Die Legitimation der Einzelherrschaft im Kontext der Generationenthematik ≥ Beiträge zur Altertumskunde Herausgegeben von Michael Erler, Dorothee Gall, Ernst Heitsch, Ludwig Koenen, Clemens Zintzen Band 251 Walter de Gruyter · Berlin · New York Die Legitimation der Einzelherrschaft im Kontext der Generationenthematik Herausgegeben von Thomas Baier in Zusammenarbeit mit Marilena Amerise Walter de Gruyter · Berlin · New York (cid:2)(cid:2) GedrucktaufsäurefreiemPapier, dasdieUS-ANSI-NormüberHaltbarkeiterfüllt. ISBN 978-3-11-020362-2 ISSN 1616-0452 BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschen Nationalbibliografie;detailliertebibliografischeDatensindimInternet überhttp://dnb.d-nb.deabrufbar. (cid:2) Copyright2008byWalterdeGruyterGmbH&Co.KG,D-10785Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro- verfilmungenunddieEinspeicherungundVerarbeitunginelektronischenSystemen. PrintedinGermany DruckundbuchbinderischeVerarbeitung:Hubert&Co.GmbH&Co.KG,Göttingen Inhaltsverzeichnis Vorwort.......................................................................................................7 Sabine Föllinger Genealogie und Herrscherlegitimation in Aischylos’ Persern..................11 Michael Reichel Herrschaftswechsel und Generationenfolge in Xenophons Kyrupädie...........................................................................25 Michael Erler Utopie und Realität. Epikureische Legitimation von Herrschaftsformen..............................................................................39 Flavia Carderi Legittimazione del potere e conflitti generazionali nella Roma degli Scipioni. Il punto di vista di Lucilio..........................................................55 Thomas Baier Cicero und Sallust über die Einzelherrschaft Caesars...............................65 Paolo Monella L’autorità e le sue contraddizioni: Numa nei Fasti di Ovidio...................85 Luciano Landolfi Un’adozione difficile. Tiberio, Caligola e la legittimazione del nuovo princeps........................................................................................109 Valentina Chinnici Nell’officina del tiranno: Seneca e la legittimazione debole del potere monarchico...................................................................................129 6 Inhaltsverzeichnis Antonio De Caro Pone ex animo reges atavos (Tro. 712). Auflösung einer Familie, Sinnbild der Geschichte...........................................................................147 Silvia Stucchi La sentenziosità del potere assoluto e le autogiustificazioni del nefas tirannico in Seneca: l’incombere del pater..............................................175 Jan Radicke Neros Rede vor dem Senat (Tac. ann. 13,4). Zu Programm und Politik der neronischen Regierung in den Jahren 54–62 n.Chr...............199 Ferdinand Stürner Silius Italicus und die Herrschaft des Einzelnen: Zur Darstellung Hannibals und Scipios in den Punica......................................................221 Stefan Schorn Legitimation und Sicherung von Herrschaft durch Kritik am Kaiser. Zum sogenannten zweiten Panegyrikos Julians auf Kaiser Constantius (or. 2 [3] Bidez)........................................................243 Jan Willem Drijvers Imperial Succession in Ammianus Marcellinus......................................275 Peter Bruns Der Monepiskopat im Briefkorpus des Ignatius von Antiochien............295 Marilena Amerise Spirituelle Verwandtschaft als Legitimationskriterium byzantinischer Kaiser in den Briefen des Nikolaos Mystikos.................309 Hans-Joachim Behr des moht er wol gewinnen beide liute unde lant. Legimitation und Herrschaft in epischen Texten des deutschen Mittelalters.......................319 Vorwort Vorwort Die dem Römer geläufige