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Die künstlerische Form des Rêve de D’Alembert PDF

78 Pages·1966·2.626 MB·German
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ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN GEISTESWISSENSCHAFTE N 116. SITZUNG AM 21. JULI 1965 IN Dü S SELDORF ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN GEISTESWISSENSCHAFTEN HEFT 127 HERBERT DIECKMANN Die künstlerische Form des Reve de D'A lembert HERAUSGEGEBEN IM AUFTRAGE DES MINISTERPRASIDENTEN Dr. FRANZ MEYERS VON STAATSSEKRETAR i. c. R. PROF. Dr.h.c., Dr.E.h. LEO BRANDT HERBERT DIECKMANN Die künstlerische Form des Reve de D'A lembert SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH ISBN 978-3-322-98047-2 ISBN 978-3-322-98678-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-98678-8 © 1966 by Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag 1966 INHALT H erbert Dieckmann, Cambridge, Mass. Die künstlerische Form des R&ve de D' Alembert 7 Diskussionsbeiträge Professor Dr. phil. Fritz Schalk; Professor Dr. phil. Herbert Dieck mann; Dr. phil. Klaus-Dieter Gottschalk; Professor Dr. phil. Benno von Wiese und Kaiserswaldau; Professor Dr. phil. Karl-H einz Volk mann-Schluck; Frau Professor Dr. phil. Eleanor von Erdberg-Con sten; Professor Dr. phil. Wolfgang lser; Professor D. Dr. theol. Ge1'- hard Gloege, D. D. ........................................ 37 Vorbemerkung Abgesehen von einigen stilistischen Verbesserungen, ist der folgende Text identisch mit dem des Vortrags. Stellen, die beim Sprechen ausgelassen wur den, sowie Erläuterungen durch Beispiele stehen unter dem Text, durch ein Sternchen gekennzeichnet, oder im Anhang. Der Vortrag ist Fritz Schalk, der mir den Wiederanschluß an Deutschland in jeder Form möglich gemacht hat, in Verehrung und tiefer Dankbarkeit gewidmet. Que le Poete se fasse entendre, et qu'il dirige le jugement. Saint-John Perse Vents D as Verwenden literarischer Formen in der Darstellung philosophischer und wissenschaftlicher Ideen ist ein Grundzug der europäischen Aufklärung. Eine Reihe von Genres - Theater, Roman, Erzählung, Gedicht, Fabel, Essay, sowie von Darstellungsweisen - Dialog, Brief, Parabel, Paradox - dienen der gefälligen Einkleidung von Gedanken und damit dem Zweck ihrer weiten Verbreitung. Es galt, die öffentliche Meinung, an die man appellierte, auch zugleich zu formen, ein Bewußtsein, eine bestimmte Art des Denkens zu entwickeln, eine allgemein verständliche Sprache zu schaffen, die das Vokabular der neuen Wissenschaft und Technik aufnahm. Die Aufklärung ist erst durch die Literatur zu einer umfassenden und einheitlichen Bewegung geworden; durch sie wurden die verschiedenen Strömungen der Skepsis, des Rationalismus, des Freigeistertums verbunden und wirksam gemacht. Doch handelt es sich nicht nur um die Bildung eines Publikums, sondern auch um den Zusammenschluß der verschiedenen Disziplinen des Geistes und ihrer Vertreter. Hier erfüllt die Literatur ebenfalls ihre verbindende Funktion. Lassen Sie mich diese einzelnen Punkte durch Zitate von Autoren des 18. Jahrhunderts erläutern. Die Beispiele zeigen, daß es sich bei der hohen Bewertung der Literatur um den Blickpunkt der Aufklärung selbst handelt, nicht nur um eine Perspektive moderner Geschichtsschreibung. In seiner 1789 erschienenen Vie de Voltaire schrieb der bekannte Mathematiker, Politiker und Philosoph Condorcet über die Erzählungen und Romane Voltaires: «11 publia Candide, un de ses chefs-d'reuvre dans le genre des romans philosophiques, qu'il tran spor ta d'Angleterre en France en le perfectionnant. Ce genre a le malheur de para~tre facile; mais il exige un talent rare, celui de savoir exprimer par une plaisanterie, par un trait d'imagination, ou par les evenements m&mes du roman, les resultats d'une philosophie profonde, sans cesser d'&tre naturelle, et piquante, sans cesser d'&tre vraie. 