Franz Bruno Hofmann Die Lehre yom Raumsinn des Auges Reprint Springer-Verlag Berlin· Heidelberg· New York 1970 Reprint aus "Handbuch der gesamten Augenheilkunde" (GRAEFE/SAEMISCH) 2. Auf!. Band III (Physiologische Optik), Kap. XIII -Teil1 (1920) und Teil 2 (1925) Verlag von Julius Springer Berlin ISBN-13: 978-3-642-86307-3 e-ISBN-13: 978-3-642-86306-6 001: 10.1007/978-3-642-86306-6 Das Werk ist urheberrechtiich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte. insbesondere die der Ubersetzung. des Nachdrucks. der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung. der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ahnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben. auch bei nur auszugsweiser Verwertung vorbehalten. Bei Vervielfiiltigungen fiir gewerbliche Zwecke ist gemaB §54 UrhG eine Vergiitung an den Verlag zu zahlen. deren Hohe m~ dem Verlag zu vereinbaren ist. © Copyright 1919 and 1925 by Julius Springer in Betin Softcover reprint ofthe hardcover 2nd edition 1925 Library of Congress Catalog Card Number 79-104041 Helnummer 1175 Kapitel Xlll Die Lehre yom Raumslnn Von F. B. Hofmann Mit 155 Figuren im Text und 1 Tafel Erster Teil l'Ieite L Einleitung . . . . . . . . 1 lI. Die relative Lokalisation im eben en Sehfeld 8 1. Die Irradiation. • . • . . . 8 2. Das Auflosungsvermogen des Auges. . 19 a) Allgemeines und Methodik . . . . . 19 bj Die Wahrnehmung einzelner Punkte und Linien. 23 c) Sonderung mehrerer Punkte, Linien und Fllichen voneinander 28 d) Sehschiirfe und Formensehen. . . • . . . . . . . . 34 el Die Abhiingigkeit der Sehschiirfe von der Beleuchtung 38 f} Das Auflosungsvermogen tier Netzhautperipherie. . . 48 g) Die Sehschiirfe des SchieJauges. . . . . . . . . . . 53 3. Die Feinheit des optischen Raumsinns nach Hohe und Breite. 55 4. Die Beziehungen der Raumschwelle und des Auflosungsvermogens zu den Elementen des Perzeptionsapparates 58 5. Vergleich von Richtungen und Winkeln 71 6. Das Augenma13. . . . . . . 81 7. Das Formensehen . . . . . . . . . 92 8. Die Gestaltwahrnehmungen a) Allgemeines und Metamorphopsien 104 b) Die geometrisch·optischen Tiiuschungen . 112 Ubersicht der wichtigsten Tiiuschungen 113 Erkliirungsversuche. . . . . . . . . 123 A. Annahme peripheren Ursprungs der geometrisch -optischen Tiiuschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 B. Annahme zentraler Ursachen der geometrisch -optischen Tiiuschungen. . . . . . . . . . . . . . , . . . . 130 9. EinfluB der Erfahrung auf die Lokalisation im ebenen Sehfeld. 142 10, Die Verteilung der Raumwerte auf der Einzelnetzhaut 164 11. Die Ausfiillung des blinden Flecks. 190 Literatur .............. , 198 Zweiter Teil III. Netzhautkorrespondenz ....... . 215 1. Das binokulare Sehfeld. . . . . . . . . 215 2. Bestimmung der korrespondierenden Netzhautstellen 217 3. Der Horopter. , . . . . . 225 4. Die Sehrichtungen . . . . . . . . . . . 230 o. Theorie der Korrespondenz . . 236 6. Unterscheidbarkeit rechts- und links1iugiger Eindriicke 255 IV InhaItsverzeichnis. Selte IV. Augenbewegungen . . . . . . . . . . . . . 259 1. Allgemeines. Der Drebpunkt des Auges. . . 259 2. Das Listingsche Gesetz der Augenbewegungen 265 3. Die Wirkung der einzelnen Augenmuskeln . 279 4. Das Blickfeld. . . . 289 o. Innervation der Augenmuskeln . . . 296 a) Aligemeines . . . . . . . . . . . 296 b) Die Zentren der Blickbewegungen. 