ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN GEISTESWIS SENSCHAFTEN 75. SITZUNG AM 23. NOVEMBER 1960 IN DüSSELDORF ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN GEI STESWI S SEN SCHAFTEN HEFT 103 GERHARD KEGEL Die Grenze von Qualifikation und Renvoi im internationalen Verjährungsrecht HERAUSGEGEBEN IM AUFTRAGE DES MINISTERPRASIDENTEN Dr.FRANZ MEYERS VON STAATSSEKRETAR PROFESSOR Dr. h. c. Dr. E. h. LEO BRANDT GERHARD KEGEL Die Grenze von Qualifikation und Renvoi im internationalen Verjährungsrecht SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH ISBN 978-3-322-98132-5 ISBN 978-3-322-98795-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-98795-2 © 1962 Springer Fachmedien Wiesbaden Urspriinglich erschienen bei Westdeutscher Verlag 1962 Inhalt I. Fall. . . . . . . . . . . 7 H. Materielles Verjährungsrecht 7 1. Deutschland . . . . . . 7 2. USA 9 a) In Betracht kommende Rechte 9 b) Illinois 9 c) Louisiana 10 3. Ergebnis . . 12 IH. Internationales Verjährungsrecht . 13 1. Deutschland . . . . . . . 13 a) Regel ........ . 13 b) Internationales Kaufrecht 15 aa) Anknüpfung . . . . 15 bb) Anwendung. . . . . 17 c) Notwendigkeit, das internationale Verjährungsrecht der USA zu prüfen 18 2. USA 19 a) Regel .. 19 aa) Inhalt 19 bb) Geschichte 19 b) Ausnahmen .. 22 aa) Borrowing statutes. 22 bb) Statutory causes of action . 24 c) Schrifttum der USA . . . . . 27 6 Inhalt IV. Qualifikation 30 1. Problem 30 2. Lösungen . 31 3. Ergebnis 37 V. Renvoi . 37 1. Problem 37 2. Allgmeine Lösung 38 3. Verjährung 39 VI. Gesamtergebnis 43 Summary 44 Resume 45 Diskussion 48 I. Fall Bei einer Schokoladenfabrikantin in Chikago rief ein Händler aus New Orleans an und bestellte Schokolade für fast 5000 Dollar. Die Fabrikantin versandte die Schokolade Anfang Januar und Anfang Februar 1954. Nach ihrer Behauptung sollte der Händler vier Wochen nach der Versendung zahlen. Er zahlte jedoch bis Mitte 1954 nur 1800 Dollar und mehr nicht. Aber er zog nach Los Angeles. Die Fabrikantin verklagte ihn Ende 1957 beim Landgericht Stu.ttgart. Dort hatte er bis Mitte 1953 gewohnt, und dort besaß er Vermögen. Der Fall war klar bis auf eine Kleinigkeit. Der Händler sagte nämlich: "Zu spät! Die Forderung ist verjährt." Außerdem sagte er: "Die Schokolade war schlecht." Hierüber hat der VIII. Senat des Bundesgerichtshofs am 9. Juni 1960 entschieden Nähere Prüfung lohnt. 1. 11. Materielles Verjährungsrecht 1. Deutschland In Deutschland verjähren Kaufpreisforderungen der Kaufleute und Fabri kanten (unsere Fabrikantin war beides) in zwei Jahren, außer wenn für den Gewerbebetrieb des Käufers geliefert wird (§ 196 I Nr. 1 BGB). Hier war für den Gewerbebetrieb des Händlers geliefert; denn auch der Kinderreichste und der größte Don Juan kaufen Schokolade nicht nach Tonnen. Dann aber verjährte die Forderung in vier Jahren (§ 196 II BGB). Die Frist beginnt grundsätzlich mit Entstehung des Anspruchs (§ 198 1 VIII ZR 109/59: A WD 60, 183 = Betr. 60, 1126 = LM Art. 7 H. EGBGB (Deutsdtes Intern. Privatrecht) Nr. 13 = MDR 60, 839 = NJW 60, 1720 = WM 60, 938. 