Leo Roepert Die konformistische Revolte Sozialtheorie Leo Roepert (Dr. phil.), geb. 1986, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Soziolo- gie im Fachbereich Sozialökonomie der Universität Hamburg. Seine Forschungs- schwerpunkte sind Kritische Theorie, Rechtspopulismus/Neue Rechte, Rassismus und Antisemitismus. Leo Roepert Die konformistische Revolte Zur Mythologie des Rechtspopulismus Das vorliegende Buch beruht auf meiner Dissertationsschrift, die ich im Januar 2020 an der Universität Hamburg eingereicht habe. Bedanken möchte ich mich bei meinen Gutachtern Frank Adloff und Wolfgang Menz, außerdem bei Philipp Degens, Daniel Dravenau, Felix Roßmeißl und Lilli von der Ohe, die in unter- schiedlicher Weise zur Verbesserung des Textes beigetragen haben. Mein beson- derer Dank gilt Moritz Kuhles, Ani Roepert und Maria Holl: Ohne ihre unermüd- liche und geduldige Unterstützung wäre ich niemals fertig geworden. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustim- mung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Verviel- fältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-6272-6 PDF-ISBN 978-3-8394-6272-0 https://doi.org/10.14361/9783839462720 Buchreihen-ISSN: 2703-1691 Buchreihen-eISSN: 2747-3007 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau- download Inhalt 1 Einleitung...............................................................7 1.1 DerAufstiegdesRechtspopulismus......................................7 1.2 AufbauderArgumentation..............................................10 2 DiesozialwissenschaftlicheDebatte ..................................17 2.1 Begriffsbestimmungen:Populismusund Rechtspopulismus............. 20 2.2 ElementedesRechtspopulismus....................................... 26 2.2.1 DasVolk........................................................ 26 2.2.2 DieElite........................................................ 28 2.2.3 DieFremden.................................................... 29 2.2.4 Geschlechterverhältnisse....................................... 30 2.2.5 Rationalität,Wahrheit,Affekt ....................................31 2.3 Erklärungstypen....................................................... 33 2.3.1 ÖkonomischeErklärungen ...................................... 33 2.3.2 PolitischeErklärungen ......................................... 56 2.3.3 KulturelleErklärungen ......................................... 70 2.4 Kritikdersozialwissenschaftlichen Rechtspopulismusdebatte .......... 83 3 DieStrukturrechtspopulistischer Weltbilder.......................... 89 3.1 DieFremdenundderNiedergangdesEigenen.......................... 90 3.1.1 Rassismus(de-)thematisieren................................... 90 3.1.2 LiberalerRassismus:GesellschaftgegenGemeinschaft..........102 3.1.3 VölkischerRassismus:DerNiedergangdesEigenen..............113 3.2 DieVerschwörungderElite ............................................ 117 3.2.1 DieElitegegendasVolk ........................................ 118 3.2.2 OhnmachtversusÜbermacht:DerWiderspruchim Elitenbild.....128 3.2.3 KonspirationismusundAntisemitismus .........................134 3.3 VomKonservatismuszurkonformistischenRevolte.....................146 4 BürgerlicheGesellschaftundrechtspopulistischeKrisenmythologie.. 151 4.1 ZumBegriffdesMythos................................................153 4.2 DiebürgerlicheGesellschaftalsheteronomeOrdnung ..................158 4.2.1 ÖkonomischeHerrschaft .......................................163 4.2.2 HerrschaftderNormen .........................................167 4.2.3 DerinnereKonfliktdesSubjekts ................................ 171 4.3 MythenderbürgerlichenGesellschaft ..................................177 4.4 MythosundKrise......................................................185 4.5 Rechtspopulismus:mythologischeKrisenverarbeitungund konformistischeRevolte...............................................193 5 DerRechtspopulismusunddieKrisendynamikderGegenwart........215 6 Literaturverzeichnis................................................. 