Kaesche · Die Korrosion der Metalle Die Korrosion der Metalle Physikalisch -chemische Prinzipien und aktuelle Probleme Von Helmut Kaesche Dr. rer. nat., Regierungsrat in der Bundesanstalt für Materialprüfung Berlin-Dablem Privatdozent an der Technischen Universität Berlin-Charlottenburg Mit 224 Abbildungen Springer-Verlag Berlin Deideiberg GmbH 1966 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) oder auf andere Art zu vervielfältigen © by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1966 Ursprünglich erschienen bei Springer-Verlag Berlin/Heidelberg 1966 Softcoverreprint of the bardeover Ist edition 1966 Library of Congress Catalog Card Number: 66-19775 ISBN 978-3-662-11505-3 ISBN 978-3-662-11504-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-11504-6 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buche berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der An· nahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetz gebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften Titel-Nr. 1343 Vorwort Die Untersuchungen über die Grundvorgänge der Metallkorrosion haben in den vergangeneu Jahrzehnten schnelle Fortschritte gemacht. Die fundamentale elektrochemische Seite des Problems ist als im wesent lichen geklärt zu betrachten, und an die Stelle der qualitativen Beschrei bung der Korrosionsmechanismen treten immer häufiger quantitative Formulierungen. Trotzdem bleiben noch viele Detailfragen zu unter suchen. Auch stößt namentlich im Bereich der Spannungsrißkorrosion das Verständnis des Zusammenwirkans metallphysikalischer und elek trochemischer Einflußgrößen noch auf grundsätzliche Schwierigkeiten. Die Bewältigung solcher Hürden wird aber nicht ohne genaue Berück sichtigung der elektrodenkinetischen Theorie der Korrosion möglich sein. Bei diesem Stand erscheint der Versuch lohnend, die auf den ersten Blick so verwirrende Vielfalt der Korrosionsvorgänge vom Standpunkt der Grundlagen neuerlich systematisch zu diskutieren. In dieser Absicht wurde das vorliegende Buch geschrieben. Der Verfasser hat sich bemüht, den Leser, der es als Einführung benutzt, von den Anfangsgründen bis zum kritischen Verständnis der zur Zeit laufenden Untersuchungen zu führen und dem fortgeschritteneren Fachmann einen Überblick über den heutigen Stand der Forschung zu bieten. Dem in der Praxis mit Korrosionsfragen beschäftigten Ingenieur, Metallkundler, Physiker oder Chemiker wird der Zugang zu dem ihm in der Regel ungewohn ten, aber hier wesentlichen Gebiet der Kinetik von Elektrodenreak tionen durch vergleichsweise ausführliche einleitende Kapitel erleich tert. Zumindest diese Teile, desgleichen ein eingeschalteter Abriß im vorliegenden Zusammenhang interessierender thermodynamischer Be ziehungen bis einschließlich der Berechnung der Geschwindigkeit der gleichmäßigen Korrosion sollten ohne Zuhilfenahme der Originallitera tur nach Art eines Lehrbuchs gelesen werden können. Der Verfasser hofft, daß dies im wesentlichen auch für die späteren Kapitel über spezielle Korrosionserscheinungen zutrifft, der Leser wird dort aber die reichlicher zitierte Literatur mit Nutzen heranziehen. Anwendungen der Theorie auf die Praxis sind an einigen Stellen skizziert, jedoch konnte der Stoff in dieser Beziehung naturgemäß nicht erschöpfend behandelt werden. Bei der Durchsicht der einschlägigen Handbücher und Monographien wird man viele weitere Möglichkeiten finden, Beobachtungen der Praxis auf der Basis der Theorie zu verstehen. VI Vorwort Petit gesetzte Textteile enthalten ins einzelne gehende, vorwiegend