11 faut donc choisir ceux de ces resultats qui n'ont besoin ni de developpements ni de a preuves; eviter la fois et ce qui etant commun ne vaut pas la peine d'&tre repete, et ce qui, etant ou trop abstrait ou trop neuf encore, n'est fait que 10 Herbert Dieckrnann pour un petit nombre d'esprits. Il faut &tre philosophe, et ne point le parahre. En m&me temps peu de livres de philosophie sont plus utiles; ils sont lus par des hommes frivoles que le nom seul de philosophe rebute ou attriste, et que cependant il est important d'arracher aux prejuges, et d'opposer au grand nombre de ceux qui sont interesses ales defendre. Le genre humain serait condamne a d'eternelles erreurs si, pour l'en affranchir, il fallait etudier ou mediter les preuves de la verite. Heureusement la justesse naturelle de l'esprit y peut suppleer pour les verites simples, qui sont aussi les plus necessaires. Il suffit alors de trouver un moyen de fixer l'attention des hommes inappli ques, et surtout de graver ces verites dans leur memoire. Telle est la grande utilite des romans philosophiques, et le merite de ceux de Voltaire, ou il a surpasse egalement et ses imitateurs et ses modeles.»l Condorcet verweist hier nicht nur auf die Rolle, welche die Literatur in der Verbreitung philosophischer Ideen und in der Meinungsbildung vor allem der politisch und sozial entscheidenden oberen Schichten spielte, sondern erkennt auch die durch das Literarische bedingte Umformung der Ideen und die Auswahl, die unter ihnen zu treffen ist. Er spricht nicht nur von gefälli ger Einkleidung, sondern von der höheren Kunst, in den erzählenden genres die philosophischen Ideen durch den Gang der Handlung auszudrücken. In seiner Esquisse d'un tableau historique des progres de l'esprit humain (1794) bemerkt derselbe Condorcet über die Aufklärer: «Il se forma bient<>t, en Europe, une classe d'hommes moins occupes encore de decouvrir ou d'appro fondir la verite que de la repandre ... »2 Die Bedeutung der Bildung und Beeinflussung der öffentlichen Meinung und die Erkenntnis dieser Bedeutung seitens der Philosophen wurde 1784 von Claude-Carloman de Rulhiere, Diplomat, Offizier und Historiker (er wußte zuviel über die Hintergründe der russischen Revolution von 1762 und geriet daher in Schwierigkeiten) in seinem «discours de reception» vor der französischen Akademie klar und scharf formuliert: «Ce fut alors que s'eleva parmi nous ce que nous avons nomme l'empire de l'opinion publique. Les hommes de lettres eurent aussit<>t l'ambition d'en &tre les organes et pres que les arbitres. Un g0l1t plus serieux se repandit dans les ouvrages d'esprit, le desir d'instruire s'y montra plus que le desir de plaire. La dignite de l'homme a de lettres, expression juste et nouvelle, ne tarda pas devenir une expression avouee et d'un usage re~u. »3 Die Stelle wirft zugleich ein interessantes Licht auf den Wandel des Geschmacks im Fortgang der Aufklärung, denn Fon tenelle schrieb in dem Vorwort zu seinen Entretiens sur la pluralite des mondes, der ersten bahnbrechenden literarischen Darstellung des Kopernika- Die künstlerische Form des Rhe de D'Alembert 11 nismen Weltbildes: «J'ai voulu traiter la philosophie d'une maniere qui ne a fut point philosophique; j'ai tache de l'amener un point ou elle ne fut ni trop seme pour les gens du monde ni trop badine pour les savants ...J 'avertis a ceux qui ces matieres sont nouvelles, que j'ai cru pouvoir les instruire et divertir tout ensemble. Les premiers iront contre mon intention, s'ils mer ment ici de l'utilite; et les seconds s'ils n'y merment que de l'agrement. »4 Dieses Stili deal wurde von Voltaire im Micromegas (Anfang des 2. Kapi tels) verspottet und von Diderot im Reve de D'A lembert als unangemessen bezeichnet. Diderot läßt Mlle de l'Espinasse fragen: «Pourquoi vos philo sophes ne s'expriment-ils pas avec la grice de celui-ci? Nous les entendrions.» Und der Arzt Bordeu antwortet: «Franmement, je ne sais si ce ton frivole convient aux sujets graves.»5 Aus dieser Kritik und der Betrachtung von de Rulhiere darf man jedoch nicht smließen, daß in der späteren Aufklärung die literarischen Formen im Namen philosophischer Ernsthaftigkeit verwor fen wurden. Voltaires und Diderots Werke bezeugen das Gegenteil. Der Ton hatte sich indes geändert. Eine gewisse spielerische, preziöse Ironie im Philo sophieren hatte sich überlebt. Für den in meinem überbli<k zuletzt erwähnten Punkt, die Rolle der Literatur bei der gegenseitigen Ergänzung der verschiedenen Wissensgebiete und dem Zusammen schluß der leitenden Denker der Aufklärung verweise im als Beleg auf die Titelseite der Encyclopedie, wo die Verfasser des monu mentalen Werkes als «Societe des gens de lettres» zeimnen und auf zwei Stellen aus dem Artikel «Sciences»: «Telle est au jourd'hui la variete et l'etendue des sciences, qu'il est necessaire, pour en profiter agreablement, d'~tre en m~me temps homme de lettres. D'ailleurs, les principes des sciences seroient rebutants, si les belles lettres ne leur pr~toient des charmes. Les verites deviennent plus sensibles par la nettete du style, par les images riantes, a et par les tours ingenieux sous lesquels on les presente l'esprit. Mais si les belles lettres pr~tent de l'agrement aux sciences, les sciences de leur c8te sont necessaires pour la perfection des belles lettres. »6 Diese Zitate, die sich um viele vermehren ließen, werden gezeigt haben, daß das Bewußtsein der notwendigen Beziehung zwischen Literatur und Philosophie nicht nur zum Wesen, sondern auch zum Programm der Auf klärung gehört. Prof. Schalk hat diese Frage von einem anderen Bli<kpunkt, der jedoch mit dem hier gewählten verbunden ist, in dem Kapitel »Die Ent stehung des schriftstellerischen Selbstbewußtseins in Frankreim" seiner Ein leitung in die Enzyklopädie der französischen Aufklärung (München 1936) erstmalig und in bislang unübertroffener Weise behandelt. 12 Herbert Dieckmann Bei der Problemstellung, die wir bisher skizziert haben, handelt es sich, wie gesagt, um die spezifische Perspektive der Aufklärung: Philosophische und wissenschaftliche Ideen sollen in literarischer Form dargestellt werden, weil sie dadurch gefälliger, ansprechender, faßlicher werden, ein breiteres Publikum erreichen, es durchdringen und derart eine neue öffentliche Mei nung bilden. Wir haben noch nicht die Frage gestellt, wie sich die geforderte Verbindung im einzelnen vollzieht, wie sie sich bei den individuellen Autoren gestaltet und was sie einerseits für das Denken und andererseits für die literarischen Formen bedeutet. Diese Fragen scheinen mir vor allem wich tig, wenn es sich um Ideen handelt, die über das allgemeine und breit gefaßte Programm der Aufklärung hinausgehen. Jeder, der sich mit der letzteren eingehend befaßt hat, weiß, daß weder Montesquieu, noch Diderot, noch Rousseau, noch, in gewissem Maße, Voltaire - um nur die bekanntesten Autoren zu nennen - in dem Generalnenner Aufklärung rein aufgehen Sie 7. stellen und erörtern Probleme, die das programmatische und pragmatische Ziel der Aufklärung überschreiten. Es handelt sich dabei nicht nur um andere Ideen, sondern auch um die Reichweite, Komplexität, Sinnfülle und den Grad der Generalisierung der Ideen. Hinsichtlich des hier erörterten Themas bedeutet die Differenz, daß es sich bei der literarischen Form des Reve de D' Alembert nicht nur um eine Einkleidung, ein Ornament oder um die Ein wirkung auf das Publikum handelt, sondern darum, wie sich die Verbindung von Idee und literarischer Form vollzieht und was sie für das Denken be deutet. In der Perspektive der durch die Literatur erzielten Verbreitung, Veranschaulichung und Eindringlichkeit philosophischer und wissenschaft licher Ideen, wird die Verbindung von Inhalt und Form als selbstverständ lich vorausgesetzt. In der über das Allgemeine hinausgehenden und nicht auf dem Allgemeinen beruhenden Philosophie des Reve zeigt sich die Proble matik der Verbindung. Die literarische Form könnte möglicherweise den Ideen schaden, sie zwar ansprechender, leichter auffaßbar machen, aber sie zugleich auch verflachen und verhübschen, ihnen also den Ernst und ,die philosophische Tiefe' nehmen, oder, ohne Werturteil ausgedrückt, die Ideen verändern. Es wäre indes ebenso möglich, daß die Ideen durch die litera rische Form philosophisch gewinnen, daß, abstrakt ausgedrückt, das Wahre und das Schöne durch ihre Vereinigung beide reicher werden. Man könnte auch vermuten, daß das Wahre sich dem Denken allein nicht erschließt, oder um das Problem in die Richtung des Reve de D' Alembert zu lenken, daß die Natur auf die Fragen der Wissenschaft hin nur in einer Sprache, auf die vereinten Fragen des Wissenschaftlichen und Künstlerischen jedoch in

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