304 c) Fusionseinstellung und Fusionsbewegungen 312 dl Echte Reflexe und Tonus der Augenmuskeln 320 e) Die Regulierung der Augenbewegungen 343 V. Die Ricbtungslokalisation 361 VI. Die Tiefenlokalisation. . . . . . . . 411 1. Die relative Tiefenlokalisation 411 2. Die Abstandslokalisation (absolute Tiefe) 466 3. Sehferne und SebgroBe. . . . . . . . 489 4. Haploskopie und Stereoskopie. . . . . 520 VII. Bewegungssehen und Gestalttheorie . 537 VIII. Der optische Raumsinn im Verband des Gesamtorganismus 592 Litera tur . . . . 613 Berichtigungen. 663 Sachverzeichnis 664 I. Einleitnng. Alltaglich konnen wir uns davon iiberzeugen, daB wir die Gegenstande unserer Umgebung durchaus nicht immer in der Form und in der raum lichen Anordnung sehen, die ihnen nach der Gesamtheit unserer Erfah rungen »wirklichc zukommt. Besonders auffallende Unterschiede ergeben sich daraus, daB uns aIle Dinge, wenn wir sie aus sehr groBer Entfernung sehen, viel kleiner erscheinen, als in der Nahe. An Objekten, die sich weit nach der Tiefe zu erstrecken, stimmen infolgedessen auch die sicht baren GroBenverhaltnisse der einzelnen Teile nicht mit den wirklichen iiber ein. So ragen ferne Bergriesen iiber die nahen Vorberge scheinbar nur ganz wenig hinaus, obwohl sie sie in Wirklichkeit an Hohe weit iibertreffen. Daher sehen wir die Formen eines nahen Gebirgszuges yom Tale aus ganz falsch. Die Schienenstrange einer langen geraden Eisenbahnstrecke, auf der wir stehen, scheinen gegen die Ferne zu zusammenzulaufen usf. Wir miissen demnach einen Unterschied machen zwischen den wirklichen Ob jekten und den Gesichtswahrnehmungen, die durch sie hervorgerufen wer den, und die wir nach HERING die »Sehdingec 1) nennen. Die Gesamt heit aller gleichzeitig wahrgenommenen Sehdinge bildet den subjektiven Sehraum oder das Sehfeld. Ihm entspricht im objektiven Raum das Gesichtsfeld, d. i. jener Teil des wirklichen Raums, der uns bei einer gegebenen Augenstellung gleichzeitig sichtbar ist. Der Unterschied zwischen den raumlichen Eigenschaften des auBeren Objekts und des ihm entsprechenden Sehdings, zwischen dem objektiven Gesichtsraum und dem subjektiven Sehraum, reicht aber noch weiter, als es die oben angefiihrten Beispiele zeigen, die bloB die vielfachen Wider spriiche zwischen beiden veranschaulichen. Wenn wir einen MaBstab an ein Objekt anlegen und seine Ausdehnung messen, so kennen wir zwar das objektive MaB des Gegenstandes, aber damit ist gar nichts dariiber aus gemacht, wie groB wir nun den MaBstab und das mit ihm gemessene Ob jekt subjektiv sehen. Beide konnen uns je nach den Umstanden ver- l) Eine sehr eingehende Zergliederung dieses Begriffes findet man bei H. HOF- 1I1ANN (!!O). Die damit zusammenhangenden erkenntnistheoretisehen Fragen gehBren nieht mehr zu unserem Thema. Hofmann, Physioiogische Optik !Raumsinn). I. 2 Physiologische Optik. schieden groB erscheinen. Man blicke mit einem Auge, wahrend das andere geschlossen ist, gegen ein mehrere Meter entfemtes Fenster und halte nun einen Finger so nahe vor das sehende Auge, daB man angestrengt auf ihn akkommodieren muB. Sob aId man dies tut, schrumpft das Fenster zu sammen und erscheint viel kleiner, als wenn man es ohne Akkommodations anstrengung betrachtet. Gerade so verhalt sich natiirlich auch ein MaB stab, der gleichzeitig an das Fenster angelegt ist. Das objektive MaB des Fensters sagt uns also nichts dariiber, wie groB uns sowohl der MaBstab, als das mit ihm gemessene Objekt - das Fenster - subjektiv erscheint, d. h. das raumliche MaB der Objekte gibt uns noch