229 1 Einleitung 1.1 Der Aufstieg des Rechtspopulismus SpätestensseitderglobalenFinanzkrisevon2008istindenwestlichen Demokratien ein ›Rechtsruck‹ zu beobachten. Am sichtbarsten sind die Verschiebungen in der politischen Sphäre. Hier konnten rechtspo- pulistischeParteien zunehmende Wahlerfolge verbuchen und in einigen Ländern sogar Regierungsmacht erlangen. Das »Brexit«-Referendum und die Präsidentschaft Donald Trumps stehen symbolisch für ih- re neue Stärke. Begleitet wurde der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien von der Entstehung einer rechten Zivilgesellschaft. Die im Jahre 2009 gegründete Tea-Party-Bewegung leitete einen Rechtsdrift der US-Republikaner ein, der den Boden für den späteren Wahlsieg Trumpsbereitete.InDeutschlandentstandimHerbst2014diePegida- Bewegung,dielandesweittausendeMenschenmobilisierte,umgegen eine»IslamisierungdesAbendlandes«zuprotestieren.RechteOnline- SubkulturenundJugendbewegungenwiedieAlt-Right-Bewegungund die Identitäre Bewegung haben an Einfluss gewonnen. Zusammen mit zahllosen Vereinen, Bürgerinitiativen, Think Tanks, Verlagen und Medienplattformen, die untereinander zum Teil gut vernetzt sind, bildensieeinerechteGegenöffentlichkeit. DieDiskursverschiebungen,dievondieserGegenöffentlichkeitausge- hen,stelleneineweitereDimensiondes›Rechtsrucks‹dar.Rassistische, antisemitische und sexistische Narrative haben zunehmende Verbrei- tung und Akzeptanz gefunden. Dabei wirkten globale Ereignisse wie die Finanzkrise, die Fluchtmigration ab 2015 und zuletzt die Corona- 8 DiekonformistischeRevolte Pandemie als Katalysatoren. Die Verschiebungen im politischen Dis- kurshabenschließlicheineWellerechterGewalt nachsichgezogen,an- gefangenbeiHateSpeechundMorddrohungenimInternet,bishinzu rassistischen Angriffen auf Geflüchtetenunterkünfte und rechtsterro- ristischenAttentatenwiedeneninUtøyaundChristchurch,beidenen dieTäterdutzendeMenschenermordeten. DasErstarkenrechterKräftehateineintensiveundanhaltendege- sellschaftliche Debatte ausgelöst, die sowohl in der Öffentlichkeit als auchindenSozialwissenschaftengeführtwird.VielesehenimRechts- populismus das Symptom einer fundamentalen Verunsicherung und eines gesellschaftlichen Umbruchs,dessen Konturen noch nicht deut- licherkennbarsind.DementsprechendfokussiertsichdieDebatteauf dieFrage,wiederRechtspopulismuszubeurteilenundpolitischzube- wertenistundworindieUrsachenseinesErfolgsbestehen.EinenBei- tragzuihrerBeantwortungzuleisten,istdasZieldieserArbeit. IndersozialwissenschaftlichenDiskussionhabensichindenletz- ten Jahren Erklärungsansätze durchgesetzt, die im Rechtspopulismus vorallemeinenProtestgegengesamtgesellschaftlichePhänomenewie den Neoliberalismus,die Postdemokratieoder die kulturelleHegemo- niekosmopolitischerMittelschichtensehen.DieseAnalysengehenoft- mals jedoch weniger vom Rechtspopulismus und seinen Inhalten und Zielenaus,sondernvonbereitsetabliertensoziologischenZeitdiagno- sen.DieErklärungbestehtdanndarin,dasneuePhänomenRechtspo- pulismusineinbestehendesDeutungsmustereinzufügen. Ausgangspunkt meiner Arbeit ist der Eindruck, dass die meisten dieser Ansätze ihrem Gegenstand äußerlich bleiben. Sie neigen dazu, den rassistischen, antisemitischen und sexistischen Kern des Rechts- populismusinihrenBetrachtungenzumarginalisierenoderganzaus- zusparen.Damitsindsienichtnurtheoretischunzureichend,weilsie zentrale Aspekte ihres Gegenstandes nicht erklären können. Sie sind auchinpolitischerHinsichtproblematisch,weilsiezueinerVerharm- losung des Rechtspopulismus beitragen, die in Teilen von Politik und Öffentlichkeitohnehinbetriebenwird. Angesichts dieser Debattenlage verfolgt meine Untersuchung den AnsatzeinerdoppeltenDistanzierung:zumeinen,indemsieimzwei- 1 Einleitung 9 ten Kapitel mit einer ausführlichen Bestandsaufnahme der sozialwis- senschaftlichen Debatte und einer kritischen Diskussion ihrer zentra- lenThesen,BegriffeundErklärungsansätzebeginnt.Zumanderen,in- dem