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Die Hofmeister: Ein Beitrag zur Geschichte des Lehrerstandes und der bürgerlichen Intelligenz PDF

323 Pages·1979·19.776 MB·German
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1682 DIE HOFMEISTER Ludwig Fertig Die Hofmeister Ein Beitrag zur Geschichte des Lehrerstandes und der biirgerlichen Intelligenz Mit 14 Quellenschriften und 15 Abbildungen J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung Stuttgart CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Fertig, Ludwig: Die Hofmeister: e. Beitr. zur Geschichte d. Lehrerstandes u. d. bürgerl. Intelligenz / Ludwig Fertig. - Stuttgart: Metzler, 1979. ISBN 978-3-476-00437-6 ISBN 978-3-476-00437-6 ISBN 978-3-476-03126-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-03126-6 © 1979 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1979 Inhalt ERSTER TElL: DARSTELLUNG 1. Einleitung: Zur Geschichte der hauslichen Erziehung . . . . . . . . . . . 3 2. Dichtende Hofmeister-Hofmeister in der Dichtung . . . . . . . . . . . . 14 3. Von der Bildung junger Herren. Die Kontinuitat der Erziehung in der europaischen Adelswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4. Der vollkommene Hofmeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 5. Zur Soziologie des Hofmeisterstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 6. Padagogen und Padagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 5 7. DieHofmeister.Befunde, Thesen,Fragen..................... 91 ZWEITER TElL: TEXTE 1. Aus: Veit Ludwig von Seckendorff, Teutscher Fiirsten Stat, Frank furt/Main 31665 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Aus: Wolf Helmhard von Hohberg, Georgica Curiosa, Niirnberg 1687................................................... 115 3. Aus: Gottfried Wilhelm Leibniz, Projet de !'Education d'un Prince . 131 4. Aus: August Bohse/Talander, Der getreue Hoffmeister adelicher und biirgerlicher Jugend, Leipzig 1706 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 5. Aus: Wolff Bernhard von TschirnhauB, Getreuer Hofmeister auf Academien und Reisen, Hannover 1727 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 6, Christoph Martin Wieland, Plan von einer neuen Art von Privat Unterweisung, 1754 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 7. Aus: Johann Bernhard Basedow, Agathokrator: oder von Erzie- hung kiinftiger Regen ten, Leipzig 1771 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 8. Aus: Gottlieb Wilhelm Rabener, Satiren, 3. Teil, Leipzig 1771 . . . . 176 9. Aus: Jakob Michael Reinhold Lenz, Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung. Eine Komodie, Leipzig 1774 . . . . . . . . . . . . . . 190 10. Aus: Carl Miiller, Schadlichkeit der Hauserziehung fiir Erzieher, Zogling und Staat, Stendal1783 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 11. Aus: Anton Friedrich Biisching, Unterricht fiir Informatoren und Hofmeister, 2. verbesserte Ausgabe, Leipzig 1802 . . . . . . . . . . . . . 217 12. Aus: F. A. Crome, Ueber die Erziehung durch Hauslehrer, in:]. H. Campe (Hrsg.), Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens von einer Gesellschaft praktischer Erzieher, 10. Teil, Wien/Braunschweig 1788 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 13. Aus: August Hermann Niemeyer, Grundsatze der Erziehung und VI des Unterrichts, Teill, 3. verbesserte und stark vermehrte Ausga- be, Halle 1799 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 14. JohannFriedrichHerbart,BriefanSteigervom4.Nov.1797..... 269 Anmerkungen zum ersten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 ERSTER TElL: DARSTELLUNG 1. Einleitung: Zur Geschichte der hauslichen Erziehung »Hofmeister«. Name und Bedeutung. Befragt nach Bedeutung und Funktion der Hofmeister, antwortet man oft, es habe sie im 18. Jahrhundert gegeben, sie seien Privatlehrer beim Adel gewe sen und insgesamt ein Randphanomen der Gesellschaft des ancien regime. Keine dieser Aussagen ist exakt, denn diese species gab es lange vorher, erzog und unterrichtete auch die Kinder von Biirgerlichen, und mit dem Ende des 18. Jahrhunderts, als die Verschulung der Gesellschaft schon betrachtliche Fortschrirte gemacht harte, war diese Art von Padagogen langst nicht ausge