keineswegs zugleich ain Mall fiir die GroBe der Sehdinge. Daher wissen wir auch nicht, ob andere Menschen diE\ Gegenstande alle gleich groB sehen, wie wir, oder ob sie ihnen etwa alle stets groBer oder kleiner erscheinen, als uns. Ware das letztere der Fall, so wiirden wir es in keiner Weise merken. Was von anderen Menschen gilt, trifft natiirlich auch fUr den Vergleich mit dem Sehen der Tiere zu. Man hat friiher das leichte Scheuen der pferde darauf zuriickfUhren wollen, daB sie alle Gegenstande viel groBer sahen, als der Mensch, aber diese Erklarung ist ganz unhaltbar (vgl. v. MADAY (~2). S. ~ 5 ff.). Nachweisbar sind bei uns, wie an Anderen, nur Anderungen im sub jektiven MaBstabe des Sehfeldes. An uns selbst konnen wir sie subjektiv durch Vergleich mit friiheren Erfahrungen feststeIIen, wie in dem oben an gefiihrten Versuch mit dem Fenster. Bei Anderen sind wir im allgemeinen ebenfalls auf solche Vergleiche und die Aussagen der Personen dariiber angewiesen. Manchmal auBert sich die Anderung des subjektiven GroBen maBstabes aber auch objektiv, z. B. beim Schreiben. Nehmen wir an, eine Person sehe zeitweilig alle Gegenstande betrachtlich groBer als vorher, soo werden ihr auch die Buchstaben beim Schreiben, die mit dem friiher ge wohnlich gebrauchten AusmaB von BewegungsgroBe ausgefiihrt sind, jetzt viel zu groB erscheinen. Um sie wieder auf die gewohnte scheinbare GroBe zu bringen, muB sie dieselben nunmehr kleiner machen, als vorher, mit der Makropsie ist eine Mikrographie verbunden. Voraussetzung dafiir ist aller dings, daB sich die Person beim Schreiben mehr vom Gesichtssinn lei ten liiBt, als von den Sinneseindriicken, die sie von der schreibenden Hand empfangt. In dieser Beziehung sind besonders belehrend die von A. PICK (23), FISCHER (48,49), LIEBSCHER (24) und SITTIG (24; hier weitere Literatur) mit geteilten FaIle von Makropsie mit Mikrographie bei Hysterischen. Es liiBt sich voraussehen, daB dieselben Erscheinungen, wie beim Schreiben, auch beim Zeichnen in natiirlicher GroBe und bei plastischen Nachbildungen, iiber haupt bei allen ,. Herstellungsarbeiten auftreten wiirde, freilich nur dann, c wenn der Gesichtssinn bei der Ausfiihrung leitend ist, und wenn sie sich auf die Wiedergabe von Gegenstanden aus dem Gedachtnis beschranken. I. Einleitung. 3 Bei der Nachbildung von Gegenstiinden der sichtbaren Umgebung stimmt ja der subjektive MaBstab fUr die Vorlage und die Nachbildung miteinander iiberein. Diese wiirden also richtig wiedergegeben werden, trotzdem sie der Person im angefiihrten FaIle von Makropsie zu groB erscheinen. Solcbe Untersuchungen, die meines Wissens noch nicbt angestellt worden sind, wiirden die hier besprochenen Zusammenhiinge zwischen scheinbarer und »wirklicherc GroBe sebr gut veranschaulichen. Sie wiirden namentlicb an schaulicb die Beschriinkung aufzeigen, die uns in bezug auf das Erkennen der RaumgroBen auferlegt ist. Ne hmen wir an, ein anderer batte von jeher alles viel groBer geseben, als wir, so wiirden ihm auch seine Be wegungen entsprechend groBer erseheinen, er wiirde sich gewohnt haben, mit einem kleineren AusmaB von Bewegung die Vorstellung einer viel groBeren Strecke zu verkniipfen 1). Wir wiirden also die abweichende GroBen sehatzung aus seinen Bewegungen nicht erkennen, und aueh sonst konnte er es uns in keiner Weise mitteilen, daB ihm alles viel groBer erscheint, als uns. Die GroBe der Sehdinge ist also eine subjektive Reaktion unseres Sehorgans auf