Die Interpunktion des Deutschen: Ein kompositionelles System zur Online-Steuerung des Lesens Ursula Bredel MAX NIEMEYER VERLAG Linguistische 522 Arbeiten HerausgegebenvonKlausvonHeusinger,GereonM(cid:2)ller, IngoPlag,BeatricePrimus,ElisabethStarkundRichardWiese Ursula Bredel Die Interpunktion des Deutschen Ein kompositionelles System zur Online-Steuerung des Lesens n Max Niemeyer Verlag T(cid:2)bingen 2008 BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detailliertebibliografischeDatensindimInternet(cid:2)berhttp://dnb.ddb.deabrufbar. ISBN978-3-484-30522-9 ISSN0344-6727 (cid:3)MaxNiemeyerVerlag,T(cid:2)bingen2008 EinImprintderWalterdeGruyterGmbH&Co.KG http://www.niemeyer.de DasWerkeinschließlichallerseinerTeileisturheberrechtlichgesch(cid:2)tzt.JedeVerwertungaußerhalbder engenGrenzendesUrheberrechtsgesetzesistohneZustimmungdesVerlagesunzul(cid:4)ssigundstrafbar.Das giltinsbesonderef(cid:2)rVervielf(cid:4)ltigungen,(cid:5)bersetzungen,MikroverfilmungenunddieEinspeicherungund VerarbeitunginelektronischenSystemen.PrintedinGermany. Gedrucktaufalterungsbest(cid:4)ndigemPapier. DruckundEinband:AZDruckundDatentechnikGmbH,Kempten Vorwort Als ich 1999 begann, mich mit der Interpunktion zu befassen, war es meine Absicht, den Interpunktionserwerb zu rekonstruieren. Denn bis auf einige prinzipiellere Einsichten in den Erwerb der Kommasetzung lagen zu diesem Zeitpunkt dazu praktisch keine Erkennt- nisse vor. Ausgehend davon, dass die Aneignung sprachlicher Teilsysteme von den Systemeigen- schaften selbst zumindest mitdeterminiert ist, galt es zunächst, die Struktur des Gegenstan- des darzustellen. Die in der Literatur angebotenen Konzepte erwiesen sich jedoch als noch nicht geeignet. Problematisch war vor allem, dass die Interpunktionsforschung sich bislang nicht mit den Interpunktionszeichen, sondern mit den sprachlichen Konstruktionen, die sie kennzeichnen, befasst hatte. Die somit erst zu leistende Rekonstruktion des Interpunktions- systems, die als Basis für Erwerbsfragen dienen sollte, stellte sich dann als so umfangreich heraus, dass der Erwerbszusammenhang zunehmend in den Hintergrund trat und zuletzt ganz zurückgestellt werden musste. Eine besondere Schwierigkeit, die sich wie ein roter Faden durchhielt, war die weitge- hende Verständnislosigkeit auch von Kollegen und Kolleginnen, den Gegenstand meiner Arbeit – die Interpunktion – betreffend, schien doch (vielleicht mit Ausnahme des Kom- mas) mit den Dudenregeln im Prinzip alles gesagt zu sein. In diesem Zusammenhang gilt mein besonderer Dank Beatrice Primus, die von Beginn an davon überzeugt war, dass sich die Arbeit lohnt, zu deren Entstehen sie dann mit vielen Anregungen einen nicht unerhebli- chen Beitrag geleistet hat; Robert Kemp, der ebenfalls von Anfang an viele weiterführende Ideen eingebracht hat, und Hartmut Günther, der mir als seiner Assistentin optimale Ar- beitsbedingungen ermöglicht hat. Danken möchte ich außerdem für viele hilfreiche Diskussionen Horst Lohnstein, Jürgen Lenerz und Cäcilia Töpler. Gregor Strick hat alle redaktionellen Arbeiten sowie die Korrekturen übernommen und mir auch sonst in jeder Hinsicht Rückendeckung gegeben. Verbliebene Fehler sind selbstverständlich von mir zu verantworten. Köln, den 14. März 2008 Ursula Bredel Inhalt I Einleitung ................................................................................................................... 1 1 Die Sprache der Schrift ......................................................................................... 2 2 Fragestellung ........................................................................................................ 11 2.1 Holismus vs. Kompositionalität ................................................................... 11 2.2 Sprache vs. Schrift ....................................................................................... 13 2.3 Offline vs. Online ........................................................................................ 14 II Form ........................................................................................................................... 21 1 Das Inventar .......................................................................................................... 21 2 Merkmale .............................................................................................................. 24 2.1 Terminologisches ......................................................................................... 25 2.2 Das Merkmal LEERE .................................................................................... 26 2.3 Das Merkmal VERTIKALITÄT ....................................................................... 28 2.4 Das Merkmal REDUPLIKATION .................................................................... 28 2.5 Das Merkmalsystem .................................................................................... 29 2.6 Systemlücken ............................................................................................... 30 3 Schriftgrammatik .................................................................................................. 30 3.1 Die Position der Interpunktionszeichen in Texten – slots und filler ............ 31 3.1.1 Listenmodus und Textmodus ........................................................... 32 3.1.2 Klitika und Filler .............................................................................. 34 3.2 Satzzeichenfolgen ........................................................................................ 34 3.3 Die Basisstruktur des Schriftwortes ............................................................. 43 3.4 Die segmentalen Mittel der Schrift .............................................................. 58 3.5 Basiseinheiten einer Schriftgrammatik ........................................................ 59 Exkurs: Das Spatium ............................................................................................ 60 3.6 Schriftgrammatische Struktur der Filler ...................................................... 62 3.7 Schriftgrammatische Struktur der Klitika .................................................... 82 3.8 Höhere Konstituenten – Eine Skizze ........................................................... 