theoretische Ausführungen, die (ebenso wie der Anhang) bei der ersten Lektüre übergangen werden können. Bei der Wahl der Symbole für die vorkommenden physikalisch-chemischen Größen wurde auf möglichst leichte Lesbarkeit der Formeln größerer Wert gelegt als auf durch gehende Konsequenz, die unübersichtlich gehäufte Indices erfordert hätte. Aus diesem Grunde wurde z. B. die Spannung einer beliebigen offenen galvanischen Zelle mit U, die Spannung der aus der Normai wasserstoffelektrode und einer Elektrode x aufgebauten Zelle (das ist das "Elektrodenpotential" der x-Elektrode) mit e und die Spannung der letzteren Zelle für den Spezialfall einer Gleichgewichts-x-Elektrode mit E bezeichnet. Der Verfasser hat der Bundesanstalt für Materialprüfung für die freundliche Förderung der Ausarbeitung des Manuskripts, dem Springer Verlag für großzügiges Entgegenkommen sehr zu danken. St. Germain-en-Laye, im Herbst 1966 H.KAESCHE Inhaltsverzeichnis Seite l. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Korrosionsreaktionen und Korrosionsprodukte 5 3. Chemische Thermodynamik der Korrosion 10 a) Allgemeine Grundlagen 10 b) Galvanische Zellen . . . . . . . . . . . . . 19 c) Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . 28 4. Der elektrolytische Mechanismus der Korrosion 44 a) Vorbemerkungen .......· . . . . . . . . . 44 b) Elektrodenreaktionen, Ströme und Spannungen in Korrosions-Kurz- schlußzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 c) Die experimentelle Bestimmung von Stromspannungskurven 62 d) Der Mechanismus der gleichmäßigen Korrosion 65 5. Die Stromspannungskurven einfacher Elektroden. 73 a) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) Der Mechanismus der kathodischen Wasserstoffabscheidung 74 c) Der Mechanismus der kathodischen Sauerstoffreduktion . . 95 d) Der Mechanismus der anodischen Metallauflösung . . . . . 102 e) Der Aufbau der elektrischen Doppelschicht an Phasengrenzen Metall/ Elektrolytlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 6. Die Stromspannungskurven praktisch gleichmäßig korrodierter Metalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ." . . . . . . . 123 a) Korrosion in sauren Lösungen - "Säurekorrosion" . . . . . . . . 123 b) Korrosion in neutralen bis alkalischen Lösungen-"Sauerstoffkorrosion" 140 7. Schutzschichten, Inhibition, Passivität ... 157 a) Allgemeine Bemerkungen zum Korrosionsschutz . 157 b) Nichtpassivierende Inhibitoren der Säurekorrosion 159 c) Die Passivität der Metalle . . . . 178 Vorbemerkung . . . . . . . . . . 178 Eisen, Nickel, Chrom . . . . . . . 179 Spontane Passivierung, Passivatoren 197 Zink, Aluminium, Titan . . . . . 208 8. Die Einwirkung galvanischer Kurzschlußzellen auf die Korrosion 220 a) Kontaktkorrosion . 220 Einleitung . . . . 220 Galvanische Kurzschlußzellen mit homogenerStromdichte-und Poten tialverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Inhomogene Stromdichte- und Potentialverteilung in Kurzschlußzellen mit koplanaren Elektroden . . . . . . . . . . . 231 b) Sauerstoff-Konzentrationszellen ("Belüftungszellen") . . . . . . . . 242 VIII Inhaltsverzeichnis Seite 9. Die Lochfraßkorrosion passiver Metalle . 251 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Eisen in chloridhaltiger Schwefelsäure . . . 260 c) Aluminium in alkalischen bis neutralen Halogenidlösungen 263 d) Chrom-Nickel-Edelstähle in sauren Lösungen. Zur Frage des Lochfraß- potentials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 e) Zur Frage der Korrosion des Eisens in Sauerstoffhaitigen neutralen bis alkalischen Lösungen . . . . . . . . . . . 