den auBeren Reiz, die individuell variieren kann und ob jektiv nicht meBbar ist. Nach dem Gesagten ist ein Vergleich der absoluten GroBe der Seh dinge mit einer gedacbten »wirklichenc GroBe der Objekte unmoglichj wir konnen nur die GroBenverhaltnisse der Sehdinge und ihre gegenseitige Lage vergleichen mit den GroBenverhaltnissen und der gegenseitigen Lage der ihnen entsprechenden auBeren Objekte. Wir bezeichnen die scheinbare gegenseitige Lagerung der Sebdinge, in der aucb die scheinbare Form und die GroBenverhaltnisse derselben mit inbegriffen sind, als die relative optische Lokalisation. Unter den Sehdingen zeiehnen sich die sichtbaren Teile unseres eigenen Korpers dadurch aus, daB sich in ihnen die riiumlichen Daten, die wir vom Gesichtssinn erhalten, mit denen der Hautsinne, der Sensibilitat der tiefen Teile und vom statisehen Organ zum Vorstellungsbilde unseres Leibes ver bind en. Dieser unterscheidet sich ferner von allen iibrigen Sehdingen dadurcb, daB seine Lage und Bewegung ganz unmittelbar an ·unsere willkiirlichen Innervationen gekniipft sind. Dadureh hebt er sich als das .Iche von der fremden Umgebung abo Das leibliehe Ieh nimmt als Objekt einen bestimmten Platz im wirk lichen Raum ein. Wir konnen es zum Anfang eines rechtwinkeligen raum- 4) Solange sieh diese gegenseitige Anpassung noeh nieht hergestellt hat, konnen allerdings die optisehe und die taktile GroJ3ensehatzung voneinander dif ferieren. Beachtenswert ist in dieser Beziehung besonders die Angabe mehrerer operierter Blindgeborener, daJ3 ihnen die siehtbaren Gegenstaode im Anfang auf fiUlig groB ersehienen. * 1 4 Physiologisehe Optik. lichen Koordinatensystems machen, wobei wir zuniichst den einfachsten Fall zugrunde legen, daB sich Rumpf und Kopf in aufrechter Lage befinden und der Kopf geradeaus nach vorn - in der sogenannten Primiirslellung - stehl. Als erste Ebene des rechtwinkeligen Koordinatensystems nehmen wir dann die gemeinsame sagittale Medianebene des Kopfes und Rumpfes, die in diesem Falle vertikal steht und die im wirklichen Raume nach rechts und links gelegenen Objekte voneinander scheidet. Als zweite Koordinaten ebene nehmen wir die durch die Drehpunkte der beiden Augen gelegte Horizontalebene. Wir nennen sie die horizontale Hauptebene oder den Augenhorizont. Sie trennt die im objektiven Raum nach oben und nach unten von unseren Augen befindlichen Gegenstiinde. Die dritte Koordinaten ebene ist die durch die Drehpunkte der beiden Augen gelegte Vertikal ebene, die frontale Hauptebene. Sie trennt im objektiven Raum die vor und hinter uns liegenden Gegenstiinde voneinander. Da sich das bin okulare Gesichtsfeld beim Blick geradeaus nach auBen hin gewohnlich nur wenig iiber 90° erstreckt, verliiuft die frontale Hauptebene dicht an der hinteren Grenze desselben und die allermeisten sichtbaren Gegenstiinde Jiegen nach vorn von ihr. Rechts und links von der Medianebene Hegen die ihr parallel verlaufenden seitlichen Sagittalebenen, nach oben und unten yom Augenhorizont die ihm parallelen Horizontalebenen, nach vorn von der fron talen Hauptebene die frontalparallelen Ebenen. Von diesen Ebenen im wirklichen Raum unterscheiden wir nun die subjektiven Sagittal-, Horizontal- und frontalparallelen Ebenen im Seh raum. Die subjektive Medianebene, der subjektive Augenhorizont und die Frontalebene, in der uns unser Kopf zu Hegen scheint, Hefern uns ein Bezugssystem, das im Sehfeld ebenso zur Orientierung dient, wie das ent sprechende