8 Gerhard Kegel BGB). Sie beginnt also beim Kauf mit dessen Abschluß; der Zeitpunkt der Lieferung gilt gleich weil man sagt, der Verkäufer hätte es in der Hand 2, gehabt, schneller zu liefern (vgl. § 202 II BGB). Wird allerdings der Anspruch erst nach seiner Entstehung fällig, dann entscheidet nach vorherrschender Ansicht der Fälligkeitszeitpunkt Da nach Behauptung der Fabrikantin der 3. Händler erst vier Wochen nach Versendung zahlen sollte, würde nach dieser Ansicht die Verjährung Anfang März 1954 begonnen haben. Dem Gesetz (wenn auch nicht dem common sense) entspricht jedoch besser die Minder meinung, die an der Entstehung des Anspruchs als Verjährungsbeginn fest hält, auch wenn der Anspruch später fällig wird Danach könnte die Ver 4. jährung schon 1953 begonnen haben, wenn der Händler die Schokolade schon damals bestellt hatte. Die Meinungsverschiedenheit wirkt sich aber in unserem Fall nicht aus. Denn für Kaufpreisforderungen der Kaufleute und Fabrikanten beginnt die Verjährung erst mit dem Ende des jahres, in dem die Forderung entstanden ist, und wenn die Leistung erst später verlangt werden kann, erst mit dem Ende des jahres, in dem sie zuerst verlangt wer den kann (§ 201 S.2 BGB). Da nach Behauptung der Fabrikantin erst An fang März 1954 gefordet werden konnte, mochte auch der Kauf schon 1953 abgeschlossen worden sein, begann also die Verjährung am 1. 1. 1955. Wenn nichts dazwischen kam, lief sie also nach vier jahren und damit erst nach Klageerhebung ab. Allerdings wäre sie im Prozeß abgelaufen. Denn der BGH hat im juni 1960 entschieden. Aber Klageerhebung unterbricht die Verjährung (§ 209 I BGB), und die Unterbrechung dauert bis zum Ende des Verfahrens (näher §§ 211, 212 BGB). Unterbrechung heißt: die bisher verstrichene Zeit zählt nicht, und mit dem Ende der Unterbrechung beginnt die Verjährung von vorn (§ 217 BGB). Mithin ist die Kaufpreisforderung der Fabrikantin aus Chikago nach deutschem Recht unverjährt. Daß der Schuldner sich außerhalb Deutschlands befand, nämlich in Los Angeles, ist nach deutschem Recht gleichgültig: nur höhere Gewalt hemmt die Verjährung (§ 203 II BGB), d. h. zählt für den Ablauf der Verjährungs frist nicht mit (§ 205 BGB); Auslandsaufenthalt des Schuldners gehört dar unter nicht 5. 2 Siebert in Soergel-Siebert, BGB, I, 9. Auf!. 1959, Bem. 16 zu § 198 BGB; von Staudin gers Komm. zum Bürgerlichen Gesetzbuch, I Allgemeiner Teil (Coing), 11. Auf!. 1957, Bem. 15 zu § 196 BGB. 3 Siebert (oben Anm. 2) Bem. 1-3 zu § 198 BGB mit Nachweisen. 4 So Hefermehl in Erman, Handkommentar zum BGB, 2. Aufl. 1958, Bem. 1 zu § 198 BGB mit m. E. richtigem Umkehrschluß aus § 201 S. 2 BGB. :; Vgl. Siebert (oben Anm. 2) Bem. 11 zu § 203. Grenze von Qualifikation und Renvoi im internationalen Verjährungsrecht 9 Gleichgültig ist auch, daß der Händler 1800 Dollar gezahlt hat. Zwar kann Teilzahlung ein Anerkenntnis bedeuten und unterbricht dann wie jedes andere Anerkenntnis die Verjährung (§ 208 BGB). Aber da der Händler in der ersten Hälfte des Jahres 1954 gezahlt hat und die Verjährung ohnehin erst am 1. 1. 1955 beginnt, wirkt sich das nicht aus. Dasselbe gilt für einen Brief des Händlers vom 24.4. 1954 und von einem Telegramm vom 2.8.1954, deren Inhalt nicht mitgeteilt wird. Das Berufungsgericht war daher auf die Teilzahlung und auf die Schriftstücke nicht eingegangen 6. Wir lassen im folgenden die Schriftstücke beiseite. Ferner unterstellen wir für die Rechte von Illinois (unten 2 b) und Louisiana (unten S. 12), daß die Teilzahlung kein Anerkenntnis enthielt, weil der Händler die Schokolade bemängelt hat; allerdings bleiben hier Zweifel vom Tatbestand her. Demnach ergibt sich: nach deutschem Recht ist die Forderung unverjährt. 