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Die Heimatfront 1870/71 : Wirtschaft und Gesellschaft im deutsch-französischen Krieg PDF

603 Pages·2007·105.007 MB·German
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KRIEG IN DER GESCHICHTE (KRiG) HERAUSGEGEBEN VON STIG FÖRSTER • BERNHARD R. KROENER • BERND WEGNER BAND 35 DIE HEIMATFRONT 1870/71 Wirtschaft und Gesellschaft im deutsch-französischen Krieg FERDINAND SCHONINGH Paderborn • München • Wien • Zürich Alexander Seyferth Die Heimatfront 1870/71 Wirtschaft und Gesellschaft im deutsch-französischen Krieg FERDINAND SCHONINGH Paderborn • München • Wien • Zürich Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort Der Autor: Alexander Seyferth, geb. 1977, studierte an den Universitäten Münster und Potsdam Geschichte, Öffentliches Recht und Politikwissenschaften. Mit vorliegender Arbeit wurde er 2005 an der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam promo viert. Titelbilder: Heimatfront 1870: Schlosskirche in Mannheim, Hauptdepot der Rotkreuzorganisa tionen, die der 3. Armee zugeteilt waren (zeitgenössische Darstellung, Ausschnitt, aus: Dieter Riesenberger, Das Deutsche Rote Kreuz. Eine Geschichte 1864-1990. Ferdinand Schöningh: Paderborn 2002). Hintergrund: Einschließungsfront vor Paris 1870 (o.O., o.D., Archiv des Autors). Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio- graphic; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlaggestaltung: Evelyn Ziegler, München Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier® ISO 9706 © 2007 Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.schoeningh.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich ge schützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn ISBN 978-3-506-75663-3 O-f/V ( Bayerische j Staatsbibliothek V München j INHALTSVERZEICHNIS VORWORT ZUR REIHE 7 I. EINLEITUNG 9 II. DER KRIEG IN DER HEIMAT: WAHRNEHMUNGEN UND AUSWIRKUNGEN 17 1. ZWISCHEN HOFFNUNG UND UNGEDULD - DIE STIMMUNGS ENTWICKLUNG IN DER HEIMAT 17 a) Das Duell beginnt 17 b) Verdrängte Ängste 31 c) Euphorie und Erleichterung: Die Augustsiege und Sedan 44 d) Um den Frieden betrogen 52 e) Warten auf die Wiederkehr 66 2. DISSONANZEN UND HETEROGENITÄT - KONFLIKTLINIEN IN DER HEIMAT 75 a) Verhaltene Verbündete 75 b) Von »Mußpreußen« und »Mußdeutschen« 104 c) »Nationale Einmüthigkeit« und »Parteienhader« - Die Erosion eines Burgfriedens 129 d) Konfessionelle Gegensätze 147 3. DER KRIEG DURCHDRINGT DIE WIRTSCHAFT 170 a) »[...] jetzt nach Kriegsausbruch stockt Handel und Wandel überall [...]« 170 b) Der Landmann (er)trägt den Krieg 183 c) Energiehunger und Verkehrsinfarkt 194 d) Die Wirtschaft am Tropf der Armee: Industrie, Handel und Gewerbe 205 e) Der Krieg regiert in allen Branchen 215 4. DIE WIRTSCHAFTLICHEN AUSWIRKUNGEN DES KRIEGES AUF DIE BEVÖLKERUNG 226 a) Arbeitskräftemangel und -Überschuß 226 b) Einquartierungen und Requisitionen 241 c) Kommunale Belastungen 251 d) Von der Magd in Masurcn bis zum Hausierer im Hunsrück - Eine Zwischenbilanz 259 6 Inhaltsverzeichnis III. MOBILISIERUNG VON OBEN 265 1. DER OKTROYIERTE SCHULTERSCHLUSS 265 a) Die Verwaltung wird auf den Krieg eingeschworen 265 b) Mobilisation gegen den äußeren Feind 282 c) Mobilisation gegen den inneren Feind 300 2. STAATLICHE INFORMATIONSPOLITIK 324 a) Die subtile Zensur: >Landschaftspflege< im Pressewesen 324 b) Beschlagnahmungen, Verbote und Verhaftungen 337 c) Kriegskorrespondenten und Kriegspropaganda 356 d) Depeschen und Flugblätter - Maßnahmen zur Stimmungsmanipulation 370 3. REGE VEREINSTÄTIGKEIT 