DIE IMMUNITATSFORSCHUNG ERGEBNISSE UNO PROBLEME IN EINZELDARSTELLUNGEN HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. R. DOERR BASEL BAND VIII ALLERGIE WI EN SPRINGER.,.VERLAG 1951 ALLERGIE VON R. DOERR BASEL WI EN SPRINGER~VERLAG 1951 ISBN-13: 978-3-211-80211-3 e-ISBN-13: 978-3-7091-7792-1 001: 10.1007/978-3-7091-7792-1 ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER OBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN. COPYRIGHT 1951 BY SPRINGER=VERLAG IN VIENNA Softcover reprint of the hardcover 1s t edition 1951 MEINER UEBEN FRAU GEWIDMET Vorwort. "Geschrieben steht: ,1m Anfang war das Wort!' Bier stock' ich schon! Wer hUft mir weiter fort 1 Ich kann das Wort so hoch unmoglich schatzen. Ich muB es anders iibersetzen, Wenn ich yom Geiste recht erleuchtet bin, Geschrieben steht: ,1m Anfang war der Sinn!' Bedenke wohl die erste Zeile, DaB deine Feder sich nicht iibereile! 1st es der Sinn, der alles wirkt und schafft 1 Es solite stehn: 1m Anfang war die Kraft! Doch, auch indem ich dieses niederschreibe, Schon warnt mich was, daB ich dabei nicht bleibe. Mir hilft der Geist! auf einmal seh' ich Rat Und schreibe getrost: ,1m Anfang war die Tat!'" Als ich in hohem Alter und durch Krankheit schwer behindert den EntschluB faBte, mich noch einmal wie schon so oft zuvor an das Aliergieproblem heranzuwagen, kamen mir diese Verse vor Augen, die Goethe seinen Faust sprechen laBt, und es eroffnete sich mir die Ein. sicht, daB auch ich nichts anderes, vielieicht auch nichts Besseres tun konnte, als yom Wort zum Sinn, yom Sinn zur Kraft und von der Kraft zur Tat fortzuschreiten. Basel, am 1. Dezember 1951. R. Doerr. Inhaltsverzeichnis. Seite Der Rahmen ....... . 1 I. Vom Wort zum Sinn 1 II. Vom Sinn zur Kraft. 1 III. Von der Kraft zur Tat 2 Die ~<\'usfiillung des Rahmens. . 12 I. Die genetischen Bedingungen der .Allergien 12 A. Die individuelle Anlage. . . . . 12 B. Die Eintrittspforten der .Allergene 19 Allergeninvasion und -expansion . 19 C. Die Erblichkeit der Allergieanlage 21 II. Der Mechanismus der allergischen Phanomene 29 A. Beweise fUr die Zellstandigkeit der .Allergen-Reagin- Reaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 B. Der Nachweis freier Reagine in vivo. . . . . . . . . . 32 C. Der Nachweis freier Reagine im Reagenzglase. Reagin- .Allergen-Gemische . . . . . . . . . . 33 III. Die .Allergene . . . . . . . . . . . . . . . . .41 IV. Die pathologische Physiologie der .Allergien . . . 47 V. Die Symptomatologie der allergischen Krankheiten 57 1. Das allergische (idiosynkrasische) Asthma. . . 58 Deutung und Bedeutung eines tierexperimentellen Asthma- modells. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 61 Der asthmatische Anfall ............ 64 Der Status asthmaticus. - Das chronische Asthma. . 64 2. Rhinitis und Conjunctivitis . . . . . . . . . . . . . . 67 Das Heufieber (Pollinosis); der Heuschnupfen (Rhinopathia pollinosa) und das Heuasthma (Asthma pollinosum). . 69 Disposition 74. - a) Endogene Faktoren 74. - b) Exogene Faktoren 77. Symptome und Verlauf 85 3. Gastrointestinale Typen 90 4. Hautveranderungen . . 101 VI. Diagnose . . . . . . . . 117 1. Schleimhautproben (epimukOse Priifungen). 120 a) Intranasale Probe 120. - b) Ophthalmoreaktion 120. - c) Buccaler Test 121. - d) Die bronchiale Probe 121. - e) Die intestinale Probe 124. 2. Hautproben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Priifung der Lichtallergie 126. - b) Lappchenmethode (patch test) 127. - c) Skarifikationsprobe (scratch test) 129. - d) Die elektrophoretische Probe 131. - e) Die intrakutane Probe 132. Inhaltsverzeichnis. IX Selte VII. Prophylaxe und Therapie. . . . . 143 1. Die spezifische Desensibilisierung 146 a) Das Heufieber . . . . . . . 148 Die ganzjahrige oder Dauerbehandlung 157. b) .Andere .Allergien des Respirationstraktes 161 c) Das bakterielle .Asthma. . . . . 162 d) .Alimentare .Allergien . . . . . . 167 2. Die unspezifische Desensibilisierung . 168 a) Pepton und Propeptane. . 168 b) Die Tuberkulinbehandlung. 172 c) Die .Antihistaminica 172 d) Die Kalziumtherapie . 