hetero- größte Problem für die in weiterer Folge ange- zygotiegrad waren in M. vancouverensis deut- strebte Aufstockung der Population auf 400 lich niedriger. Eine Verarmung des Genpools bis 600 Individuen stellt jedoch das Fehlen stellt somit neben der abnehmenden Populati- geeigneter Habitate dar. Solange nicht eine onsgröße eine zusätzliche Bedrohung dar. Als 166 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Hauptproblem für die Erhaltung der Art ist Literatur jedoch der Mangel an geeigneten Habitaten BRYANT A.A. (1990): Genetic variability and minimum anzusehen. viable populations in the Vancouver Island mar- mot (Marmota vancouverensis). — M.E.Des. Thesis, University of Calgary, Calgary, Kanada. Patenschaft für ein Vancou- BRYANT A.A. (1997): Status report on species at risk in ver Murmeltier Canada: Vancouver Island marmot (Marmota vancouverensis). — Cosewic, Ottawa, Kanada. Das „Vancouver Island Marmot Recovery BRYANT A.A. & D.W. JANZ (1996): Distribution and Project" organisiert Erhaltungsmaßnahmen abundance of Vancouver Island marmots (Mar- für diese vom Aussterben bedrohte Art. Mit mota vancouverensis). — Can. J. Zool. 74: 667- 677. einer Spende von $ 100.- ist es möglich, die KLINKICHT M. (1993): Untersuchungen zum Paarungs- Patenschaft für eines der noch existierenden system des Alpenmurmeltieres, Marmota m. Tiere für ein Jahr zu übernehmen. marmota (LINNE, 1758), mittels DNA-Fingerprin- ting. — Dissertation, Ludwig-Maximilians-Uni- Nähere Auskünfte sind über das Internet versität, München, Deutschland. (www.islandnet.com/~marmot) oder über Dr. KRUCKENHAUSER L, PINSKER W., HARING E. & W. ARNOLD A.A. BRYANT (Nanaimo, Kanada; genaue (1999): Marmot phylogeny revisited: molecular Adresse siehe Anschrift der Verfasser) zu evidence for a diphyletic origin of sociality. — J. erhalten. Zool. Syst. Evol. Research 37: 49-56. NAGORSEN D.W. (1987): Marmota vancouverensis. — Mammalian Species 270: 1-5. PRELEUTHNER M. & W. PINSKER (1993): Depauperated gene pools in Marmota m. marmota are caused by an ancient bottle neck: electrophoretic ana- lysis of 15 wild populations from Austria and Switzerland. — In: HARTL G.B. & J. MARKOWSKI (Eds.), Ecological genetics in mammals I, Acta theriol. 38, Suppl. 2: 121-139. PRIMACK R.B. (1993): Essentials of conservation biolo- gy. — Sinauer, Sunderland, USA. SCHWARTZ O.A. & K.B. ARMITAGE (1980): Genetic varia- tion in social mammals: The marmot model. — Science 207: 665-667. STEVENS S., COFFIN J. & C. STROBECK (1997): Microsatelli- te loci in Columbian ground squirrels Spermo- philus columbianus. — Mol. Ecol. 6: 493-495. WRIGHT J., TENNANT B.C. & B. MAY (1987): Genetic variation between woodchuck populations with high and low prevalence rates of woodchuck hepatitis virus. — J. Wildl. Dis. 23: 186-191. 167 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Anschriften der Verfasser: Mag. Luise KRUCKENHAUSER Ao.Univ-Prof. Dr. Wilhelm PlNSKER Institut für Medizinische Biologie, AG Allg. Genetik Medizinische Fakultät der Universität Wien Währingerstr.10 A-1090 Wien Austria e-mail: [email protected], [email protected] Dr. Andrew A. BRYANT Vancouver Island Marmot Recovery Project 108 Fifth Street Nanaimo, B.C., V9R 1N2 Canada e-mail: [email protected] 168

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