objektive Koordinatensystem im wirklichen Raum. Wir bezeich nen die Lokalisation der Medianebene, des Augenhorizontes und der Frontal ebene unseres Kopfes, sowie die Lagebestimmung der Sehdinge in bezug auf diese Ebenen als die a b sol ute L 0 k a lis a t ion 1). Wie zwei Seh dinge gegeneinander gelagert sind, ist also nach dieser Definition eine Frage der relativen optischen Lokalisation. Ob aber ein Gegenstand gerade vor uns in der Medianebene, oder nach rechts oder links von ihr - in AugenhOhe oder darunter oder daruber zu Hegen scheint, ob er nahe vor uns oder weit weg erscheint, das alles fallt unter die absolute Lo kalisation. i) Der Ausdruek absolute Lokalisation bezieht sieh hier aussehlieJ3lich auf die Orientierung im subjektiven Sehraum und hat niehts zu tun mit der Frage naeh der .Existenz eines wirkliehen .absoluten Raumes«. Auch ist bei den obigen Aus einandersetzungen immer ruhige aufreehte Korperbaltung und Primlirstellung des Kopfes vorausgesetzt. Wie sieh die optisehe Lokalisation bei anderen Lagen des Kopfes und bei Bewegungen verhlilt, wird spater zu bespreehen sein. I. Einleitung. 5 Absolute und relative Lokalisation hangen eng mileinander zusammen. Das zeigt sich, wie wir spater sehen werden, besonders in der Lokalisation nach der Tiefe. Der gleiche innige Zusammenhang besteht aber auch zwischen der absoluten und relativen Lokalisation nach Hohe und Breite, ja in gewissen Fallen lassen sich absolute und relative Lokalisation nach Hohe und Breite sogar schwer voneinander trennen. Wenn wir unter suchen, unter welchem Winkel sich zwei Striche schneiden miissen, um als rechtwinkeliges Kreuz zu erscheinen, so ist das eine Frage der relativen Lokalisation, denn es handelt sich dabei bloll um das gegenseitige Lage verhaltnis der Sehdinge untereinander. Wenn wir aber fragen, wie ein Strich liegen mull, um uns vertikal, und wie ein anderer verIaufen mull, um uns horizontal zu erscheinen, so bewegen wir uns im Gebiete der abso luten Lokalisation. Wenn nun aber die Striche, die uns horizontal und vertikal erscheinen, in Wirklichkeit keinen rechten Winkel miteinander bil den, so ist dies gleichzeitig auch eine Angelegenheit der relativen Lokali sation. Vergleichen wir die absolute Lokalisation im Sehraum mit der Lage rung der Objekte im wirklichen Raum, so konnen wir, so we it es sich um den Abstand der Nebenebenen des Bezugssystems von den Hauptebenen desselben handelt, aueh hier nur GrollenverhaItnisse feststellen. Das Bezugssystem selbst aber ermoglicht dariiber hinaus zu vergleichen, ob die wirkliche Lage der Hauptebenen durch den Gesichtssinn richtig wieder gegeben wird, oder niehl. Wir konnen demnach bestimmen, ob wir die in der wirklichen Medianebene liegenden Gegenstande auch gerade vor uns sehen. Wenn dies nicht der Fall ist, so konnen wir die Ebene im objektiven Raum feststellen, die uns subjektiv median zu liegen scheint. Wir nennen sie die seheinbare Medianebene. Ihre Abweichung von der wirklichen Medianebene konnen wir objektiv messen, und wir erhalten da durch ein wirkliches Mall fiir die Abweichung der scheinbaren von der wirklichen Medianebene im objektiven Raum. Das Gleiche gilt vom sehein baren und wirklichen Augenhorizonl. Wir werden uns im Folgenden zunachst mit der relativen Lokalisation nach Hohe und Breite beschiiftigen, wahrend wir die Lokalisation nach der Tiefe erst spater erortern wollen. Bei den Untersuchungen der Hohen und Breitenlokalisation miissen