175 e) Die Fieberbehandlung 177 f) Rontgenbestrahlungen 177 g) Hormone, Vitamine 177 h) Chirurgische Eingriffe 177 i) Histaminase, Histamin, Hapamine 178 3. Die .Abstinenzprophylaxe und .Abstinenztherapie 180 Ein SchluBwort. . . . 186 Li teraturverzeichnis 189 Sachverzeichnis .. 209 Der Rahmen. I. Vom Wort zum Sinn. CLEMENS v. PIRQUET wollte unter dem von ihm vorgeschlagenen Fremdwort Allergie (= cO,l'Y} EQyau = veranderte Reaktionsfahigkeit) nicht mehr verstanden wissen, als die klinische Anderung der Reaktions fahigkeit des Organismus in zeitlicher, quantitativer oder qualitativer Beziehung. In seiner bekannten, 1910 erschienenen Monographie ver wahrte sich v. PmQUET ausdriicklich gegen "jede vorgefaBte Meinung" oder, wie es an einer anderen Stelle heiBt, gegen "jedes bakteriologische, pathologische oder biologische Vorurteil". Es ist indes klar, daB durch diese Auffassung ein Begriff entstehen miiBte, der sich sowohl in logischer wie in physiologischer Hinsicht durch einen auBerordentlich groBen Umfang unter korrespondierender Verarmung seines Inhaltes charak terisieren wiirde. DaB dies in der Intention PmQUETS lag, geht daraus hervor, daB er in seinen letzten Lebensjahren eine Abhandlung "Die Allergie nach Alter und Geschlecht" verfaBte, in der sein Wille, jede Reaktionsanderung seinem Allergiebegriff zu unterstellen, unverhiillt zum Ausdruck kam. Aber im ersten Anlauf hat sich v. PmQUET noch nicht zu dieser Absolutierung des Allergiebegriffes verstiegen. Er schrankte die Definition der Allergie ein, indem er den Geltungsbereich des Aus drucks auf jene Anderungen der Reaktionsfahigkeit einengte, welche durch das "Uberstehen einer Krankheit, durch die Vorbehandlung mit bakteriellen Produkten und anderen korperfremden Substanzen in gesetzmaBiger Weise zustande kommen. Wie R. DOERR (1925) ausfiihrte, waren in dieser Abgrenzung trotz der Absicht PmQUETS biologische Komponenten verwoben, namlich erstens die Forderung, daB die abnorme Reaktivitat individuell erworben werden muB, zweitens die Spezifitat des Zustandes und drittens die immunisatorische oder antigene Funktion des allergieerzeugenden Agens, des Allergens. Ohne diese Einschrankung hatte der Allergiebegriff kein Interesse erweckt und ware aus dem bio logischen Gesichtskreis spurlos verschwunden. II. Vom Sinn zur Kraft. Die von PmQUET nicht direkt gewollte, aber durch ihn verursachte Einordnung der Allergien unter die Immunitatsphanomene hatte schon in statu nascendi mit einer Schwierigkeit zu kampfen, welche in der auf DOl'rr, Allerg!e. 2 Yom Sinn zur Kraft. - Von der Kraft zur Tat. die Antitoxine zuriickgehenden teleologischen Auffassung der Immunitat als eines durch spezifische Antikorper bedingten Schutzes ihren Grund hatte. An dieser Auffassung festhaltend, muBte es natiirIich einen unlosbaren Widerspruch bedeuten, daB den Allergien, die sich kIinisch als krankhafte Erscheinungen darstellten, der Charakter von "Immunitats phanomenen" zuerkannt werden sollte. Nun hatten aber P. PORTIER und CH. RWHET (1902) die Anaphylaxie entdeckt, seit M. ARTHUS (1903) wuBte man, daB sie dieselbe Art der Spezifitat aufwies wie die Immunitats reaktionen in vitro, und der passiv anaphylaktische Versuch [M. NICOLLE (1907), R. OTTO (1907), U. FRIEDEMANN (1907), F. P. GAY und E. E. SOUTHARD (1907)] beseitigte jeden Zweifel, daB es sich urn eine Antigen Antikorper-Reaktion in vivo handeln miisse. Man stand also zur Zeit, als die Allergie auf den Plan trat, bereits vor der Notwendigkeit, die Verkettung von Antikorper und Schutzwirkung als eine unzulangIiche Idee aufzugeben, und sie angesichts der Tatsachen durch das Zugestandnis zu ersetzen, daB man unter Immunitatsphanomenen nichts anderes zu verstehen habe als Antigen-Antikorper-Reaktionen. Dazu konnte man sich jedoch nicht entschlieBen. Vielmehr wurden bis in die neueste Zeit "Immunitat" rind "Oberempfindlichkeit" im Sinne von Geschiitztsein und Schutzlosigkeit in Gegensatz gebracht, woran vielleicht der Umstand mitbeteiligt war, daB es fast ausschlieBlich Manner der ausiibenden Heilkunde waren, welche das Beobachtungsmaterial heranschafften und sich