382 a) Die Mobilmachung - Beginn eines Ausnahmezustandes 382 b) Organisierte Solidarität 395 c) Die Hilfsvereine an der Front - Idealisten und »Schlachtenbummler« 418 d) Die Mobilisation der Frau 430 4. DIE DURCHDRINGUNG DER GESELLSCHAFT 443 a) »Heil Dir im Siegerkranz« - Staatliche Inszenierungen 443 b) Die mobilisierte Moral: Mit uns, Gott! 459 c) Der Krieg entwickelt >Menschenhunger< 478 5. DIE WIRTSCHAFT IM DIENSTE DES KRIEGES 497 a) Die Staaten bestimmen die Nachfrage 497 b) Wirtschaftspolitik als Gefahrenabwehr 512 c) Kriegsgefangenenarbeit 530 d) Reiche Beute in Aussicht 540 IV DER DEUTSCH-FRANZÖSISCHE KRIEG - EIN TOTALER KRIEG? 561 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS 574 QUELLEN UND LITERATUR 575 REGISTER 600 DANKSAGUNG 602 VORWORT ZUR REIHE »Der Krieg ist nichts als die Fortsetzung der politischen Bestrebungen mit veränderten Mitteln. [...] Durch diesen Grundsatz wird die ganze Kriegsge schichte verständlich, ohne ihn ist alles voll der größten Absurdität.« Mit diesen Sätzen umriss Carl von Clausewitz im Jahre 1827 sein Verständnis vom Krieg als historisches Phänomen. Er wandte sich damit gegen die zu seiner Zeit und leider auch später weit verbreitete Auffassung, wonach die Geschichte der Kriege in erster Linie aus militärischen Operationen, aus Logistik, Gefechten und Schlachten, aus den Prinzipien von Strategie und Taktik bestünde. Für Clausewitz war Krieg hingegen immer und zu jeder Zeit ein Ausfluss der Po litik, die ihn hervorbrachte. Krieg kann demnach nur aus den jeweiligen poli tischen Verhältnissen heraus verstanden werden, besitzt er doch allenfalls eine eigene Grammatik, niemals jedoch eine eigene Logik. Dieser Einschätzung des Verhältnisses von Krieg und Politik fühlt sich Krieg in der Geschichte grundsätzlich verpflichtet. Die Herausgeber legen also Wert darauf, bei der Untersuchung der Geschichte der Kriege den Blickwinkel nicht durch eine sogenannte militärimmanente Betrachtungsweise verengen zu las sen. Doch hat seit den Zeiten Clausewitz' der Begriff des Politischen eine er hebliche Ausweitung erfahren. Die moderne Historiographie beschäftigt sich nicht mehr nur mit Außen- und mit Innenpolitik, sondern auch mit der Ge schichte von Gesellschaft, Wirtschaft und Technik, mit Kultur- und Mentali tätsgeschichte und, nicht zuletzt, mit der Geschichte der Beziehungen zwi schen den Geschlechtern. All die diesen unterschiedlichen Gebieten eigenen Aspekte haben die Geschichte der Kriege maßgeblich mitbestimmt. Die mo derne historiographische Beschäftigung mit dem Phänomen Krieg kann des halb nicht umhin, sich die methodologische Vielfalt der gegenwärtigen Ge schichtswissenschaft zunutze zu machen. In diesem Sinne ist Krieg in der Geschichte offen für die unterschiedlichsten Ansätze in der Auseinanderset zung mit dem historischen Sujet. Diese methodologische Offenheit bedeutet jedoch auch, dass Krieg im en geren Sinne nicht das alleinige Thema der Reihe sein kann. Die Vorbereitung und nachträgliche »Verarbeitung« von Kriegen gehören genauso dazu wie der gesamte Komplex von Militär und Gesellschaft. Von der Mentalitäts- und Kulturgeschichte militärischer Gewaltanwendung bis hin zur Alltagsgeschich te von Soldaten und Zivilpersonen sollen alle Bereiche einer modernen Mili tärgeschichte zu Wort kommen. Krieg in der Geschichte beinhaltet demnach auch Militär und Gesellschaft im Frieden. Geschichte in unserem Verständnis umfasst den gesamten Bereich vergan gener Realität, soweit sie sich mit den Mitteln der Geschichtswissenschaft er fassen lässt. In diesem Sinne