storben. Der >>Hofmeister<< des Mittelalters, der magister curiae, praefectus aulae, praefectus curiae, bekleidete ein Hofamt, war Haupt des Hofpersonals und verantwortlich fiir die Wirtschaftsfiihrung, auch die Gerichtsbarkeit, war Stellvertreter des T erritorialherren. An den neuzeitlichen Hofen wurde der Hofmeister, dann Oberhofmeister bzw. Obersthofmeister, zustandig fiir die Festlichkeiten und das Zeremoniell. Ihm wurde auch die Leitung der Prinze nerziehung iibertragen, er war Oberaufseher iiber den Haushalt und die Le bensweise der jungen Herrschaft, und schlieBlich verstand man unter einem Hofmeister den Betreuer, Erzieher und Lehrer selbst. Immer wieder versuchte man begrifflich zu differenzieren und hob z. B. den ,zuchtmeister<< vom »Hofmeister<< ab-im 15. und 16. Jahrhundert-, man sprach, wenn es urn die Prinzenerziehung ging, vom >>praefectus studiorum<<-im 17. Jahrhundert -, unterschied zwischen dem »Hofmeister<<, der die Gesamtverantwortung iiber die Heranbildung der jungen Herren harte, und dem >>Priiceptor<<, der unter richtete, wollte-im 18. Jahrhundert-das Wort >>Hofmeister<< fiir den reser vieren, der den Schutzbefohlenen auf eine Bildungsreise begleitete, und nannte denim Hause Lehrenden , Informator<< [1 ], oder aber man sprach-urn 1800- schlicht-weg vom >>Candidaten«, da es fast die Regel war, daB der stellungs suchende Hauslehrer candidatus theologiae war. Die Privaterzieher harten iiber Jahrhunderte eine Bedeutung, auch was ihre Zahl angeht, wie man sie sich heute kaum mehr vorstellen kann. Wenige Hin weise mogen hier geniigen: Zwischen 1590 und 1609, in der Zeit also, in der es iiblich war, als Hofmeister die anvertrauten Studenten auf die Universitaten zu begleiten, waren in Padua und Siena zusammen 5700 Deutsche immatriku liert, und man kann sich vorstellen, wie viele Hofmeister allein hier ihren Dienst versahen [2]. Zur Zeit des jugendlichen Goethe genossen in Frankfurt etwa 600 Kinder Privatunterricht [3). Goethe selbst wurde viel intensiver von Haus-bzw. Privatlehrern gepragt und unterwiesen, als es die betreffenden Pas sagen in Dichtung und Wahrheit vermuten lassen [4], und auch seinen Sohn 4 Darstellung August lieg er ja dann privat unterrichten, namlich von Riemer. Friedrich Eberhard von Rochow hatte zwischen dem vierten und dreizehnten Lebens jahr nicht weniger als elf Hauslehrer; es mug also einen regelrechten Arbeits markt fiir Privatlehrer gegeben haben. Im 18. Jahrhundert existierte ein sol ches Heer von Hofmeistern, Informatoren, Instruktoren, Prazeptoren, Gou verneuren, Kandidaten, Mentoren und Tutoren, sie als Zielgruppe auf dem Biichermarkt eine Rolle spielten. [5]. Trotz der offensichtlichen Bedeutung dieses Berufsstandes hater in der For schung nicht die gebiihrende Rolle gespielt, und die wenigen Arbeiten, die wir besitzen, sind etwa in der Erziehungsgeschichtsschreibung kaum rezipiert worden. [6 ] Es scheint an der Zeit, in Erinnerung zu rufen, daB die Geschichte der Erziehung nicht mit der Geschichte der Bildungsideen und der Schulent wicklung identisch ist, sondern dag es hier einen Bereich gibt, der neu bearbei tet werden muK Das vorliegende Buch will einen Beitrag zur ErschlieBung die ser Privaterziehungstradition liefern. Es sei gleich eingangs betont, dag es dabei nicht urn die Rekonstruktion eines exakt festgelegten Berufstyps geht, nicht vornehmlich urn einen Beitrag zur Genese der Berufe; das Dasein als Hauslehrer hatte selten einen Eigenwert und wurde oft nicht im Sinne eines irgendwie gearteten Berufsethos Die Grenzen zu anderen Tatigkeiten waren fast immer flieBend; wir werden dies noch ausfiihrlich darzustellen haben. Hier sollen nur zwei Beispiele veran schaulichen, wie unscharf die Konturen dieses >>Berufes<< waren und es sich oftmals urn reine Gelegenheitspadagogik handelte: Moses Mendelssohn, der jiidische Philosoph und Seidenhandler, lieg sich von jungen Schiilern bei Obersetzungen helfen und iibertrug ihnen auch die Aufgabe, seine Kinder, un ter ihnen Tochter Dorothea, spater in zweiter Ehe mit Friedrich Schlegel ver heiratet und als Shakespeare-Obersetzerin bekannt, in Religion, Philosophic, Literatur und Mathematik zu unterrichten. [7] Moses' Sohn Abraham, der viele Hauslehrer angestellt hatte, lieB dann seinen