277 10. Kornzerfall und Spannungsrißkorrosion . . . . . 284 a) Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 b) Der Kornzerfall der austenitischen Chrom-Nickel-Stähle . . . 294 c) Die interkristalline Spannungsrißkorrosion unlegierter Stähle in Nitratlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 d) Die interkristalline Spannungsrißkorrosion unlegierter Stähle in Alkalihydroxidlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 e) Die transkristalline Spannungsrißkorrosion der austenitischen Chrom Nickel-Stähle in Magnesiumchloridlösung . . . . . . . . . . . . . 311 f) Die interkristalline Spannungsrißkorrosion homogener Kupferlegierun- gen ............................. 321 g) Zur Frage des alternierend mechanisch-elektrolytischen Mechanismus der transkristallinen Spannungsrißkorrosion . . . . . . . . . . . 328 h) Die interkristalline Spannungsrißkorrosion von Aluminiumlegierungen 334 11. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 a) Bemerkungen zur atmosphärischen Korrosion .........• 345 b) Bemerkungen zum anodischen und zum kathodischen Korrosionsschutz 349 c) Bemerkungen zur Berechnung des Diffusionsgrenzstroms ..... 351 d) Bemerkilngen zur Korrosion des unlegierten Stahles in sulfidhaltigen Lösungen . . . 360 Namenverzeichnis. 366 Sachverzeichnis .. 371 1. Einleitung Als Korrosion der Metalle werden diejenigen von der Oberfläche ausgehenden Beschädigungen metallischer Bauteile bezeichnet, die durch chemische Reaktionen des Metalls mit Bestandteilen der Umgebung bewirkt werden. Anders als der mechanische Verschleiß ist die Korrosion daher grundsätzlich ein chemischer Vorgang, und die Beschädigung der Oberfläche kommt nicht durch den Abrieb metallischer Partikel zustande, sondern durch den Übergang der Metallatome aus dem metallischen in den nichtmetallischenZustand chemischer Verbindungen. Vom Standpunkt der physikalischen Chemie gehören die Korrosions vorgänge zur allgemeineren Klasse der Phasengrenzreaktionen. Unter diesen Begriff fällt auch das Zundern der Metalle, d. h. die fortschreitende Oxydation in heißen, Sauerstoffhaitigen Gasen. Zundervorgänge stehen jedoch im folgenden nicht zur Diskussion; vielmehr werden die Betrach tungen auf die Korrosion der Metalle durch flüssige, speziell wäßrige Phasen beschränkt. Bei gewöhnlicher Umgebungstemperatur, auch noch beim Siedepunkt konzentrierter Salzlösungen, sind Zundervorgänge an technisch brauchbaren Metallen zu langsam, um dauernd fort schreitende Korrosion im Sinne einer merklichen Beschädigung zu bewirken, da die Diffusion der Reaktionspartner durch die Zunder schicht in diesem Temperaturbereich stark gehemmt ist. Allerdings können die submikroskopisch dünnen Oxidschichten, nach deren Bildung das Zundem unter solchen Bedingungen praktisch vollständig gehemmt ist, das Anfangsstadium der folgenden Korrosion durch flüssige Phasen stark beeinflussen und in günstigen Fällen das Anlaufen der Korrosion lange Zeit ganz verhindern. Das in diesem Rahmen hauptsächlich interessierende Thema wird durch den Begriff elektrolytische Korrosion bezeichnet, womit die Korro sion an Phasengrenzen Metall/Elektrolytlösung gemeint ist. Elektrolyt lösungen sind definitionsgemäß solche Flüssigkeiten, die vermöge eines Gehaltes an gelösten und in Anionen und Kationen dissozüerten Sub stanzen elektrische, und zwar speziell elektrolytische Leitfähigkeit besitzen. Wegen der Elektronenleitfähigkeit des Metalls hat man es daher mit einem insgesamt elektrisch leitenden System zu tun, wodurch