Vorstellung von Legitimität gibt Varro in dem einschlägigen Lemma ‚legere‘ in De lingua Latina 6,66 wieder. Er stellt die etymologisch und semantisch zutreffende Verknüpfung von legitimus zu lex her. ‚Legitim‘ ist demnach, was dem Gesetz entspricht.1 Die Legiti- mität spielt zunächst im Privatrecht eine maßgebliche Rolle. Ob es sich um Eheschließungen, die aus einer Ehe hervorgegangenen Kinder, Adoptionen oder Erbsachen handelt, jeweils beruht deren Legitimität auf rechtlich nachprüfbaren Voraussetzungen und zieht bestimmte Rechtsfolgen nach sich. Allerdings eignet dem Adjektiv legitimus wie auch dem deutschen Fremdwort „legitim“ im allgemeinen Sprachgebrauch eine gewisse Un- schärfe, und es ist keineswegs auf den Bereich des Privatrechts beschränkt. Mommsen stellt fest: „In allgemeiner Geltung kommt das Prädikat legiti- mus, d.h. gesetzlich, jeder Einrichtung zu, welche der öffentlichen Rechts- ordnung entspricht, ohne Unterschied, ob dieses oder jenes Gesetz in das Auge gefaßt wird, oder auch nur an die staatliche Ordnung allgemein ge- dacht wird.“2 Wo der öffentliche Bereich zur Sprache kommt, bedeutet legitimus dann oftmals lediglich „rechtmäßig nach allgemeinem Dafürhal- ten“.3 In der elften Philippischen Rede stellt Cicero den Antrag, C. Cassius Longinus mit der Statthalterschaft über Syrien und einem imperium maius in Asien und Bithynien-Pontos zu betrauen. Tatsächlich war Cassius be- reits in Richtung Syrien aufgebrochen mit dem Vorsatz, den dortigen Statthalter Dolabella abzusetzen. Dieses Vorpreschen des Cassius rechtfer- tigt Cicero folgendermaßen (Phil. 11,28): nonne eo ex Italia consilio pro- fectus est ut prohiberet Syria Dolabellam? Qua lege, quo iure? Eo quod Iupiter ipse sanxit, ut omnia quae rei publicae salutaria essent legitima et iusta haberentur. Est enim lex nihil aliud nisi recta et a numine deorum tracta ratio, imperans honesta, prohibens contraria. [„Ist Cassius nicht mit dem Vorsatz aus Italien abgereist, Dolabella von Syrien fernzuhalten? ____________ 1 Vgl. auch Varro ling. 5,180, wo legitimus soviel wie „gesetzlich festgelegt“ bedeu- tet. 2 Th. Mommsen, Iudicium legitimum, in: Gesammelte Schriften, III, Berlin 1907, 357; H. Kloft, Caesar und die Legitimität. Überlegungen zum historischen Urteil, Archiv für Kulturgeschichte 64, 1982, 1–39, bes. 5–12. 3 Vgl. Kloft (wie Anm. 2), 6. 8 Vorwort Nach welchem Gesetz? Mit welchem Recht? Nach demjenigen, welches Juppiter selbst für unantastbar erklärt, welches befiehlt, alles, was heilsam für den Staat ist, für gesetz- und rechtmäßig zu halten. Das Gesetz ist näm- lich nichts anderes als die richtige und vom Willen der Götter abgeleitete Vorgehensweise, welche das Gute befiehlt, das Gegenteil aber verhin- dert.“] Die Legitimität wird hier von der Gesetzlichkeit gelöst und statt dessen mit der recta ratio in Verbindung gebracht. Sie nähert sich einer naturrechtlichen Begründung an. Man vergleiche hierzu Laelius’ Ausfüh- rungen im dritten Buch von De re publica (3,33): est quidem vera lex recta ratio, naturae congruens, diffusa in omnis, constans, sempiterna, quae vocet ad officium iubendo, vetando a fraude deterreat [„das eigentliche Gesetz ist die rechte Vernunft; sie befindet sich in Übereinstimmung mit der Natur, erstreckt sich auf alle, bleibt sich treu, ist ewig, ruft befehlend zur Pflicht und schreckt durch Verbot von Untaten ab“].4 Die recta ratio wird sodann, stoischer Tradition gehorchend, als Gesetz bezeichnet, das man weder abschaffen noch abändern könne, und schließlich mit magister et omnium imperator deus umschrieben.5 Cicero neigt dazu, in Krisenzei- ten den Legitimitätsbegriff vom positiven Recht abzuheben, bisweilen ihn gar in Opposition dazu zu stellen. Legitimität ergibt sich somit aus dem, was vernünftig erscheint. Es