sie im dritten und vierten Kapitel eine gesellschaftstheoretische Er- klärungdesRechtspopulismusentwickelt,diesichinderTraditionder kritischen Theorie verortet. Deren methodische Prämisse lautet, dass jedes soziale Phänomen durch das Ganze der Gesellschaft bestimmt ist.JedekonkreteAnalysesetzteinenBegriffgesellschaftlicherTotalität voraus.DerRechtspopulismuslässtsichdemnachnurverstehen,wenn man die Gesellschaft zu verstehen versucht, die ihn hervorbringt. Ich bezeichnesienachihremSelbstverständnisalsbürgerlicheGesellschaft. Die kritische Gesellschaftstheorie seit Karl Marx begreift die bür- gerlicheGesellschaftalsheteronomeOrdnung.FürTheodorW.Adorno und Max Horkheimer ist ihre Geschichte bestimmt durch die Dialek- tik der Aufklärung: das bürgerliche Emanzipationsversprechen mündet inneuenFormenvonHerrschaft.DieUtopiederAufklärung,dieWelt vernünftig einzurichten, schlägt um in Mythologie. Das weltweite Er- starkendesRechtspopulismuslässtsichalseinezeitgenössischeGestalt diesesUmschlagsverstehen. AdornoundHorkheimerhabendieDialektikderAufklärungvoral- lemamSubjektundimBereichderKulturnachgezeichnet.UmdieMy- thologiedesRechtspopulismuszuuntersuchen,werdeichihreÜberle- gungenmiteineranMarxorientiertenDarstellungderStrukturender bürgerlichen Gesellschaft verbinden. Die Ursachen für den Umschlag von Rationalität in Mythos,von Freiheit in Unterwerfung,sind in den anonymenundverselbstständigtenHerrschaftsstrukturenderbürger- lichen Gesellschaft und den aus ihnen hervorgehenden Krisentenden- zenzusuchen.DarausergibtsichdiezentraleThesederUntersuchung: Der Rechtspopulismus produziert eine Mythologie, die versucht, die Krisen der Gegenwart zu deuten, zu verarbeiten und zu überwinden, ohnediegesellschaftlichenStrukturen,diesiehervorbringen,inFrage stellenzumüssen. Der Rechtspopulismus ist daher kein Protest gegen Postdemokra- tie oder Neoliberalismus, sondern eine Gestalt der konformistischenRe- volte.EristkeineverzerrteundfehlgeleiteteKritikandenZumutungen 10 DiekonformistischeRevolte und Zwängen eines krisenhaften Kapitalismus, sondern der Versuch, Reflexion, Kritik und emanzipatorische Praxis zu vermeiden und die bestehendenVerhältnisseumjedenPreiszuerhalten. 1.2 Aufbau der Argumentation DaszweiteKapitelderArbeit(2)setztsichkritischmitdersozialwissen- schaftlichen Debatte um den Rechtspopulismus auseinander. Am An- fangstehteineAuseinandersetzungmitdenBegriffenPopulismusund Rechtspopulismus, die sich zur Bezeichnung der neuen rechten Strö- mungen durchgesetzt haben. Rechtspopulismus wird häufig als eine Variante des allgemeineren Phänomens Populismus konstruiert (2.1). DerKerndesPopulismusbestehteinerweithingeteiltenDefinitionzu- folgeinderUnterscheidungzwischeneinemmoralischreinenVolk,das der Populismus exklusiv zu vertreten beansprucht, und einer korrup- ten und feindseligen Elite.Der Rechtspopulismus ergänzt dieses Muster um das Feindbild der Fremden: Migrant*innen,Minderheiten,»der Is- lam«.EsfolgteineknappeDarstellungzentralerThemenundAspekte desRechtspopulismus(2.2).ImZentrumrechtspopulistischerWeltbil- der steht die Idee,dass das Eigene von zwei Seiten bedroht wird: von der Elite, die die Souveränität und Identität des Volkes zerstört, und von den Fremden, die das Eigene zu verdrängen drohen. Geschlech- terverhältnissespielenindiesenNarrativeneinezentraleRolle:derei- genen Geschlechterordnung wird eine fundamentale Krise diagnosti- ziert, während die Sexualität der Fremden als aggressiv und expansiv beschriebenwird.InsgesamtzeichnetsichderrechtspopulistischeDis- kursdurcheinestarkeAffektivitätausundenthältDeutungsmuster,die den Sichtweisen der ›bürgerlichen Mitte‹ in vielen Punkten entgegen- gesetztsind,wasFragennachWahrheitundRationalitätaufwirft. ImAnschlussandiesenerstenÜberblickwidmeichmichausführ- lichdensozialwissenschaftlichenAnsätzen,diedenRechtspopulismus als Gesamtphänomen zu erklären beanspruchen (2.3). Dabei unter- scheideichdreiTypenvonErklärungsansätzen: