Analysen zu gesellschaftlicher Integration und Desintegration Kurt Möller · Janne Grote Kai Nolde · Nils Schuhmacher „Die kann ich nicht ab!“ – Ablehnung, Diskriminierung und Gewalt bei Jugendlichen in der (Post-)Migrations- gesellschaft Analysen zu gesellschaftlicher Integration und Desintegration Herausgegeben von Wilhelm Heitmeyer, Universität Bielefeld Weitere Informationen zu dieser Reihe finden Sie unter http://www.springer.com/series/12569 Die Schriftenreihe ist hervorgegangen aus dem in Bielefeld von Wilhelm Heitmeyer geleiteten und von Peter Imbusch koordinierten For- schungsverbund „Gesellschaftliche Desintegrationsprozesse – Stärkung von Integrationspotenzialen moderner Gesellschaften“ und präsentiert dessen zentrale Forschungsergebnisse. Mit der Leitformel „Stärkung von Integrationspotenzialen“ wird signalisiert, dass moderne Gesellschaften einerseits auf Grund ihrer Entwicklung und Ausdifferenzierung über erhebliche Integrationspotenziale verfügen, um Existenz-, Partizipations- und Zugehörigkeitschancen zu bieten; andererseits verweist sie bereits auf eine Reihe von Problemzusammenhängen. Zielsetzung des Forschungsverbundes war es, durch seine Analysen gravierende Problembereiche moderner Gesellschaften differenziert empirisch aufzuarbeiten, so dass Maßnahmen identifiziert werden können, die zur Stärkung ihrer Integrationspotenziale beitragen können. Der Forschungsverbund wurde finanziell vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Herausgegeben von Wilhelm Heitmeyer Universität Bielefeld Kurt Möller • Janne Grote • Kai Nolde Nils Schuhmacher ,,Die kann ich nicht ab!” – Ablehnung, Diskriminierung und Gewalt bei Jugendlichen in der (Post-) Migrations- gesellschaft Prof. Dr. Kurt Möller Janne Grote, M.A., Hochschule Esslingen, Deutschland Bremen International Graduate School of Social Sciences Kai Nolde, M.A., Deutschland Hamburg, Deutschland Dr. Nils Schuhmacher Hochschule Esslingen, Deutschland Analysen zu gesellschaftlicher Integration und Desintegration I SBN 978-3-658-02301-0 I SBN 9 78-3-658-02302-7 ( e Book) D OI 1 0.1007/978-3-658-02302-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 D as Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. D ie Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Lektorat: Cori Antonia Mackrodt, Katharina Gonsior Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Teil A Stand der Forschung und des Praxiswissens 1 Zum Forschungsstand über ‚Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.1 Das Langzeitprojekt ‚Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit‘ (‚Deutsche Zustände‘) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.2 Weitere Studien aus dem GMF-Forschungs zusammenhang . . . . . . . 13 1.3 ‚Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit‘ bei Jugendlichen . . . . . . 19 1.4 Kritik und Lücken der GMF-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2 Erkenntnisse empirischer Forschung und pädagogischer Praxis zu einzelnen thematischen Feldern von Ablehnungshaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.1 Thematische Felder von Ablehnungshaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.2 Herkunfts- und migrationsbezogene Ablehnungs haltungen . . . . . . . 32 2.3 Antimuslimische Haltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.4 Antisemitische Haltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.5 Stilbezogene und territorialisierende Ablehnungs haltungen . . . . . . . 55 2.6 Ablehnungshaltungen im Kontext der hegemonialen Geschlechterordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 VI Inhaltsverzeichnis 2.7 Ablehnungshaltungen gegenüber gesellschaftlichem ‚underperforming‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2.8 Kritik des Forschungsstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Teil B Eigene Studie: Ablehnungskonstruktionen, Diskriminierung und Gewalt 1 Inhaltliche und methodische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1.1 Zentrale Ziele, Fragestellungen und theoretische Ausgangspunkte . . 82 1.1.1 Zentrale Ziele und Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1.1.2 Theoretische Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1.2 Methodische Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1.2.1 Fallauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1.2.2 Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1.2.3 Datenaufbereitung und -interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2 Empirische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2.1 Fallskizzen – die befragten Jugendlichen im Überblick . . . . . . . . . . 135 2.2 Die Konstruktion herkunfts- und migrations bezogener Ablehnungs haltungen – „…benehmen sich scheiße”, „…denken, sie sind was Besseres”, „…bleiben unter sich“ . . . . . . . . 178 2.2.1 Zentrale Muster der biographischen Entstehung und Ent- wicklung des Phänomens und deren lebensweltliche Aus- prägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2.2.2 Zusammenhänge zwischen Ablehnungskonstruktionen und Aktivität(sbereitschaft)en . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2.2.3 Prozesse und Faktoren von Distanz und Distanzierung . . . . . . 224 2.2.4 KISSeS-Aspekte im Kontext herkunfts- und migrationsbe- zogener Ablehnungshaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2.2.5 Zentrale Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 2.3 Die Konstruktion antimuslimischer Haltungen – „… gehören nicht hierher“, „… halten uns für dreckig”, „… bauen überall Moschees hin” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 2.3.1 Zentrale Muster der biographischen Entstehung und Ent- wicklung des Phänomens und deren lebensweltliche Aus- prägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 2.3.2 Zusammenhänge zwischen Ablehnungskonstruktionen und Aktivität(sbereitschaft)en . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Inhaltsverzeichnis VII 2.3.3 Prozesse und Faktoren von Distanz und Distanzierung . . . . . 303 2.3.4 KISSeS-Aspekte im Kontext antimuslimischer Haltungen . . . 314 2.3.5 Zentrale Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 2.4 Die Konstruktion antisemitischer Haltungen – „Ausländer“, „Opfer“, „brutal“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 2.4.1 Zentrale Muster der biographischen Entstehung und Ent- wicklung des Phänomens und deren lebensweltliche Aus- prägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 2.4.2 Zusammenhänge zwischen Ablehnungskonstruktionen und Aktivität(sbereitschaft)en . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 2.4.3 Prozesse und Faktoren von Distanz und Distanzierung . . . . . . 352 2.4.4 KISSeS-Aspekte im Kontext antisemitischer Haltungen . . . . 357 2.4.5 Zentrale Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 2.5 Die Konstruktion stilbezogener und territorialisierender Ablehnungshaltungen – „Ekel“, „Angst“ und Kampf „wegen den gleichen Situationen wie wir“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 2.5.1 Stilbezogene Ablehnungshaltungen – zentrale Muster der biographischen Entstehung und Entwicklung des Phäno- mens und deren lebensweltliche Ausprägungen . . . . . . . . . . . . 380 2.5.2 Territorialisierende Ablehnungshaltungen – zentrale Mus- ter der biographischen Entstehung und Entwicklung des Phänomens und deren lebensweltliche Aus prägungen . . . . . . . 397 2.5.3 KISSeS-Aspekte im Kontext stilbezogener und territorialisierender Ablehnungshaltungen . . . . . . . . . . . . . . . 439 2.5.4 Zentrale Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 2.6 Die Konstruktion von Ablehnungshaltungen im Kontext der hegemonialen Geschlechterordnung – „Schwuchteln“, „Schlampen“, „Schlägertypen“ . . . . . . . . . . . . . . . . 477 2.6.1 Hegemoniale Heteronormativität – die Ablehnung von Homosexualität sowie von Schwulen und Lesben . . . . . . . . . . 