ist Krieg in der Geschichte (abgekürzte Zitierwei se: KRiG) grundsätzlich für Studien zu allen historischen Epochen offen, vom Altertum bis unmittelbar an den Rand der Gegenwart. Darüber hinaus ist 8 Vorwort zur Reihe Geschichte für uns nicht nur die vergangene Realität des sogenannten Abend landes. Krieg in der Geschichte bezieht sich deshalb auf Vorgänge und Zusam menhänge in allen historischen Epochen und auf allen Kontinenten. In dieser methodologischen und thematischen Offenheit hoffen wir den spezifischen Charakter unserer Reihe zu gewinnen. Stig Förster Bernhard R. Kroener Bernd Wegner I. EINLEITUNG »Es ist ein eigenartiger Vorgang, die Gründung dieses neuen Deutschen Reiches, für den man in der Geschichte vergebens nach Vergleichen sucht. Hier ist alles unrein, nichts eindeutig zu benennen. Es war das Volk, das die Einigung in irgendeiner Form wollte und längst gewollt hatte. Aber es war nicht das Volk, das die Einigung vollzog. Sie wurde unter Staaten vollzogen, indem der eine große Staat, Preußen, die kleinen zwang; welcher Zwang dadurch verborgen blieb, daß große Teile des Volkes bei der Sache mitmachten. Mit dem Resultat waren die wenigsten voll zufrieden. Die einen beklagten die gewalttätige preu ßische Führung, die anderen die Sonderrechte, welche Bismarck den Süddeut schen zugestanden hatte; glücklich waren selbst die Vertreter und Träger der Macht nicht, die zuletzt alles entschied.«' So faßt Golo Mann in seinem be rühmt gewordenen Werk über die »Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahr hunderts« die eigenartige Situation zusammen, die zur Reichsgründung von 1871 führte. Das Zitat macht deutlich, wie schwierig ein Umgang mit diesem Teil der deutschen Geschichte ist. Wollten uns die Historiker des 19. Jahrhun derts klarmachen, daß die Reichseinigung ein umjubelter Abschluß eines all gemeinen Strebens der Deutschen nach einem einigen Vaterland war, so rela tiviert Golo Mann diese Bewertung deutlich: Tatsächlich ist bei näherer Betrachtung »hier [...] alles unrein« und »nichts eindeutig zu benennen.« Je genauer man die Haltung der Bevölkerung während des Krieges beobachtet, desto deutlicher wird, daß wir es nicht mit einer homogenen, allenfalls in po litische Klassen aufgeteilten Gesellschaft zu tun haben, sondern daß es sich um eine Gesellschaft inmitten eines gigantischen wirtschaftlichen Transformati onsprozesses, und eines gleichzeitigen religiösen und kulturellen Wandels han delt, um eine gesellschaft, die darüber hinaus mit drängenden politischen Fra gen in einer Dimension konfrontiert wurde, die bis dato unbekannt war. Die »strukturelle Differenzierung«2 der Gesellschaft, die einherging mit der Indus triellen Revolution, hatte die im Absolutismus als bloße Masse wahrgenom menen Untertanen verändert.3 Insofern ist es mehr als legitim, die Interessen und Haltung der Bevölkerung während des Krieges auf all ihre verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aspekte zu überprüfen und, wie es Golo Mann aufgeworfen hat, den Spuren des Zwanges der Staaten letztendlich auch auf die Bevölkerung nachzugehen, die nach seiner Aussage nach wie vor im Verborgenen liegen. Daran hat sich auch knapp fünfzig Jahre nach dem Erscheinen der Erstauflage nicht viel geändert. ' Mann, Golo: Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, 9. Aufl. Frankfurt a. M. 2003, S. 385 2 Der auf Adam Smith zurückgehende Begriff wird näher erläutert in Wchlcr, Hans-Ulrich: Modernisierungs-theorie und Geschichte, Göttingen 1975, S. 17ff. Vgl. hierzu Pols, Werner (Hg.): Deutsche