der Ablauf der interessierenden Phasengrenzreaktionen entscheidend beeinflußt wird. Als Ausnahme ist hier der Fall zu nennen, daß poren freie Deckschichten von Korrosionsprodukten vorkommen, die, wie z. B. Aluminiumoxid, schlechte Leiter der Elektrizität sind. Sie stellen naturgemäß einen besonders guten Schutz des Metalls gegen das Fort schreiten der Korrosion dar. Dasselbe gilt für verschiedene gebräuch- Kaesche, Korrosion 1 2 I. Einleitung liehe Arten, den Korrosionsschutz durch Aufbringen von nichtleitenden Deckschichten zu erzielen, etwa durch nichtquellende Anstriche, durch Gummi, Email und dgl. Die Beständigkeit des Metalls ist dann eine Frage der Beständigkeit des isolierenden Überzugs. Darauf werden wir im folgenden nur im Zusammenhang mit dem Verhalten der passivieren den Oxidschichten eingehen. Die Bezeichnung elektrolytische Korrosion wird gewählt, um an zudeuten, daß hier Gesetze eine wesentliche Rolle spielen, die auch für die Elektrolysevorgänge gelten, d. h. für die chemischen Umsätze an strombelasteten, in Elektrolytlösungen tauchenden Metallen. Das System Metall/Lösung bezeichnet man in diesem Fall als Elektrode, benutzt diesen Ausdruck allerdings auch häufig für das in die Elektrolyt lösung tauchende Metall allein. Wir wählen in diesem Zusammenhang die Bezeichnung elektrolytische Korrosion gegenüber der häufig benutzten Bezeichnung elektrochemische Korrosion, die dasselbe meint, um nicht den Umfang des Begriffes "Elektrochemie" in ungewöhnlicher Weise einzuengen. Die angegebene Abgrenzung des Themas bedeutet keine willkürliche Beschränkung auf seltene Spezialfälle. Dieser Bereich der Korrosion zeichnet sich vielmehr nicht nur dadurch aus, daß mit Hilfe relativ weniger Grundgesetze eine Vielfalt auf den ersten Blick ganz verschie den aussehender Spielarten der Korrosion einheitlich beschrieben werden kann, sondern er umfaßt auch die große Mehrheit aller in der Praxis interessierender Korrosionsvorgänge. Auch die sogenannte atmosphärische Korrosion, also die Korrosion an Luft lagernder Metalle, gehört hierher und damit der verbreitetste Korrosionstyp überhaupt: das gewöhnliche Rosten von Eisen. Damit wird die Korrosion der Metalle durch wäßrige Elektrolytlösungen zum eigentlichen Thema. Für die Hochtemperaturkorrosion durch leitende Salz- oder Schlacken schmelzen werden in vieler Hinsicht ähnliche Grundgesetze gelten, jedoch sollen solche Sonderfälle außerhalb der Betrachtungen bleiben. Dasselbe gilt für die Korrosion durch organische, leitende Flüssigkeiten, während Reaktionen von Metallen mit nichtleitenden organischen Flüssigkeiten in diesem Zusammenhang nicht zur Diskussion stehen. Ebenso gehört die Auflösung fester Metalle in flüssigen, also z. B. die Auflösung von Metallrohren durch schmelzflüssige, metallische, wärme übertragende Medien, nicht hierher. Mit Ausnahme des eben erwähnten Falles der bloßen Auflösung eines Metalls in einem anderen geht bei Korrosionsreaktionen der metallische Charakter des angegriffenen Materials stets verloren, und zwar grundsätzlich dadurch, daß das Metall oxydiert wird. Das gilt nicht nur dann, wenn unmittelbar ein Oxid, also eine Sauerstoff Verbindung des Metalls entsteht, sondern auch bei der Bildung jeder anderen Metallverbindung, sei sie fest oder gelöst, also auch bei der Bildung gelöster Metallkationen. In jedem Fall werden den reagierenden Metallatomen Elektronen entzogen. Eben dies ist aber im Sprach gebrauch der Chemie die wesentliche Eigenschaft einer Oxydation. Dabei müssen die frei werdenden Elektronen zu einem Bestandteil