91 III Funktion ...................................................................................................................... 95 1 Interpunktion – online .......................................................................................... 95 1.1 Die Arbeitsteilung von Auge und Stimme ................................................... 96 1.2 Die Regulierung okulomotorischer und subvokalisatorischer Aktivitäten .. 99 2 Die Filler ............................................................................................................... 102 2.1 Der Apostroph ............................................................................................. 102 2.2 Der Divis ..................................................................................................... 106 2.3 Der Gedankenstrich und die Auslassungspunkte ......................................... 117 3 Die Klitika ............................................................................................................ 128 3.1 Die S-Klitika < „“ ( ) > ................................................................................ 128 3.1.1 Die Anführungszeichen ................................................................... 129 3.1.2 Die Klammern ................................................................................. 138 3.2 Die K-Klitika < ? ! > .................................................................................... 150 3.2.1 Das Fragezeichen ............................................................................. 159 3.2.2 Das Ausrufezeichen ......................................................................... 163 3.3 Die P-Klitika < . : , ; > ................................................................................. 173 3.3.1 Das Komma ..................................................................................... 177 3.3.2 Das Semikolon ................................................................................. 186 3.3.3 Der Punkt ......................................................................................... 191 3.3.4 Der Doppelpunkt ............................................................................. 195 IV Zusammenfassung – Das Gesamtsystem .................................................................... 211 1 Interpunktionsklassen – Das Merkmal LEERE ...................................................... 212 2 Schriftgrammatik – Das Merkmal VERTIKALITÄT................................................. 213 3 Das Merkmal REDUPLIKATION ............................................................................. 217 4 Das System der Interpunktion im gegenwärtigen Deutsch ................................... 220 V Ausblick ...................................................................................................................... 221 VI Literatur ...................................................................................................................... 225 I Einleitung Voran ging der Bürgermeister auf dem Kopfe, den glänzenden Zylinder an den Füßen, die Lack- schuhe in der Hand, den unvermeidlichen Spazierstock hinter dem Ohr, das Kneiferschnürchen in eisernes Schweigen gehüllt. (Zollinger 1940: 14) Mit solchen und anderen vergnüglichen Beispielen, die sich auf der Grundlage fehlgehen- der Interpunktionsverwendungen einstellen, wird hin und wieder versucht, die Bedeutsam- keit der Interpunktion hervorzuheben. Auch Anekdoten wie die, dass ein Franzose wegen eines falsch gesetzten Punktes einen Esel verloren hat, oder die Geschichte des ausge- fuchsten Juristen, der sich durch ein Komma eine Rückzugsmöglichkeit im Konfliktfall gesichert hatte, oder der Bericht von einer ökonomischen Katastrophe, die sich wegen eines irrtümlich an falscher Stelle gesetzten Kommas einstellte, werden bemüht, um die Bedeut- samkeit der Interpunktion zu unterstreichen.1 Wie Klockow (1980) jedoch zu Recht be- merkt, erweist sich gerade durch das Erfordernis solcher Bemühungen die Bedeutungs- losigkeit des Gegenstandes im öffentlichen Interesse. Auch dort, wo es explizit um Fragen der Orthographie geht, bleibt die Interpunktion häu- fig peripher. In der mittlerweile weit fortgeschrittenen Schrifttheorie fehlt noch immer eine substantielle wissenschaftliche Beschäftigung mit Fragen der deutschen Zeichensetzung. Die einzigen drei Monographien (Mentrup 1983, Gallmann 1985, Behrens 1989) zur Inter- punktion stammen aus den 80er-Jahren; zwei davon (Mentrup und Gallmann) sind neben einer wissenschaftlichen Rekonstruktion an einer erwarteten Reform orientiert. Bezüglich der Rekonstruktion von Einzelzeichen liegen nur für das Komma (Eisenberg 1979, Primus 1993, 1996 und Schmidt 1994) weiterführende norm-/reformunabhängige Rekonstruk- tionen vor. Auch die öffentliche Orthographiediskussion blickt auf eine eher schlanke Bearbeitung der Interpunktion zurück: In den Orthographischen Konferenzen von 1876 und 1901 zur Festlegung der deutschen Einheitsschreibung war die Interpunktion nicht Verhandlungsge- genstand. Entsprechend fehlt im ersten überregional verbindlichen Volksduden von 1901 ein Regelteil zur Interpunktion.2 Erst 1915, in der 9. Auflage des Volksdudens, wurde ein solcher Regelteil abgedruckt. Übernommen worden war er wörtlich aus dem sog. Buch- druckerduden, der bereits seit seinem ersten Erscheinen 1903 über einen eigenen Abschnitt zur Interpunktion verfügt hatte. Dieser war seinerseits bereits 1876 von Konrad Duden verfasst worden. Zusammen mit einem Vorschlag von Steinacker, „welcher Festsetzungen über Interpunktion wünscht“ (Verhandlungen 1876, zit. nach Jansen-Tang 1988: 398), hät- ten für die 1. Orthographische Konferenz zumindest Diskussionsvorschläge vorgelegen. Es mangelte also nicht an konzeptionellen Vorarbeiten. Vielmehr schien die Regelung der Interpunktion angesichts der komplexen Probleme, die in Bezug auf die Wortschreibung zu bewältigen waren, nicht hinreichend relevant zu sein. Steinacker wurde darauf verwiesen, –––––––—–– 1 Nachlesbar sind alle diese Geschichten in Zollinger (1940). 2 Zu einer detaillierten Rekonstruktion der Geschichte des Volksdudens vgl. Sauer (1988), Jansen- Tang (1988) und Böhme (2001). Speziell zur Rolle der Interpunktion im Duden vgl. Mentrup (1983) und Böhme (1995, 2001).
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