Sozialgeschichte 1815-1870. Dokumente und Skizzen, 3. Aufl. München 1979 10 I. Einleitung Tatsächlich macht diese Einsicht den Weg frei zu einer differenzierteren Betrachtung der Vorgänge in den Jahren 1870 und 1871 über die bloße Bewer tung der politischen Ereignisse hinaus. Die vorliegende Arbeit versucht unter anderem die Lücke zu schließen, die Hagen Schulze vor nicht allzu langer Zeit konstatierte: »Was die Reichsgründung eigentlich für die Deutschen unterhalb der publizistischen und politischen Spitzenplätze bedeutete, wissen wir ganz einfach nicht.«4 Wie wichtig aber gerade dieser Aspekt der Geschichte ist, wußte schon Leo Tolstoi in seinem berühmten Buch »Krieg und Frieden« darzustellen: »Um die Gesetze der Geschichte kennenzulernen, müssen wir den Gegenstand unserer Betrachtung vollkommen ändern, müssen Kaiser, Mi nister, Generale gänzlich beiseite lassen und dafür die unendlich kleinen, gleichartigen Elemente studieren, welche die Massen leiten. Niemand vermag vorauszusagen, inwieweit es uns beschieden sein wird, auf diesem Weg zu einem Verständnis der Gesetze der Geschichte zu gelangen, aber es ist klar, daß nur auf diesem Weg die Möglichkeit gegeben ist, den Gesetzen der Geschichte auf die Spur zu kommen [...]«* Dieser Forderung nach einer Geschichtsschreibung »von unten«'' soll, wenn auch nicht so radikal, wie es Tolstoi gefordert hat, nachgekommen werden, indem die staatliche Mobilisierung der Gesellschaft und der Wirtschaft für den Reichseinigungskrieg und damit für die Ziele der deutschen Regierungen un tersucht wird. Da es sich dabei um ein Wechselspiel aus Aktion, Rezeption und Reaktion handelt, müssen gleichermaßen die staatlichen Akteure wie die von Entscheidungen betroffenen oder Entscheidungen auslösenden wirtschaft lichen und gesellschaftlichen Gruppen näher betrachtet werden. Die eigent liche Fragestellung dieser Studie steckt dabei schon im Titel der Arbeit: Gab es eine >Heimatfront<, wie sie die Forschung für die beiden großen Weltkriege festgestellt hat, schon im deutsch-französischen Krieg?7 Und wenn ja, wie schufen die deutschen Regierungen diese Heimatfront für die Zeit des Krieges, wie stellte sich jene dar und wie reagierten Wirtschaft und Bevölkerung dar auf? >Mobilisierung< heißt bei Hans-Ulrich Wehler ganz allgemein die »Verfüg- barmachung von Ressourcen und Mitteln.«8 Im Zusammenhang mit dem Un tersuchungsgegenstand bedeutet dies die Verfügbarmachung möglichst umfas- * Schulze, Hagen: Der Weg zum Nationalstaat. Die deutsche Nationalbcwcgung vom 18. Jahr hundert bis zur Reichsgründung, 2. Überarb. Aufl. München 1986, S. 180 Tolstoi, Leo: Krieg und Frieden, übersetzt von Marianne Kegel, Düsseldorf/ Zürich 2002, S. 1126 ' Der Begriff der Militärgeschichtsschreibung »von unten« geht zurück auf Wolfram Wette, und der von ihm geschaffene Terminus ist näher definiert in der Einleitung zu dem von ihm heraus gegebenen Werk: Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, München 1992, S. 9ff. Der Begriff »Heimatfront« im Zusammenhang mit dem deutsch-französischen Krieg ist über haupt erst in jüngster Zeit in der Forschung aufgekommen, vgl. Quataert, Jean: >Damen der besten und besseren Stände.