PRAKTISCHE ZAHNMEDIZIN ODONTO-STOMATOLOGIE PRATI QUE PRACTICAL DENTAL MEDICINE Begründet von Prof. Dr. med. MAX SPRE:NG Herausgegeben von Prof. Dr. med. M. SPRENG, Basel Prof. Dr. med., Dr. meJ. dent. J. EscHLER, Freiburg i. Br. Priv.-Doz., Dr. med. Dr. med. dent. F. GASSER, Basel Mit dieser Schriftenreihe wird bezweckt, der Praxis, dem Studium und der wissenschaftlichen Anregung innerhalb der Zahnmedizin zu dienen. Auch Labo ratoriumsmethoden werden berücksichtigt. Die Universalität der Reihe soll durch die Mitarbeit von Autoren aus verschiedenen Ländern, Sprachen und verschiedenen Disziplinen betont werden. Die wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnisse auf die Praxis übertragen und den Patienten zukommen zu lassen, ist höchstes Gut medizinischer Tätigkeit und Betreuung. Der Beginn dieser Schriftenreihe fällt mit dem 500jährigen Bestehen der Universität Basel (1460-1960) zusammen. Verlag und Herausgeber freuen sich, mit diesen :Mono graphien des Jubiläumsanlasses zu gedenken. PRAKT. Z. M. OD.-STOM. PRAT. PRACT. D. llf. Springer Basel AG PRAKTISCHE ZAHNMEDIZIN ODONTO-STOMATOLOGIE PRATIQUE PRACTICAL DENTAL MEDICINE 1 DIE KÜNSTLICHE ZAHNREIHE BEIM ZAHNLOSEN Aufbau - Funktion - Ästhetik Patient - Laboratorium Arbeitsmethoden der Basler prothetischen Schule von MAX SPRENG Prof. Dr. med. Professor für zahnärztliche Prothetik, Materialien- und Metallkunde an der Universität Basel Vorsteher der prothetischen Abteilung und des Laboratoriums für Materialien- und Metallkunde 1960 Springer Basel AG Nachdruck verboten. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen und der Reproduktion auf photostatischem Wege oder durch Mikrofilme, vorbehalten. ® Springer Basel AG 1960 Ursprünglich erschienen bei Birkhäuser Verlag, Basel 1960. ISBN 978-3-7643-0347-1 ISBN 978-3-0348-6914-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-0348-6914-0 INHALTSVERZEICHNIS I. TEIL Wissenschaftlich-theoretische Voraussetzungen Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Der A rtikulator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Handhabung des Artikulators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Allgerneine Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Die Einstellungen arn Artikulator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Anleitung zum Aufstellen der künstlichen Zähne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Allgerneines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Formverlauf und gegenseitige Stellung der Kieferkämme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Grössenverlauf der Kieferkämme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Die Interalveolarlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Der Längsverlauf der Kieferkämme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Der vertikale Abstand der Kieferkämme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Vorbereitende Massnahrnen für das Aufstellen der künstlichen Zähne . . . . . . . . . . . 34 Die künstliche Zahnreihe als Ganzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Künstlerisch-ästhetische Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Die Gesichtsmitte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 b) Die Lage der Schneidekanten der mittleren oberen Frontzähne. . . . . . . . . . . . . . 46 c) Verlauf der Lachlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 d) Mundbreite und Zahnbreite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Conclusio. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 e) Die konvexe Zahnkurve der Frontzahnreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 f) Die Frontzahnreihe als Ganzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Praktisch-ästhetische Folgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Zusammenstellung der ästhetisch zu beachtenden Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Ilo TEIL Laboratorium Das A ujstellen der künstlichen Zähne im A rtikulator 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 o 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 66 Das Aufstellen der Frontzähne o o o o o 69 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Das Aufstellen der Zahngruppe Eckzahn-Prämolar I und 2 72 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Das praktische Vorgehen o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o 75 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Das Aufstellen der Molaren o o o o 75 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Allgemeines 75 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 o 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Das praktische Vorgehen 77 0 ••• 0 0 0 0 •••••••••••••• 0. 