478 2.6.2 Umkämpfte Männlichkeiten – die Zurückweisung gewalt- und dominanzorientierter Mannhaftigkeits muster als pauschalisierende Ablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 2.6.3 Abgelehnte Formen weiblicher gender-performance und Haltungen männlicher Dominanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 2.6.4 KISSeS-Aspekte im Kontext genderbezogener Ablehnungshaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 2.6.5 Zentrale Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 VIII Inhaltsverzeichnis 2.7 Die Konstruktion von Ablehnungshaltungen gegenüber gesellschaftlichem ‚underperforming‘ – „Loser“, „Junkies“, ‚Sozialschmarotzer‘ und „Spastis“ . . . . . . . . . . . 617 2.7.1 Zentrale Muster der biographischen Entstehung und Ent- wicklung des Phänomens und deren lebensweltliche Aus- prägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 2.7.2 Zusammenhänge zwischen Ablehnungskonstruktionen und Aktivität(sbereitschaft)en . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 2.7.3 Prozesse und Faktoren von Distanz und Distanzierung . . . . . . 654 2.7.4 KISSeS-Aspekte im Kontext von Ablehnungshaltungen gegenüber gesellschaftlichem ‚underperforming‘ . . . . . . . . . . 664 2.7.5 Zentrale Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 2.8 Fazit: Pauschalisierende Ablehnungskonstruktionen bei Jugendlichen – Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . . . . . . . . 693 2.8.1 Perspektive der Erfahrungsproduktion: KISSeS . . . . . . . . . . . 694 2.8.2 Zentrale Bedingungsfaktoren pauschalisierender Ablehnungskonstruktionen bei Jugendlichen: Fluidität, Situativität, Kontextualität und Prozessualität . . . . . . . . . . . . . 732 2.8.3 PAKO-Komplexe – Konstellationen pauschalisierender Ablehnungskonstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 740 Teil C 50 Konsequenzen für Forschung und Praxis 1 Forschungsbezogene Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767 2 Praxisbezogene Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837 Autorenangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839 Einleitung Lehrkräfte an Schulen wie Praktiker_innen1 der Pädagogik und der Sozialen Arbeit registrieren es schon seit langem: Wer herkunfts- und migrationsbezogene Ablehnung hegt, ist auch häu(cid:192) g sexistisch, wer rassistisch argumentiert, ist zu- meist auch antisemitisch, wer sich behindertenfeindlich gibt, ist oft auch gegen Menschen ohne festen Wohnsitz eingestellt, wer etwas gegen ‚Zigeuner‘ hat, hat auch was gegen Muslime. Und wer sowohl die eine als auch die andere der oben benannten Vorbehalte und Abneigungen hat, zeigt sich vielfach auch ablehnend gegenüber einer dritten Gruppierung. Unter Umständen weitet eine solche Person ihre Ablehnung auch noch darüber hinaus aus und positioniert sich gegen weitere Kollektive, Lebenspraxen und/oder Gesellschafts- und Weltbilder, die sie von ih- nen repräsentiert sieht. Die Praxis weiß ferner: Herangehensweisen wie diversen sozialarbeiterischen Interventionen, interprofessionellen Präventionsanstrengungen und pädagogi- schen Bildungseinheiten, die nur auf einen einzelnen der oben genannten Hal- tungsaspekte zugeschnitten sind, gelingt es bestenfalls, eben diesen einen Aspekt bei Angehörigen ihrer jeweiligen Adressatengruppierungen abzubauen oder ihn wenigstens im Zaum zu halten. Wird aber z.B. Fremden- oder Behindertenfeind- lichkeit auf diese Weise in Schranken verwiesen, so ändert dies nicht unbedingt 1 Wir verwenden in diesem Buch den sog. ‚gender-gap‘ dort, wo erkennbar von (Grup- pierungen von) Individuen die Rede ist, um deutlich zu machen, dass theoretisch auch von Personen die Rede sein kann, die sich jenseits der Geschlechterdichotomie ver- ortet sehen wollen. Überall dort, wo Begriffe den Charakter von Kollektivbezeich- nungen aufweisen, sowie bei zusammengesetzten Begriffen verzichten wir auf diese Kennzeichnung.