« Vaterländische Frauenarbeit- in Krieg und Frieden 1864-1890, in: Hagemann, Karen/ Pröve, Ralph (Hg.): Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel, Frankfurt/ New York 1998, S. 269 " Wehlcr, Modernisierungstheorie, S. 17 I. Einleitung II sender, in der Heimat vorhandener Ressourcen zur Erzwingung des Sieges über den äußeren Gegner. Mit der Mobilisierung der Heimat nähern wir uns dem Begriff der Heimatfront, der bisher lediglich im Zusammenhang mit den beiden großen Weltkriegen aufgekommen ist. Deren besonderer Charakter als >totale Kriege< hat die Militärgeschichtsforschung an vier Faktoren festmacht.9 Der totale Krieg in seiner äußersten Form bedeutet für den in diesem Bereich wohl federführenden Stig Förster in der Summe dieser vier Axiome »nichts anderes, als praktisch jeden Bereich menschlicher Existenz zentralistischer Kontrolle zu unterwerfen.«10 Nach Förster lauten die vier zentralen Merkmale desselben: Totale Kriegsziele, totale Kriegsmethoden, totale Mobilisierung und totale Kontrolle." Diese Definition hat zwar einen fast teleologischen Ansatz, man gels Alternativen ist sie aber in der Forschungswelt noch immer die maßgeb liche.1- Förster selbst ordnet den Krieg von 1870/71 zwischen Kabinettskrieg und totalem Krieg ein. Für das 19. Jahrhundert bringt er zunächst den Begriff des >Volkskrieges< ins Spiel, der auf die französische Revolution zurückgeht: »Immer größere Teile der Bevölkerung wurden direkt oder indirekt in den Krieg involviert. Dadurch intensivierte sich die Wechselbeziehung zwischen Krieg und Gesellschaft. Die Mobilisierung des Volkes für den Krieg brachte darüber hinaus eine Radikalisierung der Kriegsziele und damit korrespondie rend der angewandten Kriegsmittel mit sich, denn begrenzte dynastische Ziele waren dem neuen Charakter des Krieges nicht mehr angemessen.«13 Förster nennt den deutsch-französischen Krieg einen »industrialisierten Volkskrieg.«14 Weiter führt er aus: »Diese Steigerungsform des Volkskrieges aber trug den Keim zum totalen Krieg bereits in sich.«15 Zu nennen seien hier vor allem die »Mobilisierung und die gänzliche Entgrenzung der Kriegsziele.«16 Das Kriegs ziel sei die totale Unterwerfung Frankreichs gewesen, wie es Moltke gefordert 1 Der Begriff des -totalen Krieges« wurde übrigens erst in den 1930er Jahren geprägt, vgl. Pöhl- mann, Markus: Von Versailles nach Armageddon. Totalisicrungserfahrung und Kriegserwartung in deutschen Militärzeitschriften, in: Förster, Stig (Hg.): An der Schwelle zum Totalen Krieg. Die militärische Debatte über den Krieg der Zukunft 1919-1939, (= Krieg in der Geschichte Bd. 13) Paderborn/ München/ Wien/Zürich 2002, S. 346ff. 10 Förster, Stig (Hg.): An der Schwelle zum Totalen Krieg. Die militärische Debatte über den Krieg der Zukunft 1919-1939, (= Krieg in der Geschichte Bd. 13) Paderborn/ München/ Wien/Zürich 2002, S. 25 " Vgl. Förster, An der Schwelle zum Totalen Krieg, S. 17ff. 12 Über die präzise Definition eines -totalen« Krieges herrscht in der Forschung weithin Uneinig keit, vgl. Quataert, »Damen der besten und bessern Stände«, S. 269. Auch der Definitionsversuch Roger Chickerings hat hier keine wesentlich neuen Aspekte in die Diskussion gebracht; vgl. Chickering, Roger: Militärgeschichte als Totalgeschichte im Zeitalter des totalen Krieges, in: Kühne, Thomas/ Ziemann, Benjamin (Hg.): Was ist Militärgeschichte? (= Krieg in der Geschich te Bd. 6), Paderborn/ München/ Wien/ Zürich 2000, S. 305f. Kritik besonders am Punkt »tota le Kontrolle«, aber auch Einwände grundsätzlicher Art sind zuletzt von einem Schüler Försters geäußert worden: Vgl. Walter, Dierk: Preußische Heeresreform 1807-1870. Militärische Inno vation und der Mythos der >Roonschen Reform« (= Krieg in der Geschichte Bd. 16), Paderborn/ München/ Wien/Zürich 2003, S. 167ff. 13 Förster, An der Schwelle zum Totalen Krieg, S. 17 » Ebd. 15 Ebd. 16 Ebd., S. 18

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