mit seiner theoretischen Verwertung befaBten. DaB es pathogene Antigen-Antikorper-Reaktionen gibt, war durch die, experimentelle Analyse der Anaphylaxie bewiesen. Man wollte jedoch dieses Paradigma fiir die Allergien nicht gelten lassen, ohne hiefiir einen zwingenden Grund anzugeben. Aber trotz aller Versuche, die "spezifischen Oberempfindlichkeiten" - schon dieser Name war eine perennierende Quelle des Irrtums - durch verschiedene Unterteilungen in "Systeme" zu bringen und so das Zusammengehorige auseinanderzureiBen, war doch das Potential der weiteren Entwi<>klung vorhanden und konnte sich kraftvoll auswirken. III. Von der Kraft zur Tat. Zwei Probleme waren zu losen, wenn alle KonfIikte, welche einer Synthese der Phanomene im Wege standen, hinweggeraumt werden sollten: Es muBte zunachst die Kluft zwischen Anaphylaxie und Allergie iiberbriickt und zweitens untersucht werden, in welchem AusmaB sich die dynamische Unterscheidung zwischen Toxin und sensibilisierendem EiweiBantigen (Anaphylaktogen) bzw. zwischen Antitoxin und anaphy laktischem Antikorper rechtfertigen laBt. Von der Kraft zur Tat. 3 Die erste Aufgabe schien mir leichter zu sein. Eine kritische Analyse der ldiosynkrasien (so nannte man seinerzeit die Allergien) fiihrte mich zur Erkenntnis, daB diese Reaktionsformen durch eine Trias von Sym ptomen ausgezeichnet sind, welche sich gegenseitig zu widersprechen schienen. Die Idiosynkrasiker sind gegen ganz bestimmte Substanzen empfindlich und diese Spezifitat der reaktionsauslosenden Wirkung muB durch ihre chemische Struktur bedingt sein, was sich bei Stoffen von einfachem und bekanntem Bau wie Jodoform, Chinin, Aspirin leicht und sicher nachweisen lieB. Die ausgelosten Symptome sind aber von der chemischen Beschaffenheit der auslosenden Substanzen ganz unab hangig, sie haben mit der Wirkung, welche die gleichen Stoffe im Korper normaler Menschen entfalten, keine Ahnlichkeit. Drittens konnen die Idiosynkrasiker auf die verschiedensten Stoffe, sofern sie gegen dieselben spezifisch empfindlich sind, in vollig gleicher Weise reagieren. Die gleiche sonderbare Kombination kannte man bereits; auch bei der Anaphylaxie ist die geanderte Reaktivitat streng spezifisch, und zwar chemospezifisch auf eine bestimmte Substanz eingestellt, auch hier wirken die auslosenden Stoffe ganz anders als auf das normale Tier, auch hier erzeugen verschie dene Stoffe - bei der gleichen Tierart - identische Symptome. Bei der Anaphylaxie wuBte man tiber die Ursache des widerspruchsvollen Verhaltens Bescheid. Die auslosende Substariz wirkt nicht als solche pathogen, pathogen ist ihre Reaktion mit dem infolge der vorangegangenen Praparierung entstandenen Antikorper. Es schien mir [R. DOERR (1921)] geradezu notwendig, denselben Mechanismus auch fUr die Idiosynkrasien, die spateren "Allergien", gelten zu lassen, d. h. auch hier anzunehmen, daB "die auslosenden Stoffe nicht unmittelbar auf die Zellen einwirken, sondern mit einer spezifisch abgestimmten, an oder in den Zellen fixierten Komponente in stets gleicher Weise abreagieren und daB erst diese Reaktion Zellreizung oder Zellschadigung bedingt". Die Existenz dieser Komponente war eine "konstruktive Hypothese". Kaum war aber die Hypothese aufgestellt, wurde sie durch C. PRAUSNITZ und H. KUSTNER (1921) beglaubigt, indem gezeigt werden konnte, daB man mit dem Serum idiosynkrasischer Individuen die Haut normaler Personen derart umstimmen kann, daB die nachfolgende, an gleicher Stelle ausgefiihrte Injektion des Stoffes, auf den der serumspendende ldiosynkrasiker reagiert, eine typische lokale Urticaria erzeugt. Wer auch diesenTest, der nur eine lokale, aber keine allgemeine Reaktion hervorrief, nicht als vollwertigen Beweis anerkemlen wollte, muBte seine passive Resistenz infolge der sich haufenden Erfahrungen aufgeben, denen zufolge die Transfusion groBerer Blutmengen von idiosynkrasischen (allergischen) Individuen bei normalen Empfangern ein getreues Abbild des Zustandes, unter dem der Blutspender litt, hervorrief (Kasuistische Literatur bei BR. RATNER, 1943, S.572£'). SchlieBlich hat M. H. LOVE- j.