ist ein schillernder Begriff, den jede Zeit für sich neu definiert. In dem vorliegenden Band sind Beiträge versammelt, die nach der Legiti- mierung von Einzelherrschaft in unterschiedlichen historischen Kontexten fragen. Die griechische Polis, die römische Republik oder die frühe christ- liche Kirche sind zunächst nicht auf Monarchie oder Monepiskopat hin ausgerichtet. Eine Monarchietheorie hat die Antike nicht ausgebildet; der ____________ 4 Cicero versucht, Verfassung und Gesetze aus dem Naturrecht abzuleiten. Er ver- bindet Natur ((cid:368)(cid:1027)(cid:365)(cid:355)(cid:364)) und die vom Menschen geschaffene Satzung ((cid:359)(cid:1017)μ(cid:361)(cid:364)), zwei in der griechischen Philosophie als Antinomien geltende Begriffe; vgl. J. Bläns- dorf, Das Naturrecht in der Verfassung – Von Ciceros Staatstheorie zum modernen Naturrechtsdenken, in: H.-J. Glücklich (ed.), Lateinische Literatur, heute wirkend, II, Göttingen 1987, 30–59, hier: 42. 5 In leg. 1,21–25 legt Cicero dar, daß die Welt von Gott geschaffen und gelenkt ist und daß der Mensch als dessen Geschöpf an ratio und cogitatio Anteil hat. In leg. 1,33 führt er weiter aus, daß die Menschen, wenn sie in Übereinstimmung mit ihrer ‚rationalen‘ Natur leben, das Recht achten. Sodann postuliert er die Identität von ratio, recta ratio, lex und ius: quibus enim ratio a natura data est, isdem etiam rec- ta ratio data est; ergo et lex, quae est recta ratio in iubendo et vetando; si lex, ius quoque. et omnibus ratio: ius igitur datum est omnibus. Diese Stelle klingt zum Teil wörtlich an das Laktanzzitat aus rep. 3,33 an und läßt sich gleichsam als Kommentar dazu lesen. Die zitierte Passage aus leg. steht im Zusammenhang mit einem Beweisgang, in dem Cicero zeigen will, daß sich in der Natur des Menschen der fons legum et iuris finden läßt (1,16). Vgl. auch Blänsdorf (wie Anm. 4), 48. Vorwort 9 ‚politische‘ Diskurs kreiste um die ‚Polis‘.6 Wie konnte es dennoch zu monarchischen bzw. tyrannischen Herrschaftsstrukturen kommen? Welche Begründungen mußten dafür herhalten? Wie verändern sich Legitimati- onsmuster? Wo lassen sich Übergänge feststellen? Diese Fragen werden eingeordnet in den Kontext der Generationenthematik, wobei Generation zum einen im Sinne von Abstammung oder Nachfolge, zum anderen nach Karl Mannheim7 als Erfahrungsgemeinschaft aufgefaßt wird. Es kommen dynastische Aspekte ebenso zur Sprache wie die Inszenierung der Herr- schaft als väterlicher Fürsorge oder aber die Legitimation von Herrschaft durch militärische oder andere Erfolge, also letztlich durch Charisma. Es wird versucht, das geistige Klima auszuloten, das die Entwicklung zu For- men der Einzelherrschaft begünstigt. Die abgedruckten Aufsätze berühren die griechisch-römische Antike, die Spätantike und geben einen Ausblick auf deren Nachleben im Mittelalter. Es handelt sich dabei um die überarbeiteten Vorträge, die auf einem inter- nationalen Kongreß an der Universität Bamberg im November 2006 im Rahmen des Graduiertenkollegs „Generationenkonflikte und Generatio- nenbewußtsein in Antike und Mittelalter“ gehalten wurden. Das Graduier- tenkolleg und seine Aktivitäten werden von der Deutschen Forschungsge- meinschaft gefördert. Ihr sei an dieser Stelle nachdrücklich gedankt. Dank gebührt schließlich den Helfern beim Korrekturlesen und bei der Herstel- lung der Druckvorlage, Oliver Siegl und Ferdinand Stürner. Um die Be- treuung der italienischen Manuskripte hat sich Marilena Amerise in beson- derer Weise verdient gemacht. Bamberg, im Februar 2008 Th.B. ____________ 6 W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsge- schichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 22000, 34. 7 Das Problem der Generationen (1928), in: ders., Wissenssoziologie, Berlin 1984, 509–565.