2. USA a) In Betracht kommende Rechte In den USA ist - wie in Deutschland vor 1900 und auch heute wieder - das Privatrecht im wesentlichen gespalten, und daher hat jeder der 50 Einzel staaten sein eigenes Verjährungsrecht. Von diesen Staaten kommen hier drei in Betracht: Illinois, weil die Fabrikantin in Chikago sitzt; Louisiana, weil der Händler beim Abschluß des Kaufs in New Orleans wohnte, und allenfalls Kalifornien, weil der Händler nach Los Angeles gezogen ist. Doch können wir Kalifomien ausscheiden: prozessiert wird dort nicht, und das für den Kauf maßgebende Recht ändert sich nur äußerst selten, wenn der Käu fer seinen Wohnsitz wechselt. b) Illinois In Illinois verjähren Ansprüche aus mündlichen Verträgen in fünf Jahren nach Entstehung des Anspruchs (Rev. Stat. 1957 Ch. 83 § 16). Ansprüche aus schriftlichen Verträgen verjähren zehn Jahre nach Entstehung des An spruchs; Teilzahlung unterbricht die Verjährung und beseitigt sogar eine schon eingetretene (a. a. O. § 17); doch wird das in unserem Fall nicht gelten, weil die Zahlung von 1800 Dollar kein Anerkenntnis enthielt. Die Entstehung des Anspruchs ("next after the cause of action accrued", a. a. O. §§ 16,17) be deutet vollständige Verwirklichung der anspruchs begründenden Tatsachen 6 WM 60, 939. 10 Gerhard Kegel so, daß der Berechtigte mit Erfolg klagen kann Deswegen entscheidet der 7. Zeitpunkt der Fälligkeit nicht schon (wie grundsätzlich, wenn auch nicht 8, im vorliegenden Fall, in Deutschland: oben S. 8) des Vertragsschlusses, ob wohl der Gedanke, daß der Gläubiger die Anspruchsentstehung nicht will kürlich verzögern darf, auch dem amerikanischen Recht vertraut ist Mit 9. hin hat die Verjährung Anfang März 1954 begonnen. Sie war daher bei Klageerhebung Ende 1957 noch nicht abgelaufen, und Klageerhebung unter bricht die Verjährung im wesentlichen wie bei uns Die Forderung der 10. Schokoladenfabrikantin ist also wie nach deutschem Recht unverjährt. Es kommt noch etwas hinzu: die Verjährung ist gehemmt, solange sich der Schuldner außerhalb von Illinois befindet. Zwar herrscht in den USA Streit, ob Abwesenheit ("absence") frühere Anwesenheit und wahrscheinliche Rück kehr voraussetzt, so daß bejahendenfalls zugunsten des von vornherein außer Landes Wohnhaften die Verjährung läuft Aber in IlIinois ergibt 11. der Gesetzeswordaut das Gegenteil Die Verjährung gegen den Händler 12. hat also überhaupt noch nicht begonnen. c) Louisiana Als Louisiana 1803 durch den "Louisiana Purchase" von Frankreich an die USA abgetreten wurde, galt dort spanisches Recht mit römischrecht lichen Einsprengseln. Die Spanier hatten das Land von den Franzosen erworben. La SaUe hatte es 1682 für Frankreich ergriffen und nach seinem Herrn Ludwig XIV. "Louisiana" getauft. Doch hatte es den Franzosen wenig Freude bereitet. Am 3. 11. 1762 traten sie es durch Geheimvertrag an Spanien ab. Am selben Tage wurde von Frankreich im Präliminarfrieden von Fontaine bleau und endgültig im Pariser Frieden vom 10.2. 1763 der Teil ostwärts des Mississippi mit Ausnahme von Stadt und Insel New Orleans an England abgetreten. Spanien übertrug seinen Teil im Geheimvertrag von St. Ildefonso am 1. 10. 1800 an Frankreich zurück; die Franzosen übernahmen ihn erst am 30. 11. 1803 und übergaben ihn am 20.12. 1803 auf Grund des "Louisiana Purchase" vom 30.4. 1803 an die USA. In dem nun anhebenden Kampf mit dem angelsächsischen common law blieb das romanische "civiI law" Sieger wie schon vorher in Quebec, das 7 Developments -Statutes of Limitations, 63 (1950) Harv. L. Rev. 1200; Simth-Hurd, IlIinois Annotated Statutes, 1956, Anm. 102 zu § 16. 8 Vgl. Developments (oben Anm. 7) 1207-1211. 9 Developments (oben Anm. 7) 1209-1212. 10 Gewisse Unterschiede, faUs der Kläger nicht obsiegt; vgl. Rev. Stat. 1957 eh. 83 § 24 a mit § 212 BGB. 11 Developments (oben Anm. 7) 1225 f. 12 Book v. Ewbank (1941) 311 III App 312, 35 NE 2 d 961 (963 f.).