0 •• 0 •••••••• 0 0. 0 0. 0 •• 0 •• 0 Das Einschleifen der künstlichen Zahnreihe ..................... 83 0 •• 0. 0.. • • • • • Das praktische Vorgehen .. 86 0 0. 0 0 ••••• 0 0 0 ••••••••••••••••••••••••• 0........ Der Kreuzbiss . 91 0 0 •••••••••• 0 0 •••••••••• 0 •••• 0 0. 0. 0 •••• 0. 0 •• 0 0 0 0. 0 0. 0.. • • Schlussbetrachtung ... 94 0 0 •• 0 • 0 0 0 • 0 •••••••••••••••••••••••••••• o • • • • • • • • • • • • Sachverzeichnis .......... o •••••••••• o •• o • • • • • • • 96 0 •• 0 • 0 •••••••••••••••••••• I. TEIL Wissenschaftlich-theoretische Voraussetzungen Einführung Die Verbindung der zahnärztlichen Prothese - als eines im Mund kör perfremden Apparates -mit dem lebenden Substrat führt zu wechselvollen Zusammenhängen. Jede Prothese ist infolge ihrer individuellen Beschaffenheit als Einzelstück, als etwas Einmaliges aufzufassen. Der Gesamtüberblick der prothetischen Probleme führt zu Folgerungen, die sich zu bestimmten Grundrichtungen von allgemeiner Gültigkeit formen lassen. Dieser Auffassung entsprechend kann die Lehre über das protheti sche Behandeln nur den Grundzügen nach erfolgen. Diese bilden die Unter lagen, aus denen sich die abwechslungsreichen Verschiedenheiten der Be handlungen im einzelnen überblicken und ableiten lassen. Man kann deshalb keine Prothesen als Musterstücke von allgemeiner Gültigkeit vorzeigen. Es ist immer nur die Einzelprothese mit ihren indivi duellen Feinheiten und ebensolchen Verschiedenheiten, die vorliegt. Im Er fassen dieser Ungleichheiten und in ihrem jeweiligen Zusammenfügen und Aufbau zu einem sinnvollen und zweckmässigen Ganzen liegt das, was als das Wesen zahnärztlich-prothetischer Behandlungskunst zu bezeichnen ist. Für die Gestaltung von Prothesen lassen sich folgende Richtlinien zu sammenfassen und formulieren: Die Zielsetzung besteht darin, eine Übereinstimmung zwischen dem Fremdgebilde Prothese und den lebenden Geweben bzw. dem Organismus herzustellen. Harmonie zwischen dem Körperfremden und dem Körpereigenen zu bewerkstelligen kann als oberste Leitrichtung bezeichnet werden. Die Ver schmelzung zahnärztlich-medizinischen Wissens mit zahnärztlich-techni schem Können ist Voraussetzung. Technik und Routine allein genügen nicht, um Patienten kunstgerecht zahnärztlich-prothetisch zu behandeln. Die Zielerreichung liegt darin, Prothesen herzustellen, die 1. mechanisch keine Reizwirkungen setzen, 2. stofflich - das heisst von Seiten der Prothesenmaterialien - nicht zu krankmachenden Auswirkungen führen, 8 I. Teil: Wissenschaftlich-theoretische Voraussetzungen 3. dank der einwandfreien statischen und artikulatorischen Gestaltung der künstlichen Zähne sowie ihrer Formeigenschaften grosse Kauwirkung ermöglichen, und 4. ästhetisch genügen, indem ästhetische Grundregeln Beachtung finden und der Patient weder entstellt wird, noch von seinem Persönlichkeits ausdruck einbüsst. Eine derart gerichtete Auffassung und Aufgabenerfüllung ist an emen systematischen Arbeitsverlauf gebunden. Allem voran steht die gründliche Untersuchung des Mundbestandes des Patienten. Auch beim Zahnlosen braucht. es dazu nicht selten Röntgenbilder, um Wurzelreste, retinierte Zähne, Zysten, Knochenveränderungen und an deres aufzudecken. (Beim teilweise bezahnten Patienten haben Röntgen bilder überhaupt als eine Voraussetzung für die korrekte und exakte Prü fung der prothetischen Möglichkeiten zu gelten.) Dem Schleimhautzustand ist besondere Beachtung zu schenken: Schlotterkämme, lappige Fibrome, störende Knochenvorsprünge und dergleichen sind zu entfernen, Entzün dungen auszuheilen. Die anatomischen Unterlagen sowie die Bewegungsvor gänge im Fornix vestibuli, am Mundboden und weichen Gaumen sind minu tiös abzuklären. Erst darnach wird es möglich, prothetisch zu planen und an die Abformung der Kiefer mittels des Abdruckes