Sohn Felix Mendelssohn vom Direktor der Berliner Singakademie, Zeiter, Musikunterricht geben. Privaterziehung als >>Norma/fall« Wir diirfen, urn das Phanomen des Hauslehrertums zu verstehen, uns nicht mit der Interpretation von Quellen aus der sogenannten >>Goethezeit<< be scheiden. Vor all em miissen wir erkennen, daB >> Privaterziehung<< nicht erst in dieser Epoche praktiziert wurde. Goethes oft zitierte Berner kung a us Dichtung und Wahrheit, man habe sich in seiner Jugendzeit nach Hauslehrern umgese hen, wei! sich das >>Migtrauen gegen den offentlichen Unterricht<< >>VOn Tag zu Tag<< vermehrt habe [8], erweckt das MiBverstandnis, als sei vor Goethe der Schulbesuch das Selbstverstandliche gewesen, und nur die Diirftigkeit der of fentlichen Schulen habe die Eltern zur Notlosung des Hausunterrichts getrie ben. Nicht die Schule, sondern die Familienerziehung war- jedenfalls in be stimmten Kreisen-der >> Normalfall <<. Wahrend wir uns schon fast nicht mehr vorstellen konnen, daB Jugendbildung etwas anderes sein kann als Schulbil- Einleitung: Zur Geschichte der hiiuslichen Erziehung 5 dung-was u. a. dazu gefiihrt hat, dag in der historischen Forschung lange Zeit vor allem Schulgeschichte betrieben wurde und erst in der jiingsten Vergan genheit das Problem der Familienerziehung angepackt wurde [9] -, wahrend die eifrigen iiberseeischen Streiter gegen die Omnipotenz der staatlichen of fentlichen Schule mit ihrem Ruf nach ihrer Abschaffung, mit dem Hinweis, sie sei vornehmlich Instrument der sozialen Kontrolle, sei nur Institution, indok triniere nach behordlicherseits verordneten Schablonen, bevormunde Lehrer wie Schiiler, bewirke, jedes Unterrichten schon als Lernen wer de, fordere das Berechtigungs- und Karrieredenken [10], wahrend also diese Kritiker bei uns-auch deshalb-relativ wenig Widerhall find en, wei! wir die Staatsschule als Mag aller Dinge betrachten, galt iiber Jahrhunderte hinweg die offentliche Schule bestenfalls als Erganzung individualistischen Bildungs und Wissenserwerbs. Man mug in diesem Zusammenhang ja auch beachten, erst der Absolutismus Ansatze zu einem Schuh>system<< hervorbrachte, dag Schulen iiblicherweise als Institution begriffen wurden, deren man sich bedienen konnte, nicht mugte. Dieser Vorbehalt betrifft nahezu alle Bevolke rungsschichten. Man schickte die Kinder zur Schule - oder lieg es bleiben, wenn es nicht opportun erschien. Sie war eben noch keine Bildungsbehorde mit iibermachtiger Verfiigungsgewalt. Die Skizze einer Biographie moge dies illustrieren: Ein im Jahre 1788 gebo rener Kaufmannssohn begleitet neunjahrig seinen Vater auf eine Reise nach Frankreich und wird, zur Vollendung der Erziehung, bei einem Geschafts freund in Le Havre zuriickgelassen. Nach Hamburg zuriickgekehrt, besucht der Junge fast vier Jahre eine Privatschule. Anschliegend begibt er sich mit den Eltern-fast zwei Jahre-auf eine groge Reise und wird in England in Pension gegeben, urn die Sprache zu lernen. 1805 tritt er eine Lehre an; unzufrieden mit dem Kaufmannsberuf, besucht er nach dem T od des Vaters neunzehnjahrig das Gymnasium in Gotha. Hier und auf dem Weimarer Gymnasium, in das er dann eintritt, erhalt er in Latein bzw. Griechisch Privatstunden vom Direktor, wohnt bei seinem Lehrer. Er besucht die Universitat Gottingen und studiert schlieglich in Berlin, mit einem Empfehlungsschreiben Goethes, unter dessen Anleitung er sich mit der Farbenlehre beschaftigt, an Friedrich August Wolf versehen-ein durchaus iiblicher Vorgang in dieser Zeit. Der Name des kiinfti gen Gelehrten: Arthur Schopenhauer. [11] Privatunterweisung und Schulbesuch Es war keineswegs selten, man den Schulbesuch unterbrach, was dazu fiihrte, dag man teilweise recht betagte Schiiler in den Gymnasien findet. Chri stian Reuter z. B., der aufmiipfige und blutvolle Satiriker, verlieg-das war in der zweiten Halfte des 17. Jahrhunderts - als Dreiundzwanzigjahriger die Schule, Basedow-damals hieg er noch Bassedau-kehrte nach Flucht a us dem Elternhaus und recht wechselvollem Leben wieder zur hauslichen Schule zu riick, Karl Mager, urn bei der Padagogik zu bleiben, besuchte-am Anfang des 19. Jahrhunderts-nach drei Semestern Studium noch einmal die Untersekun-

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