wir aber wegen des Einflusses, den die Tiefenlokalisation auf die scheinbare GroBe der Objekte ausiibt, den schein baren Tiefenabstand der Gegenstande vom Beobachter mit beriicksichtigen Wir untersuchen daher die Lokalisation nach Hohe und Breite zunachst in dem einfachen Falle, dall die Gegenstande, die wir zur Untersuchung be niitzen, in einem eben en , frontalparallelen Sehfelde zu liegen scheinen. Das wird beim binokularen Sehen dann erreicht, wenn sich die sichtbaren GegensUinde im Langshoropter befinden. Dieser bildet aber nur bei einer 6 Physiologische Optik. gewissen mittleren Entfemung eine ebene FUiehe, diesseits und jenseits dieses Mittelwertes sieht eine wirklieh ebene FUiehe gekriimmt aus. Soweit dies einen Fehler verursaeht, kann man ihm dadureh entgehen, daB man bloB mit einem Auge beobaehtet. Beim einaugigen Sehen treten die em pirisehen Motive der Tiefenlokalisation in den Vordergrund. In diesem Falle Mnnen wir daher die optisehe Lokalisation in gleiehen Tiefenabstand dadureh siehem, daB wir die dem einen Auge allein siehtbaren Objekte auf einer frontalparallelen ebenen Flaehe anbringen. Nur muB dann aueh der Hintergrund, von dem sie sieh abheben, als frontalparallele Ebene ge sehen werden, die Flaehe darf also nicht etwa infolge einseitig absehat tierter Beleuchtung schrag zu liegen scheinen. Die Moglichkeit, die Sehdinge an verschiedene Orte des Sehraums zu lokalisieren, ist dadurch gegeben, daB das von den auBeren Objekten ausgehende Licht als Reiz auf differente Stellen eines raumlieh ausge dehnten Sinnesapparates einwirkt, zunachst auf das flachenhaft ausgebreitete Sinnesepithel der Netzhaut, dessen Erregungen durch die angeschlossene nervose Leitung den zugehorigen Himteilen zugefiihrt werden. Den einzel nen Orten des subjektiven Sehfeldes korrespondieren also riiumlich ge sonderte Stell en des optischen Sinnesapparates - nieht bloB der Netz haut -, deren Gesamtheit wir mit HERING als das somatische Sehfeld bezeichnen. Wenn wir daher den Beziehungen zwischen den raumlichen Verhii.1tnissen im wirklichen oder objektiven Gesichtsfeld und der subjek tiven Lokalisation im Sehfeld nachgehen wollen, so werden wir zunachst irhmer das Verhiiltnis der Lage der auBeren Objekte zu den Teilen des somatischen Sehfeldes zu beriicksichtigen haben. Auch hier besprechen wir wiederum zuerst die einfaehsten Verha1tnisse, die beim Sehen mit einem Auge in bezug auf die Lokalisation Bach Hohe und Brehe im ebenen Seh feid obwalten. Dabei sind im allgemeinen beziiglich des Zusammenhanges zwischen dem Lichtreiz, den Vorgangen im somatischen Sehfeid und den damit ein hergehenden BewuBtseinsvorgangen, dem Sehen von Gegenstanden, folgende Satze der Nervenphysiologie zu beachten. Man hat zunachst streng zu unterscheiden den auBeren Reiz und den durch ihn im Nerven ausgelosten Vorgang der Nervenerregung. Es ist nicht zulassig zu sagen, der Reiz pflanze sich im Nerven fort, vielmehr ist de:r Vorgang, der im Nerven forl geleitet wird, wie wir heute mit gutem Grunde annehmen, ein Stoffweehsel prozeB, der mit dem auBeren Reiz nichts Gemeinsames hat. Aueh wird dabei nieht die Energie des Reizes nach konstanten Aquivalenten in die des Erregungsvorganges umgesetzt. Es erscheint also im Sehorgan nicht etwa die Energie des Liehtstromes oder eines Teiles desselben nach der Reizung in Form einer hypothetischen »Nervenenergie c wieder, vielmehr lost der auBere Reiz den ProzeB der Nervenerregung bloB aus. fibrigens