zu denken. Wie in der gesamten medizinischen Überlegung, so gilt auch hier als Leitmotiv: erst untersuchen, dann handeln. Mit diesem zahnärztlich-ärztlichen Überlegen verbindet sich die Kunst, die Befunde richtig aufzunehmen, sie zu beurteilen, das Wissen, die Pro bleme zu sehen und zu erfassen, und das Können, diese zu verarbeiten und in die Praxis umzusetzen und so dem Patienten zugute kommen zu lassen. In solcher Konzeption hat sich aus der ehemaligen zahnärztlich-technischen Sicht das heutige Bild der zahnärztlichen Prothetik entwickelt und diese in Theorie und Praxis zu einer Disziplin geformt, die in ihrer Zielsetzung ärzt lichem Behandlungsstreben gleichgestellt ist. Das praktische Handeln besteht vorerst im Planen. Dieses berücksich tigt beim Zahnlosen zunächst die Kiefer-, Schleimhaut- und Gelenkverhält nisse. Die Bewegungsmöglichkeit der Kiefergelenke lässt sich vor dem Ohr tragus durch Palpieren mit dem Finger abtasten. Dem Gesichtszustand in Alter, Form und Ausdruck, den Aussichten nach der ästhetisch-kosmetischen Seite hin, mit der sich nicht selten psychische Fragen verbinden, ist beson dere Beachtung zu schenken. Ein wichtiger, mitunter sogar ausschlaggebender Faktor kann sich in der Wahl der Prothesenmaterialien stellen. Intoleranzerscheinungen gegen über Prothesenstoffen, besonders seit der Verwendung synthetischer Kunst stoffe, können leider nicht mehr nur als Ausnahmen bezeichnet werden. Sie Einführung 9 sind häufiger geworden und können eine wahre Pein für den Betroffenen bedeuten. In der Mehrzahl werden Frauen davon betroffen1). Dem wohlüberlegten Planen entspricht das Bestreben und die Aufgabe, zu unkomplizierten, jedoch zielgerechten Prothesenformen zu gelangen, denen die Wesenseigenheit zukommt, als Apparate auch auf die Dauer in harmonischer Anpassung zum Lebenden zu stehen. Zerlegt man die Gestaltung der Prothese in ihre einzelnen Teile und Pha sen, so zeigt es sich, dass die Einzelelemente, aus denen eine Prothese zu sammengesetzt ist, in ihren Wirkungen ineinandergreifen und voneinander abhängen. Deshalb könnte beispielsweise eine an sich gut gestaltete Prothe senbasis in Verbindung mit einer in Form und Stellung ungünstigen künst lichen Zahnreihe nicht mehr als gut und kunstgerecht bezeichnet werden. Denn unter dem Einfluss der fehlerhaften Zahnreihe könnte die sonst voll endet erscheinende Prothesenbasis in der Wirkung auf ihre lebende Unter lage (Schleimhaut und Knochen) unvorteilhaft sein und sogar zu einem pathogenen Faktor werden. Ein ähnlicher Zustand ergibt sich, wenn eine mustergültige künstliche Zahnreihe mit einer mangelhaften Prothesenbasis vorliegt. Die Prothesenbasis kann als Fundament der Prothese bezeichnet werden, auf dem sich die anderen Prothesenteile zusätzlich aufbauen. Die Prothesen basis als körperfremde Kontaktfläche zur lebenden Unterlage (Prothesen lager) sollte derart zu dieser abgestimmt sein, dass diese nicht nur auf die Dauer in einem gesunden Zustand erhalten bleibt, sondern auf den unge wöhnlichen, unphysiologischen Kontakt- und Druckreiz der Platte mit einer feinen und günstigen funktionellen Anpassung des Gewebes reagiert. Dies zu erreichen ist möglich, wenn die Prothesenbasis auf die Rückwir kungen der Schleimhautoberfläche eingestellt ist, die an dieser durch die funktionellen Einflüsse der Platte hervorgerufen werden. Da diese, dem Auge unmerklich und individuell verlaufenden, mechanisch erzeugten Kontakt reaktionen an der Schleimhaut sich nur mit einem Abdruck erfassen und abformen lassen, so ergibt sich die logische Folgerung: Beim Abdruckvorgang müssen möglichst alle Prothesenfunktionen zum Einfluss gebracht werden. Nach solchen Überlegungen wurde die Kauabdruckmethode erdacht und durch den Autor erstmals 1929 in Paris bekanntgegeben2). Mit Abdruckverfahren im Sinne eines anatomischen Abklatsches wird man den feinen Wechselwirkungen, wie sie sich beim Prothesengebrauch zwischen Platte und Schleimhautlager abspielen, nicht gerecht werden können. Man muss beim Abdruckvorgang die Prothesenfunktionen, insbesondere die volle Kautätigkeit - nicht etwa nur den Quetschdruck im Sinne eines 1) Vgl. SPRENG, M., Allergie und Zahnmedizin (Leipzig 1959). 2) Vgl. SPRENG, M., Der Kauabdruck, 2. Auf!. (München 1953).