Die großen Polit-Skandale Thomas Ramge Die großen Polit-Skandale Eine andere Geschichte der Bundesrepublik Campus Verlag Frankfurt/New York Meinen Eltern Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-593-37069-7 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigun- gen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2003 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main Umschlaggestaltung: RGB, Hamburg Umschlagmotiv: dpa Satz: Leingärtner, Nabburg Druck und Bindung: Wiener Verlag GmbH, Himberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Bonn bei Rhöndorf – Adenauer und die Hauptstadtfrage (1949) . . . . . . . 11 2. Der verlorene John – Der Verfassungsschutzpräsident zu Diensten der DDR-Propaganda (1954) . . . . . . . . . . . . . . . 26 3. Braune Eminenz – Hans Globke und die Nürnberger Rassegesetze (1950–1963) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4. Bedingt abwehrbereit – Die Spiegel-Affäre des Franz Josef Strauß (1962) . . . . . . . . . . . . . . 64 5. Ein Schuss in viele Köpfe – Der Tod von Benno Ohnesorg (1967) . . . . . . . . . . . 88 6. Die Stasi im Kanzleramt – Kundschafter Günter Guillaume wird enttarnt (1974) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 6 Die großen Polit-Skandale 7. Der furchtbare Jurist – Marinerichter Hans Karl Filbinger und sein pathologisch gutes Gewissen (1978) . . . . . . . 135 8. Die gekaufte Republik – Friedrich Karl Flick und die geistig-moralische Wende (1981) . . . . . . . . . . 153 9. Günter von der Bundeswehr – General Kießling, Manfred Wörner und die Sittenpolizei (1983/84). . . . . . . . . . . . . . . 180 10. Waterkantgate – Uwe Barschels Tod in der Badewanne (1987) . . . . . . 198 11. Tanke schön! – Verkehrsminister Krauses persönlicher Aufschwung Ost (1993) . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 12. Bimbes – Der Kanzler der Einheit und die schwarzen Kassen (1999) . . . . . . . . . . . . . . 243 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Vorwort Ausgestopfte Tiere schauten Konrad Adenauer in seinem ersten Amtszimmer bei der Arbeit zu. Im Herbst 1949 waren die Kanzler- büros provisorisch in einem Bonner Naturkundemuseum unterge- bracht. Die Arbeiten am Palais Schaumburg, dem späteren Sitz des Regierungschefs, gingen nur zögerlich voran, und der betagte Staatsgründer wurde ungeduldig: »Ich höre die Leute schon sagen: ›Der Alte sitzt bei den Affen, und da gehört er ja auch hin!‹« Eigent- lich hatte Adenauer nur wenig Grund, sich zu beschweren. Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland begann mit einer poli- tischen Sünde, die er zu verantworten hatte – wenn auch mit einer kleinen. Als Präsident des Parlamentarischen Rates sorgte Ade- nauer mit einer Reihe politischer Taschenspielertricks dafür, dass Bonn und nicht Frankfurt Hauptstadt des westdeutschen Staates wurde. Als skandalös wurde diese Entscheidung im Jahr 1949 nur von wenigen wahrgenommen. Ein politischer Skandal ist ein kommunikativer Prozess. Das Fehlverhalten eines Politikers, einer Partei oder der politischen Klasse wird erst zum Skandal, wenn die Öffentlichkeit sich über ein undemokratisches Vergehen empört und Konsequenzen fordert. Vier Jahre nach Kriegsende war für Empörung keine Zeit. Deutsch- land musste wieder aufgebaut und demokratische Rituale mussten erst erlernt werden. Denn der politische Skandal ist ein demokrati- sches Ritual der Selbstreinigung. Mit der Bestrafung der Schuldigen versichert sich die Demokratie, dass sie funktioniert, getreu dem 8 Die großen Polit-Skandale Motto: Bei uns fliegen Schweinereien auf und werden geahndet. Die Gesellschaft der Bundesrepublik sollte schon bald ausreichend Gele- genheit haben, dieses Ritual zu üben. Die Schatten der Nazivergan- genheit, Geheimdienstpannen, Machtanmaßung, Polizeigewalt, ille- gale Parteispenden und persönliche Bereicherung boten zahlreiche Gründe zur Empörung, und eine freie Presse verfügte über die Mit- tel, diese zum Ausdruck zu bringen. Einzig gegen das Genre des Sit- tenskandals schien die Bundesrepublik resistent. Die Affäre Kieß- ling sollte erst Mitte der 80er Jahre auch diese Lücke schließen. Dieses Buch zeigt an zwölf Beispielen, wie in der Bundesrepub- lik Deutschland politische Skandale hochkochten und welche Spu- ren sie hinterließen. Wer trieb einen Skandal aufgrund welcher Interessen voran, und mit welchen Mitteln setzten sich die Beschul- digten zur Wehr? Unter welchen Umständen überstand ein Politi- ker einen Skandal relativ unbeschadet, wann musste er seinen Hut nehmen? Welche Konsequenzen wurden gezogen, und was wurde aus den Hauptfiguren? Dies sind die Leitfragen für die kommenden Seiten. Dabei soll kein theoretisches Modell entworfen werden, das historische Skandale nach definierten Parametern analysiert und den Verlauf kommender Affären vorhersagt. Hiermit haben sich bislang auch Politikwissenschaft und Soziologie ausgesprochen schwer getan. Dieses Buch nähert sich dem Phänomen des Polit- skandals über seine Protagonisten. Franz Josef Strauß lief stets zur Hochform auf, wenn wieder einmal eine Lawine von Vorwürfen auf ihn zurollte. Dem wortgewaltigen Bayern gelang es, Skandale für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Willy Brandt brach zusam- men, als sein Referent Günter Guillaume als Stasi-Kundschafter enttarnt wurde. Für beide Reaktionen gibt es Gründe in Biografie und Charakter der Politiker, die genauso erforscht werden sollen wie der historische Kontext, in dem über Rücktritte und politische Comebacks entschieden wurde. Politische Skandale brauchen freie Presse, Opposition und Öffentlichkeit. Die DDR kannte entsprechend das Ritual des Skan- 9 Vorwort dals nicht. Im demokratischen Sinne war sie selbst ein Skandal. Auf die politischen Affären in Westdeutschland nahm die Regierung in Ostberlin dafür umso stärker Einfluss. Sie belieferte Staatsanwälte mit echten und gefälschten Akten, die Adenauers Staatssekretär Hans Globke belasteten, spannte Verfassungsschutzpräsident Otto John vor ihren Propagandakarren und unterstützte die Westberliner Studenten nach dem Tod von Benno Ohnesorg. Im Gegenzug geriet im Westen der Kampf gegen den Kommunismus zur Standardrecht- fertigung, wenn Politiker Gesetze übertraten. Politische Skandale waren in der Bundesrepublik fast immer auch ein Derivat des Ost- West-Konfliktes. Dies galt sogar noch für die Affären nach der Wie- dervereinigung. Helmut Kohl begründete seine illegalen Partei- spenden mit dem Satz: »Wir standen mit dem Rücken zur Wand.« Das Geld aus den schwarzen Kassen sei in den Aufbau der Ost- Union geflossen. Die DDR und ihr Einfluss sowie die antikommu- nistische Identität des Westens stehen daher unter besonderer Beo- bachtung in diesem Buch. Ob getragen von einzelnen Personen wie »Super-Ossi« Günther Krause oder von der gesamten politischen Klasse wie im Spenden- fall Flick: Skandale sind wohl das spannendste politische Ritual, das die Demokratie kennt. Sie polarisieren, schaffen Zweckbündnisse und stellen Loyalitäten auf die Probe. Sie machen Politik emotional und gleichzeitig zum kühlen Strategiespiel. Im Skandal beweist sich, wie tief eine Gesellschaft – Beschuldigte und Skandalierer einge- schlossen – die selbst gesetzten Spielregeln verinnerlicht hat. Oft genug zeigt die Skandalgeschichte der Bundesrepublik, dass es weder Moral noch Anstand sein müssen, die hinter der »Auf- klärung« stehen. Aus Opfern wurden, siehe Björn Engholm, strah- lende Sieger, die bei genauerem Hinsehen selbst nicht frei von Fehl- verhalten waren. Aus Tätern wurden, siehe Uwe Barschel, tragische Figuren, bei denen die Schuldfrage keineswegs geklärt war. Die »Waterkant-Affäre« wurde für die Medienkritiker zum Paradebei- spiel einer